Vielfachkrise in der Auto- und Zulieferindustrie

Die Gesichter der Vielfachkrise in der Auto- und Zulieferindustrie: Volkswagen, Hella, Linden GmbH, Sächsische Metall- und Kunststoffveredlungs GmbH aus Oberlungwitz.

Eine Verkehrswende und die sozial-ökologische Transformation der Branche wären die Lösung.

Aus Faurecia und Hella wird Forvia. Nach der im August 2021 angekündigten Übernahme Hellas durch den französischen Zulieferer konnte sich Faurecia zum Jahreswechsel gut 80 Prozent der Hella-Aktien sichern. Der neue Name Forvia soll Bewegung ausdrücken („for via“) und sei in mehreren Sprachen einfach auszusprechen.

Zu Faurecia: Im Vorfeld der Fusion der Peugeot-Gruppe mit Fiat zu Stellantis verkaufte PSA im Oktober 2020 über eine Aktienplatzierung an der Börse 7% der Anteile für 308 Mio. Euro an Faurecia, um die nötigen Freigaben von den europäischen Kartellbehörden zu erhalten. Weiterhin verpflichtete sich PSA die verbleibenden 39% an Faurecia auszuschütten – im März 2021 stimmte die Hauptversammlung von Stellantis der Ausschüttung der Faurecia-Aktien und des Verkaufserlös des 7% Aktienpakets an seine Aktionäre zu, so dass ab dem 15. März Faurecia die Unabhängigkeit vom bisherigen Großaktionär erhielt. Der Umsatz von Faurecia betrug im Jahr 2020 rund 15 Milliarden Euro. Weltweit zählt Faurecia, neben den deutschen Unternehmen Bosch, Continental und ZF, zu den größten Automobilzulieferern, nach der Fusion ist es der siebtgrößte Zulieferkonzern mit ca. 21 Milliarden Euro Umsatz.

Die bisherigen Hella-Eigentümer, die Familien Hueck und Röpke, besaßen 60 Prozent der Aktien. Diese sind nun in das Eigentum von Faurecia übergegangen. Nachdem der frühere Interessent, das Münchner Unternehmen Knorr-Bremse, sein Kaufangebot von 4 Milliarden Euro zurückgezogen hatte, ist es den Eigentümer-Familien doch noch gelungen, ihre Aktien zu Geld zu machen.

Sie erhalten von dem französischen Konzern rund 4 Milliarden Euro. Weitere 2,8 Milliarden Euro gehen an die übrigen Aktienbesitzer. Insgesamt werden also Aktien im Wert von 6,8 Milliarden Euro zu Geld gemacht. Faurecia zahlt 3,4 Milliarden bar, den anderen Teil finanziert das Unternehmen mit neuen Schulden, die von den Beschäftigten beider bisherigen Unternehmen jedoch schnell wieder eingeholt werden sollen. Der neue Konzern gibt sich das Ziel, zusätzlich zum ohnehin geplanten Gewinn, 250 Millionen Euro durch Synergien bis zum Jahr 2025 einzusparen. Was für die bisherigen Eigentümer eine ungeheure Bereicherung darstellt, bedeutet für die 160.000 Beschäftigten beider Unternehmen in über 350 Standorten rund um den Globus in den USA, in Mexiko, Indien, in ganz Osteuropa und Südosteuropa, in Südostasien und China den Auftakt zu andauernden Auseinandersetzungen um die Standorte, Arbeitsplätze und Löhne.

Schon bei ersten Übernahmeplänen im August 2021 schrieb das Handelsblatt: „Die Transaktion ist eine Antwort auf die sich stark verändernde Autoindustrie. Die Antriebswende und die zunehmende Bedeutung von Elektronik und Software lösen eine Konsolidierungs- und Fusionswelle aus, die Branchenexperten bereits seit Längerem erwarten.“

Der Begriff Konsolidierung steht für massiven Arbeitsplatzabbau, verlängerte Arbeitszeiten und Lohnsenkung. Damit werden den Beschäftigten die Schulden der Übernahme mit Zins und Zinseszins aufgehalst. Die Zahl der Arbeitsplätze bei Hella in Deutschland sank von 14.000 im Jahre 2004 auf 9500 im Jahr 2021. Weltweit stieg hingegen die Zahl der Beschäftigten auf fast 40.000.

Anfang Februar berichtet das „Insolvenz-Portal“, dass zwei Unternehmen der Heinze-Gruppe, die Linden GmbH aus Herford/Lüdenscheid sowie der Geschäftsbetrieb der Sächsische Metall- und Kunststoffveredlungs GmbH aus Oberlungwitz (SMK) nach Insolvenz an den jungen tschechischen Investor Winning Group mit einem deutschen Mehrheitsaktionär, der zugleich Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzender ist, verkauft werden. In den vergangenen fünf Jahren ist die Winning-Group durch fünf Zukäufe auf einen Gesamtumsatz von 350 Mio. Euro gewachsen und beschäftigt 1.700 Personen. Fast schon zynisch heißt es im Prospekt des Investors: „Die überwiegende Mehrheit unserer Mitarbeiter ist überdurchschnittlich sportlich und achtet auf ihre körperliche und geistige Fitness.“

Der Geschäftsführer der Heinze-Gruppe hatte im September 2021 gegenüber dem „Westfalen-Blatt“ die Halbleiterkrise als Grund für die finanzielle Schieflage genannt. Autohersteller hatten wegen der fehlenden Elektronikbauteile Aufträge gekappt. Lakonisch kommentiert eine Zeitschrift: „70 der 450 Jobs gehen im Zuge der Transaktion verloren.“ Winning hat eigenen Angaben zufolge einen Fokus auf die „Old Economy“ und kauft angeschlagene Unternehmen der Automobil- und Baubranche mit Krediten und Subventionen der Europäischen Union auf. Im Jahr 2020 kaufte die Winning-Group die von Thyssen-Krupp abgestoßene Sona-Präzisionsschmiede in Duisburg, wo im Zuge der Übernahme etwa 350 Stellen gestrichen wurden.

Diese negative Entwicklung bei den Zulieferern ist eine Folge die Vielfachkrise der Autoindustrie – weniger Absatz, Lieferengpässe und logistische Störungen durch die Pandemie und quer gestellte Schiffe im Suezkanal. Diese vielfältige Krise findet ihren Niederschlag direkt in der Produktion der Volumenhersteller, vor allem also Volkswagen, Opel und Ford (Zulassungen in Deutschland minus 20 Prozent bei VW, 30 Prozent bei Ford und 50 Prozent bei Opel). Im Wolfsburger VW-Werk ist die Auslastung auf das Niveau der 1960er Jahre gesunken. Nachtschichten und damit Schichtzulagen für viele Beschäftigte fallen weg. Der Betriebsrat hatte angesichts der Versorgungsprobleme von der Konzernleitung und Vorstandschef Herbert Diess bereits im Herbst ein entschlosseneres Gegensteuern statt neuer Pläne zum Personalabbau gefordert. Nachdem bereits alle Leiharbeiter nicht mehr bei Volkswagen beschäftigt werden, nach der überbordenden Kurzarbeit in den letzten beiden Jahren ist weit und breit keine Besserung in Sicht – trotz eines „Zukunftstarifvertrages“ mit Beschäftigungszusagen seitens des Unternehmens.

Dieses Versprechen könnte nur eingehalten werden, wenn die Verkehrswende auch von den Autokonzernen angenommen würde. Freiwillig sind die aber offensichtlich nicht dazu bereit. Deshalb bedarf es Druck aus der Politik wie von Gewerkschaften, den Umwelt- und Verkehrsinitiativen. Eine sozial-ökologische Transformation ist möglich und dringend nötig.

Konkrete Vorschläge und Alternativen sind im Einzelnen dokumentiert in der jüngsten Publikation von Rosa-Luxemburg-Stiftung und VSA-Verlag: https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/spurwechsel/

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