Mobilitäts- und Verkehrswende – für wen, mit wem und wohin?

Veröffentlicht in der Zeitschrift SOZIALISMUS, Heft 3-2018

Die Autoindustrie befindet sich in einer großen Transformation mit offenem Ausgang. Ob die Produktion mit 85 Millionen Pkw weltweit im Jahr 2017 bereits ihren Zenit erreicht hat, ist offen. Doch dass sie in ihrer bisherigen Form keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr hat, steht außer Frage. Wir sind Zeugen einer Verkehrswende – unklar in welche Richtung: Profit- oder Bedürfnisorientierung? Das Auto inklusive Verbrennungsmotor genügt weder den Erfordernissen der Umwelt noch den unterschiedlichen Mobiltätsbedürfnissen.

Kai Burmeister von der Bezirksleitung der IG Metall Baden-Württemberg macht in der Ausgabe 1/2018 von Sozialismus den Vorschlag, strategische Debatten auf aktuelle Herausforderungen zu beziehen und nicht bei allzu zeitlosen Grundsätzen stehen zu bleiben.[1] Das impliziert zunächst, dass es solche Grundsätze gibt und dass es ihrer bedarf, um die aktuellen Herausforderungen konstruktiv und progressiv zu bearbeiten. Solidarität gehört dazu, die nicht am Werkstor endet, sondern alle Beschäftigten und die Erwerbslosen einbeziehen muss, ebenso globale Nachhaltigkeit, um der Verantwortung für die Natur, für das Klima, für die begrenzten Ressourcen und für nachfolgende Generationen gerecht zu werden. Ferner der Anspruch auf ein Gutes Leben für alle, das nur mit Guter Arbeit geht. Und Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen vor allem; Gerechtigkeit unabhängig von Aufenthaltsstatus, von Hautfarbe und sexueller Orientierung. Soviel Zeit für die Grundsätze muss sein. Daran müssen sich auch die Antworten für aktuelle ökologische, beschäftigungs- und arbeitspolitische Herausforderungen messen lassen.

Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender von VW in Braunschweig, spricht sich gegen »vereinzelt geforderten kurzfristigen Aktionismus« aus und sieht in betrieblicher Mitbestimmung und dem VW-Zukunftspakt[2] »die detaillierte Roadmap der Transformation von Volkswagen und seiner Standorte. … Dank einer verantwortungsvollen, strategisch hochentwickelten Mitbestimmung und einer durchsetzungsstarken Interessenvertretung konnten entgegen allen konservativen aber auch linksradikalen Anfeindungen hohe Standards bei den Arbeitsbedingungen errungen und in weiten Teilen immer wieder verteidigt werden.«[3] Dass es dennoch nicht gelang, konkurrenzmindernde Regelungen für Arbeitszeiten oder Entgelte zu vereinbaren, sei der Tatsache geschuldet, dass »diese Bereiche ohnehin der transnationalen Tarifkoordination vorbehalten bleiben müssen.« Als Beispiel »selbstverständlicher Solidarität über Grenzen hinaus« wird das Brüsseler VW-Werk genannt, das tatsächlich nicht geschlossen, jedoch im Verlauf der letzten 15 Jahre von 7.000 Beschäftigten auf 2.500 heruntergefahren wurde.

Tatsächlich laviert die Politik zwischen proklamierten Klimaschutzzielen, einer »Verkehrswende« ohne Reduktionsziele und einer Verkehrsinvestitions- und Subventionspolitik, die keine neue Weichenstellung erkennen lässt: Unterfinanzierung beim Öffentlichen Verkehr, Milliardeninvestitionen in neue Straßen und Milliardensubventionen für Dieseltreibstoff und Dienstwagen. Schlechtere Leitplanken kann man einer Branche kaum setzen. »Im Übergang zwischen E-Lastenrädern, leichten Nutzfahrzeugen und Pkw könnten Autohersteller neue Produkte entwickeln. Öffentliche Forschungs- und Fördermittel sind so einzusetzen, dass die Ergebnisse einen größtmöglichen öffentlichen Nutzen haben. Beispielsweise für Elektromobilität im ÖPNV, für städtischen Lieferverkehr, Handwerker, Taxen, Krankenwagen oder Pflegedienste. Die Beschäftigten und die Automobilstandorte (Kreise/Regionen) brauchen Unterstützung beim Strukturwandel, um die Nachteile der notwendigen Veränderungen abzufedern und nicht abzuwälzen.«[4]

Aus einer linken Perspektive, so Bernd Röttger und Markus Wissen in der LuXemburg, ist es angesichts der zerstörerischen Konsequenzen einer auch in dieser Zeitschrift diskutierten »imperialen Lebensweise« unabdingbar, die Berührungspunkte von Ökologie und Emanzipation zu identifizieren und die Konturen einer »ökologischen Klassenpolitik« näher zu bestimmen. »Der Externalisierungsgesellschaft droht das Außen verloren zu gehen, und mit diesem eine wichtige Grundlage der Bearbeitung ihrer internen Widersprüche. Die vorherrschende Reaktion darauf besteht darin, das bedrohte Außen und damit die für die imperiale Lebensweise unabdingbare Exklusivität autoritär zu verteidigen bzw. wiederherzustellen: durch Abschottungspolitik gegenüber Geflüchteten und durch das Bestreben, die geopolitischen und -ökonomischen Aufsteiger handelspolitisch oder gar militärisch kleinzuhalten. Gesellschaftlich findet diese Politik einer autoritären Stabilisierung ihren Widerpart in den Anpassungsstrategien der oberen Mittelschicht und der Oberklasse, bei denen das Auto und die Automobilitätspolitik eine zentrale Rolle spielen.«[5] Damit sind die Gefahren und Herausforderung treffend benannt.

Bundesregierung: »Fahrverbote sind auf jeden Fall zu vermeiden«

Auf der 23. Klimakonferenz im November 2017 in Bonn haben die über 20.000 Teilnehmer*innen festgestellt, was schon bekannt war: Das vereinbarte Klimaziel, die Begrenzung der Erwärmung auf maximal +2 Grad, wird verfehlt; der Meeresspiegel steigt weiter an und der pazifische Inselstaat Fidschi mit seinen über 100 bewohnten kleinen Inseln wird davon ebenso hart getroffen werden wie Bangladesch und die Malediven: Land unter für Millionen Menschen einerseits, Trockenheit und Dürre in vielen afrikanischen Staaten andererseits. Beim »Gegengipfel«, dem People‘s Climate Summit, stand im Programm u.a. der Workshop Car Crash; rund um den Workshop gab es Debatten zur Kritik an der Automobilindustrie und der herrschenden Verkehrspolitik, zur Suche nach Wegen aus der Krise. Krise meint in diesem Zusammenhang sowohl die Klimakrise als auch die Krise der Autogesellschaft und der Autoindustrie.

Ab März 2018 drohen den Kommunen Fahrverbote, weil schon seit Jahren die Messstationen an den großen Straßen Stickoxid- und Feinstaubwerte weit oberhalb der Grenzwerte aufweisen. 75 bis 80% dieser Emissionen stammen aus (Diesel-)Fahrzeugen. Die EU-Kommission hat Deutschland deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren angedroht. Von Fahrverboten betroffen wären selbst modernste Dieselfahrzeuge mit der Euronorm 6.[6] Der hannoversche Oberbürgermeister Schostock hielt anlässlich der Vorstellung eines Planes zur Luftreinhaltung im hannoverschen Rathaus am 14.September 2017[7] eine nachlesenswerte Rede. Er dozierte u.a. von Interessenabwägung: »Vor allem sind für mich vier Interessen betroffen, die zum Teil Schutz von Verfassungsrang beanspruchen: Es geht um den Gesundheitsschutz. Wir wissen, dass eine Vielzahl von Menschen wegen einer zu hohen Stickoxid-Belastung vorzeitig stirbt. Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen, Allergien. Die Folgen sind bekannt. Es geht um die Automobilwirtschaft. Aushängeschild der deutschen Wirtschaft schlechthin. Hunderttausende von Arbeitsplätzen hängen von ihr ab. Es geht um die Besitzer von Dieselfahrzeugen. Unzählige Menschen, die in ein Produkt vertraut haben. Vertraut darauf, dass es – wie von den Herstellern angegeben – umweltfreundlich und zukunftsfähig ist. Und es geht um das Leben in den Städten. Wenn wir Verkehre ausschließen, laufen wir Gefahr, die Städte lahmzulegen.« Im Verfassungsrang ist davon sicher nur der Gesundheitsschutz, das »Recht auf körperliche Unversehrtheit«, wie es in Artikel 2 GG heißt. Eine Schlussfolgerung des Oberbürgermeisters aus Hannover ist allen politisch verantwortlichen Personen und der Autoindustrie in Deutschland gemein: »Wir müssten also den Dieselverkehr großflächig aussperren. Quasi eine Umweltzone mit einem undifferenzierten Dieselverbot. Das kann nicht sein, wenn Sie mich fragen.«[8] Siegmar Gabriel stößt ins gleiche Horn: alles zu tun, »damit es in Deutschland keine Fahrverbote gibt…«[9]

Die Bundesregierung ist nach der »peinlichen Inszenierung« (Die ZEIT) inzwischen mehrerer Dieselgipfel zu nicht mehr in der Lage, als neue »finanzielle Anreize« zum Umstieg auf Elektromobilität zu geben, d.h. weitere Subventionierung der Automobilindustrie mit Milliardenbeträgen; ein Teilbetrag in Höhe von einer Milliarde Euro wird euphemistisch als »Nachhaltigkeitsfonds« bezeichnet. Teils fließen die beim zweiten »Dieselgipfel« am 4. September 2017 beschlossenen Subventionen über die Kommunen, die dafür Elektroautos anschaffen müssen; teils werden, natürlich steuermindernd, sogenannte »Umweltprämien« bis zu 11.000 Euro ausgereicht bei der Verschrottung älterer und dem Kauf neuer Autos: »Umweltprämie, Zukunftsprämie oder Umweltbonus, durch verschiedene Prämien und Boni vom Staat und Hersteller können Sie jetzt je nach Modell bis zu 13.070 Euro erhalten« – so wirbt z.B. Volkswagen bei seinen eigenen Beschäftigten für den Kauf eines Neuwagens. Doch trotz Rabattschlacht stagniert der Absatz von Volkswagen, BMW und Daimler auf dem deutschen Markt.

Neue Geschäftsmodelle

Die Autoindustrie will an staatlichen Subventionen für E-Mobilität festhalten und schließt dazu Standortbündnisse, die sich bald als verbotene Kartelle herausstellen könnten. Umso erstaunlicher ist, dass der VW-Chef einen Abbau der Dieselprivilegien bei der Mineralölsteuer ins Gespräch bringt: »Wenn der Umstieg auf umweltschonende E-Autos gelingen soll«, so Müller im Handelsblatt,[10] »kann der Verbrennungsmotor Diesel nicht auf alle Zeiten weiter wie bisher subventioniert werden.« Das Geld solle lieber, damit lässt er die Katze aus dem Sack, in umweltschonende Antriebstechniken fließen.

Künftige Profite erhoffen sich die Unternehmen von »neuen Geschäftsmodellen«, vor allem Dienstleistungen wie Shuttle Service und Robo-Taxen, mit denen die Umsätze aus dem Öffentlichen Personennahverkehr abgeschöpft werden sollen – mit MOIA bei VW und Moovel sowie MyTaxi bei Daimler, etlichen teuren Zukäufen von Start Ups wie Gett oder das Ridesharing-Unternehmen Flinc. Daimler Mobility Services übernimmt die 2010 in Darmstadt gegründete Mitfahrgelegenheit für die Kurzstrecke und gliedert das Angebot in seine eigene Mobilitätspalette ein. VW ist u.a. mit 300 Mio. Dollar bei dem Fahrtenvermittler Gett eingestiegen: Gett-Fahrer in der russischen Metropole erhalten den VW Polo Sedan, den VW Jetta, den Škoda Rapid oder den Škoda Octavia zu Vorzugskonditionen, profitieren von speziellen Fahrzeug-Paketen und beschleunigen so das Wachstum von Gett und Volkswagen in Moskau. Auch Afrika ist im Visier: Ein ähnliches Projekt ist für Ruandas Hauptstadt Kigali geplant. Die Visionen können gar nicht schön genug sein: »Wer die Stadt rettet, rettet die Welt. MOIA ist nicht einfach ein weiteres Verkehrsmittel. Wir entwerfen Mobilitätskonzepte, die unsere Städte zu lebenswerteren, sichereren und schöneren Orten machen – für alle Menschen. Die aufregende Reise beginnt jetzt!«[11] Volkswagen will damit in den nächsten Jahren einen »substanziellen Teil des Umsatzes« von über 200 Milliarden Euro erwirtschaften. Hierzulande sind Hamburg, Wolfsburg und Dresden im Visier von Volkswagen,[12] Daimler besetzt Stuttgart und Berlin.

Mittelfristig plant die Landeshauptstadt Dresden einen Schritt weiter zu gehen und statt auf einen eigenen Fuhrpark auf Mobilitätsdienstleitungen eines Dritten zurückzugreifen: SmartCity Dresden 2025+ – so die verlockende oder erschreckende Vision mit Bildung eines Joint Research Lab, einer Advanced Mobility Academy und eines Business Inkubators. Etwas Kleiner geht es noch, wenn die Schulkinder ins Visier geraten: Eine »Schutzranzen«-App[13] sollte entwickelt werden: »Sobald Kinder die App auf ihr Smartphone heruntergeladen haben, sendet sie oder ein GPS-Sender im Schulranzen, deren aktuelle Position an die Coodriver Cloud. Der Cloud Server berechnet den notwendigen Sicherheitsabstand zwischen Kind und Fahrzeug.« Vorläufig ist das Projekt in Wolfsburg an Protesten und zu wenigen freiwilligen Probanden gescheitert.

Die Autoindustrie unter öffentliche Kontrolle stellen!

Die Debatte über die »neuen Geschäftsfelder« wird allzu zögerlich geführt angesichts der Problemanhäufung und der »Kollateralschäden«, die von der Autoindustrie angerichtet werden: 3.200 getötete Personen bei Straßenverkehrsunfällen hierzulande im vergangenen Jahr, unsichere Arbeitsverhältnisse, unsichere Steuereinnahmen für die Kommunen, Subventionen aus den Staatskassen, Kartellbildung, Abgasbetrug – und jetzt auch noch Menschen- und Tierversuche mit Autoabgasen. Den Eigentümern und Managern ist fast jedes Verbrechen zuzutrauen. Die Autoindustrie muss deshalb unter öffentlich-rechtliche Kontrolle gestellt werden, analog des Einsatzes des US-Juristen Larry Dean Thompson bei VW. Er und sein Team bilden eine Art Spezialeinsatzkommando mit Zugang zu allen Räumen, Computern und Dokumenten des Unternehmens. Das Team soll dafür sorgen, dass Volkswagen die Auflagen des Anfang 2017 geschlossenen Vergleichs mit dem US-Justizministerium wegen des Abgasbetrugs erfüllt. Das Unternehmen kann es sich nicht leisten, den Deal mit den USA zu aufs Spiel zu setzen.

Zur Konsequenz dieser Debatte gehörte ähnliches wie bei der Tabakindustrie (Werbeverbot) oder bei Gammelfleischproduzenten (Entzug der Betriebsführungserlaubnis). Angesichts der »Bedeutung« der Autoindustrie mag das abwegig klingen, angesichts der Schäden und Risiken der Produkte und der Manager wäre das die einzige Lösung, die kurzfristig zu notwendigen Veränderungen führt.

Kritisch bei der begonnenen Transformation, die neben der Digitalisierung und ganz anderen Produkten auch eine Reduktion von Input und Output sein muss, ist das soziale Problem der Beschäftigung von vielen hunderttausend Menschen in unserem Land und Millionen Menschen weltweit in den entsprechenden Wertschöpfungsketten. Antje Blöcker hat im Initiativkreis »Zukunft Auto« der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Herausforderung so benannt: »Ohne die dominante Stellung des individuell und privat genutzten Autos im Verkehr infrage zu stellen, wird es (Verkehrswende, Transformation der Autoindustrie) nicht gelingen. Ohne Alternativen für die Beschäftigten entlang der automobilen Wertschöpfungskette wird das aber auch nicht gelingen. Es geht nur gemeinsam. Es geht um eine faire Mobilitätswende im Einklang mit der Natur, um die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen überall auf dem Globus. Zugleich geht es um faire Arbeitsplatzbedingungen und um Arbeitsperspektiven in einer Kernindustrie, die vor großen sozial-ökologischen Umbrüchen steht.« Ökologische Klassenpolitik kann sich nur durchsetzen, wenn sie mit Perspektiven auf das Gute Leben, auf ein akzeptables Maß an sozialer Sicherheit einhergeht.

Bei der Suche nach Lösungen in diesem Transformationsprozess fällt auf, dass einzelne Abschnitte der Produktion unabhängig vom Auto anders genutzt werden können. Ob Bleche für die Autoindustrie oder für Busse, Bahnen und Schienen hergestellt werden, ist den Beschäftigten in der Stahlindustrie ziemlich egal. Das gleiche trifft für die Textilproduktion (Sitze), die Elektrik und Elektronik zu. Damit verkleinert sich das soziale Problem. Wenn weiter Verschiebungen innerhalb der Industrie- und Dienstleistungsbereiche, z.B. von der Autoproduktion im weitesten Sinne in den Natur- und Landschaftsschutz, in die Infrastruktur des Landes, in die Herstellung alternativer Verkehrsmittel und Verkehrswege erfolgen, wird die soziale Frage nochmals kleiner. All diese Veränderungen stehen uns ohnehin bevor und wir müssen lernen, damit umzugehen.

Die Absicht der Automobilkonzerne, der mit ihr verbundenen Zulieferindustrie, Mineralölindustrie und der diesen Industrien verpflichteten Politik ist es, solange so viele Autos mit Verbrennungsmotor wie möglich zu verkaufen und das bestehende Profitsystem in die Zukunft zu verlängern. Aber die Zukunft ist vielfach ungewiss, für die Manager stellen sich schier unlösbare Fragen. Kann sich Elektromobilität durchsetzen? Wer bezahlt die Ladeinfrastruktur und wo kommt der Strom her? Ist die Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie eher die Zukunft? In welche Richtung soll geforscht und viel Geld investiert werden? Was sind die richtigen Konzepte für künftige Mobilität? Warum funktionieren die Car-Sharing-Ausflüge der Großkonzerne nicht?[14] Wie können wir die Milliarden-Umsätze aus dem Öffentlichen Verkehr in die Konzernkassen umleiten?[15] Die Endlichkeit der Ressourcen, der bevorstehende Klimakollaps und der veränderte Status des Autos, die nicht mehr vorhandene Mobilität in den Megacities sowie in den infrastrukturarmen ländlichen Regionen erzwingen jetzt Antworten. Deshalb wird spekulativ investiert – viele Milliarden in verschiedene Lösungswege.

Ulrich Brand und Markus Wissen beschreiben die Lebensweise der Menschen im globalen Norden sowie einer größer werdenden Zahl von Menschen im globalen Süden als imperiale Lebensweise,[16] als »Paradoxon, das im Epizentrum verschiedener Krisenphänomene angesiedelt ist.« Gemeint ist ausdrücklich nicht der individuelle und höchst unterschiedliche Lebensstil. Sie machen die Verbindungen sichtbar von unserem alltäglich-praktischen Leben zu gesellschaftlichen Strukturen der Produktion und der Konsumtion. Eine Unterwerfung unter diese gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgt durchaus freiwillig, wird verstanden als Freiheit, selbst zu entscheiden und gewährt vielen durch ein bisschen Luxus das Gefühl des Glücks, auf der Sonnenseite des Lebens stehen zu können. Das bisschen Glück versöhnt die Menschen mit der sichtbaren Ungerechtigkeit, mit dem Stress der flexiblen Arbeit und der sekundären Ausbeutung durch überhöhte Mieten und den permanenten Zwang zum Konsum. Tatsächlich gibt es wenig wirkliche Wahlfreiheiten im 45-jährigen Arbeitsleben bezüglich der Art der Arbeit, ihrer Dauer, des Wie und Wohin zur Arbeit. Aus diesem Widerspruch speisen sich die Ideen und Vorstellungen für eine bessere Welt, für ein besseres Leben und was sich dafür ändern muss.

Der Markt kann es nicht richten

Gelegentlich wird die IG Metall als Interessenvertretung der Beschäftigten in der Automobilindustrie wahrgenommen, die standortchauvinistisch mit den Autofirmen paktiert. Aber es gibt eine andere Seite und andere Branchen, die nicht so sehr im Licht stehen, aber für eine bedürfnisorientierte Transformation wichtig sind. Auf einem von der IG Metall organisierten Aktionstag in den Betrieben der Bahnindustrie setzten Beschäftigte und Betriebsräte bundesweit ein Zeichen. In einer gemeinsamen Erklärung der IG Metall-Betriebsräte in der Bahnindustrie heißt es u.a.: »Wir wissen zugleich, dass die integrierte Mobilität der Zukunft eine starke Schiene braucht. Eine starke Schiene gewährleistet Mobilität und schützt Klima sowie Gesundheit. Wir bringen uns aktiv in die Gestaltung unserer Branche ein. Wir setzen auf eine Offensive zur Sicherung und Stärkung unserer Arbeitsplätze, Standorte und Wertschöpfungsketten. Der Markt allein kann es nicht richten. Deshalb erwarten wir von den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland und Europa eine innovations- und beschäftigungsorientierte Branchenpolitik.«[17] Die IG Metall und die Betriebsräte fordern u.a. einen Bahnkoordinator der Bundesregierung, der Bahnindustrie und Bahnbetrieb zusammendenkt; die Einführung eines Branchendialogs, um Transparenz zu schaffen und Strategien zu klären; die Einrichtung eines nationalen Forschungsprogramms; eine faire Auftragsvergabe sowie Investitionen in die Schieneninfrastruktur. Der Veränderungsbedarf wird auch bei den Betriebsräten der Autoindustrie gesehen. In einer gemeinsamen Erklärung vom Juli 2017 betonen Gewerkschaft und Betriebsräte: »Es ist an der Zeit, die Weichen für eine zukunftsfähige Transformation zu stellen. Das längerfristige Ziel ist eine ökologisch und sozial verträgliche Mobilität.«[18] Die Debatte wird auch in Teilen der Belegschaften geführt.

Daraus ergeben sich u.a. folgende Forderungen: Vor allem muss Schluss sein mit den betrügerischen Praktiken der Eigentümer und Manager in der Autoindustrie. Bei den Streikaktionen im Rahmen der Tarifrunde 2018 haben viele Beschäftigte sich bitter beklagt, dass sie sich für die Gesetzesverstöße der Manager rechtfertigen müssen.[19] »Das Ärgerliche ist, dass wir das jedes Mal mit abkriegen. Wir sind auch Volkswagen« – so der Betriebsratsvorsitzende von VW-Kassel bei der nächtlichen Streikaktion am 1. Februar diesen Jahres. Die außerordentlich hohen Gewinne der Unternehmen sind zur Regulierung der Schäden und zur Finanzierung der Transformation zu verwenden. Volkswagen zum Beispiel hat »Gewinnrückstellungen« in Höhe von 70 Mrd. Euro, Daimler weist einen Vorsteuergewinn von fast 15 Mrd. aus und BMW von fast 10 Mrd.

Fahrverbote zumindest für Dieselfahrzeuge sind unvermeidlich. Die davon betroffenen Personen sind zu Lasten der Autokonzerne mit Monats- bzw. Jahrestickets für den jeweiligen Öffentlichen Personennahverkehr auszustatten.

Der von der IG Metall für die Bahnindustrie und in Baden-Württemberg für die Automobilindustrie geforderte Branchendialog (Beirat zur Transformation) ist zu einem Branchenrat, gerne auch zu einem »Zukunftspakt Mobilität«, wie von der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgeschlagen,[20] aufzuwerten, in den die Gewerkschaften, aber auch Umwelt- und Verbraucherorganisationen einzubeziehen sind. Die Beratungsergebnisse sollen verbindlich für die Branche sein. Im Ergebnis bedeutet das eine öffentlich-rechtliche Kontrolle einer Kernindustrie unseres Landes.

»Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen« (Artikel 14 Absatz 2 GG). Zur Durchsetzung dieses Artikels kann zum Instrument der Enteignung gegriffen werden. Anders wird die dringende und an den wirklichen Mobilitätsbedürfnissen orientierte Verkehrs- und Mobilitätswende nicht auf den Weg zu bringen sein. Wenn diese Wende jetzt in Verbindung mit einer wünschenswerten und möglichen allgemeinen Arbeitszeitverkürzung, mit einem »Neuen Normalarbeitsverhältnis [21]« in einem Zeithorizont von zehn Jahren angegangen wird, ist sie sozial beherrschbar und wird nicht zu massenhafter Erwerbslosigkeit und verödeten Kommunen und Regionen führen.

http://www.sozialismus.de/heft_nr_3_maerz_2018/

[1] Kai Burmeister: Auto-Umwelt-Verkehr: reloaded, in: Sozialismus 1-2018, S. 49-52.

[2] http://www.igm-bei-vw.de/fileadmin/Material/Zukunftspakt_Flyer.pdf sowie http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/zukunftspakt-vw-streicht-23-000-stellen-in-deutschland/14861514.html; seither wurden tausende Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter nicht weiter beschäftigt. Der »Zukunftspakt« betrifft ohnehin nur die deutschen Standorte von Volkswagen, lediglich beim Personalabbau wird von 30.000 Stammbeschäftigten weltweit gesprochen. Siehe Kritik am Zukunftspakt: ttp://stephankrull.info/2017/11/27/together-2015-der-zukunftspakt-bei-vw/

[3] Marxistische Blätter 6_2017, Essen, Oktober 2017, Seiten 67 -76

[4] http://www.sabine-leidig.de/index.php/3-beitrag/veroeffentlichungen/333-interwiev-9-2017

[5] http://www.zeitschrift-luxemburg.de/oekologische-klassenpolitik/

[6] Der SPIEGEL, 28.11.2017.

[7] https://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Aktuelle-Meldungen-und-Veranstaltungen/OB-Schostok-stellt-Eckpunkte-f%C3%BCr-Luftqualit%C3%A4tsplan-vor

[8] https://www.morgenpost.de/politik/article212659445/Verkehrsminister-Schmidt-will-Fahrverbote-vermeiden.html

[9] https://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/09/2017-09-04-luftqualitaet-in-staedten.html

[10] Handelsblatt, 11.12.2017.

[11] https://www.moia.io/de/story/

[12] https://www.dresden.de/media/pdf/wirtschaft/Absichtserklaerung_LHD_VW.pdf, http://www.hamburg.de/contentblob/6770750/79dfb53810fce0a30027b01de5160168/data/2016-08-29-pr-mobilitaetspartnerschaft.pdf, https://www.zwickau.de/de/aktuelles/pressemitteilungen/500.php

[13] https://www.schutzranzen.com/

[14] Volkswagen hat das Projekt Quicar beendet, BMW und Daimler lassen ihre Carsharing-Töchter zunächst fusionieren. Ähnlich wie bei den Fernbuss-Unternehmen geht es hier zunächst nicht um Profit, sondern in erster Linie um Marktzugänge und schließlich um Marktbeherrschung.

[15] Auch hierbei geht es nicht um Kostendeckung, sondern um Marktbeherrschung. Der Service wird in Hannover für unschlagbare 6 Cent pro Kilometer angeboten. Die Autounternehmen haben sich die Märkte regional aufgeteilt. http://stephankrull.info/2017/12/17/gutes-leben-statt-hamsterrad-mehr-plan-mehr-zeit-und-beduerfnisorientierung-statt-diktatur-der-konzerne/

[16] Brand, Ulrich/Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München. Siehe dazu Beiträge in dieser Zeitschrift.

[17] https://www.dialog.igmetall.de/uploads/media/Gemeinsame_Erklaerung_Betriebsraete_Bahn-Industrie.pdf

[18]https://www.igmetall.de/2017_07_31_Erklarung_Auto_IGM_GBR_052094128efe34fe7623603ece409623673cbcca.pdf

[19] https://www.hna.de/kassel/kreis-kassel/ig-metall-org27214/ig-metall-streik-2018-im-vw-werk-baunatal-9576340.html

[20] http://library.fes.de/pdf-files/wiso/14086.pdf

[21] Benrd Riexinger/Lia Becker (2017): Vorschläge für eine Neues Normalarbeitsverhältnis. Supplement der Zeitschrift Sozialismus, H. 9.

Ein Gedanke zu „Mobilitäts- und Verkehrswende – für wen, mit wem und wohin?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert