Bauernproteste: Nähe und Distanz

Im Zusammenhang mit den Protesten der Bauern gibt es eine ganze Reihe unsachlicher und falscher Informationen. Dazu gehört der Fake, der Steuernachlass auf Diesel- und KFZ-Steuer rühre daher, weil die Bauern mit ihren Fahrzeugen überwiegend auf dem Acker sind, die Steuer aber für den Straßenbau erhoben würde. Tatsächlich gibt es in Deutschland keine Zweckbindung von Steuern – auch nicht für Hunde- oder Sektsteuer. Der Vorwurf der rechten Unterwanderung wird vom Bauernverband mit Unschuldsmiene zurückgewiesen. Aber der Vorwurf, „sich benutzen zu lassen“ ist in der Art der Proteste gegen einzelne Personen (Habeck) und den Forderungen („Die Ampel muss weg“, mit der CDU/CSU gegen „die da oben“) angelegt, die Entscheidung derjenigen, die die Proteste organisieren.

Deshalb einige Gedanken zu Nähe, Distanz und Perspektiven:

1. Die Bundesregierung regiert unglaublich schlecht und dumm; die Landesregierungen einschließlich CDU und CSU übrigens auch. Insbesondere die Schuldenbremse ist falsch und provoziert selbstverständlich Proteste. Diese Proteste sind berechtigt. Das andere Subventionen nicht angefasst werden, dass Tarif-Flucht nicht verhindert und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen nicht verfügt wird, dass der Mindestlohn nicht erhöht wird und Bürgergeld sanktioniert werden soll, sind gravierend falsche politische Entscheidungen.

2. Die Agrarindustrie ist hoch subventioniert, als Exportindustrie ist sie an der Zerstörung der bäuerlichen Lebensmittelproduktion in vielen Ländern beteiligt. Das betrifft nicht kleine landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, die ihrerseits Opfer der Agrarkonzerne sind, hunderttausende landwirtschaftliche Betriebe wurden durch die Agrarkonzerne vernichtet (Höfesterben).

3. Die Preisdrücker sitzen in den großen Handels- und Discountermärkten, die haben Namen wie Nestlé, Müller, Albrecht, Schwarz, Rewe und Edeka, die Eigentümer gehören zu den Reichsten Personen in Deutschland. Gegen diese müsste sich die Wut zunächst richten, zumal sie von der Regierung vor einer Vermögensabgabe und Vermögenssteuer bewahrt werden.

4. Die Rechten haben die Bauernwut anders kanalisiert und letztlich gekapert. Bis auf weiteres ist der Zug abgefahren. Was jetzt einsetzen muss, ist Aufklärung, politische Bildung und Öffentlichkeit dafür. Die Straßenblockaden der Bauern als Demonstration der Macht, die Straßenblockaden der Klimaschützerinnen als Demonstration der Ohnmacht.

5. Mieter sind ebenso betroffen und wütend, lohnabhängig arbeitende Menschen sind betroffen und wütend, Lehrerinnen und Lehrer, Erwerbslose, Pflegepersonal, Rentner und Rentnerinnen und viele mehr. Deren Wut versuchen die Rechten auch (falsch) zu kanalisieren. Daraus ergeben sich für Linke und Gewerkschaften Perspektiven und dringende Aufgaben jenseits der von den Agrarkonzernen organisierten und den Rechten gekaperten Protesten der Bauern.

Gerne teile ich die Position des Betriebsratsvorsitzenden vom VW-Werk in Salzgitter, Björn Harmening, der zu den Protesten folgendes schrieb:

Weshalb die Gewerkschaften nicht dazu aufrufen, sich an den Bauernprotesten zu beteiligen? Diese Frage geistert gerade durch das Netz und wird von bestimmten Leuten bewusst provokativ gestellt. Antwort: Ganz einfach, weil es sich zunächst um die Belange einer homogenen Gruppe handelt, die für ihre Interessen demonstriert, Punkt. Das ist absolut legitim – auch wenn man natürlich darüber diskutieren muss, ob diese Forderungen nach verbilligtem Diesel noch in die Zeit passen oder nicht eher darüber gesprochen werden müsste, wie vor allem den Kleinbetrieben durch fairere Bedingungen und Preise seitens der Großabnehmer geholfen wird.

Selbstverständlich ist es aber das gute Recht der Bauern, für ihr Einkommen zu streiten. Das machen wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter schließlich auch. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass wir für die Verteilung der von uns (!) erwirtschafteten Mehrwerte kämpfen. Subventionen sind immer Steuergelder, die verteilt werden. Außerdem ist ein Blick auf die Frage, wer eigentlich von den strittigen Themen bei den Landwirten wirklich profitiert, ganz sinnvoll. Kleiner Tipp: Es sind nicht die Kleinbetriebe.

Was hier aber durch bestimmte Aufrufe passiert, hat doch überhaupt nichts mit dieser ganzen Frage zu tun. Hier geht es um die lächerlichen Umsturzfantasien einiger rechter Recken, die meinen, dass es jetzt an der Zeit für die Überwindung der Demokratie ist und die Bauernproteste als Trittbrett nutzen wollen. Und wenn diese Fantasien tatsächlich einmal Wahrheit werden würden, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann könnten wir uns warm anziehen.

Dann würde eine bekannte und vielbesuchte Gruppe bei FB vielleicht „Wir bei Kraft durch Freude“ heißen und man dürfte wirklich nicht mehr alles sagen und schreiben. Dann würde beim Appell vor Schichtbeginn der Betriebsleiter der Deutschen Arbeitsfront das Tagesziel ausgeben und uns sagen, wie lange wir heute zu arbeiten haben. Dann würde es möglicherweise bei Spotify nur noch die Auswahl zwischen Marschmusik, den Zillertaler Alpendödeln und den schönsten Neujahrsansprachen des Führers Bernd Höcke geben. Dann könnte es sein, dass morgens nicht DHL mit dem ersehnten Paket, sondern Typen in langen Ledermänteln an die Tür klopfen, weil man doch mal etwas lauter gesagt hat und der Nachbar das mitbekam.

Dann würden wir vielleicht begreifen, dass Mitbestimmung und Demokratie eigentlich doch ganz cool sind – nur dann wäre es zu spät. Das kann keiner hier wirklich wollen, Kolleginnen und Kollegen. Deshalb dürfen wir uns nicht von dieser üblen Ideologie einfangen lassen. Die Bauern streiten um ihr Einkommen, nicht mehr und nicht weniger. Das können und dürfen sie auch mit legalen Mitteln und gewaltlos tun. Aber das ist mit Sicherheit nicht der Aufruf zum rechten Umsturz.

Soweit der Kollege vom Betriebsrat in Salzgitter, hier noch ein Hinweis auf einen etwas älteren, immer noch aktuellen Text von Tom Strohschneider in OXI:

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