Chefwechsel bei VW – Darum wird Herbert Diess gefeuert

Vorstände kommen und gehen, auf die Arbeiterinnen und Arbeiter kommt es aber wirklich an. Der designierte Nachfolger von Herbert Diess ist als Konzernchef schon angeschlagen, bevor er den Vorsitz antritt: #PorscheGate.

Nach deutlichen Protesten von IG Metall und Betriebsrat entzogen auch „die Familie“, der Porsche-Piëch-Clan, die schützende Hand. Die Wolfsburger Leitung des IG Metall-Vertrauenskörpers titelte in einer Information für die Beschäftigten (6/21): „Dies(s)ige Ausssichten für die Zukunft oder: The Show Musk go on?“ und direkt nach dem Rausschmiss: „Vorstände kommen und gehen, die IG Metall bleibt.“

1.

Herbert Diess wird wegen diverser Entgleisungen gefeuert. Die dümmste war wohl die Ansage, man könne heute einen VW leasen für den Preis eines guten Steaks. Dabei hatte er ein Luxusrestaurant in New York im Kopf, in dem es ein Steak für 250 $ gibt. Die schlimmste Entgleisung war der Ausspruch bei einer Managerkonferenz im Frühjar 2019: „Ebit macht frei“. Seine „Entschuldigung“ machte die Sache nicht besser: Es tue ihm leid, sollte er damit unbeabsichtigt Gefühle verletzt haben. Zwischen diesen beiden dummen und schlimmen Entgleisungen liegen weitere wie der sich verschärfende „Krieg um Talente“, die ständigen Vergleiche mit Tesla, sich an Elon Musk anbiedernd und schließlich, im Sommer 2020 im Zusammenhang mit seiner umstrittenen Vertragsverlängerung ein unhaltbarerer Vorwurf gegenüber den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat: „Das sind Straftaten, die im Aufsichtsratspräsidium passieren und dort offensichtlich zugeordnet werden können.“

2.

Herbert Diess wird wegen ständigem Zoff mit dem Betriebsrat gefeuert. Entgegen der guten Tradition, bei Betriebsversammlungen zu den Beschäftigten zu sprechen, wollte er im November, der ersten Betriebsversammlung in Präsenz nach fast zwei Jahren Corona-Pause, lieber eine Reise zur Wallstreet in New York unternehmen – vielleicht auch, um mal wieder ein 250-$-Steak zu essen.. Dabei hatte er bereits vorher erklärt, die Effizienz müsse steigen, gerade gegenüber dem Hauptkonkurrenten Tesla. Dort würden Autos in unter 15 Stunden gefertigt, bei VW dauere das mitunter doppelt so lange. Statt der Teilnahme an der Betriebsversammlung plante er eine eigene „Dialogveranstaltung“, um dort die Tagesordnung zu bestimmen und das Drehbuch selbst zu schreiben. Die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo war sichtlich empört und erklärte öffentlich: „Beenden Sie ihre persönliche Profilierung auf dem Rücken der Belegschaft! Schicken Sie den Finanzvorstand zu den Investoren und stehen Sie der Belegschaft am 4.11. gefälligst Rede und Antwort!“

Das wirklich problematische in der Zusammenarbeit mit Betriebsrat und IG Metall war, dass er Vereinbarungen und Verträge immer wieder in Frage stellt und so am Betriebsrat vorbei durchrechnen ließ, ob 30.000 Arbeitsplätze in der VW-AG, fast ein Drittel aller Beschäftigen, kurzfristig abgebaut werden könnten. Tatsächlich gibt es einen „Zukunftspakt“ zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsrat seit Herbst 2016, nach dem 23.000 Stellen „sozialverträglich“, das heißt vor allem über Nichtersatz von Fluktuation, Altersteilzeit und Abfindungsprogramme wegfallen sollen. Betriebsbedingte Kündigungen waren mit dieser Vereinbarungen ausgeschlossen.

3.

Herbert Diess wird wegen dramatischer Entwicklung im Absatz und in der Modellpolitik gefeuert. 2018 wurden fast 11 Millionen Fahrzeuge des Konzerns ausgeliefert, 2021 sind es gut 20 Prozent weniger – mit der Pandemie und mit Engpässen bei Halbleitern hat das nur wenig zu tun. Es ist einfach Missmanagement und eine falsche Modellpolitik. Die überhastete Wende zu Elektroautos, die krampfhaften Anstrengungen zur Digitalisierung des Autos, die alleinige Orientierung auf große und teure Fahrzeuge – damit wird eine große mögliche Käuferschicht nicht erreicht, gewünschte Scaleneffekte stellen sich nicht ein. Wenn es fast kein kleines Auto zu kaufen gibt, wenn es kaum ein Auto unter 30.000 Euro zu kaufen gibt, dann bleiben eben viele nicht so betuchte Kunden weg und kaufen sich lieber einen Renault oder Suzuki. In verschiedenen großen Märkten sieht es noch viel dramatischer aus. Nun könnte ich sagen: Super, weniger Autos ist ja auch gewollt. Aber die großen und schweren SUV‘s verbrauchen mehr Ressourcen und erzeugen mehr Emissionen, als kleinere Fahrzeuge. Und wenn Arbeitsplätze ersatzlos gestrichen werden, obwohl die Profite steigen, ist das extrem unsozial. Die nach wie vor üppigen Gewinne kommen aus diesen größeren Fahrzeugen, die ohne staatliche Kaufprämien gar nicht absetzbar wären. Außerdem sparen VW und die anderen Autokonzerne viele Millionen Euro durch die Lohnkostenerstattung (Kurzarbeitergeld) durch die Agentur für Arbeit.

Das sind die wesentlichen Gründe für den Rausschmiss von Diess, egal, ob die Gazetten spekulieren, er sei ein großer Stratege und kraftvoller Reformer. Das Image von Volkswagen ist durch die Kapriolen des obersten Managers wieder beschädigt – und das nehmen ihm die Anteilseigner, vor allem der Porsche-Piëch-Clan wie auch Betriebsrat und Gewerkschaft, übel.

Kleiner Exkurs:

Der Absatz in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2022 um ca. 12 Prozent (150.000 Fahrzeuge) geschrumpft. Während inländische Hersteller und deren Töchter verloren, haben ausländische Hersteller wie Mitsubishi, Dacia und Toyota zugelegt:

MarkeMinus gegenüber 1. Halbjahr 2021
Audi5.000
BMW15.000
Ford7.000
Mercedes5.000
Seat10.000
Skoda15.000
Volkswagen50.000
Summe107.000
Zahlen: KBA

30 Millionen Euro „Schmerzensgeld“ für Diess

Trotzdem fährt Volkswagen auch dank staatlicher Subventionen Gewinne ein. Die Gewinnrücklage liegt bei exorbitant hohen 117 Milliarden Euro. Deshalb wird der Rausschmiss von Diess für ihn selbst zu verschmerzen sein: Der Vertrag läuft weiter, er kassiert drei weitere Jahre jeweils ca. 10 Millionen Euro inklusive Pensionsansprüchen. Elon Musk müsste ihm schon sehr viel bieten, damit er den „harten Hund“ für Tesla gewinnen könnte.

Nein, nach deutlichen Protesten von IG Metall und Betriebsrat entzogen auch „die Familie“, der Porsche-Piëch-Clan, ihre schützende Hand. Die Wolfsburger Leitung des IG Metall-Vertrauenskörpers titelte in einer Information für die Beschäftigten (6/21): „Dies(s)ige Ausssichten für die Zukunft oder: The Show Musk go on?“ und direkt nach dem Rausschmiss: „Vorstände kommen und gehen, die IG Metall bleibt.“

Vorstände kommen und gehen – der nächste soll also Oliver Blume sein, zur Zeit oberster Manager der Porsche AG. Diese Aufgabe und den Börsengang von Porsche soll er gleichzeitig weiterführen. Das Pensum für ihn wird groß und anstrengend, wird er doch als „Modernisierer“ und seine Inthronisation als Generationswechsel gefeiert. Die falschen Entscheidungen der letzten fünf Jahre kann er aber kaum und vor allem nicht schnell rückgängig machen. Dazu gehört auch, Tesla hinterherzuhetzen, mit einer neuen Fabrik in Wolfsburg zu versuchen, „besser“ als die geliebte Konkurrenz zu sein – zumal die „Gigagagafactory“ von Tesla in Grünheide alles andere als gut läuft. Die Nachfrageschwäche, kaschiert durch den Halbleitermangel, wird sich eher verstärken. Die Aussichten von und für Blume sind also nicht rosig – trotz seiner guten Beziehungen zu Porsche-Fahrer Christian Lindner. Der nächste VW-Chef hat damit geprahlt, Christian Lindner in der Koalitionsverhandlung beeinflusst zu haben. Blume wird ein Übergangschef sein – so wie Müller und Diess auch welche waren. Die Unterwürfigkeit der Bundesregierung gegenüber der Auto-Industrie, sichtbar an Milliarden direkten und in direkten Subventionen sowie am kurzen Draht von Blume in die Koalitionsverhandlungen, ist ein Risiko für Umwelt und Gesundheit. Die Entwicklung und Umsetzung ökologisch nachhaltiger Mobilitätskonzepte, der Bau von Bussen und Schienenfahrzeugen dagegen würde auf Jahre hinweg gut bezahlte Arbeitsplätze sichern. Das wäre auch eine Perspektive für Volkswagen, wenn die Mobilitätsbedürfnisse im Mittelpunkt stünden und nicht der Profit. Aber mit dem Porsche-Chef an der Spitze des VW-Konzerns wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts.

Zu befürchten ist, dass der Familien-Clan nun noch mehr Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen will. Der alte Traum der Porsches und Piëchs ist es ja, diesen weltgrößten Autokonzern vollständig zu übernehmen. Und sie wähnen sich im Recht, haben doch die Väter der Dynastie, Ferdinand Porsche und Anton Piëch, das Werk in der „Stadt des KdF-Wagen“, heute Wolfsburg, einst gegründet. Schwamm drüber, dass das Geld dafür von den Gewerkschaften geraubt war, Schwamm darüber, dass die Nazis die Ideologie des „Volkswagens“ für sich nutzten, darüber, dass Hitler den Grundstein legte, darüber, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen überwiegend mehrfach ausgebeutete und zu Tode geschundene Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge waren, Schwamm darüber, dass der Betrieb als NS-Musterbetrieb geführt wurde, dass Ferdinand Porsche Mitglied der SS und Anton Piëch frühes Mitglied der NSDAP war. Soll Volkswagen jetzt heim in das Porsche-Reich geführt werden, ein später Triumph des Clans? Die Wolfsburger Presse liegt mit ihrer Einschätzung wohl ganz richtig: „Blumes künftige Doppelfunktion folgt keiner Managementlogik, sondern soll allein den persönlichen Durchgriff der Porsches und Piëchs an beiden Schlüsselstellen sichern. Mit Diess an der Spitze steht
eine sozial-verträgliche Transformation und damit ein wesentlicher Teil der VW-
Identität weiter in Frage.“ (WAZ, 22./26.7.22). Und im Kommentar heißt es, bezogen auf die verlorene Übernahmeschlacht des Jahres 2009: „Was vor über einem Jahrzehnt kläglich misslang, wird nun Realität. Volkswagen wird von Stuttgart aus regiert“ (WN, 22.7.22).

Ein Leser schreibt dazu: „Ein guter Tag für VW, Diess wollte so cool sein wie Musk, das Anbiedern und die Arroganz waren schon peinlich. Für mich unverständlich wie VOLKSwagen ausschließlich auf das Spielzeug weniger Reicher setzten konnte und nur noch E -Autos produzieren will. Der teure Wahnsinn bringt dem Klima NullKonmaNichts.“

Ein Gedanke zu „Chefwechsel bei VW – Darum wird Herbert Diess gefeuert“

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