Ohne 9-Euro-Ticket wird es nicht besser!

Pro und contra 9-Euro-Ticket

Die Verkehrswende in unserem Land ist nicht alles, aber sie ist ein wesentlicher Baustein für die sozial-ökologische Transformation und zwingend, um die Klimakatastrophe zu begrenzen. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr muss in allen Facetten ausgebaut werden. Das betrifft die Infrastruktur, die Elektrifizierung, Schienenwege, Leittechnik, Busse und ganz viel gut ausgebildetes und gut bezahltes Personal – aber das muss und sollte nicht gegen die Idee eines preiswerten, bundesweit gültigen Tickets gestellt werden. Denn ohne das 9-Euro-Ticket wird nichts besser.

In der Debatte zum 9-Euro-Ticket und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs hatte ich vor ein paar Tagen eine Kontroverse mit einem Freund, der bei der Bahn selbst beschäftigt ist. Ausgangspunkt war ein Artikel in der FAZ mit der Überschrift „Das 9-Euro-Ticket macht krank“ und Bezugnahme auf Äußerungen von Gewerkschaftsvertretern: Gewerkschaften sind besorgt wegen des Zustandes der Deutschen Bahn. Sie hätten „Zustände, wie in diesem Sommer noch nie erlebt“. „Wir stellen schon sehr frühzeitig Schäden durch die starke Nutzung des 9-Euro-Tickets fest: Aufzüge sind defekt, Toiletten in Zügen funktionieren nicht mehr, es wird einfach alles sehr stark belastet“, sagte der stellvertretende EVG-Vorsitzende Burkert. „Viele Kolleginnen und Kollegen sind bereits an der Belastungsgrenze.“ Die Krankenstände stiegen. „Wir merken: Das 9-Euro-Ticket macht krank.“ Darauf mein skeptischer Freund: „Ich habe das ja schon vor Wochen gesagt.“

Ich widersprach, wies auf die Ursache-Wirkung-Beziehung hin, dass nicht das Ticket schuld sei, sondern das Missmanagement der hoch bezahlen Bahnmanager und die durch die Verkehrsminister und die Unterfinanzierung verursachten Missstände, die beseitigt werden müssen.

Mein skeptischer Freund hat gute und wichtige Argumente:

„Es ist schon richtig was du schreibst und ich denke da sind wir uns einig, dass wir eine Personal- und Ausbauoffensive brauchen. Nur muss klar sein, dass man hier dicke Bretter bohren muss. Mit 5-10 Jahren kommst du da nicht hin. Man glaubt gar nicht, wie groß oft die Widerstände gegen z. B. den Ausbau der Bahn sind. Personell reicht es auch nicht nur zusätzlich Personal einzustellen, wir haben hinter uns eine riesige Personallücke, die durch Erreichen des Rentenalters der sogenannten Boomergenration entsteht. Und so eine Ausbildung, und man sollte da auf Qualität setzen, sonst haben wir das nächste Problem, ist ja auch nicht in ein paar Wochen getan. Wir haben hier riesige Problemfelder, die dadurch, dass wieder mehr Haushaltsmittel für den Straßenverkehr eingesetzt werden, auch nicht besser werden. Solange wir keine Alternativen anbieten können, und damit meine ich einen sicheren, komfortablen und verlässlichen ÖPNV, aber auch eine gute Radfahrer- und Fußgängerinfrastruktur, kannst du den Menschen die Mobilität per Individualverkehr nicht wegnehmen, weil sie darauf angewiesen sind. Die Umsetzung mag in den urbanen Zentren besser umzusetzen sein. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung, in 5 Jahren haben wir im ÖPNV alles gewuppt und alles geht für lau, unsachlich und realitätsfern. Ich verweise da immer gerne auf unsere Nachbarländer Schweiz und Österreich die den Ausbau des ÖPNV jahrzehntelang vorbereitet und forciert haben und jetzt auch die Früchte ernten können. Das Wiener Modell beispielsweise halte ich absolut vorbildlich. Und daran sollten wir uns orientieren. Und du hast ja von Autolobby gesprochen. In der Schweiz und Österreich haben wir dieses Problem nicht. Hier ist der ÖPNV auch ganz anders in den Köpfen der Bevölkerung verankert. Hier ist es gesellschaftlicher Konsens, dass man dafür Geld in die Hand nimmt.“

Wunschdenken?

Mein Freund unterstellt mir Wunschdenken. So könne das nicht funktionieren. Er beschreibt alle bekannten Probleme und prognostiziert: „Das 9-Euro-Ticket wird eh nicht kommen. Derzeit haben wir eine hohe Baustellendichte, die im normalen Verkehr schon zu Behinderungen führt. Jetzt kommen, falls vorhanden, zusätzlichen Einheiten auf die Schiene. Und alle, Fernverkehr, Nahverkehr und Güterzüge müssen sich das, was an Schiene da ist, teilen. Irgendwann ist die Kapazität eines Abschnittes aber dicht. Letzte Woche bin ich mit einem ICE von X nach Y gefahren, der fuhr 70! Der konnte nicht schneller, weil hinter X alles verstopft war durch verspätete Regios und Güterzüge. Der ICE rauschte mit 40 min Verspätung in Y ein und konnte dann nicht weiter nach Z, weil der Lokführer sonst seine Lenkzeit überschritten hätte. Folge: unzufriedene Fahrgäste, die ihren Frust beim Bordpersonal loslassen und jede Menge Taxigutscheine. Durch die Zunahme an Fahrgästen entstehen sogenannte Kaskadeneffekte. Die Ein und Ausstiegszeiten verlängern sich, es kommt zu Verspätungen und irgendwann muss man einen Umlauf aussetzen, weil sich die Verspätungen hochgeschaukelt haben und das Personal seine gesetzliche vorgeschriebenen Pausen einhalten muss. Folge: Der nächste Umlauf ist um so voller. Und schnell kann es auch dann mal passieren, dass die WC´s nicht geleert werden können. Kaskadeneffekt. Eine Klimaanlage kann auch nur eine begrenzte Anzahl von Fahrgästen „versorgen“. Sind die Züge so voll wie jetzt fällt die dann mal schnell aus. Wagen muss geräumt werden, mehr Fahrgäste in den anderen Wagen. Derzeit können die Wartungsintervalle nicht eingehalten werden, weil die mobilen Teams versuchen, im laufenden Betrieb die Sache am rollen zu halten. Das ist dann die nette Meldung „Reparatur am Zug“. Das ganze System wird derzeit personell und materiell auf Verschleiß gefahren.

Ebenso leiden die Gleisbauunternehmen und mit der Bahntechnik befassten Unternehmen an Personalmangel und sind ausgelastet. Dass man hier auch in ganz anderen zeitlichen Dimensionen denken muss, wir pflastern ja hier keine Einfahrt, muss ich wohl nicht erwähnen.Die Kapazitäten sind einfach für so ein Experiment nicht vorhanden. Wir brauchen keine Ramschdiskussion, sondern eine Ausbau und Kapazitätsdiskussion.“

Ich wünsche das passiert, was dringend erforderlich ist!

Lieber Freund, schreibe ich ihm, natürlich nehme ich Dich ernst und es ist alles sehr ernst, was Du aufgeschrieben hast. Die Zustände bei der Bahn, die Zugausfälle, die Verspätungen, die überfüllten Züge – all das ist unhaltbar.

Aber natürlich ist das 9-Eur-Ticket nicht die Ursache, alle diese Missstände gab es schon vor dem 9-Euro-Ticket. Und nicht das 9-Eur-Ticket macht krank, wie die FAZ hinterhältig behauptet, sondern das Missmanagement und die Missstände machen krank. Diese Verhältnisse müssen geändert werden, um das Recht auf Mobilität als Teil der Daseinsvorsorge für alle Menschen zu gewährleisten.

Aber was ist unser Konzept, das Konzept der Linken? „Wir streiten für mehr Mobilität, aber mit weniger Verkehr. … Wir wollen Deutschland zum Bahnland machen und ein für alle im Alltag zuverlässig funktionierendes, preisgünstiges und barrierefreies, vernetztes öffentliches Mobilitätssystem der Zukunft schaffen. Durch den massiven Ausbau von Bus und Bahn, durch vernetzte Angebote, auch auf dem Land, durch öffentliche Carsharing-Plattformen. Stillgelegte Bahnstrecken müssen reaktiviert, Bahnprivatisierungen verhindert werden, das Verkehrsangebot ausgeweitet und die Ticketpreise gesenkt werden. … Die Ampel-Koalition mit FDP-Verkehrsminister blockiert aber die notwendige Verkehrswende. Als LINKE fordern wir ein Investitionsprogramm über 17 Milliarden pro Jahr in die sozial-ökologische Mobilitätswende.“

Du behauptest, es sei „Wunschdenken“ was ich schreibe. Jetzt von mir eine Kurzfassung ansonsten gibt es Bücher dazu, an denen ich mitgearbeitet habe:

Ich hoffe wir sind uns einig, dass die begonnene Klimakatastrophe aufgehalten werden muss mit allen Mitteln, die die Menschheit zur Verfügung hat – wir sind bereits auf dem Weg in die Barbarei. Eine demokratische Verkehrswende ist ein für unser Land wesentlicher Beitrag, die Klimakatastrophe zu verhindern. Es geht bei allen Debatten um den öffentlichen Verkehr darum, den Ausstoß von klimschädlichen Gasen aus dem motorisierten Individualverkehr (MIV) zu minimieren. Wenn der innerstädtische Autoverkehr halbiert würde, wäre schon viel erreicht; ich weiß, dass das in ländlichen Regionen nicht so einfach ist und nicht so schnell geht. Die Halbierung des MIV ist deshalb besonders drängend, weil dieser Teil unserer Ökonomie dazu bisher keinerlei positiven Beitrag geleistet hat.

Warum passiert in diesem Bereich seit Jahren nichts, obwohl es von der Mehrheit der Gesellschaft erkannt und gewollt ist – besserer und preiswerterer öffentlicher Verkehr, größere autofreie Zonen in den Städten, Geschwindgkeitsbegrenzungen innerstädtisch und auf Autobahnen? Warum passiert dort nichts? Nur, weil die CSU oder die FDP die Verkehrsminister stellt? Es passiert nichts wegen der Macht der Autokonzerne, wegen der vielen Milliarden Euro an Subventionen, die diese Konzerne bekommen, obwohl sie selbst Milliarden Profite an die Eigentümer auszahlen. Es sind, neben der Ideologie von der „freien Fahr für freie Bürger“, korrupte und mafiöse Beziehungen zwischen Autoindustrie und Staat bzw. Politik, die die Verkehrswende seit Jahren blockieren. Diese Blockade muss aufgelöst werden.

Alles, was Du zur Misere der Bahn schreibst, ist ja seit Jahren bekannt – ohne, dass die Regierungen oder der Bahnvorstand daran etwas geändert hätten. Ich habe mit Kollegen von Alstom gesprochen, die gerne mehr Züge bauen würden, aber keine Aufträge bekommen und deshalb keine Kapazitäten aufbauen. Sie bekommen keine Aufträge, weil die Gelder in der Autoindustrie und im Straßenbau verballert werden und weil die Kommunen systematisch verarmt werden.

Völlig zurecht beschreibst Du die Not der Beschäftigten bei der Bahn. Der Personalmangel bei der Bahn ist ein erhebliches Problem. Alleine im letzten Quartal sind beinahe 10.000 Zugfahrten ausgefallen. Hinzu kommen Ausfälle aus anderen Gründen und Verspätungen im Zugverkehr, die insgesamt zu einer großen Unzufriedenheit bei den Nutzer:innen sorgen und eine Mobilitätswende konterkarieren. Wir und die Gewerkschaften fordern doch, dass die Beschäftigten der Betriebe des öffentlichen Verkehrs grundlegend höher tariflich eingestuft werden. Es braucht eine Offensive für zusätzliches Personal und damit verbunden bessere Arbeitsbedingungen. Dann wären auch Ingenieure und Planerinnen und Facharbeiter aus der Autoindustrie bereit, für die Bahn und die Bahnindustrie zu arbeiten – und der Personalmangel wäre weitgehend gelöst.

Das alles ist voraussetzungsvoll, unter anderem dauert so etwas vom Start weg fünf bis 10 Jahre. Vom Start weg – das heißt, es muss endlich begonnen werden! Denn was steht auf dem Spiel? Südeuropa entwickelt sich gerade zu einer Wüste; wir haben eine Hitzewelle, der tausende Menschen zum Opfer fallen; die Elbe, die Oder und viele andere Flüsse versiegen beinahe; die Alpen verändern ihren Charakter, Gletscher schmelzen und brechen ab. In anderen Teilen der Welt, in Indien, Brasilien, USA, Sibirien sieht es noch viel schlimmer aus.

Die Verkehrswende in unserem Land ist nicht alles, aber sie ist ein wesentlicher Baustein für die sozial-ökologische Transformation. Insoweit sind wir uns doch einig: Wir brauchen keine Ramschdiskussion, sondern eine Ausbau- und Kapazitätsoffensive und das Geld dafür. Natürlich müssen der öffentliche Nah- und Fernverkehr in allen Facetten ausgebaut werden. Das betrifft die Infrastruktur, die Elektrifizierung, Schienenwege, Leittechnik und Busse – aber das muss und sollte nicht gegen die Idee eines preiswerten, bundesweit gültigen Tickets gestellt werden. Das 9-€-Ticket muss schon aus sozialen Gründen fortgeführt werden. Und ohne das 9-Euro-Ticket wird nichts besser.

Hier detallierte Konzepte für Bus, Bahn und Personal zugunsten des öffentlichen Verkehrs: https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/spurwechsel/

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