Autokrise: Aussperrung, Personalabbau und missratene Produktion

Der Absatz der Autoindustrie ist 2019 eingebrochen, am Beginn des Jahres 2020 geradezu abgestürzt. Stagnation in Europa, minus 2 Prozent in USA und Japan, minus 10 Prozent bzw. 13 Prozent in den großen Märkten China und Indien – so die Bilanz für 2019. Für die ersten beiden Monate des Jahres 2020 sind die Neuzulassungen in Deutschland um 10 Prozent gesunken (486.000). Schauen wir uns die in Deutschland hergestellten Marken und deren Zulassungsstatistik an, wird es eng für einige Standorte und sehr kritisch für viele Beschäftigte: Audi minus 10 Prozent, Daimler konstant, Opel minus 20 Prozent, Ford minus 20 Prozent, Porsche plus 30 Prozent, Tesla plus 20 Prozent (wie Porsche auf niedrigem Niveau), Volkswagen minus 10 Prozent, darunter Golf minus 20 Prozent, Passat minus 40 Prozent, Polo minus 30 Prozent (Zahlen VDA und KBA).

In einer auf Wachstum programmierten Ökonomie sind das dramatische Zahlen, die zu weiterem Personalabbau bis hin zu Werksschließungen führen – alle Unternehmen sind dabei, Personal in Größenordnungen abzubauen. Teils erfolgt dieses mit Zustimmung der Betriebsräte und der IG Metall „sozialverträglich“, teils aber auch mit brachialer Gewalt wie bei den Leiharbeitern oder – ganz aktuell – bei der Aussperrung der gesamten Belegschaft der VW-Tochter Sitech in Hannover. Der Versuch der Manager der Autoindustrie, die Kosten durch Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer Osteuropas zu senken, geht unmittelbar zulasten der Beschäftigten – hier wie dort, und kann aufgrund der Konkurrenzsituation nicht erfolgreich sein. Bevor die großen Autohersteller von der Krise betroffen sind bzw. betroffen sein werden, geht es den kleineren, oft mittelständischen Zulieferern und den Händlern an den Kragen. Hier muss schon von einem Massensterben gesprochen werden – und das hat mit Corona, mit Covid-19 oder mit der „Transformation“ der Autoindustrie alles nichts zu tun.

Ursächlich für diese Entwicklung sind systematisch aufgebaute Überkapazitäten frei nach dem Motto eines BMW-Managers: „Es mag ja sein, dass es zu viele Autos gibt – ganz sicher aber zu wenige BMW‘s.“ Die Überkapazitäten treffen auf einen teils übersättigten Markt, auf eine geringere und vor allem im Massenmarkt nicht mehr kaufkräftige Nachfrage. Die Strategie der Autokonzerne, die Fahrzeuge technisch und größenmäßig aufzurüsten, immer größer, schneller, weiter und immer teurer zu machen, macht diese Fahrzeuge für viele Menschen unerschwinglich – sichtbar daran, dass eigentlich nur noch das Luxussegment wächst; da helfen inzwischen auch keine staatlich subventionierten Rabatte mehr. Die direkte und indirekte Subventionierung der Autoindustrie mit ca. 11 Milliarden Euro pro Jahr fließt so überwiegend in die Taschen der Großaktionäre.

Die Klimakatastrophe und der Verkehrsinfarkt in den urbanen Zentren kommen hinzu: Wer irgend kann und vernünftig ist, steigt auf die öffentlichen Verkehrsmittel um.

Aber genau dort wittern die Autokonzerne ihr neues Geschäftsfeld – sie wollen mit MOIA & Co. die Umsätze aus dem ÖPNV abschöpfen und schlussendlich den ÖPNV trocken legen. Das Ziel besteht darin, dass alle, die auf Mobilität angewiesen sind, auf den Service von Volkswagen, Daimler oder BMW zurückgreifen müssen. Eine Privatisierung des ÖPNV mit den Mitteln des Neoliberalismus: zunächst Dumpingpreise, Marktverdrängung und schließlich Liquidierung der „Konkurrenz“ des ÖPNV, um die Monopolstellung zu nutzen und sich die Investitionen von den Menschen zahlen zu lassen, die nun keine Alternative mehr haben.

Umgekehrt wäre eine Orientierung auf den ÖPNV eine Voraussetzung für eine Mobilitätswende und für sichere und nachhaltige Beschäftigung. Mit der Produktion für individuelle motorisierte Mobilität wie bisher geht es jedenfalls in die Sackgasse und in eine Katastrophe für hunderttausende Beschäftigte in der Auto- und Zulieferindustrie.

Ein gutes respektive schlechtes Beispiel dafür ist der VW-Konzern, dessen Strategie vollends zu scheitern droht:

Konkurrenz, Komplexität und Covid19 – alles zulasten der Beschäftigten.

Neuer Golf: Ein Trauerspiel!Weltweit sank der Absatz von Volkswagen in den ersten zwei Monaten des Jahres 2020 drastisch; im größten Einzelmarkt China um 75 Prozent.Auch acht Monate nach Produktionsstart läuft es beim wichtigsten neuen Auto am Standort Wolfsburg nicht rund. Das Unternehmen hatte den Golf 8 mit viel Digitaltechnik im vergangenen Jahr vorgestellt. Der Golf ist das wichtigste Produkt des größten deutschen Industriekonzerns VW. Ausgerechnet hier hakt es in der Fertigung weiter beträchtlich. Der Betriebsrat ist alarmiert – und sieht schwere Versäumnisse des Vorstands“ schreiben die WELT und andere Zeitungen nach einem dpa-Bericht: Der Anlauf des neuen Golf sei „völlig missraten“ (12.3.2020). Die wesentliche Ursache dafür sind die Störungen in Software und Elektronik. Der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh wird so zitiert: „Hier wollten überehrgeizige Vorstände zu schnell zu viel Technik in ein Fahrzeug stopfen, und sind damit gescheitert. … Wer so mit dem Golf spielt, spielt auch mit den Arbeitsplätzen der Beschäftigten. Und zwar nicht nur im Werk, sondern weit darüber hinaus. Und bei der leichtfertigen Gefährdung von Arbeitsplätzen verstehen wir im Betriebsrat keinen Spaß.“

Der Golf ist der Stolz der Marke VW und eines der wichtigsten deutschen Industrieprodukte. Darum ist der Betriebsrat entsetzt, wie nachlässig und schwach der Vorstand weit vor dem Anlauf das ganze Projekt aufgestellt hat. Die Beschäftigten in Produktion und Entwicklung tun alles, damit das Auto auf Stückzahl kommt. Aber im Vorstand will niemand die Verantwortung für die Probleme übernehmen, obwohl alle schon seit Jahren dabei und also auch tatsächlich verantwortlich sind. „Ich und meine Kolleginnen und Kollegen erwarten jetzt ein klares Wort von ganz oben“ – so richtet der Betriebsrat seine unverhüllte Kritik direkt an den Vorstandsvorsitzenden und Porsche-Vertrauten Herbert Diess.

Zulasten der Beschäftigten an den Montagelinien geht dieses Missmanagement, denn dort setzen Führungskräfte die Arbeiterinnen und Arbeiter immer mehr unter Druck, obwohl alle wissen: Die Software ist das Problem. Informationen über eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit von Elektronik- und Software-Komponenten des neuen Golf hatte es schonvor einem Jahr gegeben. Bei der steigender Vernetzung sind die Konstrukteure auf digitale und höchst komplexe Technologien angewiesen. Da VW für entsprechende Sonderausstattungen wirbt, werden Konstruktion und Fertigung Überkomplex – es funktioniert einfach nicht so, wie es soll und muss, wenn man denn soviel Elektronik verbaut.Alles muss elektronisch und vernetzt sein, selbst wenn es weder gewünscht noch gebraucht wird: Motor, Getriebe, Fenster, Sitze, Lenkrad, Wischer, Blinker, Scheinwerfer, Spiegel, Navigation, Klima, Schaltung, Bremse, Kameras, Sensoren – und für alles werden Steuergeräte benötigt, die sich oft übersteuern oder gegeneinander neutralisieren. Die wirklich nicht so schlaue sondern überhebliche Strategie dahinter: Erstens: Technisch ist alles machbar. Zweitens: Mit aufgepeppten Modellen ist mehr Profit zu machen als mit einfachen Basismodellen, die trotz Nachfrage wegen der geringeren Profitrate einfach nicht angeboten werden.

Versuch, Irrtum und das Prinzip Hoffnung

Wie werden die Probleme jetzt in der Produktion am Montageband gelöst? Try and error: Den Fahrzeugen wird der Stecker gezogen. Ohne Strom fährt die Elektronik vollständig runter, im Computer wie im Autos. Beim Neustart der Elektronik dann das Prinzip Hoffnung nach dem Reset. Manchmal klappt es, oft auch nicht. Das hat zur Folge, das nur 8.400 statt der geplanten 100.000 Fahrzeuge vom Golf Typ 8 gebaut bzw. ausgeliefert wurden.  

Zusätzlich verschärft wird die Lage dadurch, dass sich auch die Software-Ausstattung des neuen ElektroautosID3 verzögert.“ (oe24auto) Beim zentralen Projekt des laufenden Jahres, diesem ersten E-Auto von Volkswagen, dem ID.3, gibt es massive Verzögerungen. Beim Startschuss in Zwickau im November 2019 ist Kanzlerin Angela Merkel als Ehrengästin dabei und glaubt dem Management. „Zwickau wird ein Eckpfeiler der deutschen Autoindustrie sein. Es ist wichtig, dass der Hochlauf der Elektromobilität hinein in die Massenproduktion jetzt hier wirklich stattfindet“, sagt die Kanzlerin vor der Belegschaft (RND).

2020 will Volkswagen mal wieder klotzen statt kleckern, die Auslieferung der Fahrzeuge soll im Sommer starten. Das Ziel ist, europaweit 30.000 vorbestellte Fahrzeuge des ID3 in einer spektakulären Aktion zeitgleich an Kunden auszuliefern. „Beobachter wissen allerdings von vielen eigentlich fertigen Autos, die zwischengelagert und erst später mit dem kompletten Software-Umfang bespielt werden sollen.“ (oe24auto). Es hakt wohl noch, große Überraschung, bei der Komplexität, beim Zusammenspiel der verschiedenen Systeme. Dadurch kann das für den Start von VW in die Elektromobilität wichtige Auto nicht mit allen geplanten Funktionen angeboten werden. Diese sollen je nach Entwicklungsstand nach und nach geliefert und „aufgespielt“ werden. Das neue Elektroauto von VW kommt deshalb zunächst in einer abgespeckten Grundversion an die Kunden. Für die Standorte und für die Beschäftigten ist diese Entwicklung ein Desaster – deshalb auch der laute Zorn von Betriebsrat und IG Metall gegenüber dem Vorstand und dem Management.

Das alles ist kein gutes Zeichen in der mörderischen Konkurrenz der Auto- und Zulieferindustrie, in der krisenhaften Situation. Es ist aber ein klares Indiz dafür, dass die Strategie des Managements völlig falsch war und ist. Das E-Auto und die komplexe Digitalisierung von Autos für den Individualverkehr sind der falsche Weg. Eine 180-Grad-Wende hin zu einer Mobilitätsrevolution mit Schwerpunkt auf den öffentlichen Verkehr und seine vielfältigen Komponenten wäre ein Ausweg aus der Krise – auch bezogen auf die Beschäftigungssicherung. Die Großaktionäre, den Porsche-Piëch-Clan und die Scheichs von Katar stört das zunächst nicht – fließt doch für 2019 soviel Dividende wie lange nicht mehr: Eine Milliarde Euro für den Familienclan und, besonders bitter, gut dreihundert Millionen Euro für die Scheichs des autokratischen und den „Islamischen Staat“ und „AlQuaida“ unterstützenden Emirats Katar.

Dass Volkswagen sich damit brüstet, eine Sonderzahlung von 4.900 Euro an die Stammbelegschaft zu zahlen, soll auch von der horrenden Dividendenzahlung an die Großaktionäre ablenken – und die Beschäftigten weiter spalten in Zuwendungsempfänger in der Stammbelegschaft und leer ausgehende Arbeiterinnen und Arbeiter in der Randbelegschaft. Geradezu symptomatisch die Aussperrung von 450 Beschäftigten der VW-Tochter Sitech in Hannover. Die Beschäftigten werden kollektiv bestraft, weil der Betriebsrat und die IG Metall einer Verschlechterung der Arbeits- und Leistungsbedingungen nicht zugestimmt haben.

Umgekehrt gibt es keine angemessene Reaktion auf die Corona-Epidemie – trotz mehrer positiv getesteter Beschäftigten u.a. in Wolfsburg und Kassel, trotz dutzender in Quarantäne (Stand 15.3., 19 Uhr), gibt es keinen Produktionsstopp in den Werken, werden die Beschäftigten der Gefahr der Infektion ausgesetzt. Verantwortungslos wird damit gespielt, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht: Wegen vieler Autos, die nicht fertig werden und wegen Kunden, die da nicht drauf warten!

Die Produktion von Autos (leicht wären andere Beispiele zu nennen) ist alles andere als überlebenswichtig. Zum Schutz der Menschen und zur Entlastung unserer Krankenhäuser ist die Produktion solch überflüssiger Güter sofort herunterzufahren und einzustellen! Planmäßig die Produktion zurückfahren, auslaufen lassen – besser jetzt „freiwillig“ als in ein paar Tagen überhastet und per Anordnung – so geht Gesundheitsschutz in Zeiten von Covid-19!

Was bleibt vorerst zu bilanzieren:

Weder die „Transformation“, der Wechsel der Antriebstechnik noch das Coronavirus sind schuld an der Krise der Auto- und Zulieferindustrie. Ursächlich sind das rücksichtslose Streben nach Maximalprofit, die grenzenlose, mörderische Konkurrenz, das Ausspielen von Beschäftigten und Standorten gegeneinander – eben der Kapitalismus.

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