Die Tortur: Lúcio Bellentani und VW in Brasilien – der NDR und andere Medien berichten:

Die Tortur: Lúcio Bellentani und VW in Brasilien

Sonntag, 30. Juli 2017, 11:05 bis 12:00 Uhr, NDR Info, hier nachzuhören:

https://www.ndr.de/info/sendungen/das_feature/Die-Tortur-Lucio-Bellentani-und-VW-in-Brasilien,sendung655654.html

„Das hier war meine Zelle“, sagt der ehemalige VW-Mitarbeiter Lúcio Bellentani. Nach Jahrzehnten steht er nun wieder in dem Folterzentrum in São Paulo, in dem er unzählige Grausamkeiten erlebte. Es ist einer der Orte auf einer Spurensuche zwischen Brasilien und Deutschland. Sie führt weiter in die Vorstadt der brasilianischen Wirtschaftsmetropole, die Stadthalle in Wolfsburg, zu einem Düsseldorfer Untersuchungsgefängnis und tief ins Amazonasbecken. Die Tortur: Lúcio Bellentani und VW in Brasilien – der NDR und andere Medien berichten: weiterlesen

Zur Verkehrswende bedarf es politischer Entscheidungen – jetzt! In der Krise nicht wegducken, sondern handeln!

Sollte MP Stephan Weil zurücktreten? Welche Schritte zur Verkehrswende sind einzuleiten? Autokonzerne zur Rechenschaft ziehen für Rechtsbrüche!

Der millionenfache Abgasbetrug ist ebenso Ausdruck der Branchenkrise wie das Kartell zum Nachteil der Kunden. Inzwischen stehen bei fast allen Vorständen der großen Autokonzerne staatsanwaltschaftliche Ermittlungen an, in den Konzernzentralen von Volkswagen, Mercedes, BMW, Audi und Porsche finden regelmäßig Hausdurchsuchungen statt. Es ist nicht übertrieben, in diesem Zusammenhang von einer kriminellen Vereinigung zu sprechen.

Ein interessantes Detail ist dabei, dass die anderen, ausländischen Hersteller in Deutschland, um nur Ford und Opel zu nennen, in diesen Sumpf nicht einbezogen sind. Bildet dieses exklusive Konglomerat einen möglichen „nationalen“ Autokonzern, die Deutsche Auto AG, ab? Sichtbar ist auf jeden Fall, dass die Zeiten sich ändern – nicht nur technisch, sondern auch bezogen auf  die Konkurrenzsituation der großen Spieler in diesem Big Business.

Das Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil seine Rede zur Krise bei VW zur Korrektur den Fachleuten des Unternehmens vorab zukommen ließ, Zur Verkehrswende bedarf es politischer Entscheidungen – jetzt! In der Krise nicht wegducken, sondern handeln! weiterlesen

Arbeitsmarktlegenden und Arbeitszeitpolitik

Stephan Krull / Jörg Melz für die Zeitschrift SOZIALISMUS

Legenden von Vollbeschäftigung und Facharbeitermangel – Arbeitszeitpolitik und ihre gesellschaftlichen und politischen Akteure

Annähernde Vollbeschäftigung und ein akuter Mangel an Fachkräften verbieten jeden Gedanken an eine generelle und kollektive Arbeitszeitverkürzung. Die millionenfache betriebliche Erfahrung, dass die Personaldecke zu eng ist, dass die Aufträge nur mit Hochdruck und oft nur mit Überstunden geschafft werden können, scheinen diese These zu belegen. So verwundert es auch nicht, dass der Vorschlag der Einführung einer „Familienarbeitszeit“ von 32 Stunden pro Woche für Väter und Mütter kleiner Kinder von Familienministerin Schwesig am Jahresbeginn zwar eine individuelle Verkürzung der Arbeitszeit vollzeitbeschäftigter Menschen beinhaltet, summarisch jedoch, da dadurch mehr Menschen für den Arbeitsmarkt mobilisiert werden könnten, auf eine Erhöhung des Arbeitsvolumens bzw. auf eine Erhöhung des Angebotes an Arbeitskraft hinausliefe2. Dass die Familienministerin umgehend von der Kanzlerin zurückgepfiffen wurde, hängt wohl eher damit zusammen, dass die Büchse der Pandora nicht durch die Regierung geöffnet werden sollte. Arbeitsmarktlegenden und Arbeitszeitpolitik weiterlesen

Autokrieg – Krise und Zukunft einer Schlüsselindustrie

Autoindustrie auf Abwegen; Die verspasste Chance; Wachstum, Stagnation, Überkapazitäten und Allianzen (Kartelle); Paradigmenwechsel: Kampf um den öffentlichen Verkehr; Bedürfnisorientierung und Wirtschaftsdemokratie; Dimensionen der Transformation.

Die Unternehmen der Autoindustrie stecken in einer existenziellen Krise. Die Märkte sind weitgehend gesättigt, Überkapazitäten, hohe Investitionen und wachsendes konstantes Kapital fressen an der Profitrate, die anspruchsvollen Klimaziele, der Wertewandel weg vom eigenen Auto und technologische Sprünge sind existenzielle Herausforderungen[2]. Die Eigentümer und deren Manager greifen zu kriminellen, das Leben, die Gesundheit und das Klima gefährdenden gigantischen Betrügereien, wie am Abgasbetrug, an massenhaften Eigen- und Händlerzulassungen  und an den zunehmenden Rückrufaktionen deutlich wird. Der Staat, die Regierungen, die sie tragenden Parteien (CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne) verbrüdern sich mit der Autoindustrie: eine gefährliche Symbiose von Kapital, Staat und Verbrechen. Autokrieg – Krise und Zukunft einer Schlüsselindustrie weiterlesen

Protektionismus ist keine Lösung

Löst Donald Trump einen Autokrieg aus?
von Stephan Krull

Der Automobilindustrie droht Ungemach, der US-amerikanischen wie der europäischen. Nicht nur wegen der Drohung des neuen US-Präsidenten, hohe Zölle auf Einfuhren zu erheben. Sondern auch, weil der Weltmarkt übersättigt und der ölgetriebene Privat-Pkw eh ein Auslaufmodell ist.

Wachstum, Wachstum über alles – so lautet der Zwang der kapitalistischen Ökonomie, das gilt natürlich auch für die Welt-Automobilbranche. Mit mehr als 10 Millionen Beschäftigten, 80 Millionen Fahrzeugen pro Jahr, einem Umsatz von an die 2 Billionen Euro und Milliardenprofiten ist die Automobilindustrie eine Schlüsselindustrie der globalisierten Welt. Die Autofabriken brauchen stetes Wachstum zur Befriedigung der Profitsucht der Eigentümer – das wachsende konstante Kapital frisst an der Profitrate. An diesen kapitalistischen Maßstäben gemessen, befindet sich die Autoindustrie, mal wieder, in einer schweren Krise.

Der Absatz auf den großen Märkten außerhalb Chinas hat das Vorkrisenniveau von 2008 nicht wieder erreicht, viele Einzelmärkte und Produktionsstandorte sind stark rückläufig. In der Sprache von «Auto-Experten» hört sich das so an: «Das durchschnittliche Wachstum der globalen Herstellerkonzerne sank im abgelaufenen Kalenderhalbjahr im Durchschnitt um 2,4%» (Bratzel, CAM-Newsletter 6/2016).

In dieser fragilen Situation kommt der irre Präsident der USA und gibt vor, die Erwerbslosigkeit von US-Bürgern mit protektionistischen Maßnahmen, namentlich bezogen auf die Automobilindustrie, bekämpfen zu wollen: «Ich würde sagen, wenn sie eine Fabrik in Mexiko bauen und Autos in die USA verkaufen wollen ohne eine 35-Prozent-Steuer, dann können sie das vergessen», so Trump im Interview mit der Bild-Zeitung vom 16.Januar 2017.

Tatsächlich verspricht Trump der Autoindustrie in den USA die Absenkung von Umweltstandards und großzügige Steuergeschenke und verschärft damit die Standortkonkurrenz nicht nur mit Mexiko zulasten des Klimas und der Staatsfinanzen. Das ist eine autoritäre Durchsetzung neoliberaler Politik per Präsidentenerlass.

Abgesehen davon, dass BMW und Volkswagen, ebenso wie Toyota und Nissan über große Fabriken in den USA verfügen, hilft gegen Überkapazitäten kein Wirtschaftskrieg. Mit General Motors, Ford, Tesla und selbst BMW haben die USA auch große Exportanteile, die in einem Wirtschaftskrieg ebenso verloren gehen werden. Das wird an wenigen Zahlen deutlich: Ford und GM bauen jährlich weltweit etwa 16 Millionen Autos, in den USA selbst werden etwa 12 Millionen Pkw hergestellt, der US-Markt nimmt jährlich etwas weniger als 20 Millionen Autos auf. Andererseits sind ausländische Marken in den USA mit Fabriken und rund 500000 Beschäftigten angesiedelt.

«Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten», schrieb Kurt Tucholsky in einer Glosse 1931. Nun ist also Trump der «Pokerspieler, dessen Metaphysik die Nationalökonomie ist» (ebd.). Richtig ist, dass Deutschland einen riesigen Exportüberschuss gegenüber den USA ausweist – bei 50 Mrd. Importen und 125 Mrd. Exporten beträgt der Handelsbilanzüberschuss 75 Mrd. US-Dollar zulasten der USA. Die Kritik aus den USA ist allerdings keine Erfindung von Trump: «Deutschland hat den zweitgrößten Leistungsbilanzüberschuss der Welt», heißt es schon in einer Mitteilung des US-Finanzministeriums vom April 2016. Der Überschuss, so die US-Administration, könne zumindest in Teilen investiert werden, um die Inlandsnachfrage anzukurbeln.

Der Euro ist gegenüber dem Dollar um fast ein Drittel gesunken, von über 1,50 Euro auf wenig mehr als 1 Euro – dank der deutschen Niedriglohnpolitik, des Ankaufs von Staatsanleihen, immenser Geldmengenvergrößerung (Geldschöpfung) durch die EZB seit 2009 sowie der einseitigen Fixierung auf eine geringe Inflationsrate.

Autokrieg

Aber schon bei Trumps Vorbild Ronald Reagan funktionierte die Marktabschottung nicht. Damals wandte sie sich gegen Autoimporte aus Japan. Die Folge: die Autopreise stiegen, Arbeitsplätze wurden nicht geschaffen. Nun hat Merkel die kriegerische Richtung vorgegeben, «die Schlacht müsste gemeinsam geschlagen werden» (auf dem Neujahrsempfang der IHK Köln). Namens der deutschen Autoindustrie erklärte BMW am gleichen Tage: «Wir trotzen Trumps Drohung.» VW-Patriarch Ferdinand Piëch sprach im Spiegel gar von Krieg: «Es gibt Gewinner und Verlierer. Ich habe die Absicht, der Gewinner zu sein.»

Protektionismus hilft nicht weiter in einer umfassenden Krise, die von abnehmender Nachfrage, abnehmenden Ressourcen und einer dringend notwendigen Reduktion der Umweltbelastung gekennzeichnet ist. Das Ende des Autos mit Verbrennungsmotor als privates Transportmittel hat unwiderruflich begonnen – auch wenn das anhaltende Wachstum in China und die Suche nach neuen Märkten in Afrika den Niedergang noch etwas hinauszögern.

Wie brisant diese Entwicklung für alle großen Automobilhersteller ist, wird an den Auseinandersetzungen und Vorkommnissen bei Volkswagen deutlich. Der millionenfache Abgasbetrug ist ebenso Symptom davon wie der angekündigte Personalabbau von über 60000 Beschäftigten (30000 aus der «Stammbelegschaft» und mindestens 30000 Leiharbeiter) und die Sparpakete im Volumen von mehreren Milliarden Euro pro Jahr bei den einzelnen Marken (VW, Audi, Škoda, Seat). Oder die Angriffe auf die Mitbestimmung von Gewerkschaft und Betriebsräten und die Angriffe auf das VW-Gesetz. Nicht nur für den Volkswagen-Konzern ist diese Krise zu einer existenziellen Frage geworden – mit allen Konsequenzen für Hunderttausende Beschäftigte und ihre Familien.

Aus SoZ, 3/2017, http://www.sozonline.de/2017/03/protektionismus-ist-keine-loesung/

 

 

Neustart: sozial und ökologisch

Aus NEUES DEUTSCHLAND, Stephan Krull, 11.3.2016

Der millionenfache Abgas-Betrug von Volkswagen wird das Unternehmen sehr viel Geld kosten. Selbst die Existenz dieses unumstößlich geglaubten Weltkonzerns ist nicht mehr gesichert. Dramatische Auswirkungen sind schon jetzt sichtbar: Leiharbeiter werden nicht weiter beschäftigt, Werkvertragsunternehmen gekündigt, Kommunen revidieren Haushaltspläne und streichen Investitionen. Im VW-Werk in Mexiko, von wo der US-Markt beliefert wird, sind Produktion und Absatz bereits um fast die Hälfte eingebrochen.

Das Krisenmanagement des Konzerns ist katastrophal – es wird geleugnet und verharmlost. Ein paar Ingenieure hätten den Betrug ausgeheckt; der Vorstand sei bereits seit zwei Jahren informiert, habe die Information aber vielleicht nicht gelesen; die juristischen »Berater« hielten das Problem für gering und beherrschbar – so die jüngsten Erklärungen von VW. Wahr ist, dass die Zielvorgaben des Konzerns bei den Schadstoffemissionen nicht anders als durch Betrug zu erreichen waren. Profitiert hat davon neben dem Porsche-Piëch-Clan auch der Terrorstaat Katar als einer der Hauptaktionäre.

Angesichts dieser nun existenziellen Krise des Autobauers ist eine Neuausrichtung notwendig. Dafür sollten Linke und GewerkschafterInnen sich stark machen, dafür sollten die IG Metall und der Betriebsrat gewonnen werden. Extraprofite, die der Betrug erzielte, müssten für die Schadensregulierung herangezogen werden. Hohe Beiträge für den anstehenden Konzernumbau sind von den Großaktionären zu fordern, selbst eine Enteignung entsprechend Artikel 14 Grundgesetz müsste geprüft werden. Währenddessen setzen die Eigentümer und Manager derzeit weiter auf Sieg im Krieg der Autokonzerne mit immer größeren, schnelleren, stärkeren, teureren Autos, mit Elektronik, Digitalisierung und »autonomem Fahren«.

Bei einer Neuausrichtung geht es um soziale wie technische, ökologische und ökonomische Fragen. Dreh- und Angelpunkt müssen die begrenzten Ressourcen, die Reduktion der Klimabelastung und die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen nach einer intakten Umwelt und sinnvollen Fortbewegung sein: Volkswagen müsste ein Mobilitätsanbieter mit modernen, sicheren und ökologisch-nachhaltigen Verkehrsmitteln für Personen und Güter auf Straße und Schiene werden. Solche Verkehrsmittel müssten überwiegend öffentliches Eigentum sein, die allen zur Verfügung stehen und den regionalen Bedingungen in Megacitys wie in dünn besiedelten Regionen der Welt angepasst sind.

Ein solcher Paradigmenwechsel hätte weitreichende Konsequenzen für Produkte, Produktion und Produzenten. Er wäre nur in einem längeren und beteiligungsorientierten Prozess durchzusetzen. Ein Neustart wäre Teil einer gesellschaftlichen wie ökologischen Wende. Zu klären wäre in diesem Prozess die fundamentale Frage der Verfügung über die Produktionsmittel. VW mit seiner Geschichte als teil-öffentliches Unternehmen ist prädestiniert für solche Debatten, bei denen es um Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung geht.

Die niedersächsische Landesregierung ist mit einer Beteiligung von 20 Prozent einer der bestimmenden Aktionäre bei VW. Ihre Sprachlosigkeit in dieser Krise ist Ausdruck einer Ideen- und Konzeptionslosigkeit. Längst müsste sie im Bündnis mit IG Metall und Betriebsrat aktiv sein.

Wenn nämlich der Abgas-Betrug nicht zu einer Wende in der Produktpolitik und in der Jagd auf Maximalprofite führt, wenn nicht sinnvolle gesellschaftliche Planung durchgesetzt wird, steuert das Unternehmen wie die Automobilindustrie insgesamt auf eine ökonomische, soziale und ökologische Katastrophe zu: In Detroit ist zu besichtigen, wie Städte nach dem Zusammenbruch zu Industriebrachen und sozialen Trümmerfeldern werden.

Diese Zusammenhänge zu erkennen und zu diskutieren ist anspruchsvoller als verbale Solidarität mit den Beschäftigten und das Einfordern von Beschäftigungsgarantien. Es ist Aufgabe der gesellschaftlichen Linken, solche Forderungen zu entwickeln, sie in Belegschaften und Gewerkschaften zu diskutieren und ihnen zum Durchbruch zu verhelfen. So gewendet, birgt der Betrugsskandal durchaus Chancen. Es liegt an den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften, an der Linken, an der internationalen Solidarität und an globalen Klimaallianzen, ob diese Chancen genutzt werden. Die Alternative dazu wäre eine Marktbereinigung zulasten von vielen Städten und Gemeinden, von Hunderttausenden Beschäftigten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1004787.nie-wieder-krieg-der-autokonzerne.html