Autokrieg – Krise und Zukunft einer Schlüsselindustrie

Autoindustrie auf Abwegen; Die verspasste Chance; Wachstum, Stagnation, Überkapazitäten und Allianzen (Kartelle); Paradigmenwechsel: Kampf um den öffentlichen Verkehr; Bedürfnisorientierung und Wirtschaftsdemokratie; Dimensionen der Transformation.

Die Unternehmen der Autoindustrie stecken in einer existenziellen Krise. Die Märkte sind weitgehend gesättigt, Überkapazitäten, hohe Investitionen und wachsendes konstantes Kapital fressen an der Profitrate, die anspruchsvollen Klimaziele, der Wertewandel weg vom eigenen Auto und technologische Sprünge sind existenzielle Herausforderungen[2]. Die Eigentümer und deren Manager greifen zu kriminellen, das Leben, die Gesundheit und das Klima gefährdenden gigantischen Betrügereien, wie am Abgasbetrug, an massenhaften Eigen- und Händlerzulassungen  und an den zunehmenden Rückrufaktionen deutlich wird. Der Staat, die Regierungen, die sie tragenden Parteien (CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne) verbrüdern sich mit der Autoindustrie: eine gefährliche Symbiose von Kapital, Staat und Verbrechen. Zugleich wissen die Manager um Risiken und Chancen der Krise; letztere nutzen sie gnadenlos für den Umbau zu Lasten der Beschäftigten. VW zum Beispiel hat ein „Zukunftspakt“ genanntes Sparpaket mit Stellenabbau in Größenordnung von 60.000 Beschäftigten einschließlich der Leih- und Werkvertragsarbeiter sowie jährlichen Einsparungen von weit über 4 Milliarden Euro über die verschiedenen Marken aufgelegt. Das Zurückholen einst ausgelagerter Teilefertigung oder von Dienstleistungen führt zu weiteren tausenden Entlassungen in den bisherigen „Partnerbetrieben“, in Sachsen-Anhalt auf dem Arbeitsmarkt schon deutlich spürbar[3]. „Neue, mächtige Wettbewerber warten nur darauf, uns anzugreifen. Mit der derzeitigen Rendite, die hinter den Wettbewerbern liegt, können wir den Weg zum innovativen Anbieter von Mobilitätslösungen nicht finanzieren. Ein Prüfstein für die ernsthafte Umsetzung des Zukunftspaktes ist die Steigerung der Produktivität in den nächsten Monaten“[4]; so die kriegerische Rhetorik eines VW-Vorstandes.

Die in der kapitalistischen Logik erwartbare Marktbereinigung hat mit der Übernahme von Opel durch die PSA-Gruppe gerade begonnen, das Schlachtfest[5] – trotz aller Verträge und Zugeständnisse, die die Belegschaften in Rüsselsheim, Bochum, Kaiserslautern und Eisenach gemacht haben; auch die 1.600 Opel-Beschäftigten in Wien-Aspern sehen einer ungewissen Zukunft entgegen[6], Beschäftigungsgarantien reichen nur wenige Monate. Weitere Übernahmen und schmerzhafte Liquidationen sind absehbar, solange mörderische Konkurrenz und die Jagd nach Maximalprofit die Unternehmenspolitiken bestimmt.

Jedes Unternehmen will – wie bei vorangegangenen Krisen – gestärkt daraus hervorgehen, was letztlich nur bedeutet, dass hunderttausende Beschäftigte, einige Unternehmen und Standorte „auf der Strecke bleiben“. Wie das aussehen könnte, wird bei einem Blick in die Geschichte der Branche sichtbar, die durch immer wiederkehrende Krisen erschüttert und konzentriert wurde. Von und „Kutschen ohne Pferden“ war vor 130 Jahren, die Rede. Als neumodischer Unfug, als Luxusspielzeug, als lärmendes und stinkendes Ungetüm, als „Höllenmaschienen“, wurden die ersten Autos wahrgenommen. Zur Vermeidung von Unfällen wurde in England ein Gesetz (red-flag-act)  erlassen, wonach ein Fußgänger, die Menschen warnend, mit roter Fahne vor jedem Auto her laufen musste. Ein Automobil, zunächst mit Dampf oder Elektrizität betrieben und handwerklich hergestellt, war etwas für die damals Superreichen. Deshalb trugen die „Herrenfahrer“ aus Adel, Kirchen und Fabrikbesitzern zum Profit vieler kleiner Droschkenmanufakturen bei. Mit Henry Ford begann die industrielle Fertigung von Autos, Ilja Ehrenburg kommentiert in seinem Roman „Das Leben der Autos“ treffend: „Ford geht es nicht um Ruhm, sondern um Dollar.“[7]

Weiter beschreibt er, Ford zitierend, einen der immer wieder notwendigen letzten Schritte der ursprünglichen Akkumulation: „Was die Arbeiter betrifft, so muss man sie ändern, indem man sie der Maschine angleicht. Dann werden sie aufhören zu denken.“ Am Rande ist zu erwähnen, dass mit der Autoindustrie, so klein sie in Europa bis in die 1920er Jahre blieb, mehrere Entwicklungen einhergingen: Der Aufbau starker Lobbyorgansiationen wie dem „(Reichs-)Verband der Automobilindustrie“ und dem ADAC; dem sogenannten Rennsport mit entsprechendem Rennstrecken wie der Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße (AVUS) und einem medialem Trommelfeuer sowie der „Sicherung“ von notwendigen Ressourcen, zunächst Kautschuk und Erdöl, wozu die Kolonien brutal ausgebeutet wurden; das Primat des Schienenverkehrs wurde zugunsten des Straßenverkehrs verschoben, entsprechende Strukturen zum Beispiel für innerstädtische Straßenbahnen wurden vielerorts vernichtet, Fuß und Radverkehr wird bis heute vernachlässigt. Die Schönen, die Reichen und die Mächtigen sonnen sich im Glanz immer neuer Geschwindigkeitsrekorde. Auch wenn Bertha Benz als erste Autofahrerin stilisiert wird: Die Automobilindustrie war von der Erfindung über die Produktion bis zur Nutzung reine Männersache. Im Verlauf der Krisen wurden die Hersteller weniger; gab es vor 1933 in Deutschland über 80 Marken mit eigenen Fabriken[8], so verschwanden die meisten davon namenlos. Bei Fusionen und Liquidierungen spielten die Großbanken als Finanziers und als Profiteure eine wesentliche Rolle; ihren vorläufig letzten großen Coup landeten sie mit der Liquidierung von Borgward im Jahr 1963.

Die verpasste Chance

Mit Henry Ford, André Citroën und mit Ferdinand Porsche und Adolf Hitler wurden Automobile zu Massenprodukten, entwickelt sich die Autoindustrie zu einer globalen und die Welt verändernden Schlüsselindustrie. Hunderttausende Arbeiter und Arbeiterinnen wurden in dieser Industrie beschäftigt, die Märkte der entwickelten Länder wurden mit Autos überschwemmt, Eigentümer und Aktionäre erzielten traumhafte Renditen. Das Auto wurde, zumal nach dem Versprechen der Nazis in Deutschland, zur Sehnsucht vieler Menschen. Staatliche Unterstützung durch Steuernachlässe für Käufer, die Subventionierung von Autokäufen, direkte Subventionen für Forschung, für Fabrikansiedlungen und Lohnsubventionen sowie die Herstellung der Infrastruktur (Autobahnen, Tank- und Raststätten) ziehen sich durch die Geschichte bis in die Gegenwart. Eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ergab, dass die deutsche Autoindustrie in den Jahren 2010 bis 2012 nach der Subventionierung durch die „Abwrackprämie“ (5 Milliarden Euro, Wort des Jahrs 2009) mit 172 Millionen Euro aus verschiedenen Etats gepämpert wurde[9].

Wenn die nächste Krise sichtbar wurde und während der jeweiligen Krisen werden Debatten geführt, dass es „so“ nicht weiter gehen kann; nach Überwindung der Krisen ging es dann bisher immer in verschärfter Konkurrenz genau „so“ weiter. In den 1980er Jahren gab es eine gesellschaftliche Debatte über „Auto, Umwelt und Verkehr[10]“, die auch in der Gewerkschaft, in den Unternehmen und in den Betrieben geführt wurde. Nach dem Zusammenbruch von Sowjetunion und DDR jedoch erschloss sich nicht nur ein gigantischer neuer Markt, sondern die den Kapitalismus zügelnde Systemkonkurrenz hatte sich aufgelöst. Das bis dahin in der DDR gut entwickelte System des öffentlichen Verkehrs bei Personen und Gütern wurde  systematisch zerstört. Man fuhr Auto, Güter wurden auf die Straße verlegt. Der damalige Vorsitzende der IG Metall, Franz Steinkühler, sagte auf dem Kongress der Gewerkschaft und des Naturschutzringes  u.a.: „Ökologische Schäden und soziale Frage …, die Rodung von Regenwäldern, neue Armut in den Industriestaaten und Hunger in den Entwicklungsländern zeigen zugleich, dass Kapitalismus und ungezügeltes Wachstum keine Alternativen sind. Regionale Lebensqualität und globales Überleben können wir nur gewinnen, wenn Arbeit und Technik im Einklang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen organisiert werden, wenn soziale Gerechtigkeit und Solidarität mehr gelten als das Recht des Stärkeren und der schnelle Profit.[11]“ Dabei befand er sich in Übereinstimmung mit dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen, Daniel Goedevert: „Der Verkehr ist das soziale System, das bei weiterer Belastung nicht erträglich ist. Denkbar wären dann durchaus politische Entscheidungen, den hauptsächlichen Verkehrsträger, zumindest in Teilbereichen, aus dem Verkehr zu ziehen – und das ist das Kraftfahrzeug … Planung ist kein böses Wort. Es sind bestimmte Bereiche, auch der freien Markwirtschaft, wo Planung nach meiner Auffassung erforderlich wäre. Warum sollte die DDR nicht aus unseren Fehlern lernen und z.B. statt eines linearen Nebeneinanders eine vernetzte, ökologische Verkehrsinfrastruktur aufbauen?[12]

Die Protagonisten von damals blieben nicht mehr lange in ihren Ämtern, die „Männer mit Benzin im Blut“ (Piëch) übernahmen das Kommando, die Jagd um Märkte, Marktanteile und Profite drehte sich wieder in der alten und bekannten Spirale.

Wachstum, Stagnation , Überkapazitäten und Allianzen
Wachstum, Wachstum über alles – so der Zwang der kapitalistischen Ökonomie, auch der Welt-Automobilindustrie. Mit mehr als 10 Millionen Beschäftigten, 90 Millionen Fahrzeugen pro Jahr, einem Umsatz von an die zwei Billionen Euro und Milliarden-Profiten ist die Automobilindustrie eine Schlüsselindustrie der globalisierten Welt. Die Autofabriken brauchen stetes Wachstum zur Befriedigung der Profitsucht der Eigentümer – das wachsende konstante Kapital frisst an der Profitrate. An diesen kapitalistischen Maßstäben gemessen, befindet sich die Autoindustrie – mal wieder – in einer schweren Krise. In der EU (6 Mio.) und in Japan (5 Mio.) werden wesentlich mehr Fahrzeuge produziert als abgesetzt, während in den USA (5 Mio.) mehr Autos abgesetzt als produziert werden. Auf dem chinesischen und dem indischen Markt sind Produktion und Absatz jeweils fast ausgeglichen.

Der Absatz in den meisten Ländern der EU hat das Vorkrisen-Niveau von 2008 nicht wieder erreicht, in Japan, Südamerika und Russland sind die Märkte stark rückläufig, in den USA gibt es sehr geringes Wachstum, in vielen Ländern ist die Produktion hinter das Niveau von 2008 zurückgefallen, so in Frankreich, Großbritannien, Belgien, Südkorea, Spanien und Kanada.

In der Sprache des „Auto-Experten“ Prof. Bratzel hört sich das so an: „Das durchschnittliche Wachstum der globalen Herstellerkonzerne Volkswagen, Toyota, GM, Hyundai sank im abgelaufenen Kalenderhalbjahr im Durchschnitt um 2,4 Prozent[13].“ In der Sprache eines Betriebsrates hört es sich anders an: „Wir werden aber nicht mehr jede Kollegin und jeden Kollegen mit einem Leiharbeitsvertrag weiter beschäftigen können. Auch das gehört zur Wahrheit[14].“ Lediglich der weiter dynamisch wachsende Markt in China und der stetig wachsende Markt in Indien nehmen die hohen Überschüsse aus den Fabriken in Amerika, Europa und Japan auf. Dieser Boom geht allerdings auch zu Ende, sowohl aus ökologischen Gründen als auch, weil chinesische und indische Produzenten sich zunehmend etablieren. Das Bündnis zwischen Renault und Nissan, die Übernahme von Chrysler durch Fiat, die Zusammenarbeit von Toyota, Mazda und PSA, die Kooperation von Daimler mit Renault und Tesla, die strategische Allianz von Volkswagen und Tata-Motors[15] sind weitere Beispiele für die aktuellen und strukturellen Veränderungen der Branche. BMW-Chef Krüger sagte beim Autosalon in Genf: „Die Digitalisierung verlangt neue Allianzen.[16]

In der Erklärung der Wirtschaftsministerin und der Ministerpräsidenten zur Übernahme von Opel durch PSA heißt es vieldeutig: „… ein erster Schritt, um in Europa einen europäischen Global Player auf den Weg zu bringen[17].“

Das Drama besteht darin, dass weitere teure Überkapazitäten aufgebaut werden, weil fast jedes Unternehmen in jedem Segment und auf jedem Markt nicht nur präsent sein will, sondern am meisten Autos verkaufen möchte[18]. So soll die bisherige Produktionskapazität in Mexiko von gegenwärtig 3,5 Mio. Fahrzeugen auf fast 5 Mio. Fahrzeuge pro Jahr erhöht werden. Aber was passiert mit den für den US-Markt produzierten Fahrzeugen, wenn Trump Importsteuern erhebt und im Gegenzug die Steuern für die Inlandsproduktion senkt? Auf welchem Markt werden die Fahrzeuge aus Mexiko dann wohl abgesetzt werden, welchen Standorten und welchen Belegschaften wird mit mexikanischen Lohnkostenvorteilen kräftig eingeheizt?

Paradigmenwechsel – Kampf um den Öffentlichen Verkehr

Nach dem Abgasbetrug ist aber klar: Es sind gravierende Veränderungen erforderlich, um die Zukunft der Unternehmen, des Profits  und der Mobilität zu sichern. Dabei konkurrieren nicht nur die Unternehmen der bisherigen Autoindustrie miteinander, sondern, weil es um Digitalisierung geht, kommen Google, Apple & Co. mit ins Spiel. Als neuer Markt wird der bisherige öffentliche Personenverkehr ins Visier genommen: ÖPNV privatisieren und Milliarden-Gewinne einstreichen. Als Statussymbol hat das Auto in der sich zunehmend urbanisierenden Welt ohnehin ausgedient. Gleichzeitig werden technische Probleme der E-Mobilität nicht gelöst, solange die neuen Fahrzeuge die gleichen Funktionen in Größe, Gewicht, Reichweite und Geschwindigkeit erfüllen sollen, wie die bisherigen Autos. Ethische, moralische und juristische Fragen des „autonomen fahren“ sind ebenfalls unbeantwortet, die Digitalisierung führt zu einer Überwachungsgesellschaft ohne jeden Vergleich. Ein Kollege schrieb mir dazu: „Mir macht die Digitalisierung Angst. Wir brauchen kein autonomes fahren oder Internet im Auto. Wer soll die Autos kaufen oder finanzieren?“

Der schon zitierte „Autoexperte“ Bratzel schreibt: „Das Erlöspotential ist enorm: Während ein großer traditioneller Automobilhersteller wie Toyota vor allem mit dem Bau und Verkauf von 10 Mio. Pkw jährlich rund 200 Mrd. Euro umsetzt, zielen die Digital Player auf zusätzliche Erlösmöglichkeiten mit der weltweiten Pkw-Flotte von über 1 Mrd. Fahrzeugen, die täglich nur ein bis zwei Stunden bewegt werden. Gelingt es durch kommerzielle Dienstleistungen im und rund um das Fahrzeug nur 1 Euro pro Stunde zu generieren, summiert sich das Umsatzpotential bereits auf rund 500 Mrd. Euro – bei geringen Grenzkosten und damit hohen Renditen“[19].

Mit der Firmenneugründung von MOIA und der Übernahme von GETT[20] zum Beispiel will Volkswagen in der von ihnen geplanten und ausgerufenen „neuen Welt der Mobilität“ die künftigen Profite sichern: „Ziel des neuen Unternehmens ist es, umfassende On-Demand-Mobilitätsangebote zu entwickeln und anzubieten, die das Leben der Menschen in urbanen Räumen lebenswerter, sauberer und sicherer machen. Das Geschäftsfeld der App-basierten Fahrtenvermittlung (Ride Hailing) birgt neben Pooling Services mit intelligenter Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel (Connected Commuting) dabei das derzeit größte Marktpotenzial im Bereich der On-Demand-Mobilität. Ziel des Volkswagen Konzerns ist es, bis 2025 einen substanziellen Teil seines Umsatzes mit diesen neuen Geschäftsfeldern zu erwirtschaften.“ Robotertaxis, die ohne Personalkosten und durch den effizienten Betrieb von vernetzten Flotten zu einer drastischen Senkung des Fahrpreises pro Kilometer führen sollen, sind ein massiver Angriff auf den ÖPNV. Mit Ride-Hailing, der Bestellung eines bald selbstfahrenden Autos per App mit anschließendem Pooling Services, also der Aneinanderkopplung solcher autonomer Fahrmodule, sollen die Umsätze des bisherigen ÖPNV abgeschöpft und derselbe trockengelegt werden. Fahrzeuge würden dann nicht mehr, wie private PKW’s bisher, zu 95 Prozent auf Parkplätzen stehen, sondern zu mindestens 60 bis 70 Prozent tatsächlich fahren – der Verschleiß und der Erneuerungsbedarf wären entsprechend.

Um das möglichst realitätsnah auszuprobieren, wurde mit den Städten Wolfsburg, Dresden und Hamburg kürzlich jeweils eine „strategische Partnerschaft“ mit weitreichenden Folgen vereinbart und an den kommunalen Räten vorbei zu gültigen Verträgen unterzeichnet[21]. Die Überlegungen seitens Volkswagen sind weit fortgeschritten, das Magazin der VW-Autostadt schreibt, die Herausforderungen für Hamburg als „Die Neuerfindung der Mitte“ benennend: „So durchschneidet heute die sechsspurige Willy-Brandt-Straße das Herz der Stadt. … Die trennende Verkehrspiste soll unter die Erde verlegt werden. Nur (so) könnten die historische Stadtmitte und die neue Hafencity samt Einkaufszentrum und tourismusfördernder Elbphilharmonie zusammenwachsen. Geschätzte Kosten etwa 500 Millionen. Die will die Handelskammer nach echt hanseatischer Kaufmannsart wieder reinholen: mit dem Verkauf  der durch die Untertunnelung frei werdenden Grundstücke.“[22]

Bedürfnisorientierung und Wirtschaftsdemokratie/Branchenrat

Wenn nicht mehr der Profit im Mittelpunkt stünde und das Ziel allen Wirtschaftens die Bedürfnisbefriedigung der Menschen wäre, würde Mobilität ganz anders aussehen. Besteht nun die vielleicht historische Chance, den durchaus unterschiedlichen Bedürfnissen in Megacities einerseits und infrastrukturarmen Regionen andererseits zum Durchbruch zu verhelfen? Ohne die Eigentumsfrage anders als bisher zu beantworten, ohne Vergesellschaftung und ohne gesellschaftliche Planung ist das sicher nicht möglich.

Dabei kommt es auf das gesellschaftliche Kräfteverhältnis an, auf die Gewerkschaften und viele Bürger- und Verkehrsinitiativen sowie die linken Kräfte einerseits, die Auto- und Erdölindustrie und ihre Lobby andererseits. Aber es reicht nicht aus, dass vielen die Autos im wörtlichen Sinne stinken, dass über volkswirtschaftliche Schäden durch Unfälle und Flächenverbrauch geklagt wird, es bedarf konkreter technischer, ökologischer und arbeitspolitischer Transformationsprojekte bis hin zu einer radikalen Verkürzung der Zeit für Erwerbsarbeit (kurze Vollzeit), in denen vor allem auch die berechtigten sozialen Ängste der Beschäftigten in der Industrie Berücksichtigung finden. Deshalb kommt der Gewerkschaft, die, anders als Anfang der 1990er Jahre, keine eindeutige Position hat, eine besondere Bedeutung in dieser Auseinandersetzung zu.

Einerseits will die IG Metall „den Wandel intelligent gestalten“, wie auf verschiedenen bezirklichen Automobilkonferenzen beraten wurde[23]. Dabei geht es um zwei Stoßrichtungen: Autos mit konventionellen Antrieben sollen umweltfreundlicher werden. Zugleich soll der Umstieg auf Autos mit alternativen Antrieben, also mit Batterie oder Brennstoffzelle, beschleunigt werden[24]. Das Fazit der Diskussion der Gewerkschafter: Wir mischen uns stärker ein in die öffentliche Diskussion. Wir fragen präziser nach, wenn es um Brennstoffzelle, Elektro-, Gas- oder Hybridantrieb geht. Was kann die Technik leisten, was erwarten wir von der Politik? Wir stoßen regionale Debatten über die Zukunft des Verkehrs an. Wir machen uns Gedanken, wie gute Arbeit im Jahr 2025 aussehen soll. Die grundsätzlichen Fragen nach einer ganz anderen Form von Mobilität, nach Regionalisierung und kleineren Kreisläufen und nach Vergesellschaftung und Wirtschaftsdemokratie wurden nicht benannt. Das hängt wohl auch mit dem „andererseits“ zusammen, mit der Einbindung der Spitze der Gewerkschaft in die „Nationalen Plattform Elektromobilität“ (NPE)[25], über die viel Geld für Forschung, Entwicklung, Kaufprämien, Sonderabschreibungen, Steuerbefreiungen und Infrastruktur verteilt wird; das „die Sicherung von Rohstoffen“ dabei extra genannt werden, macht die Brisanz dieses Planes deutlich. Das Ziel, eine Millionen Elektro-Fahrzeuge bis 2020 auf die Straße zu bringen, wird wohl verfehlt werden[26]. In einer Erklärung der IG Metall dazu heißt es sehr idealistisch: „Eine umweltfreundliche Mobilität – das ist das Ziel, dem sich die Nationale Plattform Elektromobilität verschrieben hat. Die IG Metall ist dabei, damit sich die Mobilitätswende nicht nachteilig auf die Beschäftigung auswirkt. Die IG Metall ist Teil der NPE, damit die Automobilproduktion von morgen nicht alleine dem Markt überlassen wird. Arbeitgeber, Staat und Gewerkschaften gestalten sie gemeinsam – im Interesse der Beschäftigten.[27]“ Unter den über 150 Auto-Lobbyisten und Ministerial-Bürokraten in der NPE befinden sich weniger als eine Handvoll Gewerkschafter.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, in dem Gewerkschaften beratend vertreten sind, hat einen Paradigmenwechsel in der Automobilindustrie sowie eine „zukunftsgerichtete und vorausschauende europäische Industriepolitik“ angemahnt. „Die Industriepolitik sollte es der Automobilindustrie ermöglichen, ein komplexes industrielles Geflecht zu erhalten und auszubauen.[28]“ An einen koordinierenden Branchendialog, eine Ausweitung von Mitbestimmung, gesellschaftlicher Planung und Wirtschaftsdemokratie ist nicht gedacht, denn, so die die Ko-Berichterstatterin Monika Sitarova Hrusecka von der slowakischen Metallgewerkschaft OZ KOVO: „Dem Sozialen Dialog zwischen den betroffenen Unternehmen und Arbeitnehmervertretern kommt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung sozial verträglicher Strategien zu“. Die IG Metall hat sich bei dem Bericht mit ihrer Expertise eingebracht und insbesondere die Interessen der Beschäftigten betont. Diesem Anspruch kann sie allerdings nicht gerecht werden, wenn die Beschäftigten der Konzerne, der Zulieferer und Standorte wieder und weiter gegeneinander ausgespielt werden.

Doch könnte der Plattform NPE auch etwas Gutes abgewonnen werden, wenn sie die Basis für einen dringend erforderlichen Branchendialog mit dem Ziel gesellschaftlicher Planung wäre? Jedenfalls bedeutet Solidarität unter diesen Umständen, einen Weg aus der Sackgasse der Profitorientierung zu suchen und mit möglichst vielen zu gehen. Wirtschaftsdemokratie, ohnehin ein gewerkschaftliches Projekt, wäre ein Weg, das Grundgesetz Artikel 14 gibt die Möglichkeiten dafür: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Auf dieser Basis wurde die HRE in der Finanzkrise enteignet, Opel und die Commerzbank ließen sich „freiwillig“ von der Bundesrepublik aufkaufen. Das allerdings sind Arten der Vergesellschaftung nur der Verluste, die wir natürlich nicht meinen. Kriterien für den wirtschaftsdemokratischen Plan müssten gleichermaßen ökologische und soziale Nachhaltigkeit sein. Notwendige Veränderungen sind höchst komplex, betreffen Produkt, Produktion und damit technische, soziale, ökologische, ökonomische, juristische, ethische und politische Prozesse – es geht also um alternative Formen des Wirtschaftens und neue Formen von Solidarität über die Branche hinweg – nicht nur in den einzelnen Konzernen, wo ein Interessenausgleich zwischen verschiedenen Standorten teils schon funktioniert, sondern auch in andere Wirtschaftszweige hinein wie die Bahnindustrie, den Bahnbetrieb, den ÖPNV, auch zum Beispiel die Fahrradindustrie.

Die Dimension wird deutlich, um die es bei dieser Transformation geht, wenn uns kurz den einzelnen Aspekten zuwenden:

Technisch geht es um die Frage, Aufrüsten oder Umrüsten. Weg von 2 Tonnen Stahl und monströser Technik auf vier Gummirädern zwecks Transport von einer Person von A nach B – hin zu bedarfsorientiertem öffentlichem Personen- und Güterverkehr auf Schienen, Wasserwegen und – soweit unvermeidbar – auf Straßen, sicherlich nicht in kleinen privaten Autos, die zu 90% Stehzeuge sind.

Sozial geht es um Gute Arbeit versus Profitmaximierung, um gute Beschäftigungsperspektiven für viele tausende Menschen. Ohne die Berücksichtigung berechtigter sozialer Ansprüche wird eine Verkehrswende nicht gelingen.

Ökologisch geht es um Klimabelastungen bzw. dessen Vermeidung, um Gesundheit, um Flächenverbrauch und Flächenversiegelung, um Ressourcenschutz und in dem Zusammenhang auch um Krieg und Frieden, um die Möglichkeit oder die Blockierung alternativen Verkehrs.

Ökonomisch geht es um Profit und darum, dass der Staat bzw. die Staaten die Autoindustrie mit Milliarden subventionieren (Abwrackprämie, E-Mobilität) – direkt (900 Mio $ für VW-Werk in Chattanooga – inkl. Anti-Gewerkschaftsklausel, 130 Mio € für neues Produkt in der Slowakei, Sonderwirtschaftszonen in Polen) wie auch indirekt durch Steuererleichterungen, Steuerverzicht, Infrastrukturleistungen, Rabatte auf Energie, Wasser, Abwasser etc.pp

Ethisch geht es um die Frage, ob wir so leben wollen, ob wir so arbeiten, produzieren und konsumieren wollen. Diese Produktionsweise ist mit unendlich vielen Ungerechtigkeiten behaftet, sie ist zerstörerisch und tödlich für viele Menschen – ähnlich stringent wie die Rüstungsproduktion. Jede Waffe findet ihren Krieg und allein in Deutschland starben im vergangenen Jahr 3.500 Menschen bei Verkehrsunfällen, weltweit sind es 1,2 Millionen p.a., mehr als 300 Tote pro Tag!

Juristisch geht es nicht in erster Linie um den Abgasbetruges, nicht um die Frage, ob da auch die Finanzbehörden betrogen wurden und wer für diesen Schaden aufkommt. Vor allem geht es um die Eigentums- bzw. die Verfügungsfrage. Zum Beispiel Volkswagen, das nach 1945 zunächst „herrenlos“ war, die räuberische „Deutsche Arbeitsfront“ war als verbrecherische Organisation enteignet und verboten: „Der Porsche-Piëch-Clan und der Terrorstaat Katar haben von dem Abgasbetrug profitiert, diese Profite quasi als Hehler privatisiert durch Dividendeneinnahmen der zurückliegenden 10 Jahre. Wie verhält es sich da mit dem Eigentum, das dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll und widrigenfalls enteignet werden kann (und das trifft dann sicher nicht nur auf VW zu).

Politisch geht es um die Rolle des Staates, der von der damaligen Besatzungsmacht, wieder am Beispiel Volkswagen, als Treuhänder für das Werk eingesetzt wurde. Schon von der CDU-Regierung unter Adenauer wurden Teile des Unternehmens privatisiert, Kohl hat dann in der Koalition mit der FDP den Rest von Anteilen des Bundes verschleudert. Lediglich das Land Niedersachsen hat – ungeachtet der jeweiligen Regierungskonstellation – an seinen Anteilen am Unternehmen festgehalten. Alle neoliberalen Politiker verweigern sich einer aktiven Wirtschaftspolitik, einer planmäßigen Branchenentwicklung – diese ist aber erforderlich, wenn Wirtschaftsdemokratie durchgesetzt werden soll.

Sozial und ethisch geht es aber jedoch vor allem um die Frage, welche Alternativen den Beschäftigten geboten werden, wenn sie anderes auf andere Weise produzieren sollen und wollen. Abgesehen davon, dass das nicht vorgeschrieben werden kann, sondern beraten werden muss, sind insbesondere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, über Möglichkeiten und Chancen nachzudenken, Alternativen und Perspektiven vorzuschlagen, Ideen zu entwickeln, wie Mobilitätszwänge reduziert und Mobilitätsbedürfnisse befriedigt werden können; ohne eine Kritik der kapitalistischen Modernisierungsstrategie von E-Mobilität, autonomen Autos, Digitalisierung sowie Stadt- und Raumplanung wird es dabei nicht gehen.

Veröffentlicht in SOZIALISMUS, 5/2017

[2] Schmidt-Bleek, Friedrich: Wieviel Umwelt braucht der Mensch? Faktor 10 – das Maß für ökologisches Wirtschaften; dtv München 1997

[3] In den nahe an Wolfsburg liegenden Landkreisen ist die Arbeitslosigkeit nach SGB III von Dezember 2016 bis Februar 2017 um 2.400 Personen angestiegen

[4] VW-Markenvorstand Herbert Diess in einem Brief an die Beschäftigten; http://www.waz-online.de/VW/Aktuell/Streit-mit-Betriebsrat-Diess-fuer-sachliche-Klaerung

[5] Winfried Wolf, Lunapark21, Heft 37, S. 6

[6] http://derstandard.at/2000053710537/Beim-Opel-Werk-in-Wien-Aspern-Warten-auf-PSA-Plaene

[7] Ilja Ehrenburg, Das Leben der Autos, Berlin 1976

[8] Allein in Deutschland verschwanden nach 1945 folgende größere PKW-Marken wie Borgward, DKW, Glas/Goggo, Hanomag, Hansa-Goliath, Heinkel, Lloyd, Karmann, Messerschmitt, NSU, Trabant, Wartburg und Zündapp.

[9] VW-Konzern 69 Mio., Daimler 60 Mio., BMW 43 Mio.; Bundestagsdrucksache 17/14568 vom 20.8.2013

[10] Auto Umwelt und Verkehr: Umsteuern, bevor es zu spät ist; Verkehrspolitische Konferenz der IG Metall und des Deutschen Naturschutzrings; Bund-Verlag, Köln 1992

[11] Ebd. S. 21

[12] Daniel Goedevert, 2. Symposium der IG Metall Wolfsburg und des Gesamtbetriebsrates der VW AG, 6./7. Februar 1990, Wolfsburg; Broschüre, herausgegeben von der IG Metall Wolfsburg, S. 64 ff.

[13] CAM Newsletter 6/2016

[14] Bernd Osterloh, Automobilwoche, 10. März 2017

[15] http://de.reuters.com/article/deutschland-volkswagen-tata-motors-idDEKBN16H13V

[16] http://www.zeit.de/news/2017-03/07/auto-autoindustrie-erwartet-weitere-allianzen-07180602

[17] http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/G/gemeinsame-erklaerung-zu-opel.pdf?__blob=publicationFile&v=26

[18] Dem ehemaligen BMW-Manager Eberhard von Kuehnheim wird die Aussage zugeschrieben, es gäbe möglicherweise zu viele Autos, ganz sicher aber zu wenige BMW.

[19] http://veranstaltungen.handelsblatt.com/autogipfel/automobilindustrie-im-kampf-der-welten/

[20] https://www.moia.io/de/ und http://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/taxi-vermittlungsdienst-gett-so-funktioniert-vws-neues-investment-a-1094141.html

[21] http://www.hamburg.de/contentblob/6770750/79dfb53810fce0a30027b01de5160168/data/2016-08-29-pr-mobilitaetspartnerschaft.pdf

[22] Journal der Autostadt 1-2017, Wolfsburg, S. 29

[23] Dresden am 20.9.2016, Nürnberg, 10./11. November 2016, Hannover am 27.2.2017

[24] https://www.igmetall.de/auto-und-klima-24270.htm

[25] http://nationale-plattform-elektromobilitaet.de/

[26] Zum Vergleich: Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 12.000 E-Autos angemeldet, in China 190.000.

[27] https://www.igmetall.de/nationale-konferenz-elektromobilitaet-16483.htm

[28] EWSA PressRelease, 22.2.2017; www.eesc.europa.eu

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