Die Krisen in der Autoindustrie kommen regelmäßig, die Abstände verkürzen sich und die Krisen werden heftiger. Wie auch jetzt wieder geht es um Konkurrenz, um Märkte und Marktanteile, um den Aufbau und dann auch wieder die Zerstörung von Kapazitäten in geschrumpften Teilmärkten.
Die Krisen tragen die Tendenz zur Vernichtung von Konkurrenten und kleinere oder größere Schritte zur Monopolisierung in sich. Die Schließung des Opel-Werkes in Bochum und des Ford-Werkes in Saarlouis sind die jüngsten Brocken dabei, die Bildung des Stellantis-Konzerns mit Peugeot, Citroën, Opel, Fiat und Chrysler eines der Beispiele für Konzentration. In den zurückliegenden fünf Jahren wurden bereits über 60.000 Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie verlagert oder vernichtet, viele Standorte aufgegeben.
Eine Krise der Arbeitsplätze
Die Krise ist in erster Linie eine Krise der Arbeitsplätze, keine Krise der Profite. Die Gewinne vom zurückliegenden Jahr bei Volkswagen (22 Milliarden), Mercedes (15 Milliarden) und BMW (12 Milliarden) summieren sich auf 49 Milliarden Euro und die Gewinnrücklagen der drei Konzerne auf gut 250 Milliarden Euro. Um es am Beispiel von Volkswagen deutlich zu machen: Es geht mitnichten um Verluste, wie das Unternehmen öffentlich behauptet und eilfertige Journalisten gerne weitergeben. Den Eigentümer_innen und den Managern reicht eine Umsatzrendite von 3,5 Prozent bei der Marke Volkswagen nicht aus, sie wollen 6,5 Prozent. Bei einem Umsatz von gut 100 Milliarden Euro geht es also nur um die Frage, ob 3,5 Milliarden oder 6,5 Milliarden Euro Profit erzielt werden.
Ein reales Problem sind natürlich die Überkapazitäten, die mit großem Aufwand geschaffen wurden – vor kurzem wollte der VW-Konzern nach dem Vorbild von Tesla eine „Gigafactory“ für neue Luxusfahrzeuge in Wolfsburg bauen (Trinity) – heute geht es um Massentlassungen und Werksschließungen.
Absatzkrise
Die Fahrt im andauernden Rückwärtsgang begann mit dem gigantischen Abgasbetrug im Jahr 2016 – seitdem sinkt die Nachfrage in Deutschland und in Europa. Hinzu kommt die Etablierung mehrerer neuer und technologisch fortgeschrittener Player aus China. Und natürlich spielen die Kriege und globalen Konkurrenzen, spielen die aggressiven Weltverhältnisse, die Hochrüstung und der Abbau von Sozialstaatlichkeit, die Debatte um den Antriebswechsel zu E-Autos und die stockende Infrastruktur dafür eine wichtige Rolle bei der Nachfrage nach Autos. Der Absatz von Volkswagen, BMW und Mercedes ist nach 40 Jahren guter Geschäfte in China dramatisch eingebrochen. Die weltweite Produktion von PKW sank von 73 Millionen im Jahr 2017 auf 55 Millionen im Jahr 2020 und stieg wieder auf 67 Millionen im Jahr 2023. Im Jahr 2023 wurden in Europa 2 Millionen Autos weniger abgesetzt, als noch fünf Jahre vorher – das entspricht der Kapazität von vier sehr großen Autofabriken oder dem weltweiten Absatz von Audi und Peugeot zusammengenommen. Das trifft jedoch besonders solch einen Volumenhersteller wie Volkswagen, dem der Absatz um 500.000 Fahrzeuge in der Bilanz fehlt. Luxus verkauft sich demgegenüber immer noch ganz gut.
Klimakrise
Seit einigen Jahren ergibt die Gleichzeitigkeit von Klimakrise und dem Konflikt um die Zukunft der Automobilität und von hunderttausenden Arbeitsplätzen eine explosive Mischung. Der Rechtsruck insgesamt, die hohe Zustimmung für die Höcke-Partei in den Autoclustern von Sachsen, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen ist überaus besorgniserregend. Es besteht die Gefahr eines verkehrspolitischen Backlash, der die Klimakrise zusätzlich verschärft, Milliarden an Mitteln vergeudet und weitere Arbeitsplätze gefährdet. Fortgesetzter Autobahnneubau und die aberwitzigen Subventionen, die in die Autoindustrie fließen, sind eine Umverteilung von unten nach oben. Viele Menschen sind mangels eines guten öffentlichen Verkehrs noch auf Autos angewiesen, jedoch sinken die PKW-Dichte und die Emissionen mit dem Haushaltseinkommen. Anstatt sich auf die Forderungen der Mehrheiten im Land wie das Tempolimit und den Abbau von Subventionen einzulassen, kungelt die Regierung mit der Autoindustrie und verstärkt noch die autozentrierte Politik. Selbst der Abschied vom Verbrennungsmotor wird von antiökologischen Kräften wie der FDP, der CSU und dem BSW immer wieder von Neuem infrage gestellt. Dadurch kommen Klimaschutz und Mobilitätswende unter die Räder bzw. unter den Asphalt.
Dagegen können im Schienenfahrzeugbau, bei der Bahn und in den Betrieben des ÖPNV hunderttausende Arbeitsplätze neu entstehen, wenn diese Betriebe Planungssicherheit erhalten. Zu gewinnen sind gute Arbeit, gutes Leben und eine lebenswerte Zukunft für nachfolgende Generationen. In diesem Prozess gilt es den Beschäftigten Sicherheit zu geben, auch durch gesetzlich garantierte Fort- und Weiterbildung, eine Jobgarantie und ein Transformationsgeld.
Sofortprogramm für den ökologischen Umbau:
Das Geld für die Konversion der Autoindustrie steht zur Verfügung und es ist die Alternative zu verschärfter Konkurrenz, zu Sozialabbau, Massenentlassungen und Werksschließungen.
- Keine Subventionen für die Autoindustrie, stattdessen ein
- Sondervermögen des Bundes von 200 Milliarden Euro und eine
- Gewinnabschöpfung bei den Autokonzernen für Verkehrswende
- Ausbau der Infrastruktur, Aufbau von Kapazitäten für Schienenfahrzeuge und smarte Busse.
Breite Bündnisse für Klimaschutz, Verkehrswende, bessere Arbeit und gutes Leben für alle!
Ver.di und Fridays for Future streiten zusammen für den Ausbau des ÖPNV und für bessere Arbeitsbedingungen der hier Beschäftigten; Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände haben das «Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende» gegründet; die Klimagerechtigkeitsbewegung streut Sand in das Getriebe von Autopräsentationsmaschinen wie der IAA. Forderungen nach einem Umbau der Industrie und einer Verkehrswende in Stadt und Land ergänzen sich auf diese Weise. Das ermöglicht neue Allianzen für die sozial-ökologische Transformation. Zwar gibt es gemeinsame Verlautbarungen seitens Gewerkschaften, Umweltverbänden und Kirchen. Vor allem in der Praxis der Gewerkschaften, aber auch im Agieren der Linken, wird den gemeinsamen Forderungen zu wenig Nachdruck verliehen. Der gesellschaftlichen Linken kommt hier eine große Verantwortung zu, den vermeintlich unlösbaren Widerspruch zwischen Ökologie und Arbeitsplätzen aufzulösen und die berechtigten Interessen der Beschäftigten an guter Arbeit und gutem Leben mit der Verkehrswende zu verbinden.
Jüngst haben mehrere Studien gezeigt, welches große Potenzial für gute Arbeit in einer konsequenten Mobilitätswende liegt (Spurwechsel, Fraunhofer/m-five). Großen Arbeitskräftebedarf gibt es im Schienenfahrzeugbau, bei den Bahn- und ÖPNV-Betrieben. Rechnet man dazu den Arbeitskräftebedarf, der sich aus dem nötigen Ausbau des Care-Sektors ergibt und berücksichtigt man die beschäftigungspolitischen und gesellschaftlichen Potenziale einer Arbeitszeitverkürzung hin zur 28-Stunden-Woche, dann wird deutlich, dass es viel zu gewinnen gibt.
Das setzt aber voraus, dass Kräfte wie die Gewerkschaften und die Linke die Impulse der Verkehrswendeinitiativen konsequent aufgreifen. Es setzt zudem voraus, dass die Gewerkschaften ihr politisches Mandat zugunsten einer sozial-ökologischen Transformation wahrnehmen. Und es setzt voraus, dass die vielen guten Ansätze und Überlegungen, wie sie von Beschäftigten in der Autoindustrie selbst ausgehen, nicht länger vom jeweiligen Management weggefegt, sondern durch Wissenschaftler_innen, Gewerkschaften und linke Politik aufgegriffen, standort-übergreifend gebündelt und offensiv in die gesellschaftspolitischen Debatten eingebracht werden.
Für guten öffentlichen Verkehr, intelligente Mobilität auch auf dem Land statt Zwang zum Auto, für eine erfolgreiche sozial-ökologische Wende in der Verkehrs- und Industriepolitik: Die Anzahl der Autos auf unseren Straßen muss drastisch reduziert werden – vor allem in den größeren Städten mit ausgebautem öffentlichem Verkehr. Die Lücken im ländlichen Raum können durch Fahrservices, Rufbusse und Carsharing als Teil einer integrierten Verkehrsplanung und staatlicher Daseinsvorsorge gefüllt werden. Kostengünstige und langfristig kostenlose öffentliche Mobilität als sozial-ökonomisches Grundrecht. Eine verlässliche Investitionspolitik in den öffentlichen Verkehr.
Worum es jetzt gehen sollte:
- Aufbau von regionalen Transformationsräten aus Gewerkschaften, regionaler Politik, Umwelt- und Verkehrsverbänden, Energie- und Verkehrswendeinitiativen, die gesellschaftliche Foren initiieren und direkten Einfluss auf die sozial-ökologische Transformation der Produkte in der gesamten Mobilitätsindustrie nehmen. Förderung dieser regionalen Transformationsräte und gesellschaftlicher Foren aus dem Zukunftsfonds Automobil.
- Forcierung und Unterstützung lokaler Initiativen und Bündnissen für die sozial-ökologische Transformation von Autoindustrie und Mobilität.
- Auf- und Ausbau (gemeinwirtschaftlicher, demokratischer) Unternehmen, die die Lücken in der derzeitigen Mobilitätsindustrie für den smarten Bus-, Schienen- und Güterverkehr füllen: Das ergibt eine sinnvolle Kompensation von wegfallenden Arbeitsplätzen. Ergänzend: Vergesellschaftung von Unternehmen, die die Verkehrswende blockieren nach Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes.
- Reform von Straßenverkehrsordnung und -gesetz, sodass Kommunen ermächtigt werden, sozial-ökologische Maßnahmen wie Tempolimits, Busspuren und anderes mehr zu beschließen und umzusetzen.
- Eine europäische Industriepolitik zum Aufbau einer europäischen Mobilitätsindustrie für den so notwendigen Bau von Bussen und Schienenfahrzeugen. Die Möglichkeit der Direktvergabe (public service obligation) für den ÖPNV und die Bahn muss weiterhin erhalten bleiben.
Das sind Vorschläge des Gesprächskreises der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Zukunft von Auto, Umwelt und Mobilität.
Eine so verstandene Verkehrs- und Mobilitätswende ist Teil einer am Bedarf orientierten Transformation von Produktion und Dienstleistungen in unserem Land. Es gilt, die Ökonomie vom Kopf auf die Füße zu stellen, sozial-ökologisch schädliche Aktivitäten zurückzubauen und menschliche Kreativität und gesellschaftliche Ressourcen in den Dienst des guten Lebens zu stellen. Die Mobilitätswende ist Baustein und Ergebnis einer solchen Transformation.
Veröffentlicht in der SoZ – Sozialistische Zeitung, November 2024; https://www.sozonline.de/
Foto: IG Metall bei Ford.