Das Ziel der kollektiven 32-Stunden-Woche wurde (noch) nicht erreicht. Lediglich im Krisenfall kann die Arbeitszeit bei teilweisem Lohnausgleich auf 32 Stunden reduziert werden. Die Entwicklung der Reallöhne ist trotz Subventionen und Gewinnen der Stahlindustrie negativ. Konkret wurde im Tarifvertrag, der durch die Tarifkommissionen noch bestätigt werden muss, zur Beschäftigungssicherung und zur Lohnentwicklung folgendes vereinbart:
Kollektive Arbeitszeitverkürzung im Fall von Personalüberhängen im Betrieb: Bei Druck auf die Beschäftigung im Zuge der Transformation können die Betriebsparteien – ausgehend von der Regelarbeitszeit von 35 Stunden – die Arbeitszeit um drei Stunden absenken. Für eine solche kollektive Arbeitszeitverkürzung müssen sich die Betriebsparteien einig sein, dass sich das Unternehmen in der Transformation befindet und die Beschäftigung unter Druck steht. Die Tarifvertragsparteien (Arbeitgeberverband und IG Metall) müssen dies bestätigen.
Im Falle der kollektiven Absenkung der Arbeitszeit wird gestaffelt bis zu einer Stunde mehr vergütet: 34 Stunden: 34,5 Stunden bezahlt, 33 Stunden: 33,75 Stunden bezahlt, 32 Stunden: 33 Stunden bezahlt
Sollte aus Gründen der Transformation temporär ein Mehrbedarf nötig sein – etwa für einen Parallelbetrieb von alten und neuen Technologien oder für Qualifikation – kann die Arbeitszeit von den Betriebsparteien auch um bis zu drei Stunden erhöht werden. Für die jenseits von 35 Stunden geleistete Arbeit wird die jetzt schon geltende Mehrarbeitsvergütung bezahlt. Das heißt: Länger arbeiten geht, kann aber nicht einseitig vom Arbeitgeber angeordnet werden. Der Betriebsrat bestimmt mit. Und für die Mehrarbeit muss der Arbeitgeber auch mehr bezahlen: 25 Prozent Zuschlag je Überstunde.
Das bedeutet, dass der emanzipatorische Charakter und die demokratische Bedeutung der Arbeitszeitverkürzung nicht durchgesetzt werden konnten. Das Bedürfnis nach mehr freier Zeit zur eigenen Verfügung, nach besserer, gerechterer Aufteilung der Zeit für Produktion und Reproduktion konnte nicht durchgesetzt werden. Wirklich bitter ist, dass es für diese Arbeitszeitverkürzung zur Sicherung von Beschäftigung nur einen teilweisen Lohnausgleich geben wird. Die Arbeiterinnen und Arbeiter bezahlen die Sicherung von Arbeitsplätzen mit Lohnverlust. Die Arbeitgeber stecken sich die Produktivitätsgewinne ein.
Nicht besser steht es um die Individuelle Arbeitszeitverkürzung für einzelne Beschäftigte: Dem Wunsch der Beschäftigten auf Absenkung der individuellen Arbeitszeit auf 33,6 Stunden kann entsprochen werden, sofern dem betriebliche Interessen nicht entgegenstehen. Für ältere Beschäftigte gilt: Wer mindestens 60 Jahre alt ist und in Schicht arbeitet, kann von Januar 2025 an auf 33,6 Stunden verkürzen ohne wirksame Widerspruchsmöglichkeit des Arbeitgebers. Für diese Personen gibt es auch nur einen teilweisen Lohnausgleich: Sie bekommen für 33,6 Stunden Wochenarbeitszeit 34,10 Stunden bezahlt. Die Altersgrenze sinkt in den beiden Folgejahren auf 59 Jahre und auf 58 Jahre. Im Jahre 2027 findet eine Bewertung der Regelung statt.
Der Fortschritt ist eine Schnecke! So kleine Schritte selbst für diejenigen, die schon 30 oder 40 Jahre im Betrieb auf dem Buckel haben – und selbst das noch teilweise durch Lohnverzicht finanziert.
Lohnerhöhungen gänzlich unbefriedigend!
Die Stahlkocher erhalten im Januar 2024 eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1500 Euro, Auszubildende nur von 1000 Euro. Weitere 1500 Euro, für Auszubildende nur 800 Euro, sind in Raten bis Ende 2024 auszubezahlen: Von Februar bis November gibt es monatliche Zahlungen in Höhe von 150 Euro, für Auszubildende jeweils nur 80 Euro. Teilzeitbeschäftigte erhalten die Inflationsausgleichsprämie jeweils anteilig. Die Inflationsausgleichsprämie, das giftige Geschenk der Bundesregierung: Eine Prämie als Netto-Zahlung heißt, dass dieses Geld nicht tabellenwirksam ist, dass die Arbeitgeber Steuern und Sozialabgaben einsparen und dass dieses Geld nicht in die Rentenberechnung einfließt. Billiger kann man die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht abspeisen, zumal viele Betriebe bereits Teile der Inflationsprämie ausgezahlt haben. Für sie gilt: Beträge oberhalb der 3000 Euro werden brutto vergütet.
Fast verschämt wird zum Ergebnis mitgeteilt: Ab 1. Januar 2025 steigen die Entgelte und die Vergütung für Auszubildende um 5,5 Prozent. Das heißt, im Jahr 2024 gibt es keine Lohnerhöhung, an der Tabelle ändert sich nichts. Die Inflationsausgleichsprämie gibt es ja für die galoppierende Inflation seit Abschluss des letzten Tarifvertrages im Jahr 2021. Die Inflation stieg in den zurückliegenden beiden Jahren um jeweils über 6 Prozent, die Lebensmittelpreise noch viel mehr. Und auf dieser Basis entwickeln sich die Preise jetzt weiter. Eine nominelle Lohnerhöhung von 5,5% nach drei Jahren hoher Inflation ist tatsächlich eine nachhaltige Senkung der Kaufkraft. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen sinkt, der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen steigt.
Enttäuschend für viele Beschäftigte ist, dass die Arbeitgeber den Köder mit den 3000 Euro Inflationsausgleichsprämie ausgelegt haben und dass die Gewerkschaft darauf eingegangen ist und damit eine Wende in den Verhandlungen verursacht wurde. Die 5,5 Prozent ab Januar 2025 fühlen sich für viele Beschäftigten wie eine Ohrfeige an. Die sehr berechtigte Erwartungshaltung war angesichts der Inflation und der schon bescheidenen Forderung von 8,5 Prozent für 12 Monate deutlich größer. Seit dem 1. Dezember waren über 18.000 Beschäftigte im Warnstreik, ab 7. Dezember über 30.000 im 24-Stunden-Streik. Die Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter waren kampfbereit, diese Kampfbereitschaft wurde aber nicht konsequent eingesetzt. Das ist nicht zu verstehen, zumal die Stahlhersteller Stahlholding Saar, Thyssen-Krupp, Salzgitter AG und Arcelor-Mittal von der Bundesregierung 6 Milliarden Euro für die Dekarbonisierung und die Umstellung auf Wasserstoff an Subventionen bekommen. Vor der Belegschaft in Völklingen im Saarland erklärte Robert Habeck, es sei die „größte Einzelförderung, die wir jemals in der Geschichte der Bundesrepublik“ ausgezahlt haben. „Die 2,6 Milliarden Euro habt ihr gewollt, 2,6 Milliarden kriegt ihr.“ Unverständlich ist diese Zurückhaltung der Gewerkschaft auch angesichts der Gewinnsituation. Die Salzgitter AG hat zum Beispiel im Jahr 2022 bei einem Umsatz von 12 Milliarden Euro einen Netto-Gewinn von gut 1 Milliarde Euro erzielt.
Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 22 Monaten bis zum 30. September 2025.