Ferdinand Piëch: Die Legende vom genialen Techniker

In Nachrufen zum Ableben von Ferdinand Piëch hieß es gelegentlichi, Piëch habe sich neben dem Volkswagenkonzern auch um die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den Jahren von 1938 bis 1945 verdient gemacht. Stimmt das – oder stimmt das Gegenteil?

Sollte es die IG Metall in Wolfsburg nicht besser wissen? Dann wäre es eine unglaubliche Geschichtsvergessenheit. Oder weiß die IG Metall, dass diese Einordnung von Piëch das glatte Gegenteil dessen ist, was er tatsächlich gemacht hat? Dann wäre es eine unverantwortliche Geschichtsverdrehung. Im von mir verfassten ersten Nachruf für die junge weltii steht das Gegenteil. Jedenfalls strickt die IG Metall ohne Not daran, die Legende eines „genialen Technikers“ zu konstruieren, die ebenso falsch schon bei seinem Nazi Opa Ferdinand Porsche war. Oder macht die IG Metall das gar nicht ohne Not, weil die Enkel- und Urenkelgeneration gleich Ferdinand Piëch keinerlei Kritik am Urvater und am Familienclan dulden?

Worum geht es?

Das Volkswagenwerk wurde im Auftrage der Nazis und mit geklautem Gewerkschaftsvermögen unter der Aufsicht von Opa Ferdinand Porsche und Papa Anton Piëch von tausenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus allen europäischen Ländern aufgebaut, bevor dort wieder hauptsächlich durch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausschließlich Autos für die SS und Rüstungsgüter für den Weltenbrand produziert wurden. SS-Oberführer Porsche hatte KZ-Häftlinge für die Fabrik bei der SS bestellt, bekommen, eingesetzt und mit deutscher Gründlichkeit den „Personaleinsatz“ täglich protokolliert und die SS dafür bezahlt. Die meisten überlebten dieses Märtyrium nicht, unter anderem wurden mehrere hundert Kinder, teils Säuglinge, buchstäblich zu Tode gequält.

Bis Mitte der 1980er Jahre wies Volkswagen jede Verantwortung für diese Kriegsverbrechen weit von sich – man sei zur Stunde Null am 11. April 1945 wie Phönix aus der Asche auferstanden und habe mit der bösen Geschichte nichts zu tun. Die meisten, die die Hölle im Porsche-Reich überlebt hatten, waren inzwischen gestorben – eine „biologische Lösung“ ganz im Sinne von Volkswagen.

Mitte der 1980er Jahre wurde der Druck von außen sowohl aus der deutschen Zivilgesellschaft, aus den Gewerkschaften und dem Betriebsrat wie aus dem Ausland so groß, das Volkswagen um eine Neupositionierung nicht herumkam. Um möglichst viel Zeit zu schinden, wurde erst einmal eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag gegeben: „Volkswagen und seine Arbeiter im Dritten Reich“ bei dem Historiker Hans Mommsen. Der brauchte mit seinem Team 10 Jahre bis 1996, um zu dem Ergebnis zu kommen, Volkswagen habe zwar schuld auf sich geladen, eine individuelle Entschädigung sei aber nicht möglich – ganz im Sinne der Konzernherren (Hans Mommsen / Manfred Grieger; Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten reich; Econ-Verlag, Düsseldorf 1996)

Weder die Zivilgesellschaft noch die Verbände der Zwangsarbeiter und Hinterbliebenen fanden sich damit ab. Ein nächster Krimi begann, in dem Enkel Ferdinand Piëch ins Spiel kommt: Er war 1992 als Vorstandsvorsitzender inthronisiert worden.

 

Piëch verweigerte das Gespräch mit den ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und deren Anwälten

Der Anwalt der jüdischen Häftlinge wandte sich an Piëch als Vorstandsvorsitzenden der VW AG und erhielt – keine Antwort. Piëch weigerte sich strikt, dem Mann auch nur schriftlich zu antworten, geschweige denn dass er ihn persönlich empfangen hätte. Dieses Drama zog sich mehrere Monate hin, in das die Staatskanzlei des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder sich einschaltete – auch weil das Land Niedersachsen noch einen erheblichen Anteil der Aktien des einst, 1945 „herrenlosen“ Unternehmens hielt. Kein geringerer als der damalige Leiter der Staatskanzlei, der heutige Herr Bundespräsident Dr. F.-W. Steinmeier, wollte die überlebenden Häftlinge auf einen Entschädigungsfond der Bundesrepublik Deutschland vertrösten (Faksimile Brief von Steinmeier). Die überlebenden Zwangsarbeiter und ihr Anwalt gaben nicht auf, boten Gespräche und selbst ein opulentes Essen mit „freier Wahl der Waffen“ (Lamm oder Kalb, Bordeaux oder Burgund) an und drohten schließlich, als alles nichts half, mit Gerichtsverfahren. Der Kommunikationschef von Volkswagen Prof. Dr. Klaus Kocks, der Piëch nach einigen Ausfällen zur Seite gestellt worden war, musste glätten und hinhalten und selbst plumpe Bestechungsversuche wieder gerade rücken. Keine Ahnung, ob ihm das unangenehm war. Kurz vor Schluss bot er dem Anwalt der überlebenden Häftlinge ein Auto und einiges andere an, was dieser aber dankend ablehnte (Faksimile Fax von Kocks).

Erst als der Anwalt ultimativ damit drohte, den VW-Konzern auf Entschädigungszahlungen für die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Israel und den USA zu verklagen, lenkte der Konzern ein.

20 Millionen DM wurden bereitgestellt, in den großen Zeitungen aller europäischen Länder erschienen Anzeigen, mit denen ehemalige Zwangsarbeiter aufgefordert wurde, sich zu melden. Einigermaßen unbürokratisch wurden diesen dann jeweils 5.000 DM überwiesen. Aber wieder waren viele in den zurückliegenden Monaten hochbetagt gestorben. Und: Das Geld wurde vom Volkswagen-Konzern bezahlt; keineswegs aus den Profiten, die der Porsche-Piëch-Clan in den Jahren des Krieges und danach als Großaktionär eingestrichen hatte. Das Milliardenvermögen, das zu einem guten Teil aus der Versklavung von KZ-Häftlingen und der Zwangsarbeit tausender verschleppter Frauen und Männer aller europäischen Länder stammt, blieb unangetastet. Inzwischen gehört dem Familienclan mehr als die Hälfte des Weltkonzerns, Blackrock ist beteiligt und der Staatsfond des Terrorstaates Katar.

Von Ferdinand Piëch, dem Enkel von SS-Oberführer und Kriegsverbrecher Ferdinand Porsche, kein Wort der Entschuldigung. Ganz im Gegenteil: In seiner Biografie schreibt er u.a.: „Natürlich bin ich stolz auf meinen Großvater. Und als ich die eminente Rolle des Konstrukteurs begriff, hat mir die ganze Geschichte bloß imponiert und mich nicht eine Sekunde lang belastet, warum auch? … Die Vorstellung einer höchstkarätigen inneren Mannschaft von fünf bis zehn Leuten, deren Zusammenspiel wiederum nur ein Einzelner im Detail lenkt, hat mich mein Leben lang nicht losgelassen.“

Zur Erinnerung und zum Vergleich der Größenordnung: Im gleichen Jahr 1998, als VW 20 Millionen DM für die Entschädigung der Zwangsarbeiter freigab, erzielte das Unternehmen einen Gewinn nach Steuern von 2,3 Milliarden DM. Weniger als 2% des Jahresgewinns wurden – steuermindernd – für die tausenden Zwangsarbeiter bereitgestellt. Diese Zahlung war, wie alle Zahlungen der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, an Rechtssicherheit gebunden; Rechtssicherheit nicht für die Opfer, sondern für die Profiteure der Zwangsarbeit. Volkswagen spricht in diesem Zusammenhang auch von „friedensstiftenden Investitionen in Israel“, 1 weil 1998 am Toten Meer unter Beteiligung von Piëch, Schröder und dem israelischem Premierminister Yitzhak Rabin eine Magnesiumfabrik für Volkswagen errichtet wurde. Selbst Piëch bemüht in seiner Biografie diesen Vorgang, die Wahrheit dehnend zur Legitimation: „Wir haben als eine der ersten Firmen historische Forschung veranlasst, selbständig und freiwillig Initiativen ergriffen, haben humanitäre Projekte in Heimatländern der ehemaligen Zwangsarbeiter gestartet, unterhalten die größte Gemeinschaftsunternehmung mit Israel und haben auch – lange vor der Effektivität einer Gemeinschaftsverpflichtung der deutschen Wirtschaft – direkte Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter geleistet.“2 Im Dezember 2008 wurde das Joint Venture zur Magnesiumherstellung von VW einseitig und gegen israelischen Protest aufgekündigt.

Wie kommt die IG Metall – und mit ihr der große Rest der bürgerlichen Öffentlichkeit – dazu, Piëch von der Schuld für diese verweigerte Verantwortungsübernahme freizusprechen? Offensichtlich soll hinter dem angeblichen „Schöpfer des weltgrößten Autokonzerns“ wie bei seinem Nazi-Oper die Legende vom „genialen Techniker“ aufgebaut werden. Die Benennung einer repräsentativen Straße in Wolfsburg in Ferdinand-Piëch-Straße wird schon vorbereitet. Nicht nur der Milliarden schwere Familienclan freut sich darüber.

 

1 VW Presseerklärung vom 11.9.1998

2 Piëch; Auto.Biographie; Pieper, München 2004; S. 25

http://www.ossietzky.net/buecher&textfile=2213

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