Vor dem x-ten Autogipfel: Mit Atomstrom in die Elektromobilität? Skizze für einen Ausstieg aus dem Automobilismus – Arbeit und Mobilität 2030!
Heute (24.6.2019) findet der nächste „Autogipfel“ im Kanzleramt statt. Aus dem Bundeskanzleramt verlautet dazu: „Thematische Schwerpunkte des informellen fachlichen Austausches sind künftige technologische Herausforderungen für die Automobilindustrie in Deutschland, deren Wettbewerbsfähigkeit sowie die Auswirkungen des Wandels auf Arbeitswelt und Beschäftigung im Automobilsektor.“ An dem Gespräch nehmen neben der Kanzlerin mehrere Ministerinnen und Minister, die Spitzen von Union und SPD sowie Vertreterinnen und Vertreter von Automobilbranche und Gewerkschaft teil; Umweltverbände und Verkehrsinitiativen sucht man bei dieser „Konzertierten Aktion Mobilität“ allerdings vergeblich.
Die Autokonzerne haben die Bundesregierung mit dem schleppenden Ausbau der Elektromobilität mehr als düpiert: Das Ziel, im Jahr 2020 die erste Million E-Autos auf der Straße zu haben, wird grandios verfehlt. Das ist der Hintergrund für die Forderung der Konzerne nach Milliarden-Subventionen für den Ausbau von Ladeinfrastruktur, für die Subventionierung von Strom für die Batteriezellenfertigung und den Abbau von „Hemmnissen im Bau-, Wohneigentums- und Mietrecht“, einer Änderung des Personenbeförderungsgesetzes sowie höhere Preise (Steuern) für Diesel und Benzin als Beitrag der Autofahrer zwecks Durchsetzung von Elektroautos.
Damit werden die Dimensionen der Mobilitätswende angesprochen im Sinne der Sicherung der Profite der Autokonzerne. „Sieben bis 10,5 Millionen E-Mobile stellen BMW, Daimler und VW bis 2030 in Aussicht: wenn der Staat massiv in Ladesäulen investiert und Kaufprämien für Elektroautos auslobt“ (Handelsblatt 24.6.2019).
Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sekundiert: „Es muss endlich entschieden werden, wie wir bei wichtigen Themen wie dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos oder bei der Batteriezellfertigung in Deutschland vorankommen. Das Zielbild ist: Jedes E-Auto kann künftig in wenigen Minuten an jeder Tankstelle aufgeladen werden. Das erfordert Investitionen in die Stromnetze“ – nicht bedenkend, dass die Autoindustrie Milliarden-Profite realisiert, dass die erforderliche Menge an Strom überhaupt nicht zur Verfügung steht. Der VW-Chef Diess hat konsequent die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken gefordert.
Skizze für einen Ausstieg aus dem Automobilismus
Mit der dringend notwendigen Mobilitätswende zur Erreichung der Klimaziele hat all das gar nichts zu tun. Es bliebe bei Millionen privaten PKW‘s und SUV‘s, die Straßen und Städte verstopfen, es bliebe bei der Dominanz der Autoindustrie und bei der Vernichtung von hunderttausenden von Arbeitsplätzen wegen der unterlassenen Mobilitätswende. Beim „Autogipfel“ wird nicht über Tempolimit gesprochen, eben sowenig über bessere Bedingungen für Schienen,- Fuß- und Radverkehr. Wenn die Mobilitätswende gelingen soll, braucht es einen Ausstiegs- bzw. Umstiegsplan ähnlich dem Plan für den Kohleausstieg: Zeitablauf und Kosten für den Auf- und Ausbau alternativer Industrien, Dienstleistungen und also von Arbeitsplätzen zur Umsetzung gesellschaftlicher Entwicklung und sozialer Sicherheit.
In der Auto- und Zulieferindustrie gibt es zur Zeit ca. 800.000 Beschäftigte mit sinkender Tendenz; alle Hersteller haben Absatzproblemen, planen Personalabbau und Werkschließungen.
Die Autoindustrie wie wir sie kennen befindet sich in mörderischer Konkurrenz, in der verzweifelten Suche nach Fusionsmöglichkeiten und neuen Geschäftsfeldern, jedenfalls im Niedergang. Aktuelle Beispiele sind die Übernahme von Opel durch PSA, die Kooperationsprojekte von Daimler und BMW, von Volkswagen und Ford und die weitergehenden Pläne von Fiat/Chrysler und Renault/Nissan.
Betroffene Regionen in unserem Land sind vor allem: Stuttgart, Wolfsburg, München, Bremen, Leipzig, Zwickau, Salzgitter, Emden, Kassel, Ingolstadt, Neckarsulm, Rüsselsheim, Köln und Eisenach.
Arbeit und Mobilität 2030!
Die Arbeitsplatzbilanz für die nächsten 10 Jahre könnte wie folgt aussehen (die Veränderung der Exportquote bzw. der Auslandsproduktion ist dabei noch nicht berücksichtigt):
- Durch Umstellung auf E-Mobilität fallen ca. 100.000 Arbeitsplätze weg
- Durch Reduzierung von Kapazitäten/Überkapazitäten fallen ca. 150.000 Arbeitsplätze weg,
- Dieser „Verlust“ wird durch die demografische Entwicklung (ca. 200.000 Arbeitsplätze in 10 Jahren) fast vollständig kompensiert (das Durchschnittsalter der Beschäftigten in der Automobilindustrie beträgt ca. 45 Jahre),
- durch Arbeitszeitverkürzung in der Branche auf 30 Stunden müssen ca. 100.000 Menschen zusätzlich beschäftigt werden.
- Neue und andere Arbeitsplätze brauchen wir dann für junge Leute, die ins Berufsleben eintreten.
Saldo: Minus 50.000 Arbeitsplätze
Mögliche und dringende neue Arbeitsplätze:
- Schienenproduktion plus 10.000 Beschäftigte in den Stahlwerken (Salzgitter, Eisenhüttenstadt, Bremen, Osnabrück, Duisburg, Dillingen, Unterwellenborn)
- Schienenfahrzeugbau, Waggon- und Triebwagenproduktion plus 100.000 Beschäftigte (Görlitz, Bautzen, Henningsdorf, Sazgitter, Kassel, Mannheim, Siegen, Stendal
- Nahverkehrsbetriebe und Bahnbetriebe plus 30.000 Beschäftigte (Fahrer*innen, Instandhalter*innen, Stellwerker*innen)
- Gesundheit, Kranken- und Altenpflege plus 150.000 Beschäftigte
- Bildung plus 20.000 Beschäftigte,
- Landespflege/Umweltschutz plus 20.000 Beschäftigte
Saldo plus 310.000 Beschäftigte
Durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung (z.B. durchschnittlich 30 Stunden pro Woche) wird ein großer Teil des übrigen Arbeitsvolumen aufgefangen bzw. im Interesse der Beschäftigten und der gesamten Gesellschaft wird alle Arbeit (auch Care-Arbeit und ein guter Teil der bisher ehrenamtlichen Arbeit) fair verteilt, Überlastung und daraus resultierende Krankheiten und gesellschaftliche Kosten werden vermieden.
Die Notwendigkeit der Qualifizierung / Umprofilierung / Weiterbildung ist offensichtlich, das braucht Zeit und Ressourcen; Lokführer*innen-Ausbildung dauert ca. ein Jahr, Straßenbahnfahrer*in ca. ein halbes Jahr, eine vorherige Berufsausbildung vorausgesetzt. Das gleiche trifft auf Ingenieurinnen zu, die vom Automobilwerk in den Schienenfahrzeugbau wechseln oder auf Produktionsarbeiter, die Altenpfleger oder Erzieher werden. Materiell sind die sozialen Berufe massiv aufzuwerten.
Zeitliche Schritte müssen gegangen werden – vom gesellschaftlich getragenen Konsens über die Reduzierung des Autobaues und Schrumpfung der Autokonzerne hin zum Schienenfahrzeugbau, von der Gesetzgebung über die Qualifizierung bis hin zur Einsatzplanung. In einem Zeitraum von 10 Jahren sollte das zu machen sein: Projekt Arbeit und Mobilität 2030!
Bei diesen Überlegungen handelt es sich um eine Makro-Sicht. Die Mikro-Sicht muss durch regionale Mobilitätsräte erfolgen, in denen Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherinitiativen, Gewerkschaften, Wissenschaft, Politik und Industrie zusammen wirken. In einigen Bundesländern wurden bereits „Strategiedialoge“ zur Zukunft der Autoindustrie etabliert – aber immer nur ähnlich der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“, also mit Gewerkschaften am Katzentisch von Industrie und Politik – ohne Bürgerinnenbeteiligung, ohne die Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherinitiativen. Das muss ausgebaut und ausgeweitet werden. Es ist zweifellos möglich, diesen Umbau zu stemmen. Die Umstellung von Friedensproduktion auf Kriegsproduktion und retour ist ein Beleg dafür, aber auch viele kleinere Veränderungen in den zurückliegenden Jahrzehnten. So wurden, nur als Beispiel, Lackierer*innen zu Online- und Offline-Anlagenführer*innen ausgebildet bei der Umstellung auf gänzlich neue Technologie in den Lackierereien der Automobilfabriken; eine Entwicklung, die die Unternehmensleitung eigentlich ablehnte und nicht wollte.
Es geht also um eine demokratische, soziale und ökologische Transformation der Mobilität, um eine Transformation der Produkte und der Produktionsverhältnisse, um einen Ausstieg aus der renditegetriebenen Konkurrenz. Es geht um die Reduzierung von Mobilitätszwängen, um Stadt- und Raumplanung, um den Abbau bzw. die Umleitung von Subventionen in den ÖPNV sowie in den Fuß- und Radverkehr und um eine Arbeitszeitverkürzung für alle.
„Die Notwendigkeit der Qualifizierung / Umprofilierung / Weiterbildung ist offensichtlich, das braucht Zeit und Ressourcen; Lokführer*innen-Ausbildung dauert ca. ein Jahr, Straßenbahnfahrer*in ca. ein halbes Jahr, eine vorherige Berufsausbildung vorausgesetzt. Das gleiche trifft auf Ingenieurinnen zu, die vom Automobilwerk in den Schienenfahrzeugbau wechseln oder auf Produktionsarbeiter, die Altenpfleger oder Erzieher werden. Materiell sind die sozialen Berufe massiv aufzuwerten.“
Bei VW verdient der Malocher am Bans mit Zulagen und Boni bei 31,5 Wochenstunden knapp 72.000 Eur im Jahr. Wer will da Busse oder Bahnen fahren, die sowieso demnächst vollautonom unterwegs sein werden. Und mit pflegebedürftigen Menschen wollen auch die wenigsten zu tun haben. Ich jedenfalls nicht, deswegen bin ich Ingenieur und arbeite in der IT.