Experten gegen Experten? Experten gegen Lobbyisten!

Autoindustrie in der Offensive? Unterstützung einiger Lungenärzte, Protest zehntausender Schülerinnen und Schüler!

Nach jahrelangem Betrug geht die Autoindustrie jetzt in die Offensive, will die in der EU gültigen und von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geforderten Grenzwerte für Luftschadstoffe gar abschaffen bzw. erhöhen und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit und von öffentlichen Zuwendungen bestrafen. Volkswagen, BMW und Daimler wollen aus dem jahrzehntelangen Abgasbetrug noch Kapital schlagen. Oberlobbyist Verkehrsminister Scheuer freut sich „über die Versachlichung der Debatte“: „Wir brauchen eine ganzheitliche Sichtweise“, sagte er am Donnerstag (24.1.) im ARD-Morgenmagazin. „Wenn über 100 Wissenschaftler sich zusammenschließen, ist das schon einmal ein Signal.“ Ähnlich dümmlich bezeichnete er die Idee der von der Bundesregierung berufenen Kommission „Zukunft der Mobilität“, Geschwindigkeitsbegrenzungen von 130 km/h auf den Autobahnen einzuführen als „Gängelung“ und als „gegen jeden Menschenverstand gerichtet.“

SPIEGEL-Online berichtet über das Positionspapier von 100 Lungenärzten, die die geltenden Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub kritisierten – und die Debatte um Fahrverbote und Tempolimits mit ihren Stichworten entfachten: „Wer den Blick auf die vier Initiatoren dieses Dokuments lenkt, stutzt aber: Einer von ihnen ist ein bekannter Motorenentwickler … der Karlsruher Ingenieurwissenschaftler Thomas Koch, ein bekannter Entwickler von Dieselmotoren. … Koch war zehn Jahre lang für den Autokonzern Daimler tätig und verantwortete dort unter anderem die Vorentwicklung für die Einspritzung von Verbrennungsmotoren. … Der Ko-Autor Matthias Klingner ist ebenfalls Diplomingenieur und derzeit Institutsleiter des Fraunhofer Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme. Der vierte Autor Martin Hetzel ist Pneumologe und Ärztlicher Direktor eines Krankenhauses vom Roten Kreuz in Stuttgart“ (SPON, 25.1.2019). Das Positionspapier, das an alle 4.000 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Pneunmologie (DGP) versandt wurde, fand nur 112 Unterzeichner, darunter 105 Lungenärzte, die anderen sind Ingenieure, Physiker oder Rechtsmediziner.

Das Forum der Internationalen Lungengesellschaften (FIRS) wendet sich jetzt gegen die Erklärung von 100 deutschen Lungenärzten, die die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide angezweifelt hatten. Den Standards sei nachdrücklich zuzustimmen, erklären die Pneumologen aus aller Welt (SZ, 28.1.2019). 15 international führende Lungenärzte, die mit ihren Verbänden mehr als 70.000 Mitglieder vertreten, haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen ein in dieser Woche veröffentlichtes Positionspapier gewandt, in dem eine Herabsenkung der Grenzwerte gefordert worden war. Darin heißt es: „Das Forum der Internationalen Lungengesellschaften stimmt den nationalen deutschen Standards, den europäischen Standards und denen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu und widerspricht damit der Gruppe der deutschen Lungenfachärzte, die sich für eine Aufweichung der Grenzwerte ausgesprochen hatten. Nach Angaben der WHO ist die Schadstoffbelastung der Luft für 4,2 Millionen jährliche Todesfälle verantwortlich.“

Auch der deutsche Verband der Lungenfachärzte DGP wendet sich gegen die Lobbyarbeit einiger Fachkollegen und erklärt, dass die Einwände der 106 Pneumologen – aus einer Befragung von über 4000 Mitgliedern der DGP – keineswegs die Meinung der Mehrheit der deutschen Lungenärzte repräsentierten (Focus, 28.1.2019).

„Fridays for Future“ – „Freitage für die Zukunft“: Unter diesem Motto protestieren seit Dezember in ganz Deutschland zehntausende Schülerinnen und Schüler für wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel. Inspiriert hat sie dazu die 16-jährige schwedische Schülerin Greta Thunberg. Sie spricht vor internationalen Experten wie etwa auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Und während die Kinder und Jugendlichen für ihre Zukunft demonstrieren, debattieren Politiker und Lobbyisten über eine Aufweichung der Schadstoffe, die Gesundheit der Menschen und das Klima auf der Erde irreversibel schädigen. In München, Berlin und vielen anderen Städten gehen Schülerinnen und Schüler auf die Straße, um für den Klimaschutz zu demonstrieren und fragen: „Warum sollen wir für eine Zukunft lernen, die wir nicht haben? Warum in die Schule gehen, wenn die Welt untergeht?“ Streiken bildet: Manchen von ihnen drohen Sanktionen, andere wurden vom Unterricht freigestellt.

Wer macht – außer Scheuer – Lobbyarbeit für die Autoindustrie?

Die CDU will der Deutschen Umwelthilfe DUH, die die Einhaltung der Grenzwerte vor Gerichten meist erfolgreich einklagt, die Gemeinnützigkeit entziehen und den Geldhahn zudrehen.

Die AfD mobilisiert zur Demo „für den deutschen Diesel“ und ihr Förderer Elsässer opfert rum: „ … in Stuttgart gingen am vergangenen Wochenende mindestens 1.500 in gelben Westen gegen das dortige Dieselfahrverbot auf die Straße. Das Establishment war aufgeschreckt – und griff sofort nach den üblichen Instrumenten. Die Demonstration sollte sich gefälligst gegen Rechts abgrenzen. An diesem Wochenende drohte sogar eine feindliche Übernahme durch die IG Metall.“ Damit meinte er, dass die IG Metall den Rechtsradikalen und deren sozialer Demagogie entgegentritt: „Die Zuspitzung Umweltschutz versus soziale Fragen ist der größte Unfug. Es ist nicht verwunderlich, dass nun auch Populisten versuchen, das Thema der Kollegen von Porsche, Bosch und Daimler zu kapern und die Demo am Neckartor als ihre Erfindung zu verkaufen.“ (PE IGM Stuttgart, 24.1.2019). Anlässlich der aktuellen Proteste gegen Fahrverbote werfen die IG Metall in Stuttgart und in Baden-Württemberg der Politik Untätigkeit vor. Die teils bizarren Fahrverbote von einigen hundert Metern in einer Straße oder von Innenstädten ohne Schaffung von Alternativen mit dem ÖPNV sind tatsächlich kontraproduktiv: „Zusätzlich angeheizt werden sie von Ablehnungsbescheiden der Stadt Stuttgart gegenüber Beschäftigten, die sich um Ausnahmeregelungen bemühen: Wer mehr als 1130 Euro netto bekommt, für den sei es zumutbar, sich ein neues Auto zu kaufen, begründet die Stadt mit Verweis auf das Landesverkehrsministerium. Dass so etwas die Menschen auf die Palme bringt, ist doch logisch,“ moniert Nadine Boguslawski, Geschäftsführerin der IG Metall Stuttgart.

Der Rettungsversuch der Lobbyisten für die Autoindustrie wird wohl ehr zum Gegenteil führen: Die Menschen sind kritischer, die Politiker sind immer unglaubwürdiger. Der Anschein der Normalität, der Glaube, so weiter machen zu können wie bisher, kann nicht mehr aufrecht erhalten bleiben.

Mehr als 100 Lungenärzte haben den Stickstoff-Grenzwert des Bundes angezweifelt. Wie aussagekräftig ist das? https://www.lobbycontrol.de/ hat recherchiert, der WDR berichtet

https://twitter.com/i/status/1088850306488827908

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