Autoindustrie – Die Krise ist unübersehbar!

Massenhaft Personalabbau bei Tesla, VW und Ford! Versagen von Managern und Industriepolitik! Schock für die Arbeiterinnen und Arbeiter? Das Geschäftsmodell von Musk/ Tesla: Billiger statt besser. Etappensieg für die IG Metall bei der Betriebsratswahl: Das Zehn-Punkte-Programm – ein Angebot für die Arbeiterinnen und Arbeiter in Grünheide.

Das Handelsblatt berichtet vom „Schock“ für die gesamte Autoindustrie: „Tesla, der größte und erfolgreichste Hersteller von Elektroautos der Welt, entlässt mehr als zehn Prozent der Belegschaft. Weil die Verkäufe zuletzt deutlich schlechter liefen als erwartet, verlieren so Tausende ihren Job – auch in Deutschland.“ In Grünheide seien rund 3000 der 12.500 Arbeiterinnen und Arbeiter betroffen. Ebenso geht es bei VW um massenhaften Personalabbau und bei Ford gar um die Verlagerung einer ganzen Fabrik in Saarlouis.

Diese Nachricht kam, nachdem ich einen Text für den Express 4.24 https://express-afp.info/express-4-2024-erschienen geschrieben hatte (siehe unten). Tatsächlich hat sich die Lage mit der Ankündigung von Massenentlassungen wegen des Absatzeinruchs bei Tesla nochmals verändert: Die Krise der Autoindustrie ist nun unübersehbar und für alle offensichtlich, denn nicht nur bei Tesla ist der Absatz eingebrochen, sondern auch bei den Massenherstellern in Deutschland. Aber was ist der Charakter der Krise, welche Dynamik entwickelt sie und welche Rolle spielt Tesla dabei?
Die Alternativen sind konkret formuliert https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/spurwechsel/: Konversion der Autoindustrie hin zur Schienenfahrzeugproduktion, zur Produktion von smarten Bussen und Fahrrädern – das ist industriepolitische geboten und die letzte Chance für gute Arbeit für die über 700.000 Beschäftigten der Auto- und Zulieferindustrie.

Zunächst aber nur zum Ergebnis der Betriebsratswahl bei Tesla in Grünheide:

Ein Etappensieg für die IG Metall – das Dilemma bleibt.

Schneller, weiter, höher, besser und billiger – so die großspurige Ankündigung von Elon Musk bei der Eröffnung der „Gigafactory“ in Grünheide. Entzückt rollen Bundes- und Landesregierung den roten Teppich für Tesla aus, bilden eine „Task force“ und räumen jedes Hindernis aus dem Weg, bevor es überhaupt in Sichtweite des großen Zampano kommt. Eine Million Autos pro Jahr, jedes in nur zehn Stunden gebaut – so die unüberhörbare Ansage. Das gleicht einer Kriegserklärung an die deutschen Autohersteller, vor allem Volkswagen. Den daraus resultierenden Druck geben diese unmittelbar an ihre Beschäftigten weiter. Auch VW wollte eine Giga-Fabrik für ein neues Auto bauen (Trinity-Projekt), die Bauzeit pro Fahrzeug liegt aber gut doppelt so hoch wie die angekündigten zehn Stunden von Tesla. Deshalb gibt es jetzt ein massives Sparprogramm, verbunden mit dem Abbau tausender Stellen bei VW. Eigentlich braucht es keine neue Autofabrik – weder in Grünheide noch in Wolfsburg. Eigentlich braucht es weniger Produktion von Autos – sowohl gemessen am Markt wie auch an der Umwelt- und Klimaverträglichkeit. Es geht also nur um mörderische Konkurrenz und optimale Verwertungsbedingungen für das Autokapital.

Billiger statt besser

Nach drei Jahren nun der Realitätscheck: In Grünheide arbeiten inzwischen etwas mehr als 12.000 Personen und im Jahr 2023 wurden etwa 200.000 Autos gebaut. Bei VW in Emden arbeiten weniger als 8.000 Arbeiter:innen und es wurden etwa gleich viele Fahrzeuge produziert. Besser als in der übrigen Autoindustrie ist bei Tesla nichts, billiger aber durchaus: Nach wie vor weigert sich das Unternehmen weltweit, Tarifverträge abzuschließen. Für Leiharbeit oder für Leute, die unter Bedingungen eines Werkvertrages malochen müssen, gibt es einen Stundenlohn von etwa 17 Euro – 60 Prozent weniger als einfache Tätigkeiten in der Produktion von VW und 20 Prozent weniger, als Arbeiter:innen in der Kontraktlogistik bei Daimler verdienen.

Die Betriebsratswahl im März 2024 hat eine Vorgeschichte: Die erste Wahl war 2022, bevor die Produktion anlief und als große Teile der Belegschaft (damals weniger als 2.500 Beschäftigte) wegen zu kurzer Betriebszugehörigkeit nur ein eingeschränktes Wahlrecht hatten. Dennoch und trotz massiver Unterstützung von Unternehmens- und Werkleitung erreichte die dem Management nahestehende Liste „GigaVoice“ nur die Hälfte der Beschäftigten. „Nach zuverlässigen Informationen von teslamag.de wurden bei der Wahl insgesamt knapp 1.900 Stimmen abgegeben, was einer Wahlbeteiligung von 75 Prozent entspricht. Mit rund der Hälfte davon und den meisten Sitzen deutlich gewonnen hat die Liste GigaVoice, der mehrere Beschäftigte höherer Ränge in der Tesla-Fabrik angehören“ (teslamag.de, 2. März 2022). Der Eigensinn der Arbeiter:innen wurde schon dort sichtbar. Zwei Jahre später arbeiten gut 12.000 Personen in der Fabrik in Grünheide. Die IG Metall tritt unter schwierigen Bedingungen erstmals mit einer gewerkschaftlichen Liste und mit 106 Kandidat:innen an, wird von insgesamt neun Listen mit fast 40 Prozent aus dem Stand heraus die stärkste Liste und gewinnt 16 der 39 Betriebsratsmandate. Wahrscheinlich ein Musk-Bot hat auf Glückwünsche an die IG Metall geantwortet: „Der Großteil hat gegen die igm gestimmt deshalb haben die nur 16 sitze und 23 gehen an tesla Listen…. da die nur 16 Plätze haben und immer überstimmt werden können.“

Das Programm der IG Metall

Das Zehn-Punkte-Programm, mit dem die IG Metall zur Betriebsratswahl antrat, macht die Aufgabe und die Unterschiede zu den etablierten Autofabriken in Deutschland sichtbar:

  1. Der Betriebsrat muss auf der Seite der Belegschaft stehen – ohne Wenn und Aber.
  2. Produktion geht menschlicher: längere Taktzeiten, angemessene Bandpausen, Schluss mit der Unterbesetzung.
  3. Ihre Freizeit gehört den Beschäftigten: mindestens 20 Tage frei verfügbarer Urlaub, planbare Wochenenden.
  4. Leihbeschäftigte übernehmen: Leiharbeit heißt ständige Unsicherheit. Die Kolleginnen und Kollegen müssen übernommen werden. Erst recht, wenn überall Schichten unterbesetzt sind.
  5. Gesundheitsschutz statt Druck auf die Kranken: Kein Lohnentzug mehr bei Krankheit. Besserer Gesundheitsschutz an allen Arbeitsplätzen.
  6. Schluss mit Seilschaften – gleiche Chancen für alle: Fähigkeit und Leistung und nicht Beziehungen müssen darüber entscheiden, wer befördert wird. Führungskräfte müssen qualifiziert werden, damit Teams besser funktionieren.
  7. Safety first – nichts ist wichtiger als die Sicherheit der Kolleginnen und Kollegen: Für „Tesla-Speed“ wird zu oft beim Unfallschutz gespart. Das muss sich ändern.
  8. Keine Diskriminierung: Gleiche Chancen für alle in der Gigafactory unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, Behinderung oder sexueller Orientierung.
  9. Meinungsfreiheit statt Druck: Kritik und Verbesserungsvorschläge müssen ernst genommen und dürfen nicht unterdrückt werden.
  10. Tarifvertrag: Höhere Entgelte, kürzere Arbeitszeiten, mehr Urlaub: All das soll rechtssicher in einem Tarifvertrag zwischen der IG Metall und Tesla geklärt werden.

Wahlkampf im System Musk

Wie schon bei der ersten Betriebsratswahl vor zwei Jahren kritisierte die IG Metall den erneut frühen Wahlzeitpunkt und den unnötig hohen Zeitdruck. Wenige Tage vor der Betriebsratswahl brannte ein Strommast in der Region, wovon auch das Werk in Grünheide tangiert war. Elon Musk nutzte die Gelegenheit und reiste nach Grünheide, sprach unter dem Jubel seiner Claqueure, warnte vor Tarifverträgen – und vor einer „externen Instanz, deren Interessen vielleicht nicht mit denen von Tesla übereinstimmen“. Bekannt wurde, dass Führungskräfte aktiv gegen die IG Metall Stimmung machten. Im Werk sind Buttons mit der Aufschrift „Giga Ja – Gewerkschaft nein“ verteilt worden. Die „Tesla-Listen“ haben solch nette Namen wie „Giga-United“ oder „Giga für alle“. Die bisherige Betriebsratsvorsitzende hat auf offener Bühne gegen die IG Metall gewettert und für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit plädiert: Es gebe viele Mitarbeiter:innen, die bereit seien, auch 50 oder 60 Stunden zu arbeiten. Zahlreiche Beschäftigte haben von ihren Vorgesetzten unmissverständliche Ansagen bekommen, welche Listen sie wählen sollen. Vielen Leiharbeiter:innen wurde mit Jobverlust gedroht, sollte die IG Metall-Liste gewinnen. Die Wahlkampffinanzierung war mehr als intransparent. Schließlich wurden mehrfach die Bänder angehalten, um eine Union Busting-Präsentation zu zeigen. Die IG Metall hielt mit einer Aufklärungskampagne in fünf Sprachen dagegen.

Die IG Metall hatte im Vorfeld eine Informations- und Organizingkampagne gestartet, Mitglieder geworben und viele Gespräche vor dem Werkstor geführt. Dabei hatte sie, den Nerv der Arbeiter:innen treffend, die Arbeitsbedingungen und die Unfallhäufigkeit kritisiert. „Die aktuellen Produktionsbedingungen sind unzumutbar“, so eine Betriebsratskandidatin. „Und deshalb brauchen wir längere Taktzeiten. Wir brauchen angemessene Bandpausen. Und zusätzlich muss die Unterbesetzung aufhören.“1

Die Produktion stand in den Wochen vor der Wahl wiederholt still – auch als Folge der Beschädigung des Strommasts. Dadurch waren Produktionsbeschäftigte selten im Werk, was besonders den Wahlkampf der IG Metall behinderte.

Etappensieg und Dilemma der IG Metall:

Wie schwierig die Bedingungen waren, berichtet ein Kollege aus der Unterstützergruppe: „Elon Musk und sein Management haben einen unglaublichen Druck auf Führungskräfte, Beschäftigte und am allermeisten auf IG Metall-Aktive und -Betriebsratskandidatinnen und -kandidaten ausgeübt. Eine faire Wahl ist etwas anderes. Es gehört sehr viel Mut dazu, in diesem Klima trotzdem mit der IG Metall Arbeitnehmerrechte einzufordern. Selbst die, die wissen, wie brachial die Unternehmensleitung versucht hat, die IG Metall ins Abseits zu drängen, hätten dieses Ergebnis kaum erwartet: Die IG Metall-Liste hat die größte Unterstützung aus der Belegschaft bekommen. Unsere Kolleginnen und Kollegen bei Tesla lassen sich nicht unterkriegen.“

Die IG Metall weiß um die miesen Arbeits- und Entgeltbedingungen und um die objektive Funktion von Tesla in Grünheide. Bezirksleiter Dirk Schulze bekräftigt pflichtgemäß: „Die IG Metall ist die Gewerkschaft aller Beschäftigten in der Autoindustrie in Deutschland. Für uns ist völlig selbstverständlich, dass wir den Aufbau und auch den Ausbau des Werkes in Grünheide befürworten. Wir sind für ein Tesla in Grünheide, das den Beschäftigten die in der Branche üblichen guten Arbeitsbedingungen bietet. Für dieses Ziel arbeiten die aktiven IG Metallerinnen und Metaller im Werk mit unglaublicher Leidenschaft und Standhaftigkeit. Die gesamte Organisation unterstützt sie dabei und steht hinter ihnen, damit sie den Gegenwind aushalten können, der ihnen von oben entgegenweht.“2

Basis für die Umsetzung dieser großen Herausforderungen ist das Ergebnis der Betriebsratswahl: Zwar wurde die IG Metall stärkste Fraktion, sie erhielt aber keine Mehrheit der Mandate im Betriebsrat. Die Blockade durch die vom Unternehmen gepushten gelben Listen ist zu befürchten.

Bei der Konstituierung des Betriebsrates am 4. April wurde die bisherige Vorsitzende Michaela Schmitz wiedergewählt. Sie kandidierte für die Liste „Giga United“, die gut 300 Stimmen weniger bekam als die Liste der IG Metall und sich zum großen Teil aus Projektmanager:innen und Teamleiter:innen zusammensetzte. Die IG Metall hatte laut RBB keine eigene Kandidat:in gegen die Tesla-Listen für die Wahl zum Betriebsratsvorsitz nominiert.

Es bleibt schwierig

Der RBB berichtet über eine Schweigeverpflichtung (Non disclosure agreement, NDA), die die Arbeiter:*innen unterschreiben müssen: „An anderer Stelle definiert der Arbeitsvertrag, was Mitarbeiter tun sollen, wenn staatliche Behörden wie Gerichte oder Polizei sie zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen verpflichten. So was müsse der Angestellte Tesla ‚“soweit rechtlich zulässig“‘ sofort mitteilen, damit das Unternehmen ‚“rechtliche Maßnahmen zur Unterbindung der Offenlegung einleiten kann‘“. Außerdem müsse der Mitarbeiter ‚“die Unterlagen bis zu einer etwaigen Entscheidung zurückhalten‘“, wenn Tesla ihn dazu auffordert. Weiter heißt es: ‚“In jedem Fall muss der/die Mitarbeiter:*in alle vernünftigen Schritte unternehmen, um die Offenlegung der Informationen im größtmöglichen Umfang zu verhindern oder zu beschränken.‘“3

Tesla hat in Grünheide bisher nicht die Hälfte seines Produktionsziels erreicht, gerade sind die Absatzzahlen sogar rückläufig, minus 20 Prozent im ersten Quartal 2024 gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal. Schummelt Tesla gar bei den Produktionszahlen? – fragt Auto, Motor und Sport und bezieht sich auf geleakte interne Protokolle. Auf allen drei relevanten Märkten (Nordamerika, China und EU plus Norwegen) sinkt der Absatz und der Marktanteil für Tesla. Der ausbleibende Erfolg selbst in China, wo ein Großteil der Autos in Shanghai vom Band läuft, hängt mit den vergleichsweise hohen Preisen zusammen. Der preiswerteste Tesla kostet derzeit rund 45.000 Euro. Dennoch soll das Werk in Grünheide vergrößert werden und eine Million Autos produzieren. Während die Regierung weiter auf Tesla setzt, statt industriepolitisch richtige Schwerpunkte zu setzen und den Schienenfahrzeugbau in Hennigsdorf, Brandenburg oder Cottbus zu fördern, statt die Insolvenz des letzten Herstellers von Güterwagen in Deutschland, des Waggonbau Niesky, zu verhindern, wenden sich die Menschen gegen die Giga-Gaga-Factory und stimmen in einer Bürger:innen-Befragung mehrheitlich gegen den weiteren Ausbau der Fabrik.

1 https://www.igmetall.de/im-betrieb/betriebsrat/betriebsratswahl-bei-tesla

2 Ebd.

3 https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/wirtschaft/tesla/2023/02/tesla-gruenheide-arbeitsvertrag-klauseln-daten-personen-melden.html

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