Auseinandersetzen, um zusammen zu kommen!

Zoff zwischen der IG Metall und der Verkehrswendeinitiative in Wolfsburg: Erfolgreich sind wir, wenn wir zusammenhalten!

Die Krise der Autoindustrie, insbesondere die Krise von Volkswagen, ist unübersehbar. Das ist in erster Linie eine Krise der Beschäftigung und der Beschäftigten. Über 60.000 Arbeitsplätze wurden laut statistischem Bundesamt in den Jahren 2018 bis 2022 in der Autozulieferindustrie verlagert oder vernichtet. Volkswagen hat den Abbau von 15.000 Arbeitsplätzen angekündigt, Ford schließt die Fabrik in Saarlouis und von ehemals 60.000 Beschäftigen bei Opel sind noch knapp 13.000 übrig geblieben. Die Autofabriken sind massiv unterausgelastet. Dienst- und Geschäftsfahrzeuge tragen den Absatz. 80 Prozent werden mit Verbrennermotoren ausgeliefert. Der CO2-Ausstoß sinkt nicht. Der weitere Aspekt ist die Klimakatastrophe, die kein „weiter so“ erlaubt. Kolleginnen und Kollegen, die dieses Jahr ihren Urlaub in Italien, Griechenland oder Slowenien verbracht haben und wegen Waldbränden oder Überschwemmungen Hals über Kopf evakuiert werden mussten, konnten sich schon mal als Klimaflüchtlinge fühlen. Der Verkehrssektor hat bisher keinen positiven Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen geleistet, die Bundesregierung hat die Sektorziele gestrichen.

Druck für die sozial-ökologische Transformation!

In dieser Situation kommt es darauf an, die Kräfte für eine sozial-ökologische Transformation zu bündeln: Gewerkschaften, Klima- und Verkehrswendebewegung, Umwelt- und Sozialverbände haben eine gemeinsame Verantwortung aus ihrem Selbstverständnis und ihrer Programmatik heraus. Dafür gab und gibt es gute Ansätze, wie zum Beispiel die gemeinsame Erklärung von IG Metall und Fridays for Future. Klimaschutz und der Einsatz für gute und sichere Arbeitsplätze sind kein Widerspruch – im Gegenteil. Der notwendige ökologische Umbau der Wirtschaft und der Kampf gegen die Klimakatastrophe werden nur dann gelingen, wenn Ökologie und Ökonomie konsequent zusammen gedacht werden. Zum Klimaaktionstag 2019 hat die IG Metall unter anderem folgendes erklärt: Die IG Metall teilt das Ziel von Fridays for Future, die drohende Klimakatastrophe abzuwenden und hält einen raschen und grundlegenden ökologischen Umbau unseres Wirtschaftens für dringend notwendig. Um Druck für eine soziale, ökologische und demokratische Transformation zu machen, braucht es breite Mehrheiten in der Zivilgesellschaft. Die IG Metall begrüßt es daher, wenn ihre Mitglieder sich am Klimaaktionstag am 20. September beteiligen und Flagge zeigen für einen Wandel, der Klimaschutz, sichere Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit verbindet.1

Eine umfangreiche gemeinsame Position von Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden sowie der evangelischen Kirche beschreibt den Prozess der Transformation sehr ausführlich und detailliert: Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können.2 Die grundsätzliche Verständigung ist schon da, jetzt muss auch Verantwortung dafür übernommen werden, dass aus den Worten konkretes Handeln wird, damit die Erde bewohnbar bleibt.

Stopp für neue Autofabrik

Jüngst schrieb die Wolfsburger Zeitung (WAZ, 15.8.2023): Wer als Aktivist wirklich etwas erreichen will, braucht Verständnis und Akzeptanz. Das drohen die „Klimaaktivisten“ der „Amsel 44″ in Wolfsburg gerade komplett zu verspielen. Ursprünglich sind sie angetreten, um das Trinity-Werk in Warmenau zu verhindern – was sie allem Anschein nach erreicht haben. Diesen Protest hat sich die Verkehrswendeinitiative vor Gericht erstreiten müssen, weil Volkswagen, die Stadt und die Polizei ihn eigentlich unterbinden bzw. verbieten wollten. Während Volkswagen, das Land Niedersachsen, die Stadt Wolfsburg und der Betriebsrat die Entscheidung für eine neue Fabrik als unabänderlich und als großen Erfolg darstellten, kritisierte die Initiative diese Planung als Schritt in die falsche Richtung. Diese Kritik war berechtigt, weil mit einer weiteren Fabrik auch weitere Überkapazitäten für eine nicht nachhaltige Produktion geschaffen würden. Die Kritik war berechtigt, weil zwei Milliarden Euro dafür ausgegeben werden sollten, statt dieses Geld in wirkliche Zukunftsprojekte, in den sozial-ökologischen Umbau zu investieren, wie er von der IG Metall ja auch gefordert wird.

Protest kam auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern: „VW hat uns über die tatsächlichen Emissionswerte ihrer Dieselmotoren belogen und lügt weiter, wenn sie behaupten, dass sie bis 2050 klimaneutral sein werden. VW verlässt sich auf CO2-Kompensationsprogramme, deren Wirksamkeit höchst zweifelhaft ist. VW muss mit dem Greenwashing aufhören und die Lobbyarbeit einstellen, die dringende Klimaschutzmaßnahmen verzögert“, sagte Dr. Gianluca Grimalda, Sozialpsychologe am Institut für Weltwirtschaft in Kiel anlässlich eines Protestes der Scientists for Future im Oktober 2022 in Wolfsburg.

VW zu Trinity und Lieferantenpark, der Aufsichtsrat hatte im November 2022 bereits 2 Milliarden Euro für das Projekt genehmigt: „Zentrale Pfeiler dieses Zukunftsprogramms (ist) der Bau der neuen Fabrik in Wolfsburg-Warmenau. (Hier) entsteht das neue Volkswagen-Werk für die Mittelklasse-Limousine Trinity. In der Fabrik in Warmenau können innovative Umwelt- und Fertigungskonzepte realisiert werden, die aufgrund der räumlichen Gegebenheiten auf dem bisherigen Werksgelände so nicht umsetzbar sind. … wird die Fabrik in Warmenau zum Meilenstein für die Zukunft des Produktionsstandortes Wolfsburg und zur Blaupause für nachhaltige Fertigung in Wolfsburg und im globalen Produktionsnetzwerk.“ Ministerpräsident, Oberbürgermeister und Betriebsratsvorsitzende loben das Projekt. Ministerpräsident Weil: „Die Entscheidung von Volkswagen, einen hoch modernen Fertigungsstandort von umweltfreundlichen, digitalisierten Elektrofahrzeugen in Wolfsburg zu errichten, ist ein klares Bekenntnis zum Industriestandort Niedersachsen. Der Reigen enorm erfolgreicher VW-Fahrzeuge vom Käfer über den Golf wird jetzt mit Trinity fortgesetzt – ein niedersächsischer Hattrick!“ OB Weilmann: „Das Thema Trinity ist für die Stadtentwicklung eine ganz maßgebliche Entscheidung. Wolfsburg wird durch Trinity verbessert und erweitert. Wir sind überzeugt und haben vollstes Vertrauen in die Führung von Volkswagen, dass bei allen und immer möglichen Planungen zusammen mit dem Betriebsrat die bestmöglichen Entscheidungen für den Standort Wolfsburg getroffen werden.“ Die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo: „Die heutige Entscheidung bedeutet eine historische Weichenstellung für Wolfsburg. Die Wurzel unseres Unternehmens bleibt das Kraftzentrum des Konzerns und gewinnt weiter an Bedeutung.“3

Die scheinbar unumstößlichen Argumente für den Bau einer neuen Fabrik, für das Trinity-Projekt, waren urplötzlich nicht mehr relevant. Volkswagen kippte den Beschluss zum Bau des neuen Werkes ohne Konsultation derjenigen, die vorher schon gejubelt hatten. Der Betriebsrat, die Landesregierung und die Stadt waren vorgeführt worden und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Der Fraktionssprecher der SPD im Wolfsburger Stadtrat sah die Absage an die neue Fabrik als Rückschlag, für den Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen war es gar „deprimierend, dass für den Standort Wolfsburg eine zukunftsweisende Fabrik mit ebensolcher Technologie ad acta gelegt worden sei.“ Für die Verkehrswendeinitiative war es, wie die Zeitung geschrieben hat, ein kleiner erster Erfolg.

Nach dem Aus für Trinity wäre Zeit gewesen zum Nachdenken über grundsätzliche Veränderungen, über eine wirkliche Verkehrswende und den Anteil von Volkswagen daran.

Nun fordert die Verkehrswendeinitiative die IG Metall zu öffentlichen Gesprächen bzw. Veranstaltungen über die wesentlichen Themen auf: demokratische Beteiligung der Beschäftigten am Transformationsprozess hin zu alternativen Mobilitätsprodukten und die Vergesellschaftung der Autoindustrie. An zwei Tagen haben die Aktivist*innen die IG Metall besucht, bei der IG Metall demonstriert, ein Transparent am Gewerkschaftshaus angebracht mit einem Auszug aus § 2 der Satzung der Gewerkschaft: Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum.

Die Verkehrswendeinitiative veröffentlicht auf ihrer Seite eine Ankündigung: Aktuell überfallen Aktivist*innen mit turbultenten Aktionen das Wolfsburger IGM-Hauptquartier und fordern die Gewerkschaft auf, endlich eine aktive Position in der Debatte um eine Transformation der Autoindustrie einzunehmen und nicht nur als Spielball der Konzerninteressen zu fungieren. Die IG Metall müsse sich endlich für grundlegende Veränderungen im VW-Konzern einsetzen. Besonders wichtig sei dabei, jetzt schnell eine Machbarkeitsstudie zum Straßenbahnbau in den VW-Werkshallen zu starten. Den ganz unpassenden und bald korrigierten Begriff des Überfalls griffen die Vertreter der Gewerkschaft auf, um von einer „Erstürmung des Gewerkschaftshauses“ zu sprechen und ihrerseits eine Ende aller Gespräche anzukündigen: „Fake-Internetseiten1, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Ultimaten und ein Drohszenario gegenüber unseren Beschäftigten – all das entzieht einem Auftakt zum Austausch die Grundlage.“ Anschließend wird durch die Sprecher der IG Metall ein ebenso unpassender Vergleich zur Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch die Schlägertrupps der Nazis am 2. Mai 1933 gezogen. Völlig daneben ist dieser Verglich, weil damit 1933 das endgültige Verbot von Gewerkschaften eingeleitet wurde, weil Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Vernichtungslagern der Nazis gefoltert und getötet wurden.

Die Stärke der IG Metall

So wenig wie von einem Überfall geredet werden kann, so wenig kann von Hausfriedensbruch die Rede sein, solange der Hausherr den Besuch nicht als solchen interpretiert. Die IG Metall ist darin geübt, mit Arbeitgebern zu verhandeln, die gar nicht verhandeln wollen und bei denen es keinerlei Grund für Vertrauen gibt, solange ein Tarifvertrag nicht unterzeichnet ist. Und selbst dann stellen Arbeitgeber diese Tarifverträge immer wieder in Frage. Die IG Metall ist gezwungen, mit Arbeitgebern zu verhandeln, denen Gesetze, Regeln und Tarifverträge schnuppe sind, wenn es um Profit geht – wie am gigantischen Abgasbetrug, zahlreichen Korruptionsfällen und Compliance-Verstößen, der exzessiven Nutzung von Leiharbeit und jetzt wieder am Deal zur Rohstoffsicherung mit fragwürdigen Unternehmen und fragwürdigen Personen sichtbar ist.

Mit 80.000 Mitgliedern ist die IG Metall in Wolfsburg die mitgliederstärkste Geschäftsstelle in Deutschland. In allen Betrieben gibt es hohe gewerkschaftliche Organisationsgrade und aktive Betriebsräte. In der Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern konnten beachtliche Erfolge erkämpft werden: betriebliche Mitbestimmung, gute Arbeits- und Entgeltbedingungen, bei Volkswagen der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen seit inzwischen 30 Jahren. Darauf kann die Gewerkschaft und können die Mitglieder der Gewerkschaft wirklich mit Stolz verweisen. Aus dieser Stärke heraus hat die Wolfsburger IG Metall die Kraft, mit der Kritik und den Aktionen der Verkehrswendeinitiative souveräner umzugehen, als das in den genannten Erklärungen und im Vorwurf des Hausfriedensbruches zum Ausdruck kommt.

Die Forderung nach dem Umbau der Produktion bei Volkswagen ist nicht weltfremd, wie die Beispiele Ford in Saarlouis oder Conti in Gifhorn zeigen: dort sollen demnächst Wärmepumpen statt Bremssysteme hergestellt werden. Die Forderung nach Vergesellschaftung ist in Wolfsburg deshalb von Bedeutung, weil das Volkswagenwerk mit von den Nazis geraubtem Gewerkschaftsvermögen aufgebaut und in den 1960er und 1980er Jahren gegen den lauten Protest von Gewerkschaft und Betriebsrat weitgehend privatisiert wurde. Wenn die Krise sich so weiterentwickelt, kommt vielleicht bald der Tag, an dem der Porsche-Piëch-Clan sich keine Profite mehr verspricht und, so wie Opel in Bochum oder Ford in Saarlouis, das Werk dichtmachen will. Learning from Detroit – so der prophetische Titel einer Ausstellung vor 10 Jahren im Wolfsburger Kunstverein.

Auch die Aktionsformen der Verkehrswendeinitiative sind nicht das Problem, das Problem ist die durch das Unternehmen und die Bundesregierung, das Verkehrsministerium verweigerte sozial-ökologische Transformation. Allein der Antriebswechsel ist keine Transformation im erforderlichen Sinn. Wenn die Klimakatastrophe nicht gebremst wird, werden uns globale Konflikte und soziale Auseinandersetzungen ganz anderen Umfanges erwarten. Und wie oft steht die Gewerkschaft in der Kritik, wenn ihre Kämpfe und Streiks als Störung der öffentlichen Ruhe diffamiert werden.

Worauf es wirklich ankommt, ist eine Verbreiterung des Protestes in der Zivilgesellschaft und eine inhaltliche Vertiefung angesichts der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen, demokratischen und politischen Verwerfungen, die eine verweigerte Transformation mit sich bringt. Daran sollten wir, wie das in der Vereinbarung von Gewerkschaften mit den Umwelt- und Sozialverbänden erklärt wurde, gemeinsam arbeiten: Das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen.

Bilder / Fotos aus dem Prospekt der Ausstellung im Kunstverein im August 2013

1https://www.igmetall.de/download/20190826_20190826_Erkl_rung_FFF_Demo_20_09__GfVM_final_ea1179dd0c1173bf313a45b4b88e27c9ffa3cb5f.pdf

2https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/verkehr/210428-broschuere-sozialvertraegliche-mobilitaetswende.pdf

3 https://www.trinity-werk.info/de, https://www.volkswagen-newsroom.com/de

4https://unser-werk.igmetall-wob.org/

4 Gedanken zu „Auseinandersetzen, um zusammen zu kommen!“

  1. Danke Stephan für den wunderbaren Artikel, die vielen Hinweise und Informationen, die so wichtig sind und bei vielen in Vergessenheit geraten. Danke auch für die sachliche Einordnung von Protestformen in der durch die Verweigerung der Führungskräfte zugespitzten Krisenlage.

  2. Stephan hat schon auf den völlig unpassenden Vergleich der Aktionen der Verkehrswendeaktivist*innen mit dem Naziterror gegen die Gewerkschaften hingewiesen. Ich habe dazu folgenden Leserbrief an die Wolfsburger Nachrichten geschickt (bisher leider noch nicht abgedruckt):

    Leserbrief zum Artikel „VW und der Kampf mit den Verkehrswende-Guerillas“ vom 16.8.
    Für Klarheit in den Köpfen
    Am 1. Mai 1933 beteiligte sich der ADGB (Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund) begeistert an den von den Nazis propagandistisch organisierten 1.Mai-Aufmärschen und – Feierlichkeiten. Am 2. Mai besetzten die Nazis widerstandslos die Gewerkschaftshäuser und entmachteten den ADGB. Sie begannen sofort eine blutige Verfolgung der noch widerständigen Gewerkschafter:innen.
    „Amsel44“ will im Gegensatz dazu nicht die Handlungsfähigkeit der IG Metall bremsen oder gar ausschalten, sondern will sie zu mehr Aktivität heraus fordern. Damit vergessen sie nicht den 2.Mai 1933, sondern ziehen Lehren daraus: 8 Millionen Organisierte hätten durch einen Generalstreik möglicherweise den Faschismus verhindern können.
    Bezüglich der Begriffswahl „Aktivist*innen überfallen das Gewerkschaftshaus…“ ist zu sagen: Sie haben auf ihrem blog inzwischen dieses Wort in „…besuchen…“ verändert und bedauern die falsche Begriffswahl.
    M. Hartung, VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten)

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