VW Aktionärsversammlung: Eine anachronistische Show

Der Boulevard beschreit das Chaos – dieses mal sei die Aktionärsversammlung von Volkswagen im Chaos untergegangen. Weit weg von der Realität. Über den wesentlichen Inhalt informiert diese Presse nicht:

Woher und wohin mit den Gewinnen? Was macht die Klimabewegung, was sagt die CDU – und was hat das mit dem gigantischen Abgasbetrug zu tun?

Am 10. Mai fand in Berlin die Aktionärsversammlung von Volkswagen statt. Das Geschäft lief glänzend, der Umsatz stieg auf 279 Milliarden Euro, die Aktionäre haben für die gut 500 Millionen Aktien eine Dividendenerhöhung auf 8,70 beschlossen. 4.500.000.000 Euro, 4,5 Milliarden, werden an sie ausgeschüttet. Der Nettogewinn lag bei ca. 15 Milliarden Euro, die Gewinnrücklagen stiegen auf 137 Milliarden Euro. Die Beschäftigungsbilanz bei der VW AG hingegen ist negativ: Minus 1.000 Arbeitsplätze, hauptsächlich in der Produktion im Werk Wolfsburg.

Und das „Wunder“, bei weniger Auslieferungen (8,2 Millionen Fahrzeuge, minus 7 %) einen höheren Umsatz (279 Milliarden €, plus 11 %), einen höheren Profit (15,8 Milliarden € nach Steuern, plus 2,6 %) und ein Umsatzrendite von 8 Prozent einzufahren. Für 2023 ist die Produktion von 9,5 Millionen Konzernfahrzeugen geplant, davon 10 Prozent Elektroautos.

Die Gewinne resultieren aus der Arbeit hunderttausender Menschen aller Standorte von Volkswagen, Audi, Bentley, Ducati, MAN, MOIA, Porsche, Scania, Seat und Skoda auf allen Kontinenten sowie hunderten Tochterfirmen, Banken und Immobiliengesellschaften. Auch die VfL-Wolfsburg-Fußball-GmbH ist eine 100 Prozent VW-Tochter – ob als Zuschussbetrieb, lässt nicht feststellen, da das Unternehmen auf die Veröffentlichung des Jahresabschlusses „verzichtet“. Die ausgeschütteten Gewinne von 4,5 Milliarden Euro fließen zum großen Teil an den Porsche-Piëch-Clan als Hauptaktionär (ca.1,3 Milliarden €) und den Terrorstaat Katar (ca. 260 Mio. €).

Der Vorstandsvorsitzende Blume erklärte, dass das Unternehmen wegen „exzellenter Rahmenbedingungen“ verstärkt in den USA investiert und dort in gewerkschaftsfeindlichen Südstaaten Tennessee und North Carolin mehr große, schwere Fahrzeuge produzieren wird und sagt im gleichen Atemzug: „Bei Volkswagen betrachten wir Nachhaltigkeit ganzheitlich – ökologisch, wirtschaftlich und sozial.“

Der Aufsichtsratsvorsitzende Pötsch erklärte, dass und warum die Bezüge für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder „weiterentwickelt“ werden. Die 7,4 Mio. für den Vorstandsvorsitzenden (Olli Blume), die 6,8 Mio. für den Personalvorstand (Gunnar Kilian) und die 1,8 Mio. für den Aufsichtsratsvorsitzenden selbst reichen wohl nicht aus – deren Peer-Group verdient angeblich mehr.

Die Begleitmusik zu dieser Festveranstaltung für die Großaktionäre von Volkswagen spielen die Verkehrswendeinitiative aus Wolfsburg, die „letzte Generation“, der Dachverband der krtischen Aktionär*innen und natürlich die CDU, der Abgasbetrug und der Prozess, bei dem jetzt, nach acht Jahren, Geständnisse des ehemaligen Audi-Chefs Rupert Stadler erwartet werden.

Dem Vertreter des Porsche-Piëch-Clans, Wolfgang Porsche, sollte zu seinem 80. Geburtstag eine Torte aus dem Publikum überreicht werden. Die überreichlich vertretene Security verhinderte das knapp.

Eine Menge kritischer Fragen mussten sich Vorstand und Aufsichtsrat stellen: Nach Menschenrechten in China und Brasilien, nach Risiken aus der Konfrontation mit China, nach der völlig fehlenden Verkehrswende. Das führte mehrfach zu lautem Protest in der Halle, der von den dezent gekleideten Männern der Security jedoch bald beendet wurde. Mehr als 10 Personen wurden unter Protest aus der Halle geführt. Das Bündnis verschiedener Gruppen setzt mit ihren Aktionen ein Zeichen gegen die Ausbeutung und Zerstörung, die der Konzern im Namen der Dividende seiner Aktionär*innen weiter vorantreibt. Der Versammlungsleiter Pötsch bat mehrfach um „angemessenes Verhalten“ und verstand einfach nicht, dass diese anachronistische Männerveranstaltung selbst höchst unangemessen war angesichts der sozialen und ökologischen Krisen und der Rolle der Autoindustrie dabei. Ein Aktionärsvertreter sagte angesichts des Schweigens des Vorstandes zu den schon lange bekannten Vorwürfen, „dass wir uns nicht wundern müssen, dass diese Formen des Protestes nun hier geäußert wird.“

Der Vertreter der kritischen Aktionär*innen konfrontierte die Versammlung mit der Weigerung des Konzerns, den Arbeitern, die unter sklavenähnlichen Bedingungen während der Militärdiktatur in Brasilien bei VW arbeiten und leiden mussten, mit 27 Millionen Euro ihren vorenthaltenen Lohn und eine Entschädigung zu bezahlen. Zu seiner eigenen Schande erhöht sich der Vorstand selbst seine Vergütung genau um diese Summe. Manchmal macht die Brutalität der Enteignung von Arbeitern erst mal einfach sprachlos.

Um künftig nicht derart belästigt zu werden, wurde gegen die Stimmen der Kleinaktionäre beschlossen, dass die Aktionärsversammlung künftig auch virtuell abgehalten werden kann.

Die Autostadt wird zur Verkehrswendestadt

Wolfsburgs erstes Klimacamp fand vom 5. bis zum 10. Mai als Verkehrswendecamp statt. Mitten in der Innenstadt wurde ein Ort geschaffen für alle Ideen für eine grundlegende sozial-ökologische Verkehrswende. Von dort wurde der Protest gegen die Dominanz des Autos auf die Straße getragen.

„Am Stammsitz von VW machen wir die Autostadt zur Verkehrswendestadt. Mit Vorträgen, Workshops, Konzerten und kreativen Aktionen wollen wir auf die Notwendigkeit von Veränderung aufmerksam machen und verschiedene Gruppen, VW-Arbeiter*innen, Gewerkschafter*innen, Wissenschaftler*innen, Zivilgesellschaft und Aktivisti*nnen vernetzen.“ Im Programm auch ein Workshop von und mit mir: „Arbeitszeitverkürzung – ein wichtiger Baustein der Transformation. Tausende Arbeitsplätze sind schon verschwunden, viele weitere werden folgen, wenn kollektive Arbeitszeitverkürzung als wichtiger Baustein der Transformation nicht mit erkämpft wird.“

Tobi Rosswog von dieser Initiative ergriff auf der Aktionärsversammlung das Wort und führte dem Vorstand und dem Aufsichtsrat den Anachronismus vor Augen. Während die Erde keine individuelle und umweltschädliche Motorisierung wie bisher vertragen kann, weigert sich das Unternehmen, in den öffentlichen Verkehr zu investieren. Dabei wäre das leicht möglich, wie das Beispiel des Aufbaues einer Batteriefertigung in Salzgitter zeigt: „Viele Beschäftigte haben in kurzer Zeit neue Fähigkeiten erworben und sind jetzt Batterie-Profis“, sagt der Manager für die VW-Batteriefertigung in Salzgitter. Die Beschäfitgen bei VW können alles, was für den Bau von Bussen oder Straßenbahnen notwendig ist: Blech verbiegen, Motoren bauen, Karossen schweißen, Fahrzeuge lackieren und das Interieur bauen und montieren.

Mitten in Wolfsburg eine Botschaft vom Verkehrswendecamp auch an die Beschäftigten von Volkswagen: „Wer künftig Straßenbahnen baut, keine Arbeitsplätze klaut – tut etwas, das allen nützt, die Umwelt und das Klima schützt.“

Geht das eigentlich, in einer Autofabrik Straßenbahnen bauen?

Der öffentliche Verkehr ändert sich gerade, da wären innovative Ideen sehr willkommen. Und Busse werden benötigt, gerne elektrische. VW wollte gerade eine neue Autofabrik bauen. Der unsinnige Plan wurde rechtzeitig wieder abgeblasen. Nun werden Batteriefabriken gebaut mit massiven staatlichen Subventionen. Alle paar Jahre werden Fabriken für Modellwechsel umgebaut. Warum sollten da nicht auch smarte Verkehrsmittel für den öffentlichen Verkehr reinpassen? Es ist alles nur eine Frage der Prioritäten und des politischen Willens. Wie sagte der VW_Manger in Salzgitter:„Die Umbauarbeiten sind im vollen Gange und ich bin beeindruckt von der Geschwindigkeit. Viele Beschäftigte haben in kürzester Zeit ganz neue Fähigkeiten erworben und sind jetzt Batterie-Profis.“ Nigeria bekommt demnächst 12.000 elektrische Busse geliefert – aus China. Dieser Markt entwickelt sich rasant, aber an der deutschen Autoindustrie vorbei, weil die lieber am alten Geschäftsmodell festhalten und große, schwere SUV‘s bauen will, mit denen noch eine Zeit lang mehr Geld verdient werden kann. Aber das Festhalten am alten Verkehrs- und Produktionssystem gefährdet wirklich Arbeitsplätze und am Ende den Umbau zu einer wirklich nachhaltigen Industrie in unserem Land.

Kritik am Verkehrswendecamp und den Aktivistinnen gab es von der Wolfsburger CDU-Ratsfraktion und der Jungen Union – der VW-Konzern selbst hält sich vornehm zurück. Die Aktiven der Amsel 44, des Freiraumes in Wolfsburg, wo die Aktionen zum Teil geplant werden, seien „für eine radikale Verkehrswende für Wolfsburg und den Volkswagenkonzern und seien bereits durch Veranstaltungen und Aktionen aufgefallen, die sich zum Teil in einer rechtlichen Grauzone“ bewegten, heißt es in einer Pressemitteilung (WAZ, 23.4.2023). Die CDU fordert, dass städtische Infrastrukturen nicht mehr für die „fragwürdigen Veranstaltungen von Amsel 44 zur Verfügung gestellt werden“. Es könne nicht im Sinne der Stadt Wolfsburg sein, dass „städtische Infrastruktur für Aktivitäten von radikalen Gruppierungen“ genutzt werde. Die CDU fordert „eine klare Trennung von Politik und Extremismus“ von der Verwaltung. In dem Sinne hat sich eine städtische Einrichtung, das Bildungshaus, bereits vor einigen Wochen von einem geplanten Veranstaltungszyklus eines breiten Bündnisses zur sozial-ökologischen Transformation des Verkehrssektors verabschiedet. Scheinbar war das nicht nur vorauseilender Gehorsam.

Abgasbetrug: Ex-Audi-Chef verhandelt über Geständnis

Bohrende Fragen gab es bei der Aktionärsversammlung wegen des angekündigten Geständnisses des ehemaligen Audi-Bosses Rupert Stadler: Der erste Strafprozess um den gigantischen Abgasbetrug bei Diesel-Pkw läuft schon zweieinhalb Jahre – jetzt könnte es schnell gehen: Drei Angeklagte haben schon gestanden, der prominenteste wird das in den nächsten Tagen tun. Das Landgericht München hatte ihm bei einem umfassenden Geständnis eine Bewährungsstrafe zwischen eineinhalb und zwei Jahren in Aussicht gestellt. Die Staatsanwaltschaft „könnte damit leben“, sofern Stadler eine Bewährungsauflage in Millionenhöhe zahlt, sagte der Vorsitzende Richter Stefan Weickert. Auch Stadlers Verteidiger äußerten „grundsätzliches Interesse, das Verfahren zum Abschluss zu bringen“.

Nach vorläufiger Einschätzung der Wirtschaftsstrafkammer dürfte Stadler spätestens im Juli 2016 erkannt haben, dass die Abgaswerte von Dieselautos manipuliert gewesen sein könnten. Er hätte der Sache auf den Grund gehen und die Handelspartner informieren müssen. Stattdessen habe er den Verkauf der Autos weiter geduldet und sich damit des Betrugs durch Unterlassen schuldig gemacht. Der spätere Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz legte schon ein Geständnis ab, obwohl die Staatsanwaltschaft die vom Gericht vorgeschlagene Verständigung in seinem Fall ablehnte. Er habe die Ausgestaltung der Software veranlasst, mit der die Stickoxid-Grenzwerte zwar auf dem Prüfstand eingehalten wurden, aber nicht mehr auf der Straße. Er habe die Möglichkeit erkannt und hingenommen, dass unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut wurden, erklärte Hatz in dem von seinem Verteidiger verlesenen Geständnis.Das Gericht hatte für Hatz bei einem umfassenden Geständnis eine Bewährungsstrafe mit Zahlung von 400.000 Euro vorgeschlagen. Hatz‘ Verteidiger stimmten zu, aber die Staatsanwaltschaft forderte eine Haftstrafe ohne Bewährung. Denn Hatz sei in sehr hoher Position für einen beträchtlichen Schaden verantwortlich, und das Geständnis komme sehr spät.

Stadler und Hatz hatten wegen Verdunklungsgefahr mehrere Monate in Untersuchungshaft gesessen und in dem Prozess bislang ihre Unschuld beteuert. Stadler hatte gesagt, seine Techniker hätten ihn hinters Licht geführt. Hatz hatte argumentiert, als die Manipulationen anfingen, habe er Audi schon verlassen gehabt. Der Staatsanwalt begründete die Forderung nach einer Bewährungsauflage in Millionenhöhe für Stadler auch mit dessen Millioneneinkommen als Vorstandschef 2016 und 2017.

Die Justizbehörden der USA hatten sehr viel schneller erkannt, dass es sich um eine Verschwörung gegen die Umwelt und gegen die Umweltgesetze handelt. Volkswagen hat sich des Betrugs, der Verschwörung und Behinderung der Justiz für schuldig erklärt. Das Eingeständnis war Teil eines Deals mit den US-Behörden und hat dem Konzern gute 30 Milliarden Euro an Strafzahlungen, Prozess- und Anwaltskosten sowie Entschädigungen gekostet.

Die Sorge der Aktionäre: Was kommt da alles ans Licht? Werden weitere Vorstandsmitglieder belastet? Ergeben sich daraus neue Ansprüche von betrogenen Kundinnen und Kunden? Was über die 30 Milliarden bisherigen Kosten des Abgasbetruges muss den da eingeplant werden?

Der Porsche-Deal

Bemerkenswert noch ein Deal, der bei der Aktionärsversammlung abgesegnet wurde: Ein Aktienkaufvertrags zwischen der Volkswagen AG und der Porsche Automobil Holding SE über den Verkauf von 25 % und einer Stammaktie an der Porsche AG an die Porsche Automobil Holding SE. Hört sich kompliziert an, ist es auch. Der Einfluss der Hauptaktionäre, des Porsche-Piëch-Clans wurde nochmals vergrößert. 53 Prozent der Stammaktien von Volkswagen gehören dem Familien-Clan. 100 Prozent der Porsche AG gehörten zu VW – das bedeutete, dass der VW-Vorstand über die Strategie der Porsche AG entschied und die Gewinne der Porsche AG in die Bilanz von Volkswagen eingehen. Nunmehr hat der Familienclan mit seiner Porsche Holding SE eine Sperrminorität bei der Porsche AG und erhält zusätzlich zu den Dividenden von Volkswagen auch noch anteilig den Gewinn der Porsche AG.

Das alles wurde so kompliziert, undurchsichtig und verschachtelt gemacht, als der Porsche-Piëch-Clan sich die Mehrheit an Volkswagen ergaunerte. Näher beschrieben habe ich das im Buch über 75 Jahre „Stadt des KdF-Wagen/Wolfsburg“, das noch im Handel erhältlich ist. Volksburg – Wolfswagen, Ossetzky-Verlag. https://www.ossietzky.net/laden/75-jahre-stadt-des-kdf-wagen-wolfsburg-stephan-krull-hg/

Anhang:

Die Rede von Tobi Rosswog von der Verkehrswendeinitiative in Wolfsburg:

Einen wunderschönen guten Tag,
ich heiße Tobi Rosswog und komme gerade aus der Verkehrswendestadt Wolfsburg. Einige von euch mögen sie noch als Autostadt kennen. Allerdings tut sich gerade einiges. Vom 5. bis 10. Mai fand das erste Verkehrswendecamp mitten in der Höhle des Löwen – oder besser: Höhle des Wolfs statt. Das Highlight des Camps ist nun diese Hauptversammlung. Mir ist es eine fantastische Freude, auf der Hauptversammlung der Verkehrswende Group sprechen zu dürfen. Denn VW: Das steht bald nicht mehr für Volkswagen, sondern für Verkehrswende.

Dankbar bin ich für die Ausführungen von Olli (Dr. Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen Group und Porsche), wobei einiges klar gestellt werden muss:

Rational betrachtet, ergibt das Auto keinen Sinn

1. Immer wieder heißt es: Es braucht weniger Emotionen bei der Diskussion rund ums Auto und damit den motorisierten Individualverkehr (MIV). Das fordert Olli immer wieder in der Presse. Und da sind wir beieinander. Genau das wäre wirklich angebracht. Weniger Emotion – mehr Ratio. Denn rational betrachtet, ergibt das Auto gar keinen Sinn.

Einige Zahlen verdeutlichen dies:

8-9 Tote jeden Tag, über 1.000 Verletzte. Wäre ein anderes Verkehrsmittel so dramatisch gefährlich, würde es sofort verboten werden. Aber im Autoland Deutschland mit BMW, Daimler und eben auch VW selbstverständlich nicht. Es gäbe noch deutlich mehr Gründe und es wird klar: Wir haben nichts zu verlieren, sondern richtig viel zu gewinnen.

Des deutschen liebstes Kind ist das Auto

2. Auf der heutigen Versammlung werden witzigerweise höchst emotionale Bilder vermittelt. Wir sehen „Lilly und Mathilda“ in den Werbespots und die Frage ist zu stellen: Sind damit Kinder oder die Autos gemeint. Schnell wird klar: Des Deutschen liebstes Kind ist das Auto. Schauen wir nur auf die Berliner Straßen. Es gibt 0,6 m² eingezäunte Spielplatzfläche pro Kind in Berlin, damit es beim Spielen vor den gefährlichen und tödlichen Autos geschützt wird. Hingegen 12m² sind es, die wir dem Auto zum Parken, Rumstehen erlauben: Oder noch genauer: Im Weg stehen und Platz wegnehmen. Das Auto ist das ineffektivste Verkehrsmittel. Es ist kein Fahrzeug, sondern ein Stehzeug: Von 24 Stunden am Tag bewegt es sich nur eine Stunde und dann sitzen nur durchschnittlich 1,2 Menschen drin. Wie absurd. Rational ist das nicht begründbar.

Auto ist nicht alles

3. Olli, Du sagtest vorhin, dass VW „alle Mobilitätsformen“ abdeckt. Ich sehe davon noch nichts, freue mich aber, dass die Aktionen in Wolfsburg Wirkung zeigen und dazu führen, an Fahrrad, Bahn und Bus zu denken. Diese Mobilitätsformen sind aktuell noch nicht im Portfolio, aber wohl angedacht. Oder Du verwechselst mal wieder das Recht auf Mobilität mit dem Recht auf Autofahren und Führerschein. Aber das Auto ist nicht alles. Es gibt noch so viel mehr. Als wir das Protestcamp gegen die E-Autofabrik nördlich des bereits größten Werks der Welt in Wolfsburg platzierten, war unser Slogan: Wir haben eine Utopie, Straßenbahn statt Trinity. Die Dreifaltigkeit geht weiter: Straßenbahn, Busse und Lastenräder. Busse kann VW schon. Das andere dürfen wir noch gemeinsam lernen.

Verkehrswende statt Antriebswende

4. Dann prognostiziert Olli noch 9,5 Millionen Autos in 2023 auf den Markt zu drängen. Wie absurd. Wir haben doch bereits 48 Millionen zugelassene Autos auf deutschen Straßen. Dies sind deutlich zu viele und radikal zu reduzieren. Und mir ist dabei egal, ob die Autos mit Diesel, Benzin, eFuels, Strom oder Luft und Liebe fahren. E-Autos sind eine Scheinlösung. Wir brauchen eine Verkehrswende und keine Antriebswende. Um nicht falsch verstanden zu werden, sei gesagt: Die paar Autos, die wir dann noch brauchen werden für Feuerwehr, Handwerker*innen oder Krankenwagen, können gerne elektrisch betrieben werden.

Aber aktuell ist noch die Devise: Immer schneller, weiter, höher und angeblich besser? Der BMW Manager Eberhard von Kuenheim hatte es damals schon erkannt: „Es mag zwar zu viele Automobile auf der Welt geben, aber noch zu wenige BMWs“

Riesige Autos, die Freiheit versprechen: Auf Kosten Anderer

5. Aber statt weniger Autos werden immer mehr, größere und teurere Autos auf den Markt gespült. Zu der Nordamerikastrategie mit Scout, die vorgestellt wurde, ist also nichts zu sagen außer die Frage zu stellen: Was soll der Quatsch?

6. Am Ende ist klar, was der Quatsch soll. Denn der einzige Interessenskonflikt, der heute hier vorliegt, ist nicht die alberne Frage, ob Olli VW und Porsche interessenskonfliktfrei leiten kann, sondern vielmehr der unüberwindbare Interessenskonflikt zwischen Kapital und Nachhaltigkeit. Beides geht nicht. Es ist eine Farce, dass heute immer wieder das Wort Nachhaltigkeit in den Mund genommen wird, obwohl allen klar ist, dass es weder sozial noch ökologisch sinnvoll ist. Bereits vor ein paar Tagen – am 04. Mai – gab es den Überlastungstag für Deutschland, der klar markiert, dass wir die ökologischen Grenzen überschreiten und damit über unsere Verhältnisse leben, arbeiten und produzieren. Ein Raubbau an der gesamten Mitwelt und auch an den Menschen, die dafür ausgebeutet werden.

Das Geld im Mittelpunkt – nicht der Mensch

7.) Deswegen ist es alles andere als verständlich, wie Du – lieber Olli – immer wieder mantrenhaft wiederholst, dass doch der Mensch im Mittelpunkt steht. Lügen, die erzählt werden, werden nicht wahrer, nur weil sie oft wiederholt werden. Machen wir es einfach: Das Geld steht im Mittelpunkt und nicht der Mensch. Die Stimme eines Menschen habe ich mitgebracht, der hier im Raum schon auf einem blutverschmierten Geldschein abgedruckt zu sehen war. Es ist Ziki, ein Kind aus dem Kongo, welches unter sklavenähnlichen Bedingungen für die Automobilindustrie ausgebeutet wird: „Ich habe tiefste Traurigkeit in meinem Herzen, wenn ich an diese Menschen denke, die diese Mineralien kaufen. Sie machen so viel Geld damit und verändern nichts.“

Eine Geburtstagstorte für das Geburtstagskind Wolfgang

Ein Screenshot vom Handelsblatt-Titel

Es wird schnell klar: Leben auf Kosten Anderer. Das darf so nicht bleiben. Und deswegen kommen wir zum Geburtstagskind: Lieber Wolfgang, das Handelsblatt und Co titelten bereits: „Geburtstagstorte für Porsche“. Du willst heute wieder in den Aufsichtsrat gewählt werden und hast auch einen Lebenslauf abgegeben. Der bedarf einer wichtigen Ergänzung und Korrektur. Denn wer ist dieser Wolfgang Porsche? Zunächst ist er aktuell der reichste Österreicherer und hat soviel wie die ärmere Hälfte der österreichischen Menschen. Eine Person hat so viel wie 4,5 Millionen Menschen. Wie kann das sein? Denn egal wie hart Du, Wolfgang, gearbeitet haben magst, egal wie effektiv und produktiv Du warst, egal wie wenig Du geschlafen hast, wirst Du niemals so viel schaffen können in 24 Stunden wie 4,5 Millionen Menschen.

Wir stellen fest: Es ist ungerecht. Sehr gut brachte das Bertolt Brecht in einem Vierzeiler auf den Punkt, wenn er sagte:

„Armer Mann und reicher Mann,
standen da und sahn sich an.
Sagte der arme kreidebleich:
Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“

Bertolt Brecht

Wolfgang Porsche – Enkel des Kriegsverbrechers Ferdinand Porsche

Das ist die strukturelle Ungerechtigkeit im Kapitalismus. Anders geht es nicht. Und ganz wichtig ist mir natürlich zu sagen: Das ist nicht Deine Schuld, lieber Wolfgang. Aber das wird sich nun verändern. Es kann nicht sein, dass Du als Familienpatriarch der Familie Porsche-Piech und Hauptaktionär von VW mit 53,3% über die Porsche Holding SE so einflussreich und machtvoll bist. Das kann und wird so nicht weitergehen. Schauen wir ein bisschen in die Vergangenheit. Du wirst heute 80 Jahre und bist 1943 während des zweiten Weltkriegs geboren. Dein Großvater, der angeblich geniale Konstrukteur Ferdinand Porsche wurde 1938 von Adolf Hitler nach Wolfsburg zitiert, um dort eine Vorzeigestadt der Nazis für Auto und Arbeit zu machen. 1938 hieß dieser Ort noch nicht Wolfsburg, sondern Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben und produzierte in den ersten Jahren keine Autos, sondern Rüstungsgerät. Dieser Ferdinand Porsche, Dein Großvater, war nicht der geniale Konstrukteur, sondern ein Profiteur und Kriegsverbrecher, der bei Adolf Hitler 20.000 Zwangsarbeiter*innen bestellte, die sich in der Fabrik zu Tode zu schuften mussten. Als es 1945 nach Kriegsende für Kriegsverbrecher wie Ferdinand Porsche ungemütlich wurde, ging dieser mit gestohlenen Gewerkschaftsgeldern nach Österreich, wo auch heute die Familie noch ihren Sitz hat. Darauf baut dieser Reichtum und diese Macht auf. Und auch das darf und wird so nicht weitergehen.

Wie geht es nun aber weiter?

Wir müssen die soziale und ökologische Frage zusammen denken und gemeinsam für das Gute Leben für Alle kämpfen, damit aus Wolfsburg kein Detroit wird. Denn der Wandel wird kommen: Entweder by design oder by desaster. Entweder indem wir den Karren vor die Wand fahren oder indem wir ihn umlenken . Letzteres ist noch möglich in zwei Schritten:

1.) Konversion: Umbau von VW. Vom Automobilkonzern zum Mobilitätskonzern. Straßenbahnen, Busse und Lastenräder statt Autos. Das ist dann nicht mehr so profitabel. Deswegen ist klar:

2.) Vergesellschaftung: VW für alle. Wir können uns Wolfgang und das Emirat Katar nicht länger leisten.

Und das ist gar nichts revolutionäres oder gar Neues. Jörg (Hofmann) aus dem Aufsichtsrat in Vertretung der IG Metall wird sich an den §2 Absatz 4 der Satzung der IG Metall erinnern, wo es heißt:

„…Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum;“

IG Metall Satzung, §2 Absatz 4

Lasst uns loslegen. Olli bedient sich der Metapher der Renovierung des Hauses. Es sei schon viel passiert. Ich sehe davon nichts und erinnere mich an Erich Mühsam, der mal gesagt hat:

„Warum das Dach flicken, wenn das Fundament morsch ist? Wir brauchen den Komplettumbau“.

Erich Mühsam

Genau das braucht es jetzt. Alles ändern. Gemeinsam. Solidarisch. Kämpferisch. Mit einer Prise Utopie. Und damit ende ich mit Arundhati Roy, die einst so kraftvoll sagen konnte:

„Eine andere Welt ist bereits am Entstehen. An leisen Tagen kann ich sie sogar atmen hören“

Arundhati Roy

Herzlichsten Dank!

https://blog.verkehrswendestadt.de/das-geld-ist-im-mittelpunkt-nicht-der-mensch-impulsrede-auf-der-aktionaerinnenversammlung-von-vw/

4 Gedanken zu „VW Aktionärsversammlung: Eine anachronistische Show“

  1. Vielen Dank für die wichtigen Informationen! Dass die CDU die Klimabewegung kriminalisiert, lässt auf Blindheit schließen angesichts der nachgewiesenen Verbrechen der VW Manager.

  2. Moin.
    Gleichzeitig weht dem Betriebsrat bei VW eine starke Brise entgegen. Der Bundesgerichtshof lieferte mit seinem Urteil vom 10.01.2023 die Steilvorlage für den Konzern die Interessenvertretung weiter anzugreifen.
    Gleichzeitig genehmigen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die neuen Appanagen für den Vorstand (den ehemaligen Geschäftsführer des Betriebsrates, Gunnar, wird es freuen).
    Das ist eher das Gegenteil von mehr Mitbestimmung und Demokratisierung der Wirtschaft, die so notwendig ist, um ein anderes Wirtschaften zu ermöglichen.

    Mit solidarischen Grüssen aus dem Norden.

    1. Zum Urteil des BGH habe ich etwas aufgeschrieben: https://stephankrull.info/2023/05/05/bundesgerichtshof-angriff-auf-die-betriebliche-interessenvertretung/
      Dass das Unternehmen das las einen Frontalangriff auf den Betriebsrat und die Mitbestimmung nutzt, sagt viel über das Ende der Sozialpartnerschaft auch in diesem Konzern. Zu verdanken haben wir das Leuten wie Volkert und Osterloh.
      Was die Vorstandsbezüge betrifft, ist deren Erhöhung natürlich abzulehnen – ich habe tatsächlich keine Information darüber, ob die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zugestimmt oder abgelehnt haben.

  3. Staat und Stadt Wolfsburg haben ihre eigene Art mit Kritik umzugehen: Heute, 25.5., morgens gegen 10.30 Uhr – 3 Polizeiwannen und eine Polizei-Auto vor Amsel44. Ich komme zufällig mit dem Fahrrad vorbei und werde rüde mit der Bemerkung fortgejagt, wenn ich nicht sofort verschwinde, dann bringe man mich zur Polizeiwache. Eben ihre Art, mit Kritik umzugehen und das 85-Jahre.Jubiläum zu feiern.
    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert