Bundesgerichtshof: Angriff auf die betriebliche Interessenvertretung

BGH-Urteil zur Betriebsrätevergütung

Dem Bundesgerichtshof geht die Vergütung von Betriebsräten zu weit. Managergehälter für Betriebsratsmitglieder sind selten und mit konsequenter Interessenvertretung nicht vereinbar! Das Urteil des BGH ist ein Angriff auf die ohnehin geringe betriebliche Mitbestimmung.

Im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) steht, dass Betriebsratsarbeit unentgeltlich und als Ehrenamt erfolgt. Es gibt eine betriebliche Freistellung für die Erledigung dieser zusätzlichen Arbeit, dauerhaft ab einer Belegschaftsgröße von 200 Beschäftigten. Mitglieder des Betriebsrates dürfen von inner- oder außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nicht ausgeschlossen werden. Die Mitglieder des Betriebsrats dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung. Im § 119 ist ein strafbewehrtes Verbot von Benachteiligung oder Begünstigung von Mitgliedern des Betriebsrates festgelegt, welches allerdings nur auf Antrag verfolgt wird.

Nur 40 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland arbeiten in Betrieben mit Betriebsrat, im Osten weniger. Fünf Prozent der Betriebe mit bis zu 50 Beschäftigten haben einen Betriebsrat. Viele Unternehmen geben Geld aus für Anwaltskanzleien, um die Wahl von Betriebsräten zu verhindern. Gelingt es dennoch, einen Betriebsrat durchzusetzen, ist dieser oft dem Mobbing von Eigentümern und Managern ausgesetzt. Die meisten Mitglieder von Betriebsräten sind nicht für diese Arbeit freigestellt, sondern erledigen das neben ihrer Arbeit. Üblich ist, freigestellte Betriebsratsmitglieder nach einem Modell, das vom Bundesarbeitsgericht oft bestätigt wurde, zu vergüten: Es wird eine Gruppe von Beschäftigten herangezogen, die von Ausbildung, Gehalt und Qualifikation mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbar ist. Erhält ein Mitglied dieser Vergleichsgruppe im Laufe der Zeit eine Entgelterhöhung, bekommt das freigestellte Mitglied des Betriebsrats diese auch. Erwirbt ein Betriebsratsmitglied während seiner Tätigkeit im Gremium zusätzliche Qualifikationen, werden diese meist bei der Bezahlung berücksichtigt.

Dieser häufigen Praxis widerspricht der Bundesgerichtshof in seinem Urteil. Vier Managern von Volkswagen, die Zuwendungen von bis zu 700.000 Euro für den Betriebsratsvorsitzenden Osterloh veranlassten, wird Untreue gegenüber dem Unternehmen vorgeworfen. Vor dem Landgericht Braunschweig wurden sie im Herbst 2021 von dem Vorwurf freigesprochen. Diesen Freispruch hat der VI. Senat des BGH (Urteil vom 10.1.2023), überwiegend mit konservativen Richterinnen und Richtern aus Bayern und Baden-Württemberg besetzt, auf Revisionen der Staatsanwaltschaft hin kassiert und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Die Sicht des BGH-Senates wird so zusammengefasst (wobei betont werden muss, dass es um vier von über 200 Betriebsratsmitglieder geht):

„Gegenstand des Urteils (des LG Braunschweig) war die Gewährung von Arbeitsentgelten an freigestellte Betriebsräte in den Jahren 2011 bis 2016, die die Zahlungen an die betriebsverfassungsrechtlich zutreffenden Vergleichsgruppen erheblich überstiegen. Hierdurch entstand der Volkswagen AG ein Schaden von mehr als 4,5 Millionen Euro.“ Ein Sprecher der IG Metall sagt dazu: „Das Urteil des BGH bringt keine Klarheit, sondern vertieft den Spalt zwischen der arbeitsrechtlichen Bewertung und der davon abweichenden strafrechtlichen Bewertung. Für Unternehmen wie für Betriebsräte führt dies zu einer enormen Rechtsunsicherheit.“ Knapp 50 Jahre nach der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes müsse der Gesetzgeber „endlich für Rechtsklarheit sorgen.“1 Der Einsatz im Betriebsrat würde nach BGH-Urteil zur beruflichen Sackgasse, Mitglieder des Betriebsrates könnten sich, anders als andere Beschäftigten im Betrieb, kaum noch weiterentwickeln2.

Es ist klar, dass Betriebsräte verantwortliche und wichtige Aufgaben bei der Vertretung der Interessen der Beschäftigten wahrnehmen. Das ist im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt (§ 80.13) und geht soweit, dass die Betriebsräte die Durchführung von Gesetzen, Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Unfallverhütungsvorschriften zugunsten der Beschäftigten zu überwachen haben. Darin ist der besondere Kündigungsschutz von Mitgliedern des Betriebsrates begründet. Die Erfüllung dieser Aufgaben erfordern Kommunikation in die Belegschaft, Rückendeckung aus der Belegschaft sowie politischen und ökonomischen Sachverstand. Dabei geraten Betriebsräte häufig in Konflikt mit Unternehmen und Managern, die primär Interesse an reibungsloser Produktion und maximaler Rendite haben. Das vielschichtige Problem: Langjährige Betriebsräte, die in Aufsichtsräten von Konzernen sitzen, übernehmen Aufgaben eines Co-Managers, wenn sie sich für die Profite des Betriebes zuständig fühlen4. Das entspricht vielleicht dem schlechten Geist des Betriebsverfassungsgesetz5, keineswegs aber dem Anspruch autonomer gewerkschaftlicher Interessenvertretung, da es viel zu wenig Mitbestimmung und gar keinen Anspruch darauf gibt, die Ideen, Vorschläge oder alternative Konzepte der Beschäftigten umzusetzen6.

Betriebsräte sollten nicht mehr verdienen als die, die sie wählen!

Argumentiert wird oft, Betriebsräte müssten „auf Augenhöhe“ mit den Managern streiten; und Augenhöhe wird mit dem Einkommen gleichgesetzt. Sicher vermittelt Geld auch Macht. Aber hunderttausende Beschäftigte in einem Konzern hinter sich zu wissen, ist mehr Macht: Millionen sind stärker als Millionäre (Willi Bleicher). Diese Macht ist bei Volkswagen nur selten in Erscheinung getreten und viele Betriebsräte berufen sich ungern darauf.

Aufgeploppt ist der Fall, wegen Bernd Osterloh. Jetzt wird in hunderten Unternehmen im ganzen Land unterstellt und untersucht, ob Betriebsratsmitglieder zu üppig bezahlt werden. Davon kann überhaupt keine Rede sein7. Die vorhersehbaren und wohl kalkulierten Wirkungen des Urteils sind große Verunsicherung bei tausenden Betriebsratsmitgliedern, eine Klagewelle vor Arbeitsgerichten und bösartige Artikel mit Überschriften wie „Reich werden im Betriebsrat“8.

Im BetrVG wird der Begriff Arbeitnehmer definiert und klargestellt: „Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf leitende Angestellte“. Mit dem Aufstieg in den oberen Managementkreis endet laut Gesetzes das Betriebsratsmandat. Das wurde bei Osterloh wohl bewusst übersehen. Sofort wurden nach dem BGH-Urteil für 80 freigestellte Betriebsräte im VW-Konzern Lohnkürzungen vorgenommen. Das hat zu Unruhe und in einigen Fällen dazu geführt, dass Betriebsratsmitglieder eine andere Tätigkeit im Unternehmen aufgenommen haben.

Eine Wolfsburger Zeitung9 berichtet über den Fall eines Betriebsratsmitgliedes aus dem Werk Salzgitter. Er sollte von der Entgeltstufe 12 (4.800 € brutto) auf die Entgeltstufe 11 (4.500 € brutto) abgestuft werden, obwohl er zum Zeitpunkt der Mandatsübernahme vor fünf Jahren bereits in der Entgeltstufe 12 eingruppiert war. Ein Unternehmensvertreter erklärte, dass man „nach dem BGH-Urteil strenge Maßstäbe angelegt habe und die Höherstufung wohl schon im Zusammenhang mit der Übernahme des Betriebsratsmandates erfolgt sein könnte“. Der Richter dazu: „Wenn jemand wissen muss, aus welchem Grund eine Höherstufung erfolgte, dann doch wohl das Unternehmen.“ Offen bleibt, warum das Unternehmen derart über das Ziel hinausschießt und solche Unsicherheiten provoziert. Der Richter erklärt weiter, dass die hypothetische Karriere keine Volkswagen-Erfindung sei, sondern neben der Vergleichsgruppe ein gängiger und unumstrittener Weg zur Festlegung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern.

Der Betriebsrat spricht von einem Skandalurteil: Der BGH wische mit seiner Lesart „eine jahrelange Praxis des Bundesarbeitsgerichts beiseite. In der Folge ist damit arbeitsrechtlich erlaubt, was strafrechtlich verboten ist.“ Die LINKE Landesvorsitzende Franziska Junker, selbst Betriebsmitglied im Hafen in Emden: „Betriebsräte kämpfen um gute Arbeitsplätze, und das ist kein Ehrenamt, sondern harte Arbeit. Ohne legitimierte Vergütungsregelungen bleiben Betriebsräte dem Verdacht der persönlichen Bereicherung ausgesetzt. Die Verdächtigungen sind ein unwürdiger Zustand für unsere Betriebsräte.“10 Jörg Hofmann, der Vorsitzende der IG Metall: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das höchste deutsche Gericht im Strafrecht dem höchsten deutschen Gericht im Arbeitsrecht inhaltlich widerspricht.“ Für ihn persönlich sei die Arbeit im Betriebsrat mit Managergehältern nicht vereinbar, betont Hofmann: „Betriebsräte sollten nicht mehr verdienen als die, die sie wählen“.11

Wie lange das Urteil des BGH Bestand haben wird, lässt sich nicht absehen und ist, wie vieles im Arbeitsrecht, von den täglichen Kämpfen und Machtverhältnissen abhängig. Vorläufig führt es zu unzähligen Verfahren vor Arbeitsgerichten, schadet den kleinen Möglichkeiten der betrieblichen Mitbestimmung und beschädigt das Ansehen der Betriebsräte.

Veröffentlicht in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Mai 2023:

1Manager Magazin, 18.2.2023

2Der DGB schlägt schon lange eine Reform des BetrVG vor, darin den Punkt der Vergütung freigestellter Mitglieder des Betriebsrates (§37.4): „Bei der Bemessung des Arbeitsentgeltes und der allgemeinen Zuwendungen sind auch die bei Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen wie auch die auf Dauer wahrgenommenen Aufgaben zu berücksichtigen.“ https://www.dgb.de/themen/++co++21a2fa9a-b4bd-11ec-9da2-001a4a160123

3https://www.gesetze-im-internet.de/betrvg/__80.html „Der Betriebsrat hat darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden“.

4https://www.vsa-verlag.de/detail/artikel/vom-klassenkampf-zum-co-management/ Die Gefahren solcherart „Interessenvertretung“ sind vielfach beschrieben und oft leidvoll erfahren worden. Peter Hartz schreibt in diesem Buch (S. 163): „Das Geheimnis der Mitbestimmung war, dass das dauerhafte >dabeisein> organisiert wurde – ein Mitmach-Marathon von Sitzung zu Sitzung, Fachausschuss zu Fachausschuss und Zustimmung zu Zustimmung prägt das Amt über die jahre“.

5Die im BetrVG geforderte „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ sowie die „Friedenspflicht“ sind Überbleibsel der NS Betriebsgemeinschaftsideologie. Die Gewerkschaften haben auch aus diesem Grund gegen die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes in der jungen Bundesrepublik mobilisiert. Otto Brenner, der damalige Vorsitzende der IG Metall, hat im Zusammenhang mit den Debatten um das BetrVG Anfang der 1950er Jahre auf den „Geist der vorüber geglaubten Zeit“ und den Stellenwert der „spezifisch nationalsozialistischen Ideologie in der Volks- und Betriebsgemeinschaft“ hingewiesen; zitiert nach Frank Deppe in „60 Jahre Betriebsverfassung“, Broschüre zur DGB-Veranstaltung am 14.11.2012 in Hannover

6Gunnar Kilian, Personalvorstand VW Konzern, war vor diesem mit gut 6 Mio. Euro jährlich dotierten Job beim Betriebsrat beschäftigt. Bernd Osterloh wurde vom Betriebsratsvorsitzenden mit einem Dreijahresvertrag zum Personalchef der LKW-Sparte des VW-Konzerns mit 1,6 Mio. Vergütung im Jahr katapultiert. Das alles ist aber Kleingeld im Verhältnis zu den 3,5 Mrd. Euro, die der Porsche-Piëch-Clan im Jahr 2021 an Dividenden aus den Gewinnen des VW-Konzerns gezogen hat.

7Betriebsratsvorsitzende Daniel Cavallo, Bürokauffrau und BWL-Studium, hat nach ihrem Amtsantritt ihre Entlohnung transparent gemacht; Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 29.6.2021.

8https://www.oz-online.de/artikel/1358541/Reich-werden-im-Betriebsrat-ein-Rechtsstreit-der-nicht-nur-VW-betrifft

9Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 14.4.2023

10Ostfriesenzeitung, 13.4.2023

11Manager Magazin, 1.2.2023

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