Verkehrswendebündnis: Ein Schritt voran – und dann?

Das Bündnis vom Kopf auf die Füße stellen!

Im April 2021 fanden sich große Organisationen auf nationaler Ebene zusammen zum Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende1.

Gesellschaftlich gibt es in diesem Zusammenhang drei Prämissen

Mobilität ist Last und Lust, freiwillig oder gezwungener Maßen. Urlaubsreisen, Freunde besuchen oder weite Wege zur Arbeit, zum Einkaufen auf der grünen Wiese. Die Anzahl der täglichen Wege ist im Schnitt der letzten Jahrzehnte gleich (3-4 Wege/Tag), nur die Entfernung und der Zeitaufwand dafür haben sich vervielfacht.

Mobilität verursacht Emissionen – vor allem hat der motorisierte Individualverkehr seit 1990 keinen positiven Beitrag zur Emissionsminderung geleistet. Hinzu kommen neue Probleme durch Rohstoffe (Lithium, Kobalt, seltene Erden) und Wassermangel.

Das Pariser Klimaziel (1,5 Grad) ist Völker- und Menschenrecht; das Bundesverfassungsgericht hat im April 2021 geurteilt, dass in Deutschland zu wenig und zu spät dafür getan wird. Der UN-Generalsekretär Guterres bezeichnet das Nichthandeln von Regierungen als kriminell.1, der Bundesverkehrsminsiter von der FDP verstößt bewußt gegen das Urteil des BVerfG wie gegen den Koalitionsvertrag.

Sozialverträglich und ökologisch – darum geht es bei der Verkehrswende.

Sozialverträglich heißt: Das Recht auf Mobilität für alle (auch in ländlichen Regionen) wird garantiert und die Interessen der Beschäftigten im Mobilitätssektor werden geschützt. Mobilitätssektor schließt ein die Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie, dem Schienenfahrzeugbau, Bus- und Fahrradbau sowie die Beschäftigten bei Bahn und ÖPNV. Große, disruptive Verschiebungen zwischen den Bereichen sind bereits im Gang.

Mobilitätswende heißt: Drastische Reduzierung des MIV (Halbierung, Dekarbonisierung) – hin zum öffentlichen Verkehr mit Bus und Bahn, gerne auch mit Fahrservices (Taxen, CarSharing etc.pp).

Eine Antriebswende ist keine Mobilitätswende – alle Probleme bleiben (Platz, Emission) und neue kommen hinzu. 15 Millionen E-Autos bis 2030 auf den Straßen unseres Landes werden 50 Terrawatt Strom pro Jahr benötigen. Bei der Energieknappheit ist völlig unvorstellbar, wo diese Menge herkommen soll. Es bleibt ein Problem der Energiegerechtigkeit global.

Wer sind die Partner im Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende?

  • Die Gewerkschaften DGB, IG Metall und Verdi
  • die Umweltverbände Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND, Naturschutzbund Nabu
  • die Sozialverbände Arbeiterwohlfahrt, SoVD und VdK
  • der Verkehrsclub Deutschland VCD und
  • die evangelische Kirche EKD.

Unterstützt wird das Bündnis von der Stiftung Mercator.

Eine sozialverträgliche Verkehrswende geht nur demokratisch, setzt Beteiligung aller relevanten Gruppen und Gewinnung von gesellschaftlichen Mehrheiten voraus. Es geht um einen konstruktiven und zielorientierten gesellschaftlichen Diskurs – unabhängig von aktuellen Irritationen (Lützerath, Ausstiegstermin ) kann der gesellschaftliche Konsens des Ausstiegs aus der Kohle als Beispiel dienen, wenngleich es bei der Mobilitätsindustrie „nur“ um einen Umstieg geht, nicht um einen Ausstieg.

Ein bemerkenswertes, einmaliges Bündnis ganz unterschiedlicher Organisationen, das viele Millionen Menschen vertritt. Ein Bündnis von Organisationen, die oft nicht viel miteinander zu tun haben wie Gewerkschaften und Umweltverbände oder die evangelische Kirche und die Gewerkschaften. Alle Beteiligten beschäftigen sich aus recht unterschiedlichen Gründen mit dem Thema Klimaschutz und Mobilität: Die Kirche sorgt sich um den Erhalt der Schöpfung, die Umweltverbände um eine intakte Natur und Gewerkschaften um die Interessen der Beschäftigten. Einig sind sich alle darin, dass die Klimaziele erreicht werden müssen, denn auf einem toten Planeten gibt es keine Jobs mehr. Das Bündnis zeigt (in einem umfangreichen Papier, das es leider nur digital gibt), das Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zwei Seiten einer Medaille sind.

Das Problem muss dringend sein, wenn so etwas Großes zustande kommt. Und das Problem ist dringend, wie aus der Überschrift deutlich wird: „Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können.“

Dazu hat das Bündnis vier Dimensionen definiert, in denen gehandelt werden muss:

  1. Mobilität muss als Teil der Daseinsvorsorge anerkannt werden. Das beinhaltet das Recht auf Mobilität für alle Menschen, Inklusion in städtischen wie ländlichen Regionen. Es beinhaltet, wie andere Teile der Daseinsvorsorge, die Verantwortung des Staates und der verschiedenen Ebenen des Staates (Bund Länder und Kommunen), dieses Recht zu garantieren.
  2. Das Verkehrssystem muss verändert werden, damit Lebensqualität und Gesundheit nicht weiter eingeschränkt werden. Diese Dimension beinhaltet ja, das das gegenwärtige Verkehrssystem Lebensqualität und Gesundheit einschränkt. Das betrifft sowohl die direkten Umwelt- und Gesundheitsbelastungen wie auch die unterschiedlichen Zugänge zu diesem System. Wer nicht Auto fahren kann, ist weniger bis gar nicht mobil, kann sein Recht auf Mobilität mangels eines gut funktionierenden öffentlichen Verkehrs nicht wahrnehmen.
  3. Die Mobilitätswirtschaft trägt einen großen Teil zur Beschäftigung in Deutschland bei. Mobilitätswirtschaft ist aber mehr als die Autoindustrie: Dazu gehören die Bahn- (100.000) und die Busindustrie (10.000), die Fahrradindustrie (55.000) und vor allem auch die Betriebe der Bahn 210.000) und des ÖPNV (310.000) – konservativ gerechnet fast so viele Personen, wie in der Autoindustrie. Die Anzahl der Arbeitsplätze in der Autoindustrie ist seit ihrem Höhepunkt in 2019 um gut 80.000 Arbeitsplätze gesunken und wird wegen der Umstellung auf Elektroantriebe und wegen rückläufiger Verkäufe weiter sinken. Jüngste Beispiele: Der Ford-Standort in Saarlouis wird geschlossen, bei Ford in Köln und Aachen wird soviel Personal abgebaut, dass eine sinnvolle Produktion kaum noch möglich sein wird. Angedroht ist die Schließung der Gelenkwellenproduktion von GKN in Mosel/Zwickau.
  4. Für eine Mobilitätswende ist ein Kulturwandel erforderlich, der dem Auto eine kleinere Rolle als bisher zuweist. Voraussetzung dafür ist, dass die Bahn und der ÖPNV als Alternative zum privaten Auto besser, bequemer, flexibler und preiswerter werden. Es macht doch keinen Sinn, mit dem Auto viele Stunden im Stau zu stehen (durchschnittlich 40 Stunden pro Jahr), wenn mensch mit der Bahn am Stau vorbei fährt. Und der Run auf das 9-Euro-Ticket hat gezeigt, wie groß der Bedarf ist und die Bereitschaft, den öffentlichen Verkehr zu nutzen.

Die Verkehrswende kostet Geld.

Damit das keine Luftschlösser bleiben, setzt sich das Bündnis mit dem Finanzbedarf für die Mobilitätswende auseinander und weist darauf hin, dass unterlassene Investitionen vor allem kommende Generationen noch viel stärker belasten werden. Es ist also auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Schon innerhalb des Verkehrssektors bestehen viele Möglichkeiten, Mittel umzuschichten. Das Budget des Verkehrsministeriums muss endlich an Klima- und Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet werden. Klimaschädliche Subventionen müssen abgeschafft werden. Die Gelder müssen in den Ausbau klimafreundlicher Mobilitätsangebote gesteckt werden, die allen Menschen zugute kommen.

Die Transformation des Mobilitätssektors hat Auswirkungen auf die Arbeitsplätze von hunderttausenden Beschäftigten. Diese Veränderungen sind in vollem Gange, in der Autoindustrie gibt es in den letzten 3 Jahren bereits 80.000 Arbeitsplätze weniger. Ganze Regionen wie zum Beispiel Südost-Niederdachsen, der Raum Stuttgart werden von den wirtschaftlichen Veränderungen betroffen sein. Ohne eine aktive Industrie- und Strukturpolitik wird es zu sozialen Verwerfungen kommen. Die Partner des Bündnisses sind sich einig, dass die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen mit den Erfordernissen des Klimaschutzes vereinbar sind und dass eine Mobilitätswende mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Lebensqualität in der gesamten Bevölkerung bedeutet.

Die Vision:

Gutes Mobilität für alle! Alle erhalten Zugang zu klimafreundlicher Mobilität. Viel mehr Menschen bewegen sich zu Fuß, mit dem Rad oder dem öffentlichen Verkehr. Es gibt keine Barrieren mehr und mehr Menschen können an der Mobilität teilhaben. Die Verkehrsplanung berücksichtigt soziale, ökologische und gesundheitliche Folgen. Eine zukunftsfähige, ökologische Wirtschaft bietet gute Arbeit und sinnvolle Beschäftigung. Gesellschaftliche Prioritäten werden neu gesetzt und es entstehen attraktive, lebenswerte Regionen mit starken Strukturen.

Das alles setzt sich nicht von alleine um und kann nicht aus Berlin, Frankfurt oder Brüssel gesteuert werden. Die Forderungen sind ein dringender Auftrag an die Politik – von Kommunen über Landkreise und Länder bis zur Bundesregierung, aber auch an Unternehmen, Organisationen und letztlich jeden Einzelnen. Es bedarf zwar eines stabilen politischen Rahmens – konkret muss das alles vor Ort umgesetzt werden, vorrangig in den Regionen, die an der Automobilproduktion hängen bzw. in der es Schienenfahrzeugbau gibt. Deshalb ist ein Prozess erforderlich, in dem tatsächlich alle Betroffenen gleichberechtigt zu Wort kommen.

Die Vielfalt des Bündnisses ist dabei eine Stärke. Die Verbände, Organisationen und Initiativen blicken nicht nur aus ihrer eigenen Perspektive auf die Mobilitätswende. Vielmehr versuchen sie, die Perspektiven aller Beteiligten als das gelten zu lassen, was sie sind: gleichermaßen berechtigte Anliegen, die es bei einem Wandel ebenso zu berücksichtigen gilt.

Das Bündnis zeigt, dass es für eine solche Verkehrswende große gesellschaftliche Unterstützung gibt und viele Gründe, jetzt schnell und entschlossen zu handeln. Insbesondere jedoch der Verkehrsminister hintertreibt jeden Ansatz für eine Reduktion der Emissionen aus dem Verkehrsbereich.

In Widerspruch zu den Notwendigkeiten, zu den ökologischen Ansprüchen und gesellschaftlichen Möglichkeiten steht, dass außer diesem Auftakt vor fast zwei Jahren von diesem Bündnis nicht viel zu hören ist. In den Gliederungen der Verbände, in den Landesverbänden und konkret vor Ort gibt es keine Widerspiegelung des Themas und nicht der Breite des Bündnisses. Es muss jetzt vom Kopf auf die Füße gestellt werden, um aus der Verkehrswende einen planmäßigen Prozess zu machen, der das Recht auf Mobilität ebenso garantiert wie die sozialen Rechte der Menschen in den von der Umstrukturierung betroffenen Regionen. Das ist auch dringend, um Frustration und antidemokratischen Entwicklungen entgegenzuwirken. Eine sozialverträgliche Verkehrswende geht nur demokratisch.

1https://www.vcd.org/artikel/buendnis_sozialvertraegliche_mobilitaetswende und https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/umwelt-und-energie/ein-buendnis-fuer-die-soziale-mobilitaetswende

2https://unric.org/de/ipcc280202022/

Titelbild / Illustration: Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende/Elisabeth Deim

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