Angriffe auf Beschäftigte, Gewerkschaft und Betriebsrat werden subtiler und intensiver.
Die Krise bei Volkswagen und in der übrigen Autoindustrie ist unübersehbar. Drastisch sinkende Absatzzahlen und völlige Unklarheit über das Ziel der Transformation lassen keine halbwegs sinnvolle Strategie erkennen. Ohne Alternativen zum hergebrachten Geschäftsmodell wird es dem neuen Vorstandschef nicht besser ergehen als es den vorherigen ergangen ist. Mehr noch: Wenn eine grundlegende Verkehrswende nicht eingeleitet wird, wenn Profitmaximierung der Unternehmenszweck bleibt, dann sind bald Beschäftigung, Standorte und große Teile des Unternehmen als Automobilhersteller gefährdet. Die Eigentümer suchen schon nach neuen Anlagemöglichkeiten – wie immer ohne Rücksicht auf die Beschäftigten und deren Familien in den bisherigen Standorten.
Dem Manager-Magazin (9/22) ist der Wechsel des Chefposten im Volkswagenkonzern eine Titelstory wert: „Alarm bei Volkswagen. Auf teils beängstigende Art wird das vielleicht wichtigste deutsche Unternehmen seit Jahren von einer Führung im Ausnahmezustand geleitet – ein Konzern an der Schnittstelle von Familiengesellschaft und Staatseigentum, Genossenschaft und manchmal auch: Diktatur.“ Business Insider (28.8.22), das Lieblingsblatt von Onkel Herbert aus dem Springer-Haus, stilisiert ein Komplott von Personalchef und Eigentümern, einen fundamentalen und andauernden Widerspruch innerhalb des Managements, das zum Sturz von Herbert Diess geführt hat: „Umso spannender dürfte daher jene Global Top Management Conference (GTMC) werden (30.8. in Lissabon), bei der auch das Pro-Diess-Lager und viele der Kilian-Anhänger aufeinander treffen werden.“ Weil Personalchef Gunnar Kilian nicht zur Abschiedsparty von Diess eingeladen war, orakelt ein ungenannter „Topmanager“ im Springer-Blatt: „Diess tiefer Groll spricht sich schon rum und wird Gunnars (Kilians) Ansehen unter den nicht wenigen Diess-Fans absehbar empfindlich schmälern.“ Das Handelsblatt kommentiert die Rolle von Diess: „Am Ende war Volkswagen mehr eine Art Ich-AG des polarisierenden Managers“ (29.7.2022).
Den Diess-Fans gefiel zweifellos der antigewerkschaftliche und autoritäre Führungsstil des Chefs, sein „Mut“, sich mit den Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat anzulegen und den Betriebsrat regelmäßig mit Forderungen nach Personalabbau zu provozieren. Um seinen Fankreis zu vergrößern, hat Diess den Vorstand und den gesamten Overhead, seinen Hofstaat, vergrößert: viele neue, überflüssige aber fürstlich entlohnte teure Jobs. In seltsamen Gegensatz dazu hat er eigentlich nichts von dem umgesetzt, was er immer vollmundig angekündigt hat: „Ordentliche Ideen, schwache Umsetzung.“ Der Porsche-Piëch-Familienclan wollte mehr sehen. Volkswagen sei in einem „gefährlichen Zustand, der neue Konzernchef Oliver Blume muss schleunigst umsteuern“ – so werden jetzt gravierende Einschnitte propagandistisch vorbereitet. Alle drei zitierten Organe, die Kapitalinteressen unters Volk bringen wollen, beschreiben die Situation des VW-Konzerns als prekär – natürlich aus der Sicht der Anleger und Eigentümer: Der Absatz ging um rund 20 Prozent zurück, die Fabriken sind aktuell und absehbar nicht ausgelastet, Wolfsburg nicht einmal zur Hälfte. Die berechtige Sorge von Beschäftigten, Gewerkschaft und Betriebsrat: Zehntausende Arbeitsplätze sind dadurch unmittelbar gefährdet.
Das alles soll der neue Chef Oliver Blume jetzt alles richten und Porsche gleichzeitig an die Börse bringen, um ein paar Milliarden für die Umbaupläne zu generieren. Blume soll Volkswagen neu erfinden: gnadenlos, trauen ihm die Eigentümer zu. Der dritte Vorstandschef nach dem unrühmlichen Abgang von Winterkorn – jeder mit Umbauplänen in Struktur und Management, in der Produktion und allen vor- und nachgelagerten Bereichen. Aber Blume wird scheitern wie Müller und Diess vor ihm, weil die Strategie grundlegend falsch ist. Es wird in jeder Weise aufgerüstet, elektrifiziert, digitalisiert und automatisiert – immer sehr teuer und an den tatsächlichen Mobilitätsbedürfnissen, an den Bedürfnissen der Städte und an der Kaufkraft der Menschen vorbei. An oft nicht funktionierender Supersoftware, am nicht reibungslosen Zusammenspiel von etlichen kleinen Elektromotoren und deren digitaler Streuung hängen die Autos, die doch nur eine Person von A nach B bringen sollen. Aber die Experten sind auf dem Holzweg. Sie stecken alle Energie in alte Konzepte, die immer mehr und größere Probleme erzeugen, uns immer weiter in die Katastrophe katapultieren. Statt Elektro-Autos und autonomen Fahren brauchen wir große und vor allem kleine, smarte und agile Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr. Es gibt bereits zu viele Autos auf den Straßen, über 48 Millionen in Deutschland. Die Städte haben sich den Autos angepasst, die inzwischen den meisten Platz einnehmen und jede Menge Ressourcen von der Entwicklung über die Produktion bis zum Betrieb und der Entsorgung verbrauchen. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern Stand der Wissenschaft seit vielen Jahren und zunehmend im Bewusstsein vieler Menschen.
Blume will die Projekte von Diess fortsetzen: Trinity als neue Fabrik in Wolfsburg, Entwicklung von Lufttaxis (Flying Tiger in China) oder Hyperloops als „nächste Generation von Mobilitätslösungen“. Der Gipfel wäre dann der milliardenschwere Einstieg in die Formel 1.
Inzwischen gibt es Bürgerinnenproteste und eine Petition (Change.org/de) gegen den Bau eines neuen Werkes auf den Ackerflächen nördlich von Wolfsburg. Die Investition von 2 Milliarden Euro für diese Fabrik im Norden von Wolfsburg auf grünen Wiesen und Ackerflächen, eine Gigafactory nach dem Muster von Tesla in Grünheide: eine völlig überflüssige Kapazität und künftige Konkurrenz zu den anderen Standorten. Angesichts der Unterauslastung der bestehenden Fabriken ist das eine rein spekulative Investition. Statt neuer und noch teurerer Elektroautos sollten besser kleine, smarte Busse für den öffentlichen Verkehr gebaut werden – ähnlich den Fahrzeugen, die bisher in sehr kleiner Stückzahl für MOIA in Hamburg gebaut wurden. Das wäre auch dienlich für die Beschäftigungssicherung im Osnabrücker VW-Werk.
Wie Diess wird auch Blume das Greenwashing weiter betreiben. Das Manager Magazin sagt ihm nach, er habe – ausgerechnet – bei Porsche Umweltaspekte in die Führung des Unternehmens integriert und wolle dieses jetzt im gesamten Konzern stärken.
Das Handelsblatt schreibt, bei der Entscheidung von Porsche und Audi für die Formel 1 ginge es um mehr als Werbung, denn Audi könne dazu beitragen, dass die Rennserie klimaneutral würde. Audi selbst schreibt euphemistisch: „Mit dem Einstieg in die Königsklasse des Motorsports im Jahr 2026 stellt sich Audi seiner bisher herausforderndsten Aufgabe, wenn es um die Kombination von Nachhaltigkeit, Innovation und maximaler Leistung im Motorsport geht. Die Formel 1 und Audi verfolgen beide eindeutige Nachhaltigkeitsziele.“ Ein unglaublich bizarrer Widerspruch, der den „Männern mit Benzin im Blut“ und ihren Claqueuren nicht einmal auffällt: Nachhaltigkeit und Rennzirkus Formel 1!
Im Zusammenhang mit der Krise und den Personalüberhängen kommen die Kosten für solche Eskapaden hinzu: Pro Saison sollen bis zu 135 Millionen Euro ausgegeben werden, hinzu die bereits jetzt entstehenden Entwicklungskosten für den Motor mit 544 PS, jeweils elektrisch und für E-Fuel. VW muss sich einkaufen in die Formel-1-Firma, die eine Lizenz zur Teilnahme hat. Macht nach Adam Riese eine Ausgabe in Höhe von ca. einer Milliarde Euro, wenn das Abenteuer in F1 auf 5 Jahre beschränkt wäre. Mit diesem Geld könnte ticketfreier ÖPNV an allen Konzernstandorten finanziert werden – um nur ein Beispiel sinnvoller Investitionen zu nennen.
Lesetipp: Es braucht dringend Schritte in Richtung einer Mobilitätswende, eines sozial-ökologischen industriellen Umbaus der Mobilitätsindustrien und gerechte Übergänge für die Betroffenen.
Mario Candeias / Stephan Krull (Hrsg.)
Spurwechsel
Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion
https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/spurwechsel/
Großartiger Artikel über den Wahnsinn der Automobil Manager und dem Glauben daran, dass die Entscheider aus der Lüneburger Heide genau wissen was ihre Kunden wollen.