Arbeitszeitverkürzung ist ein linkes Projekt

Die Linke und die Kritik der politischen Ökonomie (Marx), über Arbeit, ArbeitFairTeilen und Arbeitszeitverkürzung – kurze Vollzeit für alle – über die Ökonomie der Zeit.

I. Die Linke und die politische Ökonomie

Im Programm der Partei Die LINKE heißt es unter anderem:

„Die LINKE steht für Umverteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung … Wir fordern als dringend notwendigen Schritt eine drastische Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit.“

In der Praxis der Partei findet sich dieser programmatische Auftrag kaum wieder. Das ist meiner Erfahrung nach ein Ausdruck davon, dass grundlegende politisch-ökonomische Zusammenhänge nicht bekannt sind. Dafür wäre ein bildungspolitisches Projekt umzusetzen, dessen Rahmen und Inhalt keineswegs neu sind. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat z.B. mit Polylux ein gutes Material dafür vorgelegt (https://www.rosalux.de/news/id/40575/polyluxmarx). Mit dem Supplement aus der Zeitschrift SOZIALISMUS von Bernd Riexinger und Lia Becker „For the many, not the few: Gute Arbeit für alle!“ gibt es ein weiteres gutes Material (https://www.sozialismus.de/vorherige_hefte_archiv/supplements/liste/detail/artikel/for-the-many-not-the-fewbr-gute-arbeit-fuer-alle/).

Fehlt noch die Zeit dafür, sich das in den Basisgruppen, in den Zusammenschlüssen und den Vorständen der Partei systematisch anzueignen. Es ist aber ein Fehler, sich das nicht anzueignen, weil damit soziale und ökonomische Zusammenhänge nicht ausreichend verstanden werden und politische Möglichkeiten auch von großen Bündnissen ungenutzt bleiben. Eine gute, erfolgreiche politische Praxis bedarf eben auch einer soliden theoretischen Basis, einer brauchbaren Methode der Analyse der Verhältnisse.

Ich beziehe mich dabei auf die Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx und Friedrich Engels. Eine bessere Analyse der kapitalistischen Produktionsweise, des Charakters der produzierten Werte und Waren und der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit gibt es meines Erachtens nicht (https://dietzberlin.de/produkt/das-kapital-kritik-der-politischen-oekonomie/).

Aus dieser Analyse kann zum Beispiel abgeleitet werden, dass die Produktivitätsentwicklung ein entscheidender Faktor für die gesellschaftliche Entwicklung ist. In dem Maße, wie die Produktivität einer Gesellschaft steigt, können Löhne erhöht und / oder Arbeitszeit reduziert werden, ohne den Gewinn zu schmälern. In der Umkehrung bedeutet es, dass, wenn Produktivität steigt und Löhne nicht erhöht oder Arbeitszeit reduziert wird, entweder die Preise sinken oder der Profit wächst. Was die Preise betrifft, bekommen wir ja gerade ein anschauliches Beispiel von Preistreiberei. In der Regel werden Produktivitätssteigerungen für zusätzliche Gewinne verwandt.

Das lässt sich auch mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung1 sehr schnell nachweisen: Die gesamtgesellschaftliche Produktivität steigt um ca. 1,5 Prozent im Jahr – tendenziell sinkend und mit großen Differenzen zwischen Industrie und z.B. dem Gesundheits- und Bildungswesen. Aber auch in diesen Bereichen gibt es einen Produktivitätsschub durch die Digitalisierung. In 10 Jahren macht das dann kumuliert schon fast 20 Prozent aus. Um diesen Prozentsatz hätten Reallöhne erhöht oder die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn reduziert werden können, ohne dass die Profite weniger geworden wären. Tatsächlich sind die Reallöhne in den letzten 10 Jahren aber nur um ca. 10 Prozent gestiegen und die Arbeitszeiten sind eher verlängert als verkürzt worden. Die Einkommen von Selbständigen stiegen demgegenüber um fast 50 Prozent auf durchschnittlich 14.600 Euro pro Monat. Diese Entwicklung lässt sich auch für längere Zeiträume beobachten. Augenscheinlich stimmt es, dass die Armen ärmer und die Reichen reicher werden. Das wird auch an der Arbeitszeit sichtbar. Während die Anzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunimmt („Erwerbsneigung“ und Zuwanderung), bleibt die Gesamtjahresarbeitszeit ziemlich konstant: 60 Milliarden Stunden Lohnerwerbsarbeit inklusive 1 Milliarde Stunden bezahlter Mehrarbeit, exklusive 1 Milliarde Stunden unbezahlter Mehrarbeit. Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit der 40 Millionen Arbeitnehmer:innen pro Arbeitnehmer:in beträgt etwas weniger als 1.400 Stunden, darunter ca. 15 Millionen Beschäftigte in Teilzeit. Allein daraus ergibt sich, dass die Erwerbsarbeit höchst ungleich verteilt ist. Tatsächlich hat sich die Produktivität von der Entwicklung des Lebensstandards gelöst.

Die Feststellung von Marx in diesem Zusammenhang:

„Ökonomie der Zeit – darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf.“

Zwei weitere kurze Zitate in diesem Zusammenhang.

Paul Krugmann: „Produktivität ist nicht alles, aber auf lange Sicht fast alles. Die Fähigkeit eines Landes, seinen Lebensstandard im Laufe der Zeit zu verbessern, hängt fast ausschließlich von seiner Fähigkeit ab, seinen Output pro Arbeiter zu steigern.“

Sachverständigenrat, Produktivitätsbericht 2021: „Die Reallokation (Neuzusammensetzung) von Produktionsfaktoren von Unternehmen und Wirtschaftsbereichen mit geringerer hin zu solchen mit höherer Produktivität trägt maßgeblich zum gesamtwirtschaftlichen Produktivitätswachstum sowie zum Strukturwandel bei. Eine wichtige Rolle spielen zukunftsfähige Gründungen und der Marktaustritt von Unternehmen mit geringerer Produktivität sowie die Mobilität der Beschäftigten zwischen einzelnen Unternehmen, Wirtschaftsbereichen und Regionen.“

II. Arbeit

Wenn über Arbeit geredet wird, ist zu erläutern, was genau mit Arbeit gemeint ist: der physische, ökonomische, wissenschaftliche, künstlerische oder soziale Prozess. Es ist zu unterscheiden zwischen Erwerbsarbeit (ca. 60 Milliarden Stunden pro Jahr) und Nichterwerbsarbeit (Pflegearbeit, ehrenamtliche Arbeit, Hausarbeit – ca. 90 Milliarden Stunden pro Jahr). Arbeit hat die unterschiedlichsten Inhalte und Bedeutungen:

Produktion von Lebensmitteln – das menschliche Grundbedürfnis.

Gelderwerb für den eigenen Lebensunterhalt – der soziale Aspekt.

Die Veränderung der Umwelt – die ökologischen Auswirkungen (gesellschaftliche Naturverhältnisse, Marx).

Arbeit strukturiert das Leben – täglich, wöchentlich, lebenslänglich.

Arbeit kostet Zeit – findet als Prozess in der Zeit statt.

Arbeit schafft Werte – private Aneignung, Ausbeutung

Hochgradige Arbeitsteilung – gesellschaftliche Produktionsfaktoren; letzteres schafft Kollektivität, soziale Beziehungen, Solidarität und, im Verbund mit politischer Bildung, auch Klassenbildung.

Andererseits entfremden die Kapital- bzw. Eigentumsverhältnisse und die Arbeitsteilung den Menschen von der Arbeit (Marx), während der Mensch auch in der Arbeit nach Selbstbestimmung und nach Sinn sucht.

III. Arbeit fair teilen

Arbeit ist auch global höchst ungleich verteilt zwischen Frauen und Männern, Vollzeiterwerbsarbeit und Minijobs, Mehrarbeit und Kurzarbeit, bezahlter Arbeit und unbezahlter Arbeit, Kopf- und Handarbeit, Erwerbstätigen und Erwerbslosen.

Entsprechend ungleich sind die Einkommen verteilt – insbesondere diejenigen, die mit geringem Einkommen gerade so über die Runde kommen, werden mit ihrer Rente in Altersarmut fallen.

Arbeit ist Verschleiß auch am Menschen, macht krank. Das kann zu viel Arbeit sein, kann aber auch keine oder zu wenig Arbeit sein. Beides führt häufig in die Isolation, in politische Abstinenz oder in reaktionäres politisches Meinungs- und Abstimmungsverhalten.

Insbesondere die ungleiche Verteilung führt zur Überarbeit (überlange Arbeitszeiten, Mehrarbeit / Überstunden) vieler und zur Erwerbslosigkeit vieler anderer. Ohne eine faire Verteilung aller Arbeit können Hartz IV und Geschlechterungerechtigkeit nicht überwunden werden.

IV. Arbeitszeitverkürzung

Ökologisch, sozial und ökonomisch im volkswirtschaftlichen Sinne ist Arbeitszeitverkürzung geboten. Durch abnehmenden Druck auf die Erwerbstätigen würden Autonomie, Gewerkschaften und Demokratie gestärkt – den Arbeitgebern würde Macht (auch über Menschen) partiell entzogen werden.

Wir arbeiten und produzieren zu viel und viel zu viel Müll (Rüstung, Werbung, Plastik, Export)

Vor 50 Jahren erschienen vom Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“. Seither wirtschaften wir bewusst über unsere Verhältnisse.

Arbeitszeitverkürzung führt zu weniger Ressourcenverbrauch, z.B. durch weniger Verkehr, weniger Arbeitswege.

Arbeitszeitverkürzung ist umkämpfter als Entgeltsteigerungen – wegen der damit verbundenen Kräfteverschiebungen im politisch-ökonomischen Machtgefüge zwischen Kapital und Arbeit, zwischen selbst- und fremdbestimmter Lebenszeit.

Eine sozial-ökologische Transformation unserer Produktions- und Lebensweise geht nicht ohne Arbeitszeitverkürzung (zumal die Produktivität ja weiter steigt).

Die ökonomischen Ergebnisse der Erwerbsarbeit erlauben und gebieten einen Lohnausgleich für die Arbeitszeitverkürzung (siehe Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Statistisches Bundesamt). Die Kosten der Erwerbslosigkeit sind natürlich mit zu berücksichtigen (ca. 60 Milliarden Euro pro Jahr).

Die Arbeitszeitverkürzung auf zunächst 30 Stunden (bis 2030) kann nach Tätigkeit, Wirtschaftszweig, persönlichen Bedürfnissen und betrieblichen Bedingungen unterschiedlich (flexibel) gestaltet werden – vom 6-Stunden-Tag, der Vier-Tage-Woche über Projekt-Arbeitszeit bis hin zu Sabattical. Der britische Ökonom John Maynard Keynes (Namensgeber für den Keynesianismus) prognostizierte bereits 1930, dass wir „in hundert Jahren“ – also 2030 – mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 15 Stunden die menschlichen Bedürfnisse befriedigen können.

Die tatsächliche durchschnittliche Arbeitszeit in unserem Land liegt auch gegenwärtig bei ca. 30 Stunden – nur eben, wie oben benannt, sehr ungleich verteilt. Das bedeutet, dass eine faire Verteilung der Arbeitszeit nicht einmal ausreichen würde, um ökologische Effekte zu erzielen. Ebenso bedeutet es, dass sich an der Wertschöpfung und damit auch am gesellschaftlichen Reichtum und an den privaten Gewinnen nichts verändern würde. Es wäre halt nur etwas gerechter.

Alle Befragungen der letzten Jahre besagen, dass die Menschen in unserem Land kürzer arbeiten möchten – insbesondere diejenigen, die der „Kultur der langen Arbeitszeiten“ unterworfen sind: Nur wer lange arbeitet, ist fleißig und produktiv. Dem wollen wir das Bild der „kurzen Vollzeit“ gegenüberstellen, auch in Abgrenzung zum eher negativ daherkommenden Begriff der Teilzeit.

Dazu gehört, dass diejenigen, die meist unfreiwillig in Teilzeit und Minijobs beschäftigt sind, gerne etwas länger arbeiten würden. Ohnehin würde der Lohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzung automatisch dazu führen, dass alle Stundensätze steigen und Teilzeitbeschäftigte gleichermaßen davon profitieren.

Wenn wir laut und offensiv für Arbeitszeitverkürzung eintreten, befinden wir uns in bester Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bevölkerung in unserem Land. Mit einer solchen Kampagne würden wir auf viel Sympathie stoßen.

Tatsächlich ist es so, dass alle, die es sich irgendwie leisten können, ihre Arbeitszeit reduzieren und dabei auch Lohnsenkungen in Kauf nehmen. Wichtig wäre es deshalb, um kollektive Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich zu kämpfen.

Schließlich gibt es viele Verbände und Initiativen, die sich für Arbeitszeitverkürzung stark machen – es ergeben sich Möglichkeiten für die Bildung wirkungsmächtiger Allianzen.

Ein paar Literaturtipps:

Riexinger / Becker; For the many, not the few: Gute Arbeit für Alle! https://www.sozialismus.de/vorherige_hefte_archiv/supplements/liste/detail/artikel/for-the-many-not-the-fewbr-gute-arbeit-fuer-alle/

ABC der Arbeitszeitverkürzung; Bremer Arbeitszeitinitiative; https://s794972c516269248.jimcontent.com/download/version/1620728060/module/16054971724/name/ABC%20der%20Arbeitszeitverk%C3%BCrzung.pdf

Schritte aus der Krise – Drei Projekte, die zusammengehören; Krull/Massarrat/Steinrücke; https://www.vsa-verlag.de/index.php?id=6576&tx_ttnews[tt_news]=9978

Arbeiten wie noch nie? Unterwegs zur kollektiven Handlungsfähigkeit; Gruber/Haug/Krull;

Die Vier-inEinem-Perspektive – Politik von Frauen für eine neue Linke; Frigga Haug; https://argument.de/produkt/die-vier-in-einem-perspektive-politik-von-frauen-fuer-eine-neue-linke/

Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung u.a.

„Kämpfe um Zeit“; https://www.rosalux.de/publikation/id/8100/kaempfe-um-zeit; sowie „Beiträge zur neuen Arbeitszeitdebatte“; https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Materialien/Materialien28_Individuelle_Beduerfnisse.pdf

1https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/_inhalt.html

Bei diesem Text handelt es sich um Stichworte eines Vortrages bei der LAG Bewegungslinke Sachsen-Anhalt am 7. April 2022

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