Die Krise der Autoindustrie, Voraussetzungen und Chancen einer Verkehrswende

  1. Die Misere
  2. Landnahme und Neokolonialismus
  3. Alternativen

Die Misere

Was ist los bei Daimler –  fragen so- und selbsternannte Autoexperten. „Um 30 Prozent ist der Vorsteuergewinn im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen. In allen fünf Sparten erodiert der Betriebsgewinn. In der Zentrale in Stuttgart erklärt man die schlechte Performance mit Einmalbelastungen und externen Faktoren wie dem Handelsstreit zwischen den USA und China. … nach dem Kurseinbruch von rund 20 Prozent seit Jahresanfang warten die Aktionäre auf positive Nachrichten. Die gestern verkündete künftige Holding-Struktur allein ist es nicht“ – so das Handelsblatt am 27. Juni des Jahres. Um die konkreten Zahlen, wohlgemerkt für ein Quartal, zu nennen: Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern ist gegenüber dem Vorjahresquartal um 30 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro gesunken, teilte der Stuttgarter Autobauer mit. Der Umsatz schrumpfte um ein Prozent auf 40,8 Milliarden Euro. Nur 2,6 Mrd. Euro Vorsteuergewinn, und „die Aktionäre warten auf positive Nachrichten“. Was für ein krankes System! Worauf warten die Beschäftigten? In Hamburg ist das Daimler-Werk mit 2.500 Beschäftigten in der Mercedesstraße angesiedelt – wo denn auch sonst? Die linke „Alternative“ dort fragt im Zusammenhang mit dem Rückruf von über 700.000 Fahrzeugen mit betrügerischer Software in einem Flugblatt: „Wer zahlt nun die Zeche? Die Verursacher/Verantwortlichen im Namen des geschäftsführenden Vorstandes mit seinem Vorsitzenden Dieter Zetsche und deren private Haftpflichtversicherungen? Oder sind wir es – die ehrlichen, redlichen, die tagtäglich durch ihren Einsatz diese Milliardengewinne möglich machen?“

Bei BMW wurde vom KBA im März der Rückruf von 11.000 Luxuskarossen vom Typ »BMW 750« wegen betrügerischer Software bei der Abgasrückführung angeordnet. Entlarvend ist hier die Erklärung von BMW, man habe diese Software für die SUV-Modelle entwickelt und »versehentlich« auf die zurückzurufenden Autos »aufgespielt«. Und davon will der gesamte Vorstand nichts gewusst haben? Zur „Belohnung wird der Einkaufschef von BMW, Markus Duesmann, jetzt auf den Stuhl des Audi-Vorstandsvorsitzenden gehoben – der in U-Haft sitzende Rupert Stadler muss endgültig ersetzt werden. BMW ruft in Südkorea mehr als 100.000 Dieselautos wegen Brandgefahr zurück. Betroffen seien 42 Modelle, die mit einem Modul zur Abgasrückführung (!) ausgerüstet seien, teilte eine Sprecherin am Freitag mit. Untersuchungen hätten ergeben, dass eine Fehlfunktion des Moduls »in einigen Fahrzeugen« einen Brand verursachen könnte. Die Abgasrückführung sei eine wichtige Methode zur Reduzierung der Stickoxidemissionen von Dieselmotoren. Wie die südkoreanische Zeitung Joong Ang-Ilbo berichtete, gerieten in diesem Jahr bereits etwa 15 Diesel-Pkw von BMW während der Fahrt in Brand.

VW mit den Marken Porsche und Audi sowie Mercedes und BMW – der „Fünferkreis“ deutscher Automobilhersteller, steht im Fokus staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nicht nur wegen des Abgasbetruges, sondern auch wegen vielfältiger Kartellabsprachen. Das LKW-Kartell ist bereits vor längerer Zeit aufgeflogen.

Und es wird einsam um die deutsche Automobilindustrie – nicht nur um den einstigen Starmanager Martin Winterkorn, um den Audi-Boss Rupert Stadler und einige andere, die mit mehr als einem Bein im Knast stehen:

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Winterkorn wegen Betrugsverdacht, Strafanzeige wegen Falschaussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, Haftbefehl der US-Justiz wegen Betrug und Verschwörung, erhebliche Zweifel daran, dass Winterkorn nicht sehr frühzeitig in die Betrügereien involviert war und nun auch noch Ermittlungen wegen des Verdachtes der Steuerhinterziehung: 10 Mio. Euro soll er als „Notgroschen“ auf Konten in der Schweiz deponiert haben – Gefangener seiner selbst. Auch sein Ziehvater F. Piëch hat ihn fallenlassen – na klar. Bereits vor mehr als einem Jahr hat dieser sich gegenüber der Staatsanwaltschaft geäußert: Er hat erklärt, was sicher auch für die anderen aus dem Autokartell gilt: es sei für ihn „undenkbar“, dass der Diesel-Abgasbetrug nicht bis in die Führungsspitze hinein bekannt gewesen sei. Es sei aber auch typisch für den Konzern gewesen, heikle Punkte „nicht schriftlich“ festzuhalten. Sein Eindruck sei, dass die Verantwortlichen im VW-Konzern versuchten, die ganze Verantwortung auf die „untere Ebene abzuschieben“, sagte Piëch – und er weiß sehr genau, worüber er dort spricht.

Im Interview mit dem heute-Journal des ZDF vom 18.6. flehte Bayerns neuer Ministerpräsident Söder im Zusammenhang mit der Verhaftung von Rupert Stadler, dem vormaligen Knabenschüler, Diplom-Betriebswirt, Nachfolger von Martin Winterkorn als Audi-Boss, Vorstandsmitglied des VW-Konzerns, Aufsichtsrat der Porsche-Holding,  desgleichen bei MAN und Aufsichtsrat FC Bayern München AG, Honorarprofessor und Unternehmer des Jahres nicht etwa um dessen Freiheit, sondern: „Bitte jetzt keine Hetzjagd auf das Automobil!“ Stadler ist längst ausgemustert und abgeschrieben. Ein hoffnungsloser Fall. Aber ausgerechnet die für „Integrität und Recht“ zuständige VW-Vorstandsfrau Hiltrud Werner sprach sich im Interview mit der „Financial Times“ am 24. Juli gegen eine vorzeitige Demission Stadlers aus und verwandte sich auf sehr seltsame Art für den wegen Verdunklungsgefahr immer noch in Untersuchungshaft sitzenden Manager: „Ich kann nur für mich sprechen, aber wenn jemand in dieser Art gedemütigt wird, gibt es aus meiner Ansicht keinen Grund für den Aufsichtsrat, ihn noch weiter zu demütigen.“ Stadler sei nicht angeklagt und die Ermittler hätten auch keine Beweise für ein Fehlvergehen vorgelegt.

Die Bitte von Söder zielt mehr auf das Image der deutschen Autos, denn zum Beispiel Toyota hat das Problem überhaupt nicht, sondern konnte seinen Absatz in Europa im vergangenen Jahr um 14 Prozent steigern, bei Hybrid gar um 45 Prozent. Ein anderer Pfad der Tugend? Ein anderer Pfad technologischer Entwicklung: Atkinson-/Miller-Benziner statt Otto-Motor und nun Hybrid mit Atkinson-Zyklus[1] statt Diesel und demnächst die Brennstoffzelle/Wasserstoffantrieb in Serie.

Derweil sackt der Inlandsabsatz der deutschen Autohersteller weg, produzieren diese eine ganze Reihe von Typen gar nicht mehr bzw. stellen die Autos auf „Halden“, auf Stadionparkplätze oder in das unnütze Parkhaus des BER: Sie sind nicht in der Lage, die aktuellen Umweltvorschriften zu erfüllen! Mehr noch: Die EU-Kommission geht von neuen Tricksereien aus. Durch manipulierte CO2-Werte sollen Voraussetzungen geschaffen werden, um die künftig schärferen Vorgaben zu unterlaufen. Das Handelsblatt (24.7.2018) berichtet: „Die Auswertung der ersten Testergebnisse nach dem WLTP-Messverfahren deute darauf hin, dass die >offiziell von den Herstellern angegebenen Emissionswerte überhöht sein könnten<, heißt es in einem Papier der Kommission, das dem Handelsblatt vorliegt. Daraus ergebe sich das klare Risiko, dass die geplanten EU-Einsparziele für den Flottenausstoß des Treibhausgases bis 2025 und 2030 unterlaufen würden.“

Neben den Beschäftigten sind es die Autoverkäufer und die Händler, die die Last der Krise zu tragen haben. Die IG Metall berichtet in ihrer Zeitung (Juli/August 2018), das Hauptproblem der Händler sei, dass sie weniger Autos verkaufen. „Fahrzeuge stehen in Massen auf Halde. Obendrein gibt es für die Autos, die verkauft werden, nicht mehr die gewohnten Erlöse.“ Einen großen Teil des Gebrauchtwagengeschäftes machen Autohäuser mit gebrauchten Dienstwagen, meist Dieselfahrzeuge. Vor drei Jahren startete Audi eine bundesweite verkaufsfördernde Leasing-Aktion mit Euro-Norm-5-Fahrzeugen. Diese Fahrzeuge kommen jetzt nach und nach zurück. Ein Autoverkäufer wird zitiert: „Mit den Autos aus dieser Aktion, die wir für einen bestimmten Preis wieder annehmen müssen, machen wir beim Weiterverkauf 2.000 bis 3.000 Euro Minus.“  Das Zusammenbrechen zunächst des Gebrauchtwarenmarktes ist für viele Händler, ihre Beschäftigten und deren Familien existenzbedrohend.

Landnahme und Neokolonialismus

Wie kann, wie soll die existenzielle Krise der Automobilindustrie, die Sinnkrise der „Männer mit Benzin im Blut“ überwunden werden? Regierung und Industrie suchen nach Wegen aus der Krise auf weitgehend bekannten und ausgetretenen Pfaden: Personalkosten runter[2], Subventionen hoch. Die Bundesregierung will mal wieder zwei Milliarden Euro für „Dienstwagen“, Hybrid oder Elektromotor spendieren und der teure Straßenbau geht munter weiter. Das Geld, das dafür verplempert wird, wäre im ÖPNV oder im Radwegebau viel besser angelegt. Dann würde es auch mit der besseren Luft und der Einhaltung von EU-Vorgaben klappen.

Neuer ist der Versuch der Autohersteller, „neue Geschäftsfelder“ zu etablieren ohne wirklich neue Ideen zu haben. Es geht um die Privatisierung des bisher öffentlichen Verkehrs und die Umlenkung von dessen Umsätzen in die Kassen der Autokonzerne.

MOIA, Uber & Co. wollen mit Ride-Sharing und Ride-Pooling das große Geschäft machen. Sie sprechen von „Neuerfindung“ und von „Demokratisierung“ der Mobilität, wo es doch wieder nur um Stahl und Elektronik auf vier Gummireifen geht. Es bleibt bei der Orientierung auf Maximalprofit und damit auf der maximalen Ausbeutung von Mensch und Natur.

Die Digitalisierungsmöglichkeiten werden genutzt, um Millionen Menschen auszuspionieren und in die Abhängigkeit der Medien- und Autokonzerne zu bringen.

Nach jüngsten Informationen wird der Leiter des Konzernbereichs Digitalisierung („Chief Digital Officer“ (CDO) bei Volkswagen, Johann Jungwirth, massiv degradiert und zieht aus Deutschland zurück ins Silicon Valley, um von dort aus die Entwicklung selbstfahrender Autos oder von Car-Sharing-Konzepten oder so was ähnlichem voranzutreiben.

Noch vor kurzem erklärte JJ, wie er sich leger nennen ließ, seine Vision, die tatsächlich ein Frontalangriff auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist: „Carsharing wird von den Transport-as-a-Service-Fahrzeugen verdrängt, die einen an der Tür abholen und zur nächsten Tür fahren, und dann sich selbst ums Laden, Reinigen, Parken, Waschen kümmern. Vielen von uns sei noch gar nicht bewusst, in welch historisch bedeutender Zeit wir leben“. Solche gravierenden Probleme wie Parkplatznot, Staus und Stress würden bald der Vergangenheit angehören, weil autonome Fahrzeuge selbständig parken könnten und viel Fläche dadurch frei würde: Ein Segen für die Infrastruktur unserer Städte. Dann blitzt kurz die neue Renditeerwartung auf, die er impertinent mit einem Solidaritätsappell verbindet: „Oder schauen Sie sich an, wie wir heute mit den Schwächsten unter uns umgehen, den Alten, Kranken, Blinden, Kindern. Sie müssen weite Strecken mühsam zu Fuß, teilweise mit Rollator zu ÖPNV-Haltestellen gehen oder sich teure Taxis nehmen.“ Der VW-Manager droht mit Abhilfe: In die neue Mobilitätswelt werden alle Menschen eingebunden: „Wir werden sie bequem und beschwerdefrei von Tür zu Tür transportieren – mit Mobilität auf Knopfdruck oder auf Sprachbefehl: mein Audi, bitte hole mich ab, mein Volkswagen, ich bin ready.“ Das ist Lebensqualität, wie Manager und Unternehmen sich das vorstellen, so planen sie unsere Zukunft. „Können Sie sich vorstellen, wie dankbar uns diese Menschen sein werden?“ Dann kommt die Katze aus dem Sack, es geht um die Erschließung neuer Profitquellen und um nichts anderes: „Zudem öffnet sich hier ein riesiger Markt, der bisher brach liegt.“ Gut 12 Milliarden Euro nehmen die Nahverkehrsbetriebe in Deutschland pro Jahr an Fahrgeldern ein.

Zu dieser Strategie gehören Moovel von Daimler oder MOIA von VW, das seinen Auftrag wie folgt beschreibt: „Im Fokus steht die Entwicklung eigener IT-basierter On-Demand-Angebote wie etwa Ride Hailing oder Pooling Services.“ Selbstzuschreibung: „ MOIA will die Städte lebenswerter machen – mit einem neuartigen Ridepooling-Konzept zur gemeinsamen Nutzung von Autos. In Hannover hat nun eine Testphase begonnen. Durch Co-Creation soll die Dienstleistung noch besser werden.“ Die Großspurigkeit und das Wortgeklingel sollen darüber hinwegtäuschen, dass es um uralten Wein in neuen Schläuchen geht. Der Test wurde – ohne Veröffentlichung der Ergebnisse – beendet, nun werden 200 MOIA-Fahrzeuge die Straßen der Stadt weiter befüllen. Wie in Hannover wollen Moovel, MOIA und GETT jetzt weitere Städte „erobern“: Von Hamburg über Moskau und Kigali[3] bis Haiti.

Ride-Sharing ist die neue Hoffnung der Autoindustrie. Per App wird ein Auto bestellt, per Algorithmus wird die optimale Strecke berechnet, per Bankeinzug wird bezahlt. In der Testphase billiger als der ÖPNV, weiterhin billiger als ein Taxi und halbwegs gut besetzt immer noch billiger als Bus und Bahn. Der Test ergab nach Recherchen von Report Mainz[4], dass nur kurze Strecken meist mit ein oder zwei Fahrgästen in der Innenstadt zurückgelegt werden, die eine gute ÖPNV-Struktur haben. Im strukturschwächeren Umland von Hannover wurde MOIA erst gar nicht angeboten. Eine aktuelle Studie von Winfried Wolf zur Verkehrswende in Hannover bietet viele Ansatzpunkte für notwendige Veränderungen.[5]

Aus San Franzisco ist inzwischen nachweisbar, dass ähnliche Uber-Angebote zu leeren Zügen und längeren Staus auf der Straße führen – von wegen, MOIA gäbe den Menschen die Stadt zurück! Die großspurige Eigen-Werbung auf den MOIA-Fahrzeugen: „Entwickle gemeinsam mit uns die Zukunft der Mobilität“ – wo es doch nur um Profit geht, nicht aber um die Befriedigung von tatsächlichen Mobilitätsbedürfnissen.

Volkswagen hat jetzt „neue Marktpotenziale in Afrika“ entdeckt und will zunächst Kigali, die Hauptstadt von Ruanda und dann den ganzen Subkontinent, mindestens aber Nigeria und Kenia  „erschließen“. Sie trifft dabei auf eine unternehmensfreundliche Oberklasse, die an dem Projekt mitverdienen will und mitverdienen darf – mit Kungelei und Exklusivverträgen für die einen wie für die anderen, wie in schlechten alten Kolonialzeiten.

Die TAZ berichtet am 30. Juni diesen Jahres über die Urbanisierung auf dem afrikanischen Kontinent, die überquellenden Städte und die tief im Westen entwickelten Konzepte von „Smart City“, die dort „exemplarisch“ ausprobiert werden sollen für ein „smart Afrika“. Mit dabei sind neben Volkswagen solche auf „Datensicherheit“ spezialisierte Firmen wie econet aus Deutschland oder auf zivile und militärische Satellitenkommunikation spezialisierte wie Inmasat sowie die Internationale Fernmeldeunion ITU. In Kigali bietet Volkswagen Ride Hailing bzw. Ride-Sharing mit ca. 300 Fahrzeugen an, weil der öffentliche Busverkehr überfüllt sei, unregelmäßig fahre und „deshalb für die aufstrebende Mittelschicht nicht interessant sei.“
Nichts spräche gegen Algorithmen-basierte Optimierung des öffentlichen Verkehres. Alles, was nun privatwirtschaftlich mit Profitzielen organisiert wird, wäre technisch natürlich auch durch ein öffentliches Verkehrsunternehmen zu leisten. Aber, ich wiederhole mich, der Autoindustrie und den digitalen Elefanten geht es nicht um die Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen, sondern um Markteroberung. Der für das südliche Afrika zuständige VW-Manager gibt unumwunden zu: „Es geht nicht darum, Geld zu verdienen, sondern es geht darum, in den Markt hineinzukommen.“

Wenn jetzt nicht politisch dagegen gesteuert wird, ist der ÖPNV in unserem Land in wenigen Jahren ausgetrocknet, in den afrikanischen Ländern sind vielen kleinbetriebliche Fuhrunternehmen kaputt und ein öffentlicher Personenverkehr gar nicht erst entstanden.

Dass es dabei um Politik geht, dass die Verkehrswende ein Kampfplatz ist, dokumentierte Sabine Leidig von der Linken Bundestagsfraktion vor einigen Tagen eindrucksvoll in der „Freiheitsliebe“[6]. Das Fazit: Die Autogesellschaft ist ein rechtes Projekt! Kaum ein anderes Thema offenbart die Parallelen zwischen AfD, CDU/CSU und FDP so, wie die Debatte um drohende Fahrverbote. Und während im globalen Süden die Leute verrecken, kämpft die Rechte hier zu Lande für den Fortbestand der imperialen Lebensweise in Form dicker Automobile.

Alternativen

 Was wäre zu tun – gegen Autohalden, Händlersterben und Personalabbau, gegen die Gefahr von Werkschließungen?

Marion, eine Kollegin, die bereits vor einigen Jahren darauf verzichtet hat, als Facharbeiterin bei Volkswagen weiter zu arbeiten, schreibt dazu:

#warumnichtallekündigen# 😘 und gibt dann einen Dialog wieder:

Warum hast Du bei VW gekündigt?
Weil ich das jetzige unnötig implementiert unsoziale System dort so nicht unterstützen kann.

Du hast doch dort Karriere gemacht!
Ich komme gern wieder zurück, wenn VW sich vorbildlich umbesinnt.
Ich kehre auch nicht in Leih- oder Zeitarbeit zurück.

Ich wäre dort glücklich geworden. VW ist klasse. Die Führung ist inzwischen das Allerletzte

Selbst die Gewerkschafter klammern teils nur noch an Posten. 😞

Ich würde es anders leiten 😍

So. Da das aber so nicht möglich ist. Habe mich meinem 1. Berufswunsch wieder zugewandt und entwickle mich dort weiter. Mein inneres Kind will spielen. Danke für die Möglichkeiten und Erfahrungen. Ihr könnt das echt besser. Wenn Ihr nur wüsstet wie.

Ihr habt mich nicht gelassen. Nur immer wie ihr wollt. Aber dafür bin ich nicht der Typ! #äpü 😜

Werdet ruhig zuversichtlicher und wieder menschlicher…

So in der Art hatte ich mich von Kollegen und Führungskräften verabschiedet, die echt kacke waren.

Den Rest erzähle ich lieber vertrauter 😄

Soweit die glückliche individuelle Lösung; was könnten gesellschaftliche Lösungen sein, was wäre vorzuschlagen zum Umbau und Aufbau anderer und neuer Beschäftigung entlang und außerhalb der automobilen Wertschöpfungskette? Da es nur demokratisch und also mit den Beschäftigten geht, bedeutet Solidarität mit den Beschäftigten, einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden. Es geht um einen Real-utopischen Plan, um Ideen und Alternativen zu Individualverkehr und Profitmaximierung. Kriterien dafür müssen sein: ökologisch und sozial nachhaltig! Alternative Formen des Wirtschaftens und neue Formen von Solidarität . Notwendige Veränderungen sind höchst komplex, betreffen Produkt, Produktion und damit technische, soziale, ökologische, ökonomische, juristische, ethische und politische Prozesse.

Die dringend erforderliche Mobilitäts- und Verkehrswende bietet viele Möglichkeiten. Selbstverständlich ist eine App-basierte und Algorithmen-gesteuerte Optimierung des öffentlichen Personenverkehrs möglich und nötig. Weitergehend sind der Ausbau des öffentlichen Verkehrs – innerstädtisch und in dünn besiedelten Regionen, regional und landes- bzw. europaweit: Bau, Betrieb und Instandhaltung von Trassen, Waggons und Bussen; Ausbau und Weiterentwicklung der Fahrradindustrie; daraus ergeben sich Möglichkeiten und Notwendigkeiten des Stadtumbaus, der Schaffung von Radwegen und Fußgängerzonen. Ein wichtiger Punkt sind Veränderungen in der Beschäftigung zwischen Sektoren der Industrie einerseits und anderen gesellschaftlich wichtigeren Bereichen wie dem Gesundheitswesen und dem Bildungs- und Erziehungswesen andererseits, einer volkswirtschaftlichen Arbeitsumverteilung. In diesen Veränderungen liegt ein Beschäftigungspotenzial von einigen hunderttausend Menschen. Schließlich geht es auch um eine Arbeitsumverteilung zwischen den Menschen – zwischen den Geschlechtern, zwischen den Generationen, zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen; es geht um eine kollektive Arbeitszeitverkürzung, um die Entfaltung der Potenziale der Menschen zu fördern, um die demokratische Beteiligung zu ermöglichen, um Kultur und Natur besser zu pflegen, um die Produktivitätsentwicklung nicht in Armut, Not, Elend und Erwerbslosigkeit enden zu lassen. Es bedarf auch zur Abkehr von der Autogesellschaft einer neuen Definition eines Normalarbeitsverhältnisses.

Wie könnte es gehen?

Es geht um politische Entscheidungen, die abhängig sind vom Kräfteverhältnis im Land. Zum Beispiel die Fragen, wofür Subventionen gezahlt werden, wofür Steuergelder ein- und ausgegeben werden, ob Autostraßen oder Fahrrad- und Fußwege gebaut werden, ob der ÖPNV fahrscheinlos angeboten wird, ob der Güterfernverkehr auf die Schiene verlagert wird und viele Details mehr. Es geht im politischen Raum um die Frage, ob wir eine „marktkonforme Demokratie“ (Merkel) wollen oder eine demokratische Wirtschaft und demokratische Wirtschaftspolitik; ob die großen Banken und Konzerne die Gesellschaft beherrschen, oder ob gesellschaftliche Vorgaben für die Wirtschaft gemacht werden; ob wir leben um zu arbeiten oder ob wir arbeiten um gut zu leben. Schließlich geht es um die Frage, ob das Grundgesetz mit seiner Definition der BRD als Sozialstaat durchgesetzt wird oder nicht; ob eine heimatlose, kriminelle und korrupte und nur auf Maximalprofit orientierte kapitalistische Wirtschaft, die das gesellschaftliche Wohl unterhöhlt, nach Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes vergesellschaftet wird oder nicht.

Dann geht es um ökonomische Entscheidungen, die in den Unternehmen und Betrieben getroffen werden und für die es einer vielfach erweiterten Mitbestimmung bedarf; beteiligt werden müssen die Beschäftigten mit ihren gewerkschaftlichen Vertretungen, aber auch Umwelt- und Verbraucherverbände, die Menschen als Konsumentinnen und Konsumenten. Um ein Beispiel außerhalb der Autoindustrie zu bemühen: Viele Menschen würden gerne auf die teuren und extrem umweltunverträglichen Plastikverpackungen beim Einkauf von Lebensmitteln verzichten – aber allein die Eigner und Manager von Rewe, Edeka, Lidl und den anderen Einzelhandelsgiganten entscheiden unter kurzfristigen Profitgesichtspunkten über die Art und Weise der Verpackung.

Natürlich müssen langlebige Waren hergestellt werden – mit dem eingebauten Verschleiß (Obsoleszenz) muss Schluss sein; mit betrügerischen Produkten ohnehin.

Technisch geht es um die Frage, Aufrüsten oder Umrüsten. Weg von 2 Tonnen Stahl und monströser Technik auf vier Gummirädern zwecks Transport von einer Person von A nach B – hin zu bedarfsorientiertem öffentlichem Personen- und Güterverkehr auf Schienen, Wasserwegen und – soweit unvermeidbar – auf Straßen, sicherlich nicht in kleinen privaten Autos, die zu 90% Stehzeuge und nicht Fahrzeuge sind. Busse, auch Oberleitungsbusse, Bahnen, auch Seilbahnen und viel mehr Personen- und Güterzüge, Antriebe dafür und für Schiffe und die Vernetzung all dessen – Model-Mix.

Sozial geht es um Gute Arbeit versus Profitmaximierung statt solcher „Visionen“: „VW-Werker und Roboter arbeiten jetzt Hand in Hand“. So wird es einsam um die Kolleginnen und Kollegen in den Werkshallen und der Robby macht keine Pause, trinkt keinen Kaffee, spielt keine Karten und erzählt nix von zu Hause. Der Tarifvertrag und die Gewerkschaft sind dem auch schnuppe!

Ökologisch geht es um Klimabelastungen bzw. deren Vermeidung, um Gesundheit, um Flächenverbrauch und Flächenversiegelung, um Ressourcenschutz und in dem Zusammenhang auch um Krieg und Frieden, um die Möglichkeit oder die Blockierung alternativen Verkehrs.

Wir wollen dem Weltuntergang in Zeitlupe nicht weiter zuschauen!

Ökonomisch geht es um Profit und darum, dass der Staat bzw. die Staaten die Autoindustrie direkt mit Milliarden subventionieren (Abwrackprämie, E-Mobilität) – wie auch indirekt durch Steuererleichterungen, Steuerverzicht, Infrastrukturleistungen, Rabatte auf Energie, Wasser, Abwasser etc.pp

Ethisch geht es um die Frage, ob wir so leben wollen, ob wir so arbeiten, produzieren und konsumieren wollen. Diese Produktionsweise ist mit unendlich vielen Ungerechtigkeiten behaftet, sie ist zerstörerisch und tödlich für viele Menschen – ähnlich stringent wie die Rüstungsproduktion. Jede Waffe findet ihren Krieg und allein in Deutschland starben im vergangenen Jahr 3.500 Menschen bei Verkehrsunfällen, weltweit sind es 1,2 Millionen p.a., mehr als 300 Tote pro Tag!

Juristisch geht es nicht in erster Linie um den Abgasbetruges, nicht um die Frage, ob da auch die Finanzbehörden betrogen wurden und wer für diesen Schaden aufkommt. Vor allem geht es um die Eigentums- bzw. die Verfügungsfrage. Der Porsche-Piëch-Clan, die Quandts und Klatten, die Scheichs von Katar und Kuweit haben von dem Abgasbetrug profitiert, diese Profite quasi als Hehler aber längst privatisiert durch Dividendeneinnahmen der zurückliegenden 10 Jahre. Wie verhält es sich da mit dem Eigentum, das dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll und widrigenfalls enteignet werden kann. Jeder Dieb und Hehler muss das Diebesgut abgeben – warum nicht die Großaktionäre der Autoindustrie?

Politisch geht es um die Rolle des Staates, der für Volkswagen zum Beispiel von der damaligen Besatzungsmacht als Treuhänder eingesetzt wurde. Um am Beispiel zu bleiben: Das Land Niedersachsen hat – ungeachtet der jeweiligen Regierungskonstellation – an seinen Anteilen am Unternehmen festgehalten. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer aktiven Wirtschaftspolitik – diese ist erforderlich, wenn Wirtschaftsdemokratie durchgesetzt werden soll. Das Land als großer Aktionär und die IG Metall bzw. der Betriebsrat verfügen über 12 von 21 Stimmen im Aufsichtsrat.

Es sind viele Hebel und Chancen vorhanden, es gilt sie zu nutzen!

 

 

 

 

 

 

[1] https://www.energie-lexikon.info/atkinson_motor.html

[2] Leiharbeiter entlassen, Werk- und Lieferverträge kündigen; z.B. Massenentlassungen bei Audi in Mexiko

[3] https://www.nationalgeographic.com/travel/features/smart-cities/kigali-rwanda-innovation/

[4] https://www.ardmediathek.de/tv/REPORT-MAINZ/Wie-UBER-und-Co-deutsche-St%C3%A4dte-erobern/Das-Erste/Video?bcastId=310120&documentId=54481946

[5] https://www.linksfraktion-hannover.de/fileadmin/fraktionhannover/user/upload/HVW2018-Kap01-05-RTF-END-END.pdf

[6] https://diefreiheitsliebe.de/politik/meinungsstark-politik/kampfplatz-verkehrswende-die-autogesellschaft-ist-ein-rechtes-projekt/

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