Entsorgte Geschichte: Der inszenierte Fall des VW-Gesetzes

Gerichte, Regierung und Kapital spielten sich die Bälle zu. Auch in Wolfsburg soll wieder »Ordnung« herrschen

Bundes- und Landesregierung von Niedersachsen hatten es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom Dienstag auffallend eilig zu erklären, daß es zügig umgesetzt werde. Als hätten sie darauf gewartet. Bereits 1988 hatte die Bundesregierung ihren Anteil an VW verkauft, das Gesetz für überholt erklärt und die Grundlagen für das jetzige EuGH-Urteil gelegt: Den Machtwünschen des VW-Vorstandes und den unverfrorenen Ansprüchen des Porsche-Piëch-Clans wurde nun Rechnung getragen.

Das Urteil

Verurteilt wurde die Bundesrepublik Deutschland wegen Verstoßes gegen Artikel 56 des EG-Vertrages von 1957. Die im VW-Gesetz verankerte Höchstgrenze von 20 Prozent der Stimmrechte bei Aktionärsversammlungen und das Recht des Landes, zwei Aufsichtsratsmitglieder zu stellen, seien eine Einschränkung der Freiheit des Kapitals; sprich: Superreiche Investoren »könnten von Direktinvestitionen abgehalten werden«. Dabei war und ist Volkswagen kein x-beliebiges Unternehmen, auch wenn der Anschein erweckt wird.

Das VW-Gesetz stellte historisch einen gesellschaftlichen Kompromiß dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Gewerkschaften einen berechtigten Anspruch auf Rückübertragung ihres von den Nazis geraubten Eigentums. Mit einem Teil davon hatte der Wehrwirtschaftsführer Ferdinand Porsche in den 30ern das Werk errichten lassen. Nach dem Krieg wurde das Unternehmen als »herrenloses Gut« zunächst von den Briten verwaltet und war später als VW GmbH quasi Staatsbetrieb. Das durfte wohl nicht sein.

Um den Widerstand gegen die damas angestrebte Privatisierung zu brechen, verabschiedete der Bundestag 1960 das VW-Gesetz. Nach langen juristischen Spitzfindigkeiten befanden nun die EuGH-Richter: »Für die Kommission, die die Relevanz dieser historischen Erwägungen verneint, dient das VW-Gesetz nicht dem Allgemeininteresse, (…) sondern wirtschaftspolitischen Zielen, die Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs grundsätzlich nicht rechtfertigen könnten. Die (…) auf den Arbeitnehmerschutz gestützte Rechtfertigung ist zu verwerfen. (…) Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die öffentlichen Akteure (Bund und Land) ihre Stellung unter (…) Umständen zur Wahrung von Allgemeininteressen nutzen, die möglicherweise den wirtschaftlichen Interessen der betreffenden Gesellschaft und damit den Interessen der anderen Aktionäre zuwiderlaufen.« Kapitalinteressen, auf die der Staat verpflichtet wird, gehen vor Interessen der Allgemeinheit – das ist in aller Klarheit der Kern der Auseinandersetzung, die mit diesem Urteil nicht beendet sein wird.

Nach dem Urteil erklärte die Porsche AG ganz patriotisch den Standort Deutschland für gestärkt. Jetzt kann sich der Familienclan die Mehrheit bei VW kaufen. Die Kommentatorin der ARD-Tagesthemen beschwor gar Porsches Familientradition, die dem Land zu dienen habe. Auf diese Vergangenheit bezieht sich auch Porsche-Enkel und VW-Chefaufseher Ferdinand Piëch: In seiner Biografie erwähnt er die Nicht-Verurteilung seines Großvaters und Naziführers Ferdinand Porsche durch die Alliierten, um dann zu erklären: »In den achtziger und neunziger Jahren ist das Thema … dazu benutzt worden, recht persönliche Ziele zu erreichen, die mit der historischen Wahrheitsfindung so gar nichts zu tun hatten.« Er verweist auf »humanitäre Projekte in den Heimatländern der ehemaligen Zwangsarbeiter« und darauf, daß VW »die größte Gemeinschaftsunternehmung mit Israel« unterhalte. Die Wirren der Nachkriegszeit sind für den Porsche-Piëch-Clan vorbei.

Perspektiven

Doch das VW-Gesetz sollte aus den Erfahrungen mit dem Faschismus jeden beherrschenden Kapitaleinfluß unterbinden. Geschichte schert die Mächtigen nicht mehr. Mit dem Fall des VW-Gesetzes wird die kapitalistische »Ordnung« insoweit wieder hergestellt, als die Gewerkschaften praktisch ein weiteres Mal enteignet, die Zwangsarbeiter ein weiteres Mal um ihren Lohn betrogen werden.

Nun kann der EuGH das Gesetz nicht für nichtig erklären. Das müßte der Bundestag tun. Deshalb ist Widerstand gegen den neoliberalen Umbau in der EU notwendig. Bündnispartner im Kampf dürften beispielsweise all jene sein, die aus guten Gründen gegen die Privatisierung der Bahn kämpfen, einer Privatisierungen zum Nutzen weniger. Als Köder für die Massen hat man in Berlin wieder die »Volksaktie« hervorgekramt. Dabei ist seit VW und Telekom doppelt klar, daß Volksaktien Volksverarschung bedeuten: Wir sollen zahlen, damit uns das Fell über die Ohren gezogen wird.

Wenn sich der Bundestag dem Verdikt des EuGH beugt, falls Gewerkschaften und Belegschaften nicht entschieden dagegen kämpfen, stehen den Beschäftigten von Volkswagen, Audi, Porsche, Seat und Skoda heiße Zeiten bevor: Sie werden sich wehren müssen gegen radikalen Personal- und Sozialabbau und rigorose Leistungsverdichtung. Der Porsche-Piëch-Clan wird mehr als bisher die Standorte gegeneinander ausspielen. Solidarischen Aktionen der Beschäftigten in den Fabriken kommt überragende Bedeutung zu. Das betrifft auch die kaltblütig und dubios zustande gekommene Vereinbarung zur »Mitbestimmung« in der neuen Porsche-Holding, bei der sich Porsche-Betriebsrat Uwe Hück als Wadenbeißer seiner Herren gefällt. Auf die Justiz zu setzen, wäre dabei so fatal wie auf einen Streit im Porsche-Clan und die Rettung durch Piëch persönlich zu hoffen.

Der EuGH konstatiert in seinem Urteil schließlich: »…können die Bestimmungen des fraglichen Gesetzes nicht mehr allein durch den Willen der Parteien der ursprünglichen Vereinbarung geändert werden, sondern jede Änderung bedarf der Verabschiedung eines neuen Gesetzes in den Verfahren, die das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland dafür vorsieht.« Hierbei kann und muß Druck gemacht werden, in Betrieben und auf Straßen, Streiks nicht ausgeschlossen.

junge welt, 27.10.2007

 

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