Eine Welt ohne Theater? Wie arm wäre diese Welt!


Dessau hat Glück!

„… aber erst hier habe ich wirklich verstanden, wie wichtig das Theater für eine Stadt sein kann.“ (Die Wiener Schauspielerin und Sängerin Andrea Eckert über Dessau)

In Dessau ist die bewegte Geschichte des Bauhauses beheimatet und aufbewahrt, was schon eine Reise in diese anhaltinische Stadt wert ist. Und dann ist da noch Kurt Weill, der weltbekannte jüdische Komponist, im März 1900 in Dessau geboren, dort seine Kindheit verbrachte und Klavier spielen lernte. Diesem ihrem von den Nazis vertriebenen Sohn der Stadt Dessau widmet sie seit 25 Jahren ein jährliches Theaterfest – ein weiterer guter Grund, die Stadt zu besuchen. Die mit Bertolt Brecht 1927 begonnene Zusammenarbeit setzte er angestrengt und erfolgreich in den USA fort. Lotte Lenya, die er 1926 heiratete, war die überragende Interpretin der Lieder, die Brecht und Weill zusammen geschaffen hatten: Meckie Messer und die Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper, der Alabama-Song aus dem Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny sind wohl die bekanntesten Songs der Lotte Lenya.

Das Leben von Lotte Lenya, eine Jahrhundertgeschichte von Frauenemanzipation und populärer Musik im besten Sinne des Wortes: Im Rahmen des diesjährigen Kurt-Weill-Festes gab es einen Abend von und mit Andrea Eckert im wunderschönen Anhaltinischen Theater der Stadt – allein dieses Theater ein Grund für eine Reise nach Dessau. Lotte Lenya, aus ärmlichen Verhältnissen in Wien stammend, hat sich ihren Lebensweg und ihre künstlerische Karriere mit viel Energie und Zähigkeit erarbeitet, nicht verbissen, sondern charmant und auf betörende Art erotisch, wie Andrea Eckart zwischen den Liedern erzählt: „Nein, Du bist nicht schön, aber die Männer werden Dich mögen“.  Die Scheidung von Kurt Weill, der 1933 nach Paris, später in die USA emigrierte, erfolgte auch zu dem Zweck, das Eigentum von Weill vor dem Zugriff der Nazis zu schützen. Beide heirateten 1937 ein zweites Mal und waren sich sicher: „Wir sind das einzige Ehepaar auf der Welt, das keine Probleme miteinander hat“ (Andrea Eckert). Die Liebe zu Lotte Lenya, zu ihrer großen Kunst zu interpretieren, brachte Andrea Eckert überzeugend auf die Bühne. Die berührenden Geschichten, die sie warmherzig zwischen den Liedern erzählte, sind Zeugnis einer tiefen Beschäftigung mit dieser Frau, ihrem Leben, ihren Erfolgen und ihren Dramen. Aus der Starre, in die sie nach dem Tode von Kurt Weill im April 1950 verfiel, wurde sie von Georg Davis und ihrer Arbeit befreit. Sie traf Bertolt Brecht in Berlin, Andrea Eckart wusste zu erzählen, dass Brecht sie bat, Nanna’s Lied ein zweites Mal zu singen – es gäbe wohl nie wieder eine Künstlerin, die mit ihrer Interpretation so dicht an der Idee des Textes sei.

Ein genussvoller Abend mit einem Strauß von Liedern, nicht so raumgreifend, wie Gisela May, aber sehr intensiv, authentisch und überzeugend in ihrem Versuch, Lotte Lenya ein Denkmal zu setzen.  Fein abgestimmt und begleitet wurde die Sängerin von Musikern der Anhaltinischen Philharmonie Dessau – ein weiterer guter Grund, diese Stadt zu besuchen.

Eine Welt ohne Theater? Wie arm wäre die Welt! Dessau sei Dank, dass das Erbe von Kurt Weill,  Lotte Lenya und Bertolt Brecht  lebendig gehalten wird.

(Ossietzky, 8/2017)

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