Institut Solidarische Moderne ISM koordiniert Initiativen in Deutschland.
Am 23.10.23 hat in London das Jahrestreffen unseres europäischen Netzwerks für Arbeitszeitverkürzung stattgefunden. Beherbergt wurden wir vom Autonomy Institute, dem linken think tank, der sich schon lange mit Arbeitszeitverkürzung befasst, u.a. den britischen Pilotversuch zur Vier-Tage-Woche begleitet und evaluiert hat und bei dem auch unsere Koordinatorin India Burgess angesiedelt ist, in einem co-working-house, in dem 15 linke Organisationen und Initiativen, u.a. die RLS London, selbstverwaltet arbeiten.
Margareta Steinrücke hat unsere AG ArbeitFairTeilen vertreten. Außerdem war Lukas Stolz vom ISM Institut Solidarische Moderne da, das auf Initiative von Andrea Ypsilanti eine Koordination aller Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung in Deutschland in Angriff genommen hat. Aus Großbritannien war ein Vertreter von Autonomy, eine Kollegin von der Universität Nottingham und eine Vertreterin der 4DayWeekCampaign dabei, aus den Niederlanden eine Kollegin vom niederländischen Gewerkschaftsbund FNV und ein Kollege von der Universität Antwerpen, aus Spanien und Portugal je ein Kollege von den dortigen staatlich unterstützten Vier-Tage-Wochen-Pilotprojekten, aus Griechenland eine Vertreterin des Nicos Poulantzas-Insitut (Syriza nahestehend) und eine des Institute of Alternative Policies, aus Island ein Vertreter von ALDA, ein mit den isländischen Gewerkschaften zum Thema Arbeitszeitverkürzung eng zusammenarbeitender thinktank, aus Schweden ein Kollege der Kommunal-Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst und aus Frankreich Adrien Tusseau, der Vertreter des Réseau Roosevelt, mit uns AG ArbeitFairTeilen zusammen Gründungsmitglied des Netzwerks. Außerdem war endlich wieder ein Kollege vom Europäischen Gewerkschaftsbund ETUC dabei, welcher auch von Anfang an im Netzwerk, aber wegen Ausscheidens der zuständigen Kollegin zeitweilig nicht präsent war. ETUC will sich jetzt für Arbeitszeitverkürzung neu verstärkt engagieren, auch Dank der neuen Generalsekretärin Esther Lynch, die vorher im ETUC-Vorstand für Arbeitszeitfragen zuständig war.
In allen Ländern gibt es eine Art Bewegung von Unternehmen, eher KMU, für die Vier-Tage-Woche, in Großbritannien als erfolgreicher Großversuch mit 61 Unternehmen, in Spanien und Portugal von den linken Regierungen unterstützt, in Deutschland gerade mit 50 Unternehmen für Januar 2024 am Start. In Island gibt es für 51% aller Beschäftigten eine tarifvertragliche Möglichkeit der Arbeitszeitverkürzung auf 35/36 Stunden, in Schweden haben manche öffentlichen Verwaltungen die 35-Stunden-Woche und die Gewerkschaft kommunal fordert die 30-Stunden-Woche. In Deutschland fordert die IGM die 32-Stunden-Woche bzw. die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich für die Stahlindustrie, Verdi hat gerade einen wegweisenden Tarifvertrag über 35-Stunden-Woche für die Eisenberger Kliniken abgeschlossen. Bei der VW-Tochter PowerCo in Salzgitter gibt es einen Arbeitszeitkorridor von 28 bis 40 Stunden, bei dem jede Arbeitszeit als Vollzeit gilt. In der Schweiz, in der bisher alle Tarifverträge über 40 Stunden liegen, plant die Gewerkschaft UNIA eine Kampagne zu lebenskompatiblen Arbeitszeiten. In Frankreich setzen sich die Gewerkschaften CGT und Solidaire für die 32-Stunden-Woche ein, als politisches Projekt zur Ablösung des 35-Stunden-Gesetzes. In den Niederlanden ist auch ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche geplant, allerdings von den Gewerkschaften unter der Bedingung unterstützt, dass es nicht zu einer Kompression gleichbleibender Arbeitszeit auf vier Tage kommt. Das ist auch die Position von verdi: Vier-Tage-Woche nur, wenn die einzelnen Arbeitstage nicht länger als 8 stunden sind. Eine 36-stundenwoche mit vier mal 8 Stunden und einem halben fünften Tag bei vollem Lohnausgleich ist übrigens eines der verbreiteten betrieblichen Modelle in Deutschland. Deprimierende Nachrichten kamen aus Griechenland, wo neben ähnlich gelagerten Versuchen einzelner Unternehmen, um qualifizierte junge Beschäftigte zu gewinnen, die konservative Regierung ein Arbeitsmarktgesetz durchgepeitscht hat mit der Möglichkeit von Null-Stunden-Verträgen und 13-Stunden-Tagen, wenn Personen bei mehreren Firmen beschäftigt sind.
Intensiv debattiert wurden Fragen von Produktivitätssteigerung
- insbesondere durch sinkende Krankheitsraten und motivierteres arbeiten, und ihr Verhältnis zu Arbeitsintensivierung bzw. in Branchen wie der Pflege notwendigem Personalausgleich;
- der Verkürzung um einen ganzen Tag oder täglicher Arbeitszeitverkürzung;
- erstere mit den Vorteilen der Einsparung von Fahrgeld und -zeit und Emissionen und des einfacheren sich ausklinken könnens, wenn man einen ganzen Tag weg ist bzw. der eingeschränkten Möglichkeit von Überstunden, wenn der Arbeitstag bereits länger ist;
- letztere mit der besseren Vereinbarkeit mit täglich anfallenden entsorgungspflichtigen.
- Ersteres wurde auch als leichter als neues Lebensmodell etablierbar betrachtet, nach dem Motto „Freitag ist der neue Samstag“;
- des Lohnausgleichs, ohne den es für viele gar nicht geht (in D lt. WSI-umfrage 73%), de facto aber vielen die Arbeitszeitverkürzung soviel wert ist, dass sie sie auch ohne Lohnausgleich bevorzugen, was ja auch die Popularität der ganzen Tarifverträge zur wahl zwischen Geld und Zeit bei Lohnerhöhungen zeigt (zuerst in Österreich die „Freizeitoption“, in Deutschland zuerst die EVG, dann IG Metall mit 8 freien Tagen);
- der Teilzeitbeschäftigten, die oft mit Arbeitszeitverkürzung noch weniger Stunden und dadurch weniger Geld assoziieren, weswegen die niederländischen Gewerkschaften eine Kampagne auch zur Stundenerhöhung für Teilzeitbeschäftigte unterstützen und die IG Metall die Argumentation stark macht, dass eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich für alle für Teilzeitbeschäftigte bei gleichbleibender Stundenzahl eine merkliche Lohnerhöhung bedeutet.
Das Netzwerk selbst hat sich in Form einer Association französischen Rechts formalisiert mit einem siebenköpfigen Koordinationsgremium (eine davon ist Margareta Steinrücke) und einem 3köpfigen Vorstand aus Adrien Tusseau/Réseau Roosevelt/Vors., José Gallegos/Uni Antwerpen / Finanzverantwortlicher und India Burgess/Autonomy/Geschäftsführerin. Neben der neuen Website und den bereits laufenden Aktivitäten des vierteljährlich erscheinenden europäischen Newsletters zu Arbeitszeitverkürzung, der monatlichen Mittagswebinare zu aktuellen Fragen der Arbeitszeitverkürzung und den alle 2 Jahre stattfindenden Konferenzen zu einem Kernthema (2020 „Working time reduction and climate crisis“, 2022 „A 4-Day-Week for Europe?“) soll insbesondere für den kontinuierlichen Austausch der Mitglieder untereinander zu neuen Tarifentwicklungen, Betriebsprojekten, Studien, Kampagnen eine Plattform zur Verfügung gestellt werden und neue Mitglieder von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Ländern wie z.b. Finnland und Dänemark, die noch nicht dabei sind, angesprochen und gewonnen werden. Dabei will der ETUC mit seinen Möglichkeiten unterstützen und es soll für jedes Land eine/n Ansprechpartner*in bestimmt werden, die die Koordination im jeweiligen Land unterstützt.
Zur Finanzierung dieser Aktivitäten und deren Koordinierung bedarf es einer kontinuierlicheren Einnahmestruktur. Bisher gibt es jedes Jahr wieder neu zu beantragende Zuschüsse von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt, attac, Réseau Roosevelt, Alexander Ferry-Stiftung, Autonomy-Institute, die aber nicht ausreichen (und im Fall der RLS akut gefährdet sind), weshalb über die Erschließung neuer Geldgeber*innen und evtl. die Erhebung eines Mitgliedsbeitrags nachgedacht werden muss.
Die nächste Konferenz in 2024 soll wieder hybrid in Brüssel stattfinden mit dem Thema „Strategien der Arbeitszeitverkürzung“ mit breitem Raum für die Diskussion guter Beispiele, wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Hindernisse, mit denen sich Strategien der Arbeitszeitverkürzung konfrontiert sehen, mit dem Ziel, unsere Argumente für „gute Arbeitszeitverkürzung“ zu schärfen und durchschlagskräftig zu machen.
https://www.solidarische-moderne.de/
https://www.attac-netzwerk.de/arbeitsgruppen/ag-arbeitfairteilen/startseite