Gute Arbeit in der Transformation

Arbeitszeitverkürzung auf der Agenda, für Gesundheit, Gerechtigkeit und Demokratie, tariflich und gesetzlich!

Die Redaktion der Zeitschrift der SPD-Linken, SPW – Sozialistische Politik und Wirtschaft, hat mich eingeladen, einen Beitrag zum Schwerpunktheft „Gute Arbeit in Zeiten der Transformation“ zu leisten. Die Jungsozialist*innen in der SPD brachten auf ihrem im Juli 2023 in Bremen veranstalteten „Kongress der Arbeit“ ihr Grundverständnis zum Ausdruck, demnach Erwerbsarbeit einen wesentlichen Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe und Selbstermächtigung darstellt. Arbeitszeitverkürzung, ein entschiedenes Vorgehen gegen die Ausbeutung von Frauen und migrantisierten Menschen, das Gelingen der Transformation der Wirtschaft und ihre Bedeutung für die Arbeitswelt sind wichtige Herausforderungen, denen sich dieser Kongress gewidmet hat. Mit dem vorliegenden Schwerpunkt möchten wir dazu beitragen, die Debatten rund um die Transformation stärker zu verknüpfen und damit fruchtbar für linke Politik zu machen.

Arbeitszeitverkürzung auf der Agenda! Weniger Arbeit für den gleichen Lohn – das fordert die IG Metall für die Beschäftigten der Stahlindustrie. Der Bezirksleiter der IG-Metall NRW, Knut Giesler, sagt: „Wir wollen eine echte Entlastung für die Beschäftigten erreichen, ohne dass sie deshalb weniger verdienen.“ Hintergrund dieser Bemerkung ist, dass bereits jetzt Beschäftigte in der Stahlindustrie ihre Arbeitszeit auf 32 Stunden reduzieren können – allerdings ohne Entgeltausgleich. Das ist nie gut, in Zeiten hoher Inflation gar nicht möglich. Die Debatte wird schon länger geführt und die Forderungen werden lauter. Eine politische Begründung dieser grundlegenden Forderung nach der Vier-Tage-Woche ist für die bevorstehenden Kämpfe hilfreich und nötig. Arbeitszeit ist nicht nur eine ökonomische Kategorie, sondern hat primär soziale, ökologische, demokratische und kulturelle Dimensionen.

1. Arbeitszeitverkürzung für Gesundheit, Gerechtigkeit und Demokratie

Zweck des Arbeitszeitgesetzes ist es,die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer … zu verbessern …“ (§1 ArbZG). Es sollte auch künftig dem Parlament und der Regierung bei der Regelung der Arbeitszeit in allererster Linie um Sicherheit und Gesundheitsschutz der Millionen Arbeitnehmer*innen gehen, nicht um wirtschaftliche Interessen.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat in ihrem jüngsten Arbeitszeitreport in vielen Kapiteln den Zusammenhang von langen und wenig planbaren (flexiblen) Arbeitszeiten und gesundheitlichen Schädigungen belegt.1 Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten klagt über Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen. Gewerkschaften und Sozialversicherungen, Arbeitgeber und Regierung beklagen die Zunahme psychischer Erkrankungen: Der Arbeitsausfall wegen psychischer Erkrankungen erreichte 2021 mit 276 Fehltagen je 100 Versicherten einen Höchststand, 41 Prozent über dem von vor zehn Jahren.2 Hinter diesen nüchternen Zahlen verbirgt sich hunderttausendfaches menschliches Leid. Wer dennoch, wie konservativ-liberale Politiker und die Arbeitgeberverbände, den Acht-Stunden-Tag in Frage stellt und eine Verkürzung von Ruhezeiten fordert, fällt hinter den Stand gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse zurück und greift direkt die Gesundheit der Beschäftigten an. Mit längerer Arbeitszeit steigen Belastungen des Herz-Kreislauf- und des Muskel-Skelett-Systems sowie das Unfallgeschehen3.

Die Forderung nach der Vier-Tage-Woche für alle ist richtig, weil die meisten Beschäftigten sich diese wünschen, wie der BauA-Arbeitszeitreport ebenso belegt wie Befragungen durch Gewerkschaften. Die Ergebnisse der Befragung der IG Metall (2017) sind eindeutig. Mit 681.241 Rückmeldungen ist sie die größte Vollerhebung, die je in einem Wirtschaftsbereich durchgeführt wurde. Fast 50 Prozent der Befragten sprechen sich für tarifliche wöchentliche Arbeitszeitverkürzung aus, „auch wenn dieses teilweise Entgeltzuwächse kostet“. In der Folgebefragung 20204 sprachen sich fast 70 Prozent für die Vier-Tage-Woche mit teilweisem Entgeltausgleich aus, eine Befragung des WSI der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass sich gut 80 Prozent der befragten Vollzeitbeschäftigten eine Vier-Tage-Woche mit reduzierter Wochenarbeitszeit wünschen5. Ein wichtiger Punkt bei diesen Wünschen ist die Überwindung der Ungerechtigkeit zwischen älteren und jüngeren, zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten: Prekäre Beschäftigung in Praktika, Minijobs und kurzer Teilzeit ist vor allem jung und weiblich. Ohne Verkürzung und faire Teilung der Arbeitszeit ist Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und eine Verbesserung der Lage der prekär Beschäftigten und deren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht möglich.

Schließlich geht es bei der Verkürzung der Zeit für Erwerbsarbeit seit 200 Jahren darum, die selbstbestimmte Zeit der Individuen zu verlängern und so kulturelle, soziale und politische Beteiligung zu ermöglichen, die Demokratie zu stärken.

2. Arbeitszeitverkürzung tariflich und gesetzlich

Die Kämpfe um Arbeitszeitverkürzung werden seit 200 Jahren härter als Lohnkämpfe geführt. Das Massaker auf dem Haymarket in Chicago beim Generalstreik für den 8-Stunden-Tag im Mai 1886 ist die Geburtsstunde des 1. Mai als Kampftag der internationalen Arbeiterklasse. In Deutschland wurde der 8-Stunden-Tag in einer ganz anderen Arbeitswelt im Ergebnis der Novemberrevolution von 1918 eingeführt. John Maynard Keynes hat 1930 vorausgesagt, dass die Menschen im Jahr 2030 nur noch 15 Stunden pro Woche Lohnarbeit leisten müssen, dann wären alle so reich, dass wir uns das leisten könnten. Die Produktivität ist schneller gewachsen, der Reichtum ist da, nur sehr ungleich verteilt.

Wie jetzt in der Stahlindustrie muss es um kollektive Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich gehen – weitere Flexibilisierung und individuelle Arbeitszeitverkürzung führen zu Prekarisierung, zu Teilzeitarbeit mit entsprechender Lohnkürzung und zu weiteren Spaltungslinien und Entsolidarisierungen in der Arbeitswelt. Deshalb sind Tarifverträge ein wichtiges Instrument, gute Arbeit gibt es nur mit guten Tarifverträgen. Das System der Tarifverträge ist jedoch erodiert, Arbeitgeber schaffen Bereiche OT (ohne Tarifbindung), obwohl sie gesetzlicher Kontrahent der Gewerkschaften sind (Tarifvertragsgesetz §2.1). Nur noch etwa die Hälfte aller abhängig Beschäftigten arbeitet wegen Tarifflucht der Arbeitgeber unter den Bedingungen eines Tarifvertrages, nur noch jeder fünfte Betrieb ist tarifgebunden. Diese Entwicklung muss durch gewerkschaftliche Kämpfe und kann durch die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen6 gestoppt und umgedreht werden. Die EU-Mindestlohn-Richtlinie (2022/2041) schreibt vor, dass „jeder Mitgliedstaat, in dem die tarifvertragliche Abdeckung unterhalb einer Schwelle von 80 Prozent liegt“, einen Aktionsplan zu erstellen hat. Dieser soll einen klaren Zeitplan und konkrete Maßnahmen zur schrittweisen Erhöhung der tarifvertraglichen Abdeckung enthalten. Mehr als 100 Jahre nach Beginn des gesetzlichen 8-Stunden-Tages steht flankierend wie in anderen Ländern eine gesetzliche Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit auf der Tagesordnung. Es ist aus der Zeit gefallen, dass per Arbeitszeitgesetz 48-Stunden-Wochen möglich, an sechs Werktagen jeweils 8 Stunden Erwerbsarbeit zulässig sind. Die gesetzliche Reduzierung auf 40 Stunden Höchstarbeitszeit pro Woche wie in anderen europäischen Ländern ist aus ökonomischen, sozialen, ökologischen und politischen Gründen überfällig und programmatisches Ziel linker Parteien.

Wie im Kampf um die 35-Stunden-Woche in den 1980er Jahren werden Gewerkschaften für die Durchsetzung der Vier-Tage-Woche eine gesellschaftliche Kampagne brauchen. Die Bündnispartnerinnen stehen schon bereit: Frauen- und Jugendgruppen, Erwerbsloseninitiativen, Umwelt- und Sozialverbände, kirchliche Arbeitnehmergruppen, Medizinerinnen und Krankenkassen, Sportvereine und kritische Ökonominnen7. Dieses Bündnis braucht es, weil es den Arbeitgebern im Verbund mit konservativen und neoliberalen Politikern und Medien eigentlich nur um Macht geht. Ökonomisch ist kollektive Arbeitszeitverkürzung kein Problem, da die durchschnittliche Arbeitszeit bereits nahe an 30 Stunden liegt – nur ungleich verteilt zwischen Erwerbslosigkeit, Minijobs und unfreiwilliger Teilzeit auf der einen und oft überlanger Vollzeit auf der anderen Seite.

https://www.ndr.de/ndrfragt/Umfrage-grosse-Mehrheit-fuer-Vier-Tage-Woche,ergebnisse1192.html

https://www.igmetall.de/tarif/tarifrunden/eisen-und-stahl/diskussion-ueber-4-tage-woche-als-tarifforderung

1BauA (2022). Arbeitszeitreport Deutschland: Ergebnisse der BauA-Arbeitszeitbefragung 2021. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2507.html (letzter Abruf: 6. Juni 2023).

2https://www.dgb.de/themen/++co++e2acc61a-12e5-11eb-8616-001a4a160123, https://www.dak.de/dak/bundesthemen/psychreport-2022-2533048.html#/ (letzter Abruf: 6. Juni 2023).

32021 mehr als 800.000 Arbeitsunfälle, 510 davon tödlich. Umfassend belegt ist, dass die Dauer der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit mit der Höhe des Risikos für Fehlhandlungen und arbeitsbedingte Unfälle zusammenhängt (Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu Arbeitszeit und gesundheitlichen Auswirkungen. baua-fokus März 2019).

4https://www.igmetall.de/download/Datenblatt-Tarifpolitische-Forderungen_2f7c927cc108c1ad7009eb2dbfc10717e2b59ce8.pdf (letzter Abruf: 6. Juni 2023).

5https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008610 (letzter Abruf: 6. Juni 2023).

6TVG §5.1.2: „Die Allgemeinverbindlicherklärung erscheint in der Regel im öffentlichen Interesse geboten, wenn die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherklärung verlangt.“

7Konzeptwerk Neue Ökonomie https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/wp-content/uploads/2023/01/Dossier_Arbeitszeitverkuerzung_KNOE2023.pdf; Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik file:///C:/Users/User/Downloads/Mechthild%20Schrooten,%20Arbeitszeit%20bei%20Lohnausgleich%20verk%C3%BCrzen,-1.pdf Arbeitszeitforscher Philipp Frey https://www.vice.com/de/article/93ka5p/dieser-forscher-zerlegt-alle-argumente-gegen-die-viertagewoche?utm_source=vicefbde&utm_medium=link und Teresa Bücker https://sz-magazin.sueddeutsche.de/freie-radikale/teresa-buecker-viertagewoche-arbeit-92731 (letzter Abruf: 6. Juni 2023).

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