Arbeit gut, alles gut?

Die Welt befindet sich im Umbruch, Krisen und Kriege dominieren das Weltgeschehen. Das hat massive Wirkungen auf die Erwerbsarbeit, verlangt radikale Veränderungen bei Produktion und Konsum und gefährdet in der Folge Arbeitsplätzen und sozialen Errungenschaften. Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall fragt mit einen Sammelband unter dem Titel „Gute Arbeit gegen Rechts“ danach, wie wir verhindern, dass aus den aggressiven Weltverhälntissen auch aggressive Betriebsverhältnisse werden. Er orientiert auf Immunisierung gegen Rechts durch Gute Arbeit und aktiven Kampf gegen die Faschisten. Eine Buchbesprechung.

Die Rechtsentwicklung in unserem Land ist eine reale Bedrohung für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, für Gewerkschaften insgesamt, denn für die haben AfD, Höcke & Co. wegen ihrer integrativen Arbeit innerhalb und außerhalb der Betriebe, wegen ihrer konträren Position zum Kapital und den Unternehmern, wegen ihres demokratischen Anspruchs auf Mitbestimmung in Wirtschaft und Gesellschaft keinen Platz in ihrer autoritär-neoliberalen Gesellschaft vorgesehen1. Während in verschiedenen Texten aufgrund der hohen Zustimmung auch von Arbeiterinnen und Arbeitern zu Faschisten wie Höcke, wegen der national-sozialen Rhetorik der Neofaschisten die Frage aufgeworfen wird, ob die AfD die „neue Arbeiterpartei“ sei2, orientiert Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall mit einen Sammelband unter dem Titel „Gute Arbeit gegen Rechts“ auf Immunisierung und aktiven Kampf gegen die Faschisten. Es ist die erste Ausgabe in der Reihe „Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie“, die nach der Einstellung des „Jahrbuch Gute Arbeit“ diese Lücke füllen soll. Die Wahlergebnisse, die große Zustimmung zur AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind die bedrückenden Belege für die Bedeutung des Kampfes gegen Rechts. „Gute Arbeit“ im traditionellen Sinne reicht dafür sicher nicht aus und Gewerkschaften sind nicht allein für den Kampf gegen Faschismus zuständig.

Was ist Gute Arbeit?

In einem knappen Geleitwort schreibt Christiane Benner: Die erste Ausgabe widme sich der Frage, „wie man dem aktuellen Rechtsruck in unserer Gesellschaft und im Betrieb begegnen kann. Für mich steht fest: Wer die Demokratie stärken will, muss den Beschäftigten Sicherheit im Wandel bieten. Mehr Mitbestimmung und Beteiligung ist das Gebot der Stunde.“ Fast 37 Prozent für die AfD in Zwickau und fast 34 Prozent in Eisenach (Landtagswahl 1.9.2024) deuten darauf hin, dass dieser Ansatz nicht ausreicht. In den größten Industriebetrieb der Region, der Volkswagen-Fabrik in Zwickau und der Opel-Fabrik in Eisenach, gibt es einerseits eine aktive Gewerkschaft, gute Löhne, betriebliche Mitbestimmung – andererseits die tatsächliche Unsicherheit der Arbeitsplätze und die tief sitzenden Abstiegsängste der Arbeiterinnen und Arbeiter angesichts der Debatte um das Bürgergeld, fehlender Industriepolitik und strategischer (Fehl-)Entscheidungen der Verwalter des Kapitals; Ford hat bereits die Fabrik in Saarlouis geschlossen und VW schließt betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen nicht mehr aus und konterkariert damit die Bemühungen der Gewerkschaften um Sicherheit im Wandel. „Dass jetzt betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen im Raum stehen, ist Wasser auf die Mühlen der AfD,“ sagt der Kasselaner Betriebsratsvorsitzende im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.3 Gute Arbeit, Mitbestimmung, Beteiligung und soziale Garantien in der Transformation (Dekarbonisierung, Digitalisierung) sind notwendige Zutaten im Kampf gegen Rechts – aber diese Begriffe müssen mit Inhalt gefüllt und in der täglichen Gewerkschaftsarbeit gelebt werden.

Gute Arbeit geht nicht mit sozialer Unsicherheit einher, aber sie ist mehr als ein halbwegs gut bezahlter Job in einer Fabrik für Autoteile, Panzer oder Raketen. Gute Arbeit in diesem Sinne ist keine betriebswirtschaftliche Kategorie etwa von Effizienz. Gute Arbeit ist gesellschaftlich nützlich, ökonomisch und ökologisch nachhaltig, fair entlohnt, kreativ und weitgehend demokratisch organisiert, so gering wie möglich geteilt, so viel wie möglich selbstbestimmt – und verbleibt dennoch im „Reich der Notwendigkeit“4. Zur betrieblichen Mitbestimmung müssen, um die Krise lösen, Abstiegsängste überwinden und Erfahrungen solidarischer Gegenwehr sammeln zu können, politisches Engagement und überbetrieblich koordinierte soziale und politische Kämpfe der Gewerkschaften hinzukommen.

Neoliberaler Absolutismus contra Demokratie

Urban benennt die unabweisliche De-Karbonisierung und die kapitalistische Hyperglobalisierung als Ursache für Unsicherheit und Konflikte und stellt die Frage: „Wie verhindern wir, dass die aggressiven Weltverhältnisse im Zeitalter der Transformation in aggressive Betriebsverhältnisse umschlagen?“ (S.9) und verweist auf die „fundamentale Krise des Kapitalismus“ (S. 13): Der Weg zu Wachstum durch billige Kohle und Öl als Fundament des Kapitalismus ist um der Überlebensfähigkeit der Menschheit willen versperrt. Da die De-Karbonisierung vor allem in der industriellen Produktion stattfinden muss, ist sie „mit der Zuspitzung der sozialen Risiken für die abhängig Arbeitenden verbunden“. Beschäftigung, Einkommen und berufliche Perspektiven geraten unter Druck, woraus bei den gegenwärtigen Machtverhältnissen „Abstiegsängste, Wut und Vorbehalte gegenüber dem politischen System“ erwachsen. Urban beschreibt den kapitalistischen Betrieb als vordemokratischen, durch die Eigentümer oder deren Manager autoritär bestimmten Raum, in dem Freiheitsrechte und politische Öffentlichkeit fehlen: „Besitz-, Macht- und Anweisungsstrukturen gleichen eher einem institutionellen Absolutismus.“ Selbst in sozialpartnerschaftlichen Vorzeigebetrieben haben die Arbeiterinnen und Arbeiter, nicht einmal der Betriebsrat, einen Einfluss auf strategische Entscheidungen. Wenn aber der Staat durch die Ampel-Regierung unter Olaf Scholz ebenfalls wie ein Unternehmen geführt wird, wenn im Bereich der Daseinsvorsorge nur gespart wird und mit der „Zeitenwende“ ein hundertmilliarden schweres Rüstungsprogramm aus dem Hut gezaubert wird, wenn Konzerne wie VW, BMW, Mercedes und Intel trotz Gewinnen und Dividenden für die Aktionäre Milliarden Subventionen erhalten, dann führt genau diese Politik zur „Zuspitzung der sozialen Risiken“. Der begonnene Niedergang des Exports (vor allem von Autos) ist das Vorzeichen von politischen Brüchen mit massiv negativen Auswirkungen auf die untere Hälfte der Gesellschaft. Die Ohnmacht, Entmündigung und Diskriminierung der Arbeiter_innen und Ingenieur_innen in den Betrieben, die arrogante Macht der neoliberalen Ideologie in der Politik und Gesellschaft, wie sie sich jetzt in der Ankündigung des VW-Vorstandes zu Massenentlassungen und Werksschließungen zeigen, müssen betriebsübergreifend zum Thema werden. Die ökonomischen Zusammenhänge in der kapitalistischen Unordnung und Alternativen im kleinen und im großen müssen sichtbar werden, um Wege aus der politischen und ökonomischen Sackgasse zu finden. Die aggressiven Angriffe auf das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter müssen von der gesellschaftlichen Linken laut kritisiert und entschieden bekämpft werden.

Ein wichtiger Teil des Buches sind die Berichte und protokollierten Gespräche mit Aktiven aus Betrieben und der Gewerkschaft, mit Carsten Büchling und Rhonda Koch aus dem Kasseler VW-Werk, mit Thomas Knabel von der IG Metall aus Zwickau, mit Bernd Lösche und Johanna Sittel von Opel in Eisenach und mit Chaja Boebel über die Bedeutung gewerkschaftspolitischer Bildungsarbeit. Gemeinsam ist diesen Berichten und Gesprächen, dass es in den Betrieben und in der Gewerkschaft um mehr Beteiligung derjenigen gehen muss, die bisher nicht gehört werden, um Demokratiezeit im Betrieb. „In Betrieben, in denen Mitbestimmung wirklich gelebt wird, besteht eine gewisse Resilienz gegenüber rechten Haltungen und Positionen.“5 Carsten Büchling und Rhonda Koch sagen: „Je mehr Beteiligung, desto weniger rechte Einstellungen und umso stärker die Gewerkschaft im Betrieb“ (S. 62). Betriebe, zumal Großbetriebe, sind immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Die Betriebsräte aus Kassel nehmen besorgt zur Kenntnis, „dass das Potenzial der AfD im Umkreis von unserem Werk deutlich über dem Trend liegt“ (S.57). Sie beschreiben, wie sie mit dezentralen Betriebsversammlungen und aktiven gewerkschaftlichen Vertrauensleuten die Arbeiterinnen und Arbeiter direkter informieren und in Entscheidungen einbeziehen. Sie benennen aber auch, wie das ständige öffentliche Infagestellen der Transformation durch Manager und Politiker Unruhe schafft und Abstiegsängste schürt. Auf die Folgen fehlender strategischer Mitbestimmung weist Thomas Knabel als Geschäftsführer der IG Metall in Zwickau hin: Das dortige VW-Werk ist auf die ausschließliche Produktion von E-Autos umgebaut worden, die bei einem Verkaufspreis von ca. 40.000 Euro beginnen. Das Werk ist massiv unterausgelastet, Schichten werden abgesagt und Leiharbeiter_innen nicht weiter beschäftigt. „Die Gefahr von Betriebsschließungen oder die Frage, was sich tatsächlich als Zukunftsprodukt erweist und welche Unternehmensstrategie Arbeitsplätze sichert, prägt den gewerkschaftlichen Alltag“ (S. 63). In dieser Unsicherheit wächst in den Belegschaften der Zuspruch zu rechten Positionen und ihren Protagonisten auch bei Betriebsratswahlen. „Wir haben unsere Bildungsveranstaltungen mit den Vertrauensleute verstärkt, um zu verstehen: Wie kann es sein, dass so jemand ohne Programm 20 Prozent bei der Betriebsratswahl (2018) erhält. Nicht ohne Erfolg: Bei der Betriebsratswahl 2022 trat das ‚Zentrum‘ zwar mit mehr Kandidaten an. Gewinner war hingegen die IG Metall mit 93 Prozent der Stimmen“ (S. 65). Mit mehr Beteiligung, einer Urwahl unter allen Gewerkschaftsmitgliedern wurde die Liste der IG Metall aufgestellt, die Vertrauensleute wurden aktiv in die Tarifrunde einbezogen, die 35-Stunden-Woche wurde erkämpft. „Demokratieerfahrung und Selbstermächtigung – das sind Erfahrungen, die der Rechten zuwiderlaufen“ (S. 69).

Am Wahlverhalten vieler Arbeiter_innen, an der „Proletarisierung der extremen Rechten“ (Ingar Solty) gemessen, steht es um „wirklich gelebte Mitbestimmung“ nicht gut genug. Argumentationstrainings, betriebliche Öffentlichkeitsarbeit, eine hohe Präsenz von Mitgliedern des Betriebsrates und gewerkschaftlicher Vertrauensleuten in den Werkstätten, an den Fließbändern und in den betrieblichen Debatten sind unverzichtbar, und doch gibt es dauerhaft keine einzelbetrieblichen Möglichkeiten zur Überwindung von Krisen und Abstiegsängsten im kapitalistischen System. Die aggressiven Weltverhältnisse schlagen auf die Betriebe durch, sind systemisch bedingt und betriebspolitisch letztlich nicht lösbar. Die von Jürgen Reusch im letzten Kapitel zusammengetragenen und kommentierten Fakten, die Beschreibung der „Verwilderung der Arbeitsbeziehungen“, machen das sehr anschaulich: Prekarisierung der Erwerbsarbeit, Tarifflucht der Arbeitgeber, geringere gewerkschaftliche Verankerung in den Betrieben, weitere Flexibilisierung und oft Verlängerung der Arbeitszeiten, Zunahme von Heimarbeit und Soloselbständigkeit sowie Stress und Vereinzelung dadurch und schließlich die Erwartungen auf Armut im Alter sind gesellschaftliche Probleme die gesellschaftlich zu bearbeiten sind. Mit der Zusammenführung unterschiedlicher Akteure in dieser Publikation6 wird der Weg sichtbar, der beim Kampf gegen Rechts erfolgreich sein kann. Deshalb verdient dieses Buch eine breite Leser_innenschaft.

Erschienen in express 9-2024: https://www.express-afp.info/

https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/gute-arbeit-gegen-rechts/

1Siehe Stefan Dietl, Gewerkschaften im Visier der AfD: https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2024/09/Rechts-wo-die-mitte-Dietl.pdf

2Siehe u.a. Michael Barthel in SOZIALISMUS 11/2023 und Alf Anschütz in express 7-8/2024

3https://www.fr.de/wirtschaft/wasser-auf-die-muehlen-der-afd-93281901.html

4„Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer in Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung.“ Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. Berlin 1988. S. 828.

5Chaja Boebel, Seite 92

6Weitere Autor_innen sind Richard Detje, Dieter Sauer, Ursula Stöger, Hilde Wagner, Ernseto Klengel, Dirk Neumann und Klaus Pickshaus.

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