Der Aufstieg der chinesischen Autoindustrie

… und seine Auswirkungen in Europa und für den Massenhersteller Volkswagen. Prof. Dr. Boy Lüthje im Gespräch bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Wolfsburg.

Seit dem Frühjahr 2023 ist China laut Medienberichten der größte Automobilexporteur der Welt. Schon im Vorjahr stieg die Zahl der von China exportierten Autos um mehr als 50 Prozent. Deutschland rutschte dadurch in der Rangliste der größten Exporteure auf den dritten Platz ab. China ist bereits seit einigen Jahren der größte Automarkt der Welt und führend im Bereich der Elektromobilität. Steigen nun auch chinesische Hersteller in das globale Oligopol der großen Automobilkonzerne auf, so wie dies zuvor japanischen und koreanischen Herstellern gelang? Wer gewinnt und wer verliert Marktanteile? Welche Rolle spielen die Elektrifizierung und die Digitalisierung für die Verschiebungen in der Branche? Diese und weitere Fragen diskutieren wir mit dem China-Experten Prof. Dr. Boy Lüthje.

Uns interessiert bei der Thematik besonders: Welchen Preis zahlen die lohnabhängig Beschäftigten in China und in Europa in dem sich verschärfenden Konkurrenzkampf? Wie verändern sich die Arbeitsbeziehungen in diesem Prozess? 2011 erfasste eine Welle von Streiks die chinesische Autoindustrie – wie hat sich die Lage in den Betrieben seitdem verändert? Inwieweit haben die Entwicklungen in China Einfluss auf die Lage in Deutschland?
Kommt mit Euren Fragen und Einschätzungen zu unserer Veranstaltung am 18. März 2024 in das Alvar-Aalto-Kulturhaus. Wir freuen uns auf einen spannenden Vortrag und eine angeregte Diskussion.

Darüber diskutierten wir am 18. März 2024 in Wolfsburg, Alvar-Alto-Kulturhaus mit Prof. Dr. Boy Lüthje, Fellow des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Von 2015-19 hatte er den Volkswagen China Stiftungslehrstuhl für industrielle Beziehungen und gesellschaftliche Entwicklung an der Sun Yat-sen University in Guangzhou inne. Von 2020 bis 2023 war er Direktor des Technology and Industry Research Center des Institute for Public Policy an der South China University of Technology. Seine Forschung konzentriert sich auf die politische Ökonomie globaler Produktionsnetzwerke sowie auf die Entwicklung von Produktionsregimen und Arbeitsbeziehungen in China.

Welche Auswirkungen hat die Ankündigung von Trump, Zölle von 100 Prozent auf Autos aus China erheben zu wollen – und ginge das überhaupt?

Aus dem Vortrag und der Diskussion:

Von China bzw. den Erfolgen Chinas kann durchaus etwas gelernt werden, blankes abschreiben wird nicht gehen und würde auch nicht helfen.
Prof. Lüthje berichtet aus Guangzhou, einem der größten städtischen Konglomorate mit 15 Millionen Personen in der Industriearbeit (Fabrik der Welt).

Die vertikal integrierte Struktur von Unternehmen, wie sie lange üblich war und in Deutschland auch noch überwiegt, wurde in China durch eine horizontale Struktur abgelöst. In dieser horizontalen Struktur finden sich neue Unternehmen, die die Prozesse beherrschen, teils dominieren und den größeren Teil von Profit für sich generieren. Bei der horizontalen Struktur sind die Endhersteller wie VW oder andere nicht mehr diejenigen, die die größte Wertschöpfung erzielen. Daneben sind Batterie-Hersteller (das teuerste Teil am E-Auto), Bosch und ähnliche, die den Antriebsstrang und Fahrsysteme liefern, Software-Anbieter (wie Huawei, Foxconn), Halbleiter/Chipbauer (Infineon, Nvidia) und Kontrakt-Fabriken (wie Foxconn oder Magna), schließlich weitere Zulieferer für diverse Teile. Die deutschen Hersteller in China haben diese Entwicklung bisher nicht nachvollzogen, sind ohnehin schwach bei E-Autos und sitzen jetzt auf den Kapazitäten für Verbrenner-Fahrzeuge, die sie in den zurückliegenden 20 Jahren massiv überhöht haben. Die bisherige günstige Position deutscher Hersteller in China trägt nicht mehr, weil lokale Hersteller inzwischen besser aufgestellt sind, die Zeiten von hohen Absätzen und hohen Gewinnen in China für deutsche Hersteller sind vorbei.

Nach der Marktdurchdringung Osteuropas im Gefolge der Auflösung des sowjetischen Blocks hat die Öffnung Chinas einen weiteren großen Absatzmarkt geboten, der jetzt aber gesättigt ist bzw. von lokalen Herstellern besser bedient wird. Das führt zu massiven Absatzrückgängen, zu einer Unterauslastung der Betriebe, zu starken Brüchen in der Produktionskette und zu großen Schwierigkeiten für die deutschen (und anderen ausländischen) Hersteller. Die chinesischen Bedingungen für local Content und Einschränkungen des Kapitalexportes haben die prosperierende Entwicklung, den hohen Absatz und die kräftigen Gewinne für deutsche Hersteller bisher ermöglicht.

Die Arbeitsbedingungen

In China werden die Auto-Jobs (Kernbelegschaften) vergleichsweise (noch) gut bezahlt, allerdings gibt es einen Trend zur Ausweitung von Arbeitszeiten und zur Senkung von Löhnen / Personalkosten (Foxconnisierung). Dazu kommt, dass es in den neuen Fabriken chinesischer Hersteller weder Tarifverträge noch Gewerkschaften gibt – nicht einmal die Partei ist dort noch vertreten (außer durch die Eigentümer oder verantwortliche Manager). Das hängt oft mit den lokalen Verwaltungen zusammen, denen jede Produktion und damit verbundene Wertschöpfung und Export wichtiger ist als das Wohlergehen der dort arbeitenden Menschen.
Von dieser Entwicklung kann sich in der globalisierten Welt niemand abkoppeln, u.a. weil in China auch technologisch globale Standards gesetzt werden.
Die Personalverantwortung bei den Joint ventures liegt in der Regel bei den aus China Beteiligten, deutsche Standards oder Anforderungen an Arbeit können deshalb auch in diesen Betrieben nicht angewandt werden. Die Streiks vor fünfzzehn Jahren könnten durchaus Vorbild für die schrittweise Erkämpfung von mehr Rechten für die Arbeiter*innen sein.

Local Content, die Reinvestition von Gewinnen und eine andere Modellpolitik könnten ein Ausweg für deutsche Hersteller sein. Eine (andere) staatliche Industriepolitik, zum Beispiel das Vorantreiben einer richtigen Verkehrswende, wären – neben der Verfügungsgewalt über die Unternehmen und einer radikalen Arbeitszeitverkürzung – Voraussetzung dafür, die Industrie hier im Lande zu erhalten.


Damit sind aber schon Themen angesprochen, die in weiteren Veranstaltungen bearbeitet werden müssen. Dank jedenfalls an die Rosa-Luxemburg-Stiftung und an den Mitveranstalter, das Kritische China-Forum.

Foto (privat; von links nach rechts): Stephan Krull, Prof. Dr. Boy Lüthje, Dr. Thomas Sablowski, Dr. Alfred Hartung.

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