Auto- und Zulieferindustrie: Konfusion statt Konversion

Gespaltene Entwicklung in der Auto- und Zulieferindustrie: Betriebsschließungen in der Zulieferindustrie, Personalabbau und geringere Produktion in der Autoindustrie, aber mehr Umsatz und mehr Gewinn für die Aktionäre.

2023: Ein weiteres Jahr im Krisenmodus – Kriege, anhaltende Inflation und das nächste Klimaereignis, das jüngste Hochwasser, der nächste Sturm und die sommerliche Hitzewelle wieder „überraschend“. In Cuxhaven steht der Meeresspiegel bereits 40 cm höher als bei Messbeginn – und der Anstieg hat sich in den letzten Jahren rasant beschleunigt. Ein weiteres Jahr, in dem die so dringende Verkehrswende nicht begonnen wurde. Das Land und die Städte sind so wenig resilient, wie die Industrie, insbesondere die Auto- und Zulieferindustrie als beschäftigungs- und exportstarke Schlüsselindustrie. Geht es der Autoindustrie nun so, wie es einst der Uhrenindustrie, der Textilindustrie und der Industrie für Unterhaltungselektronik ging? Zumindest in Teilen könnte das so sein, wie Andreas Knie und Timo Daum erklären.1 Und die Gründe wären sehr ähnlich. Die Produktion von Autos in Deutschland ist seit einigen Jahren im Rückwärtsgang. Könnte das nicht Anlass zur Freude sein, weil eine Schlüsselindustrie an Einfluss verliert, weil die Affinität zum Auto geringer wird, weil es ein Schritt in Richtung Verkehrswende ist?

Rückgang der Inlandsproduktion:

Obwohl die Produktion von Autos in Deutschland im Rückwärtsgang ist, ist das kaum Anlass zur Freude, weil diese Schlüsselindustrie noch nicht an Einfluss verlor, weil es noch kein Schritt in Richtung Verkehrswende ist und weil damit vor allem eine Krise der Beschäftigung einhergeht. Tatsächlich sind Produktion und Absatz rückläufig – im VW-Konzern stark, bei Daimler und BMW leicht – gemessen an Umsatz und Profit haben alle drei Konzerne aber zugelegt. Ihre ökonomische Macht und ihr politischer Einfluss sind also eher gestiegen als gesunken. Dazu ein Aufsatz von mir im ISW Wirtschaftsinfo, Bilanz 2023.2

Die Inlandsproduktion von PKW ist von 2016 (5,8 Mio. Fahrzeuge) bis 2019 um 20 Prozent gefallen – also vor der Pandemie, dann von 2020 bis 2023 nochmals um 20 Prozent auf 3,5 Mio. Fahrzeuge. Davon einigermaßen unberührt ist die Auslandsproduktion und vor allem die Produktion von großen, schweren, teuren Luxusautos. Daraus entspringt trotz gesunkener Produktion mehr Umsatz und mehr Profit für die Aktionäre. Zumindest bei den Großen der Branche bekommen auch die verbliebenen Beschäftigten den Stress mit Sonderzahlungen versüßt – bei Mercedes bis zu 7.300 Euro, Porsche bis zu 9.000 Euro, bei Volkswagen mit 2.900 Euro und bei Opel 1.800 Euro.

Abbau von Arbeitsplätzen

Fast entsprechend dem Rückgang der Produktion ist die Beschäftigung rückläufig: Minus 60.000 in den Jahren seit 2018: Von 834.000 auf 774.000 laut VDA. Zur Info: In der Braunkohle arbeiten in drei Revieren 20.000 Personen; dafür hat die Bundesregierung einen Transformationsfond von 40 Milliarden Euro aufgelegt für einen Zeitraum von 20 Jahren (2018 – 2038). Zu den 60.000 weniger Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie, aber auch bei den Endherstellern (Mercedes Untertürkheim minus 4.000, VW minus 1.000) kommen hunderttausende Leiharbeiter*innen, die in den Unternehmen nicht in den Personalstatistiken sondern als „Sachkosten“ geführt werden.

Dementsprechend steigt die Erwerbslosigkeit mit Beginn des Jahres 2024 auf (unbereinigt) 3,5 Millionen oder fast 8 prozent. Selbst im „Ländle“, dem Herzen der Autoindustrie, beträgt die Erwerbslosigkeit inzwischen mehr als vier Prozent, fast 10 Prozent in Berlin und 8 Prozent in Hamburg. Demgegenüber stehen bundesweit lediglich 690.000 offene Stellen. Junge Menschen ohne Berufsabschluss (2,5 Millionen, fast 20 Prozent der Kohorte) haben fast keine Chance auf eine dieser offenen Stellen, ebensowenig viele der mehr als 8 Millionen Personen in teils unfreiwilliger Teilzeitarbeit oder Minijobs – weit überwiegend sind das Frauen.

Dieser Niedergang der Produktion von Autos im Inland wird leider nicht kompensiert durch den Aufbau alternativer Verkehrsmittel, also von Fahrrädern, Bussen und Schienenfahrzeugen. Deshalb hier eine sicher unvollständige Liste von Unternehmen und Standorten, die von heftigem Personalabbau bzw. von Betriebsschließungen oder Betriebsverlagerungen betroffen sind. Vor allem in den kleineren Städten sind es oft die größten Arbeitgeber, die den Betrieb schließen oder verlagern – mit entsprechenden Konsequenzen für den regionalen Arbeitsmarkt und für die kommunalen Finanzen.

Standortschließungen oder Personalabbau von 100 bis zu 12.000 Beschäftigten (unvollständige Liste, Stand Februar 2024, im März 2024 hinzugekommen sind E-Go aus Aachen und Webasto aus München).

UnternehmenOrte
AutolivElmshorn
BentelerBottrop
BoschBietigheim, Reutlingen, Salzgitter und Arnstadt
BroseWuppertal, Würzburg und Coburg
ContinentalAachen, Salzgitter, Gifhorn, Nürnberg und Mühlhausen
EberspächerEsslingen
EissmannBad Urach / Reutlingen
FaureciaStadthagen
FreudenbergWeinheim
FordSaarlouis und Aachen
GKNZwickau
HellaLippstadt
KamaxHomberg
LearKronach und Besigheim
LeoniBrake
MahleGaildorf, Freiberg und Mattighofen
MagnaDorfprozelten / Unterfranken
MarelliBrotterode / Schmalkalden
MichelinHomburg, Trier und Karlsruhe
RehauSchwarzenbach, Feuchtwangen, Viechtach
SchaefflerHerzogenaurach, Bühl und Homburg,
SD AutomotiveOsnabrück
SitechHannover
ValeoFriedrichsdorf und Ebern
WebastoHengersberg / Niederbayern
ZFDamme, Gelsenkirchen und in Eitorf

1https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/byd-bringt-e-autos-nach-europa-kommt-der-neue-volkswagen-aus-china/3df4318f-b8ca-416f-bd54-4914c99b6fc7

2https://www.isw-muenchen.de/broschueren/wirtschaftsinfos/217-wirtschaftsinfo-64

3 Gedanken zu „Auto- und Zulieferindustrie: Konfusion statt Konversion“

  1. Bei VW ligt der Bonus für 2023 bei 4735 € (Info BV am 6.3.24). Aber ungeteilte Freude will bei den Kolleg*innen nicht aufkommen. Zu drohend steht das Sparprogramm, beschönigend „Performance Programm“ genannt, an der Wand: „Schon 2024 will VW rund vier Milliarden Euro einsparen – bis 2026 sollen es zehn Milliarden Euro sein…. Nach WAZ-Informationen wollte Volkswagen schon Ende 2023 im Zuge der Verhandlungen über das Eckpunktepapier zur Umsetzung des Performance-Programms die Tarifgehälter kürzen. Diese Forderung dürfte wieder auf den Tisch kommen.“ (Wolfsburger Allgemeine, 6.3.24).

    1. Der „Bonus“ liegt bei VW bei 2.900 Euro, nachdem im November letzten Jahres bereits 1.800 Euro als „Weihnachtsgeld“ ausgezahlt wurden. Ansonsten hast Du natürlich Recht, wenn Du die Befüchtungen der Arbeiterinnen und Arbeiter beschreibst.

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