Es geht um kollektive, gesetzliche und tarifliche Arbeitszeitverkürzung!
Dass Arbeitszeitverkürzung sinnvoll und nötig ist, ist, außer bei den Arbeitgebern, neoliberalen Politiker*innen und deren Haus- und Hof-Ökonom*innen, unstrittig. Dabei geht es nicht nur um ökonomische Fragen sondern gleichermaßen um politische, kulturelle und emanzipatorische Dimensionen des menschlichen Daseins.
1.
Wenn wir uns über die Notwendigkeit und den Sinn der Verkürzung der Zeit für Erwerbsarbeit einig sind und über Arbeitszeitverkürzung konkret sprechen, tauchen Differenzen und Leerstellen auf. Denn es geht nicht nur um Arbeitszeitverkürzung, sondern im oben genannten Sinne um Arbeitsumverteilung oder, in Anlehnung an den an die Attac AG, eben um ArbeitFairTeilen. Das bedeutet für diejenigen, die – freiwillig oder unfreiwillig – lange Arbeitszeiten von durchschnittlich 35 und mehr Stunden pro Woche malochen, ihre Arbeitszeit zu verkürzen. Spiegelbildlich bedeutet es dann für diejenigen, die – meist unfreiwillig – kurze Teilzeit, in Minijobs arbeiten oder erwerbslos sind, dass sie ihre Arbeitszeit verlängern können bzw. überhaupt erwerbstätig sein können, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Die hohe Erwerbstätigenquote ist schon Ausdruck von Emanzipation und ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung der Geschlechter. Die hohe Teilzeitquote von Frauen macht das Projekt der Arbeitszeitverkürzung jedoch zu einem Projekt der Gerechtigkeit, weil Frauen so aus der Teilzeitfalle herauskommen und Männer eben kürzer arbeiten können. Der Lohnausgleich führt dazu, dass die Stundensätze steigen und diejenigen, die kürzer arbeiten, entsprechend mehr Lohn bekommen. Der Wert der (Ware) Arbeitskraft steigt und es gibt darüber hinaus mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen und andere schöne bzw. gesellschaftlich notwendige Sachen zu machen. In dem Sinne ist eine „kurze Vollzeit für alle“ in einem engen Korridor von 24 bis 30 Stunden das, worum wir kämpfen (sollten).
2.
Es geht um kollektive gesetzliche und tarifliche Arbeitszeitverkürzung. Die 48 bis 60 Stunden gesetzliche Arbeitszeit sind inzwischen mehr als 100 Jahre alt und gehören wirklich auf den Müllhaufen der Geschichte. Wir dürfen die Politik, die Regierung, die Parlamente nicht aus der Verantwortung entlassen, sondern können dem Beispiel von Frankreich folgen, wo die 35-Stunden-Woche auf gesetzlicher Basis eingeführt wurde. Wir können diesem Beispiel folgen, ohne zunächst auf die Defizite der Umsetzung zu schauen.
Es geht also darum, nach mehr als 100 Jahren einen neuen gesetzlichen Standard zu setzen. Wäre es in Deutschland zunächst die 40-Stunden-Woche, wäre das also ein Jahrhundertfortschritt. Dieser Fortschritt würde auch der tariflichen Absenkung des Arbeitszeitstandards auf 30 Stunden den notwendigen Flankenschutz geben. Diese neuen Standards von 30/40 Stunden pro Woche könnten dann dynamisch und entsprechend den Wünschen der Beschäftigten sehr differenziert umgesetzt werden – so wie heute die 35/40/48 Stunden als Basis aller Berechnungen auch sehr differenziert umgesetzt wird. Der Aufwand für die Betriebe / Personalabteilungen ändert sich dadurch nicht. Selbst volkswirtschaftlich ist es annähernd ein Nullsummenspiel, weil die betrieblichen, fiskalischen und gesellschaftlich-sozialen Kosten der Unterbeschäftigung weitgehend entfallen.
Durch den Lohnausgleich bzw. die Erhöhung der Stundensätze wird die Vergütung der bisher benachteiligten Teilzeit- und Minijobbeschäftigten insoweit erhöht. Auch hier entfallen fiskalische und gesellschaftlich-soziale Kosten in beträchtlichem Umfang.
Die Arbeitgeber und konservativen Politiker*innen kämpfen massiv gegen jede Arbeitszeitverkürzung, weil das ihre Machtposition schwächt und die individuelle und gesellschaftliche Emanzipation und Autonomie der lohnabhängig Beschäftigten stärkt. Arbeitszeitverkürzung ist, viel mehr noch als jede Lohnauseinandersetzung, eine Machtfrage. Es geht um Macht über Menschen (Direktionsrecht) oder um Selbstbestimmung der Menschen, jedes einzelnen Menschen in und mit seiner Zeit.
3.
Die aktuellen globalen Krisen, die Pandemie, die logistischen Störungen, die Energiekrise, die technologischen Umbrüche, die Digitalisierung und die aus allem resultierenden Absatzeinbrüche werden ohne große Schritte der Arbeitszeitverkürzung zu dramatischen sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen führen. Wenn wir weiter die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation hinzudenken, um die Klimakatastrophe noch etwas einzudämmen, führt an einer radikalen Arbeitszeitverkürzung kein Weg vorbei. Der Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann hat bereits vor einem Jahr als Reaktion auf die Pandemie und zur Sicherung von Beschäftigung die 4-Tage-Woche wieder ins Gespräch gebracht. Aber, wie oben bereits gesagt, Arbeitszeitverkürzung ist ja nicht nur, nicht mal in erster Linie, zur Krisenprävention da.
Ohne eine solche radikale Arbeitszeitverkürzung gibt es keine sichere Beschäftigung, droht in den nächsten Monaten Massenerwerbslosigkeit. Das schwächt dann weit mehr als bisher die Gewerkschaften und entzieht ihnen ihre Basis – womit wir wieder bei der Machtfrage wären. Wem nutzt Massenerwerbslosigkeit? Und wem nutzt eine kollektive, gesetzliche und tarifliche Arbeitszeitverkürzung?
Attac AG ArbeitFairTeilen: https://www.attac-netzwerk.de/arbeitsgruppen/ag-arbeitfairteilen/startseite
Schritte aus der Krise – Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn, Grundeinkommen: Drei Projekte,die zusammengehören, Reader der Attac AG ArbeitFairTeilen https://www.vsa-verlag.de/index.php?id=6576&tx_ttnews[tt_news]=9978
Sabine Gruber, Frigga Haug, Stephan Krull: https://argument.de/produkt/arbeiten-wie-noch-nie-unterwegs-zur-kollektiven-handlungsfaehigkeit/