Herausforderung für das „Autoland“ Niedersachsen

Sozialer, ökologischer und demokratischer Umbau der Autoindustrie!

Die Autoindustrie an die Klimaziele binden, die Verkehrswende als gesellschaftliche Aufgabe annehmen und gestalten, denn sie ist schon im Gange – mit offenem Ausgang. Schließlich: Überlegungen und Vorschläge für einen gesellschaftlichen Konsens.

Wenn Industrie in Niedersachsen erhalten werden soll, ist vor allem über die Auto- und Zulieferindustrie zu sprechen, denn sie ist mit den Standorten von Volkswagen in Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Hannover, Osnabrück und Emden, mit ihren Töchtern wie Financial Services, MOIA, MAN, Volkswagen Group Services, Brose-Sitech sowie einer Vielzahl von Zuliefernern wie der Salzgitter AG, Bosch, Conti und der Beteiligung des Landes von 20 Prozent an der VW-AG ein wesentlicher Teil der niedersächsischen Industrie. Mit Löhnen und Gehältern, mit direkten und indirekten Steuern leisten die Beschäftigten der Auto- und Zulieferindustrie und diese selbst einen wesentlichen Teil zur Finanzierung des Landes und unseres Lebens hier.

Es geht also darum, Vorschläge zum Umbau für den größten industriellen Sektor, die Auto- und Zulieferindustrie, zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen.

I. Die Autoindustrie an die Klimaziele binden

Die Autoindustrie hat bisher keinen positiven Beitrag zur Senkung der Schadstoffemissionen geleistet. Die Klimaziele können aber nicht erreicht werden – mit allen Konsequenzen für das menschliche Leben auf dieser Erde – ohne eine drastische Reduktion der Emissionen. Die Autoindustrie hat keinen Beitrag geleistet, weil aus Profitgründen die Autos immer größer und schwerer geworden sind. Die Motorisierung wuchs allein in den letzten beiden Jahrzehnten von durchschnittlich 107 PS auf 158 PS pro Fahrzeug. Fast die Hälfte aller Neuzulassungen sind inzwischen größere oder kleinere sogenannte „Stadtgeländewagen“ (SUV). Für das nachvollziehbare Bedürfnis, eine etwas höhere Sitzposition zu haben, braucht es nicht diese Größe, dieses Gewicht und eine solch hohe Motorisierung.

Der Bestand an PKW hat sich in Niedersachsen von 4,6 Millionen im Jahr 2017 bis 2019 um 150.000 Fahrzeuge erhöht auf 4,75 Mio. PKW.

Allein bei VW sind über 100.000 Menschen in Niedersachsen beschäftigt. Die Arbeitsplätze sind relativ gut bezahlt, allerdings ist die Arbeit in den Büros und Laboren stressig und in der Produktion auch wegen des Schichtbetriebes sehr anstrengend und familienfeindlich. Bei unseren Vorschlägen für die Transformation der Autoindustrie sind die Zukunftsängste der betroffenen Personen wie die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen in ländlichen Regionen in Rechnung zu stellen. Allerdings ist es auch so, dass durch die Strategie von Volkswagen schon Arbeitsplätze abgebaut werden in der Zulieferindustrie. Um den Personalstand bei VW möglichst zu halten, wurden Leiharbeit fast auf null gefahren und „Insourcing“ betrieben: Vormals an viele kleinere Zulieferer vergebene Aufträge werden jetzt in den Werken wieder selbst ausgeführt. Die Zulieferer und die dortigen Beschäftigten bleiben dabei auf der Strecke. In ländlichen Regionen werden die Mobilitätsbedürfnisse derjenigen, die nicht Auto fahren können oder wollen, nicht ansatzweise berücksichtigt.

II. Verkehrswende ist eine gesellschaftliche Aufgabe

Wir stehen nicht am Anfang dieser Debatte und wir stehen nicht alleine. Die Bundesregierung ist dem Pariser Klimaabkommen beigetreten.

Mit dem vor einem Jahr (29.4.2021) veröffentlichten Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen. Die Klimaschutzziele (1,5-Grad-Begrenzung) sind völkerrechtlich und verfassungsrechtlich verbindlich.

Die IG Metall hat sich zu diesen Zielen bekannt: „Weil viele Mitglieder den Klimawandel ernst nehmen und erwarten, dass wir uns einmischen, auch wenn wir keine Umweltorganisation sind (Wolfgang Lemb, Vorstandsmitglied, 4.12.2015). Ausführliche Positionen der IG Metall auf ihrer Web-Site: https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/umwelt-und-energie/klimaschutz-das-sind-die-positionen-der-ig-metall.

Die Gewerkschaft hat einen Pakt geschlossen mit anderen wichtigen gesellschaftlichen Akteuren: „Gemeinsam Druck machen – Für einen sozialen, ökologischen und demokratischen Wandel“; Erklärung der IG Metall vom 26.8.2019 anlässlich des Aufrufs von Fridays for Future zu Klimastreiks. Im April 2021 konstituierte sich ein breites Bündnis und fordert sozial- und klimaverträgliche Mobilitätswende: Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände und die Evangelischen Kirche in Deutschland stellen ihre Handlungsempfehlungen vor (https://www.vdk.de/deutschland/pages/presse/gemeinsame_pressemitteilung/81939/breites_buendnis_fordert_sozial-_und_klimavertraegliche_mobilitaetswende). DGB, IG Metall, ver.di, SoVD, VdK, AWO, BUND, VCD, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und NABU vertreten zusammen viele Millionen Menschen und signalisieren damit, dass weite Teile der Bevölkerung dringenden Handlungsbedarf im Bereich der Mobilitätspolitik sehen. Entsprechend fordert das Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende die Bundesregierung zu entschlossenerem Handeln auf: Es ist möglich, gleichzeitig das Klima zu schützen und die Lebensqualität von Millionen Bürgerinnen und Bürgern spürbar zu verbessern. Wir sollten uns darum bemühen, dieses Bündnis in den Standorten der Autoindustrie zu etablieren, vielleicht als Keimzellen für Transformationsräte.

Darüber hinaus sind es Attac und diverse Verkehrsinitiativen, die mit viel Fachwissen, guten Ideen und zivilem Ungehorsam die Verkehrswende vorantreiben. Die Mehrheit in der Bevölkerung befürwortet solche Schritt wie ein Tempolimit

III. Die Wende ist schon im Gange – mit offenem Ausgang

Die negative Entwicklung vor allem bei den Zulieferern ist eine Folge die Vielfachkrise der Autoindustrie – weniger Absatz schon vor der Pandemie, Umstellung auf Elektroantriebe, Lieferengpässe bei Halbleitern, quer gestellte Schiffe im Suezkanal, logistische Störungen durch die Pandemie und den Krieg. Diese vielfältige Krise findet ihren Niederschlag direkt in der Produktion von Volkswagen, Opel und Ford (Zulassungen in Deutschland minus 20 Prozent bei VW, 30 Prozent bei Ford und 50 Prozent bei Opel). Im Wolfsburger VW-Werk ist die Auslastung auf das Niveau der 1960er Jahre gesunken. Nachtschichten und damit Schichtzulagen für viele Beschäftigte fallen weg. Der Betriebsrat hatte angesichts der Versorgungsprobleme von der Konzernleitung und Vorstandschef Herbert Diess bereits im Herbst ein entschlosseneres Gegensteuern statt neuer Pläne zum Personalabbau gefordert. Nachdem bereits alle Leiharbeiter nicht mehr bei Volkswagen beschäftigt werden, nach der überbordenden Kurzarbeit in den letzten beiden Jahren ist weit und breit keine Besserung in Sicht – trotz eines „Zukunftstarifvertrages“ mit Beschäftigungszusagen seitens des Unternehmens.

Seit drei Jahren sind die Absatzzahlen von VW rückläufig, der Profit jedoch sprudelt munter weiter.Und der VW-Vorstandschef Herbert Diess lässt kaum eine Gelegenheit aus, mit hergeholten Produktivitäts- und Kostenbenchmarks Belegschaft und Interessenvertretung zu provozieren. Dafür ist er ist bekannt. Einige Beispiele:

  • Viel mehr elektrische Energie wird benötigt für E-SUVs, die der Konzern vertreiben möchte. Diess: »Ich hadere mit der Entscheidung, bestehende Atomkraftwerke nicht länger laufen zu lassen.« Neue Atomkraftwerke seien mittlerweile sehr sicher.iv
  • »Ebit macht frei«. Diess benutzte diese Phrase, mit der er an den deutschen Faschismus und damit die Anfänge von Volkswagen anknüpfte, bei einer Managertagung. »Arbeit macht frei« stand über den Eingangstoren verschiedener NS-Konzentrationslager, unter anderem in Auschwitz. Ferdinand Porsche ließ aus diesem Konzentrationslager Zwangsarbeiter*innen für die Arbeit im KdF-Werk rekrutieren, die meisten davon kamen in Wolfsburg ums Leben.
  • Direkt nach seiner Vertragsverlängerung bis 2025 ließ Herbert Diess im September 2021 an Betriebsrat und Aufsichtsrat vorbei einen Personalabbau von 35.000 Beschäftigten in der Wolfsburger Autofabrik durchrechnen. Die Folge eines solchen Kahlschlags wäre die Verarmung einer ganzen Region, der Absturz von zehntausenden Familien in die Rohrstockpädagogik von Hartz IV. »Die Angst ist die größte Macht in dieser Schreckenskammer der Gesellschaft. Die Angst vor Sanktionen ist prägend für das Leben von Betroffenen. Das Jobcenter war der einzige Ort auf dieser Welt, wo ich mich nach den ersten Erfahrungen nicht alleine hin getraut habe – und ich war schon an sehr vielen Orten dieser Welt.« (Süddeutsche Zeitung, 28. November 2019, „Man kriegt auch Sklaven in die Gänge“)
  • Parallel dazu versuchte Diess unter Ausschaltung des Betriebsrats direkt mit der Belegschaft zu kommunizieren. Das ist nicht grundsätzlich neu, war in dem sozialpartnerschaftlichen Vorzeigebetrieb in dieser Form bis dahin aber noch nicht vorgekommen. Die Einladung zur Betriebsversammlung lehnte er zunächst ab, um ein paar Tage vorher zu einer eigenen Belegschaftsinformation einzuladen. Schließlich wurden die Verhältnisse wieder gerade gerückt, Diess erschien zur Betriebsversammlung, bekam aber nachvollziehbar keine Zustimmung zu seinen Personalabbau-Plänen.

Die Provokationen kann man als Angstmacherei bezeichnen. Die Hoffnung vom Management ist wohl, dass Unruhe und Angst die Belegschaft gefügig machen. Die Ankündigung des Personalabbaus war auch deshalb so stark in der Kritik, weil es eine Vereinbarung mit Gewerkschaft und Betriebsrat gibt, in der ein moderaterer Personalabbau festgelegt wurde. Die Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats Daniela Cavallo forderte also nicht mehr und nicht weniger als Verlässlichkeit und Vertragstreue ein. Dafür wurden die IG Metall und der Betriebsrat bei der jüngsten Betriebsratswahl belohnt: 85 Prozent für die Liste der IG Metall.

IV. Der Porsche-Piëch-Clan zieht die Fäden

Da der VW-Konzern ein kompliziertes Geflecht ist, eine kurze Erläuterung: Dem Porsche-Piëch-Clan gehört der VW-Konzern zu 53%. Die Porsche AG gehört zu 100% zum VW-Konzern. Mit ihren 53% haben sie schon eine große Macht bei VW, bei Porsche und allen anderen Töchtern – aber sie wollen die Macht total haben. Business Insider schrieb Anfang Dezember 2021: »An dem Gesamtkonzern hält die Familie Piëch und Porsche direkt und indirekt 53,3% der Stimmrechte. Dabei möchte es die Familie scheinbar nicht belassen, denn sie sehen sich im Aufsichtsrat durch Betriebsrats- sowie Bundeslandvertreter blockiert.«

Wer wäre von der Zerschlagung/Filetierung betroffen? Im Prinzip alle fast 600.000 Beschäftigten weltweit – zunächst aber die 100.000 Beschäftigten in den Standorten Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Hannover, Kassel und Emden, zusätzlich die in den Tochterunternehmen in Zwickau, Chemnitz und Osnabrück, schließlich die bei der Tochter Audi – und bei allen anderen kleineren oder größeren Töchtern wie der Bank, Volkswagen Group Services (vormals AutoVision), MAN bzw. Traton, MOIA und viele mehr.

Vor allem sollte das Land Niedersachsen als großer Aktionär aktiv werden. Aus der Geschichte ergibt sich die Verpflichtung, dieses Unternehmen nicht den privaten Profitinteressen Einzelner zu überlassen. Und aus den heutigen und künftigen Herausforderungen der Klimaneutralität, der Verkehrswende und der Digitalisierung ergibt sich die Verpflichtung, ein nachhaltiges und gesellschaftliches Konzept von Mobilität zu garantieren. Dazu gehört mehr öffentliches Eigentum. Volkswagen sollte in öffentlich-gemeinwirtschaftliches Eigentum überführt werden. Nur dadurch, dass die Mobilitätsbedürfnisse in den Mittelpunkt gerückt werden, sind die Zukunft, die Standorte und die Beschäftigung zu sichern. Das ist im Interesse des Landes und der Gesellschaft.

Die Idee des Familienclans ist es offensichtlich, die Porsche AG exklusiv an die Börse zu bringen, um selbst eine Aktienmehrheit zu kaufen, mit dem Ziel, dann alleine entscheiden zu können – zumindest ohne den VW-Aufsichtsrat. Das würde bedeuten, dass ein großes Aktienpaket von VW zum Verkauf stünde und entweder Investoren hinlangen – oder eben das Land Niedersachsen. Wenn Investoren hinlangen, würde der Druck auf die Beschäftigen und auf die Sozialstandards entsprechend steigen. Wenn das Land einsteigt, könnte mit dieser großen Aktienmacht der sozial-ökologische Umbau eingeleitet werden.

Volkswagen wird aller Voraussicht nach die Krise und die verschärfte Konkurrenz dank vieler Milliarden Rücklagen noch ein paar Jahre überstehen. Vielleicht wird der Konzern aufgeteilt, wahrscheinlicher ist aber, dass die Tendenz zur Monopolbildung zu weiteren Kooperationen und schließlich zu weiteren Fusionen, jeweils verbunden mit der Liquidierung von Kapazitäten, führt. In jedem Fall wird der Druck auf die Beschäftigten steigen – eine große Herausforderung für die IG Metall, für den Betriebsrat, für die Verkehrswende- und Klimabewegung. Die Transformation kommt auf jeden Fall – ob sie gemeinsam von Gewerkschafter*innen und Klimaaktivist*innen in Richtung Nachhaltigkeit vorangebracht wird, hängt an der Kooperationsfähigkeit der linken, sozialen und ökologischen Bewegungen.

V. Vorschläge für einen gesellschaftlichen Konsens

Die Verkehrswende ist eine objektive Notwendigkeit, wenn der Planet bewohnbar bleiben soll (IPCC / Weltklimaratsbericht). Verkehrswende bedeutet eine deutliche Reduzierung des Autoverkehrs vor allem in den Städten und einen umfangreichen Ausbau des Schienenverkehrs, von Bus und Bahn im Nah- und Fernverkehr.

Für Niedersachsen ist das eine riesige Herausforderung – industriell und als Flächenland auch infrastrukturell. Es ist eine gesellschaftliche und gesamtstaatliche Herausforderung. Wir wollen darüber einen gesellschaftlichen Konsens herstellen.

Dieser Konsens könnte meines Erachtens in einem 10-Jahresplan folgende Punkte beinhalten:

  • Durch den Landtag und die Landesregierung wird der Rahmen für die Energie- und Verkehrswende gesetzt, z.B. Klimabudgets für Unternehmen und Produkte (Pariser Klimaabkommen).
  • Ausbau regenerativer Energie (Wind und Sonne) einschließlich der dafür erforderlichen Infrastruktur.
  • Subventionen für die Autoindustrie werden in die Bahnindustrie umgeleitet – für die Bahnindustrie wird Planungssicherheit geschaffen.
  • Es werden ein Transformationsräte berufen, in denen auf den verschiedenen Ebenen (Land, Region, Branche) neben Landesregierung und Landtag sowie Vertreter:innen der Autoindustrie gleichberechtigt Vertreter:innen der Gewerkschaften, der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände, der Wissenschaft sowie Frauen-, Kinder-, Umwelt-, Klima- und Verkehrsinitiativen angehören. >Wirtschaftsdemokratie
  • Die betriebliche Mitbestimmung wird gestärkt, mit öffentlichen Geldern werden Arbeitsplätze und gute Arbeit gefördert.
  • Es wird ein Transformationsfond gebildet analog den Transformationsfonds für den Kohleausstieg und den Klimaschutz.
  • Mit diesen Instrumenten wird in einem Zeithorizont von 10 Jahren die Autoindustrie geschrumpft und in gleichem Umfang die im Land ansässige Bahn- und Busindustrie vergrößert. Damit ist das Projekt der Verkehrswende beschäftigungsneutral.

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