Mehr Geld oder kürzere Arbeitszeit? Kürzere Arbeitszeit für alle oder Erwerbslosigkeit für viele?
Die Ausgangsposition der Linken vor den Wahlen 2021 ist nicht gut, die Umfragewerte sind schlecht, die Partei ist in großen Teilen organisatorisch und personell geschwächt und die Wahrnehmung der Linken oft unter dem Radar der Menschen.
Was also tun, um das Ding zu drehen?
Sicher gibt es viele Ansatzpunkte und Stellschrauben. Die Bestimmung von Zielgruppen und daraus abgeleiteter programmatischer Schwerpunkte wären eine Voraussetzung. Die Suche von Bündnispartner, Aufmerksamkeit erregende Aktionen und eine attraktive und verständliche Ansprache der Zielgruppen wären solche Stellschrauben. Es kommt auf linke Strategien an, unter Berücksichtigung dessen, was politische Gegner oder eventuelle Partner planen.
Meiner Erfahrung nach, aus der Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung kommend, in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit verankert, geht es um die Gewinnung großer Teile der Arbeiter*innenklasse – vor allem der Jugend und der Frauen. Dort ist neues Potenzial zu erschließen und vorhandenes Potenzial zu mobilisieren. Teils warten Menschen geradezu darauf, dass emanzipatorische Bewegungen endlich gestartet werden.
Die Landtagsfraktion aus Sachsen-Anhalt hat jüngst eine Umfrage zur politischen Stimmung im Land gemacht. Hier werden solche Themen und Projekte benannt, die für die Menschen im Land wichtig und ausschlaggebend für ihre Wahlentscheidung sind – meines Erachtens weit über das Land Sachsen-Anhalt hinaus. Einen Punkt daraus möchte ich hervorheben, weil er für die soziale und ökonomische Entwicklung meines Erachtens von besonderer Bedeutung ist, nämlich die Frage der Arbeitszeitverkürzung.
Fast die Hälfte der befragten Personen (45,5%) gab an, kürzere Arbeitszeiten einer besseren Entlohnung vorzuziehen. Das ist insoweit bemerkenswert, als es einen weit verbreiteten Niedriglohnbereich in Sachsen-Anhalt gibt – das Land ist Schlusslicht bei den Einkommen in Deutschland. Selbst unter diesen Bedingungen würde eine kürzere Arbeitszeit von vielen Menschen einer besseren Entlohnung vorgezogen. Das allein sollte Grund sein, das Projekt der Arbeitszeitverkürzung ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen – denn ohne Arbeitszeitverkürzung wird es auch kaum noch Lohnerhöhungen geben, sicher nicht oberhalb des Inflationsausgleichs. Die Konkurrenzsituation auf dem globalen „Arbeitsmarkt“ erlaubt es den Arbeitgebern, die Löhne nach unten zu drücken.
Mehr Geld oder kürzere Arbeitszeit – die falsche Alternative!
Gegenwärtig wird in vielen Unternehmen Produktion verlagert, in Betrieben werden Arbeitszeiten verlängert, Schicht- und Wochenendarbeit etabliert, Personal abgebaut und gleichzeitig Löhne gekürzt. Das müssen die Beschäftigten schlucken, weil Gewerkschaften schwach und Betriebsräte oft nicht vorhanden sind. Das müssen Beschäftigte schlucken, ohne je danach gefragt worden zu sein, weil es kaum Mitbestimmung in diesen Betrieben gibt – schon gar keine Wirtschaftsdemokratie.
Das heißt, dass die Realität eine ganz andere ist als das, was durch die Landtagsfraktion abgefragt wurde: Die Alternative heißt gar nicht „Mehr Geld oder kürzere Arbeitszeit“.
Meines Erachtens kann dieses Dilemma dadurch gewendet werden, dass die richtige Frage gestellt wird. Als Gedankenexperiment müsste die Frage also lauten: „Kürzere Arbeitszeit für alle oder Erwerbslosigkeit für viele.“ Das ist die Alternative, vor die die Menschen wirklich gestellt werden. Dann fangen viele wohl an zu rechnen, ob sie bei denjenigen sein werden, die bleiben können oder die fliegen werden. Diese Perspektive, diese Fragestellung hängt sowohl mit der latenten ökonomischen Krise wie auch mit der aktuellen Pandemiesituation zusammen. Die Produktivitätsentwicklung durch Digitalisierung einerseits, die schrumpfende kaufkräftige Nachfrage andererseits führen zu Produktionsrückgängen und zu massivem Personalüberhängen – von den strukturellen Veränderungen in der Braunkohle und der Autozulieferindustrie ganz abgesehen. Ein Teil der Arbeitskräfte wird einfach nicht mehr benötigt.
Diese strukturellen und konjunkturellen Veränderungen können gesellschaftlich und sozialverträglich nur gemeistert werden durch eine radikale Arbeitszeitverkürzung für alle Beschäftigten, einen Entgeltausgleich zumindest für die niedrigen und mittleren Einkommen und einen entsprechenden Personalausgleich über die Branchen hinweg.
Kurze Vollzeit für alle statt Erwerbslosigkeit für viele!
Die IG Metall fordert in der aktuellen Tarifrunde die Einführung der Vier-Tage-Woche, Verdi, die EVG, die GEW, die NGG, die IGBCE und andere Gewerkschaften fordern ebenfalls kürzere, weniger belastende Arbeitszeiten – eine Steilvorlage für die Linke zum Schulterschluss mit den Gewerkschaften, diese Forderung massiv nach vorne zu bringen: Kurze Vollzeit für alle statt Erwerbslosigkeit und Armut für viele! Das wäre eine Position, die mindestens der Hälfte der Menschen in unserem Lande entgegenkommt und womit sich die Linke – auch in Abgrenzung zu allen anderen Parteien – profilieren kann. Davon abgesehen brauchen Gewerkschaften politische Unterstützung, um diese Forderung durchzusetzen, diesen Kampf gewinnen zu können. Weder für die SPD noch die Grünen ist das jedoch ein wichtiges Thema – teils wollen sie mit ihrer wirtschaftsliberalen Ideologie sogar das genaue Gegenteil. Es ist auch eine Frage der allgemeinen Gerechtigkeit, ob einige an zu viel Arbeit und andere daran kaputtgehen, gar nicht gebraucht zu werden. In solchen Gerechtigkeitsfragen sind viele Menschen sensibler, als man manchmal denkt.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Geschlechtergerechtigkeit! Es geht um eine faire Teilung aller Arbeit – auch der Haus- und Sorgearbeit, der ehrenamtlichen Arbeit an unserer Gesellschaft und unserer Demokratie. Es geht um eine Reduzierung der Emissionen aus industrieller Produktion, also darum, überflüssiges wie Waffen und anderes Kriegsgerät, unendlich viele Autos und unnütze Werbung erst gar nicht zu produzieren. Vor allem Frauen und junge Menschen sind von Teilzeitarbeit, Minijobs und Niedriglohn betroffen. Die Strategie der Arbeitgeber ist eben langfristig angelegt. Politisch-ökonomisch gesprochen: Eine Verknappung des Angebotes an Arbeit führt zu einer Erhöhung des Preises der Arbeit für alle – stärkt also auch die gewerkschaftlichen Position in den Verteilungskämpfen.
Die Tarifauseinandersetzung der Gewerkschaft für die Metall- und Elektroindustrie sowie für die Auto- und Zulieferindustrie beginnt jetzt, im Winter des Jahres 2020 und wird sich bin ins Frühjahr 2021 hinziehen. Eine der zentralen Forderungen ist die Vier-Tage-Woche – angesichts der aktuellen Entwicklung wohl die wichtigste Forderung und Voraussetzung für Kündigungsschutz und Verbot von Massenentlassungen. Zwar sind weder die Jahreszeit noch die Corona-Bedingungen günstig für diese Auseinandersetzung – aber es ist eben auch das Jahr von bedeutenden Wahlen zu Landtagen und zum Bundestag. Wenn die Linke dieses Gelegenheitsfenster nutzt, kann sie ein großes neues Potenzial an Wählerinnen und Wählern gewinnen!
Lets go: ArbeitFairTeilen!
Hier die Diagramme zu den Ergebnissen der Umfrage: https://www.dielinke-fraktion-lsa.de/fileadmin/user_upload/2020_10_22_Diagramme_Umfrage_Sachsen-Anhalt.pdf