Klimakrise und Arbeitszeitverkürzung

„Working time reduction and climate crisis“

Ein Bericht von meiner Mitstreiterin und Freundin Margareta Steinrücke über die Konferenz zur Arbeitszeitverkürzung und Klimakrise im globalen Maßstab. Die Attac AG ArbeitFairTeilen hat diesen Austausch angeregt und mit Partnern in verschiednenen Ländern organisiert:

Zum Beispiel: Gemeinden mit hoher  (Jugend-)Arbeitslosigkeit in Belgien, die für ihre älteren Beschäftigten eine 20%ige Arbeitszeitverkürzung mit Personalausgleich eingeführt haben, um junge Leute einstellen zu können.liebe an arbeitszeitverkürzung und kampf gegen die klimakrise interessierte,

obwohl mir und euch vmtl. auch der kopf grade mit den neuen coronazahlen und -maßnahmen, dem anschlag in wien und den us-wahlen ganz woanders steht, möchte ich euch doch kurz berichten von der konferenz über arbeitszeitverkürzung und klimakrise „Working time reduction and climate crisis“, die das europäische netzwerk für arbeitszeitverkürzung „European Network for the Fair Sharing of Working Time“, an dem die AG ArbeitFairTeilen von attac maßgeblich beteiligt ist, am 22./23.10.20 durchgeführt hat. einfach, weil es toll war, trotz der widrigen umstände.

ursprünglich sollte die konferenz in den räumen des ETUI (Europäisches Gewerkschaftsinstitut) in brüssel live stattfinden. coronabedingt wurde es eine videokonferenz, die wir dank der großzügigen unterstützung der Rosa Luxemburg Stiftung Brüssel und einer von den isländischen gewerkschaften (jüngste mitglieder) finanzierten tech-host ohne probleme durchführen konnten, obwohl unsere referent*innen aus verschiedensten regionen und zeitzonen der welt sich einschalten mussten. ein großes dankeschön an alle, die das möglich gemacht haben, ganz besonders an Adrien Tusseau vom Réseau Roosevelt, der mit unglaublicher umsicht und fürsorge für das gelingen dieses für uns alle
neuen formats gesorgt hat.

Gewerkschaften und Klimabewegung gemeinsam

das beste am ganzen war, dass es uns gelungen ist, erstmals vertreter*innen von gewerkschaften, fridays for future, der postwachstumstheorie, des green new deal und der 4days-week – kampagne ins gespräch zu bringen über den beitrag, den arbeitszeitverkürzung zur bekämpfung der klimakrise leisten kann und sollte, ebenso wie zur lösung einiger anderer akuter probleme wie beschäftigungskrise, geschlechterungerechtigkeit und krise der demokratie.

den aufschlag machte Sophie Jänicke, zuständig für arbeitszeitfragen in der tarifabteilung der IG Metall, mit den realisierten arbeitszeitverkürzungen (28stundenoption für alle, 8 tage frei statt 27,5% zuschlag für beschäftigte mit kindern, pflegeaufgaben und in schichtarbeit) aus der metalltarifrunde 2018 und den überlegungen in der IGMetall, als mittel gegen den beschäftigungsabbau durch corona, aber auch die automobilkrise und die erwartbaren folgen der digitalisierung, in der nächsten tarifrunde die 4-tage-woche mit teillohnausgleich zu fordern. als solche ist die forderung nach arbeitszeitverkürzung auch teil der igmetall-kampagne zur sozialökologischen transformation. wichtig daran war, dass nach über 20 jahren des schweigens zu arbeitszeitverkürzung die mächtigste gewerkschaft der welt diesen kampf wieder aufgenommen hat und die beschäftigten in der metallindustrie durch die für die durchsetzung ihrer azv-forderungen 2018 notwendigen streiks wieder ein gefühl der eigenen stärke und handlungsfähigkeit, auch für weitere kämpfe, gewonnen haben.

die signalwirkung für gewerkschaften auf der ganzen welt ist enorm.

Beispiele von Arbeitszeitverkürzung und Solidarität aus Island, Belgien und vielen anderen Ländern!

neben anderen guten beispielen von arbeitszeitverkürzung wie z.b. der stadtverwaltung von reijkjavik, die sich für über 2.500 beschäftigte auf den weg zur 32stundenwoche gemacht hat, oder zwei gemeinden mit hoher (jugend-)arbeitslosigkeit in belgien, die für ihre älteren beschäftigten eine 20%ige azv mit personalausgleich eingeführt haben, um junge leute einstellen zu können, wurden die erfahrungen mit der 35stundenwoche in frankreich vorgestellt. makroökonomisch hat sie in den jahren 1998-2002 mindestens 350.000 arbeitsplätze geschaffen, war aber in manchen sektoren auch von starker arbeitsintensivierung begleitet. das gute beispiel einer firma für ökologische baustoffe, die die 35-stundenwoche mit je einem tag zusätzlich frei in der woche bereits 1997 eingeführt hat und jetzt über eine weitere azv zu 32stunden nachdenkt, zeigt, dass bei wirklichem willen der unternehmensleitung und viel kommunikation in der belegschaft azv zur
zufriedenheit aller beteiligten funktionieren kann: für das unternehmen produktivitätssteigerung, für die beschäftigten eine bessere work-life-balance, für die kund*innen längere öffnungszeiten. Insgesamt haben die beschäftigten frankreichs sich trotz der versuche verschiedener konservativer und neoliberaler regierungen, die 35stundenwoche wieder abzuschaffen, sich diese nicht nehmen lassen. Der zugewinn an freizeit und lebensqualität ist den französ*innen so wichtig, auch wenn nicht alle gleichermaßen davon profitieren, dass die 35stundenwoche bis heute gültigkeit hat.

was den beitrag von arbeitszeitverkürzung zu einer postwachstumsgesellschaft angeht, so machten Juliet Schor, prof. an der uni boston, Will Stronge vom autonomy institute/london und Beate
Zimpelmann, prof. an der hochschule bremen, klar, dass die notwendige CO2-reduktion von 20% pro jahr ohne radikale arbeitszeitverkürzung undenkbar ist. darüberhinaus ist diese entscheidend für die herstellung von geschlechtergerechtigkeit, da nur so eine gleichverteilung aller arbeit: erwerbs-, haus- und sorgearbeit zwischen den geschlechtern möglich wird, was von einer aufwertung aller bezahlten und unbezahlten sorgearbeit begleitet werden muss. ebenso trägt azv zum abbau sozialer ungleichheit bei und stellt auch eine umverteilung von macht dar. Die produktivitätsgewinne, insbesondere durch digitalisierung, müssen in form von mehr freier zeit umverteilt statt in erweiterte produktion gesteckt zu werden. allerdings nur, wenn sie mit einem lohnausgleich und einer konsequenten mindestlohnpolitik verknüpft ist. nur so lassen sich rebound-effekte vermeiden, wie die annahme eines 2. jobs am freien tag bei einer 4-tage-woche. um zu verhindern, dass mehr freie zeit nur in mehr konsum gesteckt wird, müssen auch die arten und orte des freizeitverhaltens geändert, dekommodifiziert werden. um die menschen dafür zu gewinnen, müssen wir die frei verfügbare zeit, für freunde, für die familie, für sport muße und kreative, soziale und politische betätigung, anstelle von geld und konsum als das wirklich erstrebenswerte darstellen, zur neuen „leitwährung“ machen.
ein bedingungsloses grundeinkommen könnte eine gute komplementäre maßnahme zu einer solchen radikalen azv sein.

auch ist azv nicht nur etwas für die „reichen“ länder des globalen nordens. gerade in ländern des globalen südens ist der kampf gegen überlange arbeitszeiten ganz aktuell und entscheidend für die herstellung menschenwürdiger arbeits- und lebensbedingungen. arbeitende und ihre gewerkschaften dort bedürfen gerade in diesem punkt der unterstützung und des vormachens durch die arbeitenden und deren gewerkschaften im globalen norden.

den Green New Deal stellte Christoph Schneider von DiEM25 vor, der kurzfristig für den wg. eines flugstreiks in bolivien verhinderten David Adler eingesprang. der GND wurde 2008 in großbritannien „erfunden“ als alternative antwort auf die finanzkrise anstelle der neoliberalen austeritätspolitik, 2016 von DiEM25 zusammen mit dem Autonomy Institute, Tax Justice now u.a. ausgearbeitet und wird inzwischen prominent von linken us-demokrat*innen wie Alexandria
Ocasio-Cortez und Bernie Sanders vertreten. er knüpft an den New Deal der 1930er jahre an mit vorschlägen zur jobsicherung durch den ausbau sozialer und grüner jobs, deren zahl die der in der fossilen energiewirtschaft und industrie abzubauenden um einiges übersteigen würden. neben einer sog. jobgarantie für solche jobs durch die öffentliche hand sieht der GND auch arbeitszeitverkürzung vor (schon der New Deal beinhaltete eine azv von 48 auf 40 wochenstunden). so kann eine just transition von der fossilen zur grünen ökonomie bewältigt werden, die keine/n arbeitslos zurücklässt. der ausbau der sozialen und grünen infrastruktur soll an die stelle von endlosem wachstum die hebung der lebensqualität setzen und durch investitionen der europäischen investitionsbank bzw. ein demokratisch kontrolliertes grünes quantitative easing der EZB finanziert werden. als Global Green New Deal (Chomsky u.a.) muss er global gedacht werden, gleichzeitig aber auch von den kommunen ausgehen, was ja etliche GND-kommunen wie barcelona, mailand, kopenhangen, amsterdam, leeuven u.a. schon vormachen. so ein rahmen macht den GND auch für junge leute attraktiv.

den krönenden abschluss der konferenz bildete das panel „Coalition of Trade Unions and NGOs to promote working time reduction in the fight against climate crisis“, in dem Esther Lynch, u.a. für
arbeitszeitfragen zuständige deputy general secretary des EGB, Sean Sweeney, koordinator der Trade Unionists for Energy Democracy, Katharina Stierl von den Students for Future und Rachel White von der 4day week campaign in großbritannien aufeinandertrafen. während esther lynch auf die lange geschichte und den solidaristischen charakter des gewerkschaftlichen kampfes um arbeitszeitverkürzung hinwies, die heute mit corona und digitalisierung vielleicht an einem ähnlichen wendepunkt steht wie 1919 mit der einführung des 8stundentags nach ende des 2. weltkriegs, konnte Rachel White auf die erfolge der vor 4 jahren begonnenen der 4days week campaign in GB hinweisen. von einigen kleineren gewerkschaften (lehrer*innen, eisenbahner*innen) hat es die 4-tage-woche inzwischen auch ins programm des gewerkschaftlichen dachverbands TUC und in das labour-manifesto der Labout Party auf deren letztem kongress geschafft. die idee findet bei immer mehr menschen, aber auch unternehmen und in der (linken) politik zuspruch.
eine koalition aus 72 gewerkschaften aus der ganzen welt bilden die TUED, die sich v.a. um die rückgewinnung der öffentlichen kontrolle über die energieerzeugung und deren ökologische transformation unter einbeziehung der beschäftigten bemüht. den studien des den TUED nahestehenden TNI (Transnational Institute) und der CUNY School for Labour and Urban Studies ist green growth eine mär, die energiebepreisung funktioniert nicht, ein geringfügiges wachstum der erneuerbaren energien ist von einem weiteren höheren wachstum fossiler energien begleitet. erst wenn das profitprinzip vollständig öffentlicher kontrolle gewichen sein wird, wird dieser prozess sich umkehren, weil derzeit fossile energien immer noch sehr viel profitabler sind als erneuerbare.
von einer ganz aktuellen praktischen kooperation von gewerkschaften und klimabewegung berichtete Katharina Stierl anhand der unterstützung der verdi-tarifrunde im öffentlichen nahverkehr durch Fridays for Future.
unter dem motto „Besseres Klima im und um den Bus“ haben junge aktivist*innen von FFF die streikenden Bus- und Bahnfahrer*innen unterstützt, indem sie öffentlichkeitswirksam auf die hohe bedeutung besserer arbeitsbedingungen einschließlich arbeitszeiten und personalausstattung im ÖPNV für das gelingen der dringend notwendigen verkehrswende hingewiesen haben. die anfängliche skepsis der öpnv-kolleg*innen wich nach erklärenden gesprächen und der erfahrung praktischer solidarität, wenns sein musste auch um 3 uhr morgens, einem freundschaftlichen verhältnis mit dem bewusstsein eines gemeinsamen kampfes um den erhalt von arbeitsplätzen, menschenwürde und natur. Der richtige slogan in bezug auf arbeitszeitverkürzung könnte hier
FreeDaysforFuture sein. die kooperation von gewerkschaften und FFF soll bei der anstehenden tarifrunde der IG Metall fortgeführt werden, wo die 4-tage-woche von überlegungen zur konversion der automobilindustrie hin zu bus- und bahnwaggon-bau flankiert werden musss.

bei vielen gewerkschaften kommt arbeitszeitverkürzung langsam auf die tagesordnung, so Esther Lynch, auch auf dem EGB-kongress 2018 war sie thema und auf dem nächsten EGB-kongress 2023 wird sie einen wichtigen stellenwert bekommen. corona bildet gewissermaßen ein historisches momentum, das die wichtigkeit von arbeitszeitverkürzung für die bewältigung der krise deutlich macht, zunächst in form der kurzarbeit, aber auch die möglichkeit eines lebens mit weniger konsum und die notwendigkeit einer neuverteilung der arbeit im betrieb und zu hause zwischen den geschlechtern, zu der eine verkürzung der erwerbsarbeit für alle ein gutes stück beitragen kann.

Margareta Steinrücke, 6.11.20

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