Deutsche Autoindustrie: Hoffnung China

Deutsche Autohersteller ringen um Marktanteile und setzen auf Absätze in Volksrepublik. Beijing streicht Subventionen für E-Autos
»Auto China 2020«: Sie wird coronabedingt vermutlich die einzige große Automobilmesse in diesem Jahr bleiben (Beijing, 26.9.2020)

 

Sie hätte im April des Jahres stattfinden sollen, wurde coronabedingt verschoben: die internationale Messe »Auto China 2020« in Beijing. Seit Sonnabend nun hat sie ihre Pforten geöffnet, findet bis zum 5. Oktober statt. Die Autoindustrie schaut voller Hoffnung auf die wahrscheinlich einzige große Automobilschau in diesem Jahr. Weltweit ist die Konjunktur in der Branche seit drei Jahren rückläufig – für die auf Wachstum fokussierte kapitalistische Ökonomie ist das eine Katastrophe. Wenn Absatz und Umsatz sinken, sinkt der Profit.

Die Folgen sind Pleiten und Betriebsübernahmen wie die von Opel durch die PSA-Gruppe oder der rapide Wertverlust bei Fiat-Chrysler. Allerdings verfügen die drei großen deutschen Hersteller über außerordentliche Gewinnrücklagen von 180 Milliarden Euro, mit denen sie ihre Marktanteile verteidigen. Betroffen vom Absatzrückgang und von der Umstellung auf Elektromotoren sind auch die großen Zulieferer wie Bosch, Continental, Schaeffler, Mahle und ZF, die allesamt Betriebsschließungen angekündigt und, wie die Autohersteller selbst, begonnen haben, Arbeitsplätze jeweils in fünfstelliger Größenordnung zu streichen. Opel droht mit betriebsbedingten Kündigungen, sollten Abfindungsangebote nicht angenommen werden. Daimler will 20.000, vielleicht sogar 30.000 Arbeitsplätze vernichten, bei MAN sollen 9.500 Jobs verschwinden. In Summe geht es um weit über 100.000 Industriearbeitsstellen, die in den nächsten drei Jahren wegfallen könnten.

Produktion, Absatz und Export auch der deutschen Hersteller sinken seit Jahren. Dieser Trend hat sich 2020 nochmals beschleunigt – in den ersten acht Monaten wurden in Deutschland 30 Prozent weniger Fahrzeuge abgesetzt. Der Export sank gar um 36 Prozent. Das ist der größte Einbruch in der Geschichte der deutschen Autoindustrie. Diese Verluste konnten durch die Produktion im Ausland nur teilweise wettgemacht werden. So sank sie bei VW um gut 200.000 Fahrzeuge, die bei BMW stagniert bei etwa 2,2 Millionen, ähnlich sieht es bei Mercedes aus. Offensichtlich ist, dass es bei den Analysten gravierende Fehleinschätzungen in ihren Absatzprognosen gab.

Überall Rückgänge, nur nicht in der Volksrepublik China. Der chinesische Automarkt ist seit Jahren der größte der Welt und der einzige Rettungsanker für die entsprechende deutsche Industrie. Die Zeiten des ungebremsten Wachstums in diesem Markt sind zwar auch vorbei, die sogenannte Motorisierungsrate jedoch ist in China noch weit geringer als die hierzulande.

Dort haben von 100 Einwohnern etwa 15 ein Auto – in Deutschland sind es 56. Der Marktanteil deutscher Hersteller in China liegt bei etwa 25 Prozent, was rund sechs Millionen Fahrzeuge pro Jahr ausmacht. Allein Volkswagen setzt inzwischen fast die Hälfte seiner Fahrzeuge in der Volksrepublik ab – oft kommen diese aber aus dortigen Fertigungsstätten. Dies führt zu geringerer Auslastung an deutschen bzw. europäischen Standorten. Für die Fabrik in Wolfsburg waren für 2020 eigentlich 800.000 Fahrzeuge geplant – tatsächlich werden weniger als 500.000 produziert. Das Ziel für 2022, etwa eine Millionen Autos in diesem größten Werk zu bauen, ist unrealistisch. Die in die Welt posaunten Wachstumspläne, mit denen auch Kapital angelockt wurde, stellen sich nun als spekulativ heraus.

Allerdings hat die Coronakrise auch im chinesischen Markt tiefe Spuren hinterlassen: Im Februar 2020 wurden fast 82 Prozent weniger Pkw als im Vorjahresmonat verkauft, im März lag der Rückgang immer noch bei 48 Prozent. Dennoch: Als einzige große Volkswirtschaft zeigt China jetzt wieder Wachstumsraten, während die globale Konjunktur sich nach wie vor in einer Rezession befindet.

Die Konzernspitzen erhoffen sich nach der Messe »Auto China 2020« neuerliche Zuwächse beim Verkauf in der Volksrepublik. Indes: Die Signale sind widersprüchlich, vor allem was das Segment der Elektrofahrzeuge betrifft. Die Regierung in Beijing hatte die Subventionen für E-Autos reduziert bzw. gestrichen – Folge: Der Absatz brach 2019 um 30 Prozent ein. Ein anderer Grund dürfte sein, dass viele Hersteller zwar E-Fabrikate angekündigt haben, diese aber mitunter noch nicht bis zur Serienreife entwickeln konnten bzw. nur wenige Fahrzeuge bei den Händlern vorrätig sind. Das betrifft beispielsweise die von Volkswagen (ID. Next), den Audi- E-Tron, den BMW- i3 und von Mercedes den EQC. Allein Volkswagen will in diesem Jahr 300.000 E-Autos in China verkaufen – das wären etwa 25 Prozent aller solcher Kfz auf diesem Markt. Einige Regierungen sind strikt: In den Niederlanden sind ab 2030 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen, in Kalifornien ab 2035.

Fest steht: Die Konkurrenz zwischen den großen alten Playern wie Volkswagen, BMW, Daimler, PSA, Toyota, Ford und GM sowie den neuen Herstellern wie Tesla, Great Wall und Geely wird an Schärfe zunehmen. Und im Handelskrieg von Trump gegen die Volksrepublik China drohen die Konzerne aus Deutschland zwischen die Fronten zu geraten: Ausgang offen, die Zukunft bleibt höchst ungewiss.

https://www.jungewelt.de/artikel/387233.automobilbranche-hoffnung-auf-china-gesetzt.html

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