Befreiung der Arbeit oder Befreiung von Arbeit?

Im Buch „Arbeiten wie noch nie – Unterwegs zur kollektiven Handlungsfähigkeit“ (Hg. Sabine Gruber, Frigga Haug, Stephan Krull; Argument-Verlag) habe ich als Vorschlag beschrieben, wie wir, Gewerkschaften und die gesellschaftliche Linke, aus der arbeitspolitischen Defensive zur Befreiung der Arbeit kommen können: Vom Klassenkampf zur Sozialpartnerschaft und wieder zurück; vom Neuen, das aus dem Alten erwächst; von den Kämpfen um disponible Zeit und vom anders arbeiten und anders planen.

Auch die anderen Beiträge im Buch sind absolut lesenswert:

Eine Reisanleitung auf dem Weg zur kollektiven Handlungsfähigkeit; die Beschreibung von Arbeitsverhältnissen als Gesellschaftsverhältnissen (Sabine Gruber); von Traditionen, Erfahrungen und Perspektiven aus der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung (Bernd Röttger); von der Arbeit „der Anderen“(Alexandra Weiss); von den Faulen und den Fleißigen (Johanna Riegler); von einer Vision von Frauen, die eine Vision für alle ist (Frigga Haug); von einer lebendigen Debatte auch über das Grundeinkommen und von den nächsten Schritten von der Utopie zur Realität.

Aber hier zunächst mein Beitrag: Aus der arbeitspolitischen Defensive zur Befreiung der Arbeit?

 1. In der Defensive

Der Arbeitsbegriff und die Arbeit haben sich historisch entwickelt und vielfach verändert. In jeder Epoche, auf jeder Stufe der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung wird neu definiert, wie und wie viel gearbeitet wird, welchen Grad die Arbeitsteilung erreicht. Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass Männer in einem 40-Stunden-Job den materiellen Unterhalt der Familie erwirtschaften während die Frauen die Hausarbeit erledigen und wieder andere sich um den Staat kümmerten, selbst wenn die heute Lebenden es nie anders wahrgenommen haben. Jetzt stecken wir wieder im Prozess der Neu-Definition von Arbeit, um den vielfachen Veränderungen und Bedürfnissen Rechnung zu tragen: Die Zeit des Fordismus / Taylorismus  und des scheinbar unbegrenzten Wachstums ist vorbei. Die bisher bezahlte „produktive“ Erwerbsarbeit wird reduziert durch Produktivitätssteigerungen, Nachfragerückgang und erschöpfte Energie- und Rohstoffquellen. Wachsend sind die oft unbezahlten, jedoch gesellschaftlich,  individuell und existenziell erforderlichen Tätigkeiten wie Beziehungsarbeit, Eigenarbeit, ehrenamtliche Arbeit, Hausarbeit, Erziehungsarbeit, Kulturarbeit, Bildungsarbeit und Pflegearbeit. Mit dem Maßstab der kapitalistischen Profitlogik ist Erziehung, Pflege, Kultur nicht zu bemessen.

Wir verabschieden die bisherige „Arbeitsgesellschaft“ auf dem Wege zu global fair geteilter Erledigung all dessen, was Menschen brauchen und wünschen! Leider müssen wir dieses aus der arbeitspolitischen Defensive heraus tun.

Nach erfolgreicher arbeitspolitischer Entwicklung[1] durch den Klassenkompromiss im Ergebnis der Novemberrevolution, aufgrund einer erstarkten gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert – unterbrochen und gebrochen durch Faschismus und Krieg – und die Systemkonkurrenz von 1945 bis in die 1980er Jahre hinein, gelang dem Neoliberalismus und seinen politischen Vertretern seit Beginn der 1980er Jahre ein arbeitspolitisches Roll back, an dem Gewerkschaften nicht ganz unschuldig sind.

Als Reagan und Thatcher in USA und Großbritannien die Gewerkschaften dezimierten um drastischen Sozialabbau durchzusetzen, glaubten viele im kontinentalen Europa, es handele sich um angelsächsische Eigenheiten, gegen die der „rheinische Kapitalismus“ und die „soziale Marktwirtschaft“ resistent seien. Als Helmut Kohl nach seinem Regierungsantritt – ausgelöst durch eine Wendung der FDP zu einer lediglich wirtschaftliberalen Partei – eine „geistig-moralische Wende“ ankündigte, wurde er nicht wirklich ernst genommen. Die dann folgenden politischen Angriffe auf das Streikrecht, auf die Arbeitszeit, auf das Rentenalter und viele soziale Errungenschaften wurden vor allem nicht im Zusammenhang als eine Offensive des Kapitals, des Neoliberalismus verstanden. Viele Beschäftigte in den Betrieben und Verwaltungen empfanden das „noch nicht“ als dramatisch, als existenziell, da die Errungenschaften der Vergangenheit und der Systemkonkurrenz tatsächlich einen guten Lebensstandard und soziale Sicherheit gebracht hatten; vor allem waren die Menschen ideologisch wehrlos, da (politische) Bildung systematisch reduziert und viele nicht mehr in der Lage waren, die Entwicklung zu begreifen. Emanzipatorische und kritische Kräfte innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften waren zu schwach, um gehört zu werden und ein Echo zu erzeugen.

Die Gewerkschaften wurden von den Regierenden eingeladen, an den „notwendigen Reformen“ mitzuarbeiten; immer ging es dabei vordergründig um die Herstellung von „Wettbewerbsfähigkeit“, um Konkurrenzvorteile, um „Standortsicherung“, um Beschäftigung, um „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ bzw. um „Hauptsache Arbeit“[2].  Als Gewerkschaftsführungen sich darauf eingelassen hatten, war die Konkurrenzfalle zugeschnappt; so entwickelten sich Gewerkschaften zu „Mitgestaltern des sozialen Wandels“, um „Schlimmeres zu verhüten“ … und das Schlimmste ist eingetreten: Die Gewerkschaften wurden systematisch geschwächt, viele Menschen verloren das Vertrauen in die Gewerkschaften. Vollendet wurde dieses Werk durch gewerkschaftliche Beteiligung an der Konzipierung der „Arbeitsmarktreformen“, der Hartz-Gesetze einschließlich des Zwanges zu Lohnarbeit unter allen Umständen und zu geringsten Löhnen. Die Etablierung eines breiten Niedriglohnsektors, die ungezügelte Ausbreitung von Leiharbeit stieß nicht auf den Widerstand der Gewerkschaften, da dieses ja jeweils der „Standortsicherung“ diente und „Wettbewerbsvorteile“ versprach. Die damit einhergehende organisatorische und politische Schwächung der Gewerkschaften führte zu einer partiellen Stärkung von Betriebsräten, die mehr noch als Gewerkschaften in den betrieblichen Korporatismus eingebunden sind und weniger Möglichkeiten haben, überbetrieblich oder über Branchen hinweg Solidarität zu organisieren.

In Gesprächen mit Beschäftigten[3] aus einem Automobilbetrieb darüber, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, äußert sich diese Defensive zwar unterschiedlich, in der Hauptsache und Tendenz aber ähnlich. Das aktuelle Dilemma wird u.a. so benannt:

Ein 36-jähriger Karosseriearbeiter: „Bei uns gab es einen Rhythmus, da musste ich 13 Wochen Nachtschicht arbeiten. Danach bist Du kein Mensch mehr“. „Kein Mensch mehr“ zu sein, ist ein ungeheurer Vorwurf an diejenigen, die solche Arbeitsbedingungen anordnen oder zulassen. Damit verbunden ist die berechtigte Frage, warum gegen den Biorhythmus nachts Autos gebaut werden müssen und warum Gewerkschaften und Betriebsräte dieses zulassen. Die regelmäßige Nachtarbeit in der Automobilfertigung und im Gefolge davon in vielen Zulieferbetrieben wurde im Zuge der neoliberalen Offensive in den 1990er Jahren ohne wirksamen Widerstand der Gewerkschaften eingeführt.

„Zukünftig wird es wohl weniger körperlich harte Arbeit geben, aber die geistigen Anforderungen und die Komplexität der Aufgaben wird steigen und damit auch der Stress. Kümmern müssen wir uns, dass die Arbeit so gestaltet ist, dass wir dabei bleiben können, auch wenn wir älter werden, dass unsere Bedürfnisse und Fähigkeiten berücksichtigt werden, dass Arbeitsplätze menschengerecht und nicht nur technisch gestaltet werden.“  Die Aussichten scheinen nicht rosig, nicht nur wegen zunehmenden Stresses, auch, weil die Berücksichtigung von „Bedürfnissen und Fähigkeiten“ gegen technisch organisierte Arbeit menschengerecht durchgesetzt werden muss. Hoffnung gibt die Erkenntnis, dass die Beschäftigten sich selbst darum kümmern können.

Eine 43-jährige Montagearbeiterin zur zukünftigen Arbeit: „Wichtig ist, dass es sinnvolle, sinngebende Arbeit und Produkte sind – keineswegs zwingend ein Auto. Die Arbeit soll Freude bringen und Sinn machen, nicht nur die nackte Existenz sicherstellen.“ Der Anspruch an „sinnvolle Arbeit und Produkt“ beinhaltet eine grundsätzliche Kritik an bisheriger Arbeit und Produkt, vor allem an den Verhältnissen, die Arbeit und Produktion nur am Profit orientieren statt an den menschlichen Bedürfnissen innerhalb und außerhalb von Erwerbsarbeit, wie das in der folgenden Erwartung deutlich wird: „… dann kann sich jeder entsprechend seinen Fähigkeiten einsetzen, seine Kenntnisse entwickeln und schauen, wo er gebraucht wird.“ Wie wichtig es den Menschen ist einbezogen zu werden und welches Potenzial darin liegt, verdeutlicht die abschließende Aussage der Montagearbeiterin: „Eigentlich geht es darum, mit solchen Fragen wie Du sie jetzt gestellt hast, das eigene Denken zu beginnen. Aber sonst fragt uns ja niemand, also weiß auch niemand, worum es uns eigentlich geht.“

Ein 55-jähriger Betriebsrat: „Es geht mir darum, die Produktivitätssteigerung von zehn Prozent jährlich aufzufangen. Das Wachstum wird nach unseren Prognosen hauptsächlich außerhalb Europas stattfinden. Deshalb müssen wir intelligente Lösungen finden, wie wir die Beschäftigung hier langfristig sichern. Mir geht es um die Menschen. Die sind für die Situation nicht verantwortlich. Die haben einen guten Job gemacht und sollen jetzt die Fehler anderer ausbaden. Die Opel-Mitarbeiter zahlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Wenn die Arbeitsplätze weg sind, bekommen die Arbeitslosengeld. Da kommen gewaltige Summen zusammen, die man den staatlichen Hilfen gegenüberstellen müsste. 

Dass die Banken ein Vielfaches an Milliarden Euro staatliche Bürgschaften und Kapitalspritzen erhalten haben, wird viel weniger thematisiert. Die Bank ist offenbar systemrelevant, warum ist das bei Opel anders? Ich sehe das aus der Situation der Menschen.“

2. Vom Klassenkampf zur Sozialpartnerschaft und zurück!

Es ist eine Binsenweisheit: Politische und soziale Erfolge wurden durchgesetzt, wenn die Arbeiterbewegung stark (Gewerkschaft, Partei, Massenstreiks) und das Kapital schwach war (Krisen, Strukturwandel, internationale Konkurrenz). Etwas genauer:  Die Regulierung von Arbeitszeit und Verbesserung des Einkommens wurden durchgesetzt, um revolutionären Bestrebungen die Spitze zu nehmen und die Arbeiterbewegung in den „organisierten Kapitalismus“ zu integrieren. Der 8-Stunden-Tag wurde Gesetz und die Gewerkschaften als „Sozialpartner“ akzeptiert nach der Niederlage des 1. Weltkrieges, nach der „Abdankung“ des Kaisers, nach der (russischen) Oktoberrevolution und der (deutschen) Novemberrevolution, nach dem Kampf und der Niederwerfung von „Arbeiter- und Soldatenräten“. Die „soziale Marktwirtschaft“ bzw. der „rheinische“ Kapitalismus wurden etabliert nach der Niederlage des 2. Weltkrieges, nach dem „Verlust“ ehemaliger deutscher „Ostgebiete“, nach der Gründung der DDR und der einsetzenden Systemkonkurrenz. Die Defizite und Deformationen des „realen Sozialismus“ in der Sowjetunion und der DDR waren ein Teil der Defensive der emanzipatorischen Bewegungen und führen zum vorläufigen Ende der historischen Ausnahmesituation.

Ambivalente Ergebnisse der Sozialpartnerschaft sind das Betriebsverfassungsgesetz, die Einkommensentwicklung, die Arbeitszeitverkürzungen,  Urlaubsverlängerung, Vorruhestandsregelungen, Unternehmensmitbestimmung, Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung bei Krankheit und einiges mehr. Ambivalent, weil es Kampferfolge bzw. Zugeständnisse unter den Bedingungen der Systemkonkurrenz waren; der Westen hatte eine „Schaufensterfunktion“ gegenüber dem Osten und dem Süden. Ambivalent auch, weil die diesen Erfolgen zugrunde liegende „Sozialpartnerschaft“ die Lohnerwerbstätigen in der Illusion hielt, der Kapitalismus sei gezähmt und mit ewigem Wachstum wohlstandsmehrend für die alle Menschen.

Negative Ergebnisse von „Sozialpartnerschaft“ und „Stellvertreterpolitik“ sind politische Abstinenz vieler Menschen, die Verlagerung des „politischen Kampfes“ auf „die Partei“, Stellvertreterpolitik in Gewerkschaften mit ausgeprägter und gewünschter „Versichertenmentalität“ bei vielen Mitgliedern. Teils und in Schüben hat eine Entpolitisierung stattgefunden unter dem Motto „Die da oben machen das schon“, verbunden mit einem Trend zur Konservierung der politischen / sozialen Verhältnisse: „Uns geht’s doch gut“; dem Verzicht bzw. der Austreibung eigner politischer Beteiligung; schließlich: völlige Abkehr von der „Sozialdemokratie“, die sich durch den forcierten Sozialabbau (Agenda 2010) ihre Zustimmung In der Bevölkerung dezimierte. Zu diesem Zeitpunkt waren viele Menschen aufgrund medialen Dauerfeuers nicht in der Lage zu erkennen, in wessen Interesse der Sozialabbau betrieben wird.

Nicht durch die Krise Anfang der 70er Jahre und der 90er Jahre, auch nicht durch die beginnende Krise des Jahres 2008 wurden die Gewerkschaften, linke Parteien, soziale und emanzipatorische Bewegungen in die Defensive gedrängt. Ausschlaggebend für die Defensive waren der in den 70er Jahren beginnende, nur durch die Systemkonkurrenz gefesselte neoliberale Angriff auf den Sozialstaat und die Lähmung Gewerkschaften. Der Aufkündigung der „Sozialpartnerschaft“ durch die Neoliberalen, dem „Klassenkampf von oben“ haben die Gewerkschaften keine adäquate Antwort, z.B. „Klassenkampf von unten“,  entgegengesetzt.

Zweischneidig ist „Sozialpartnerschaft“ begrifflich wie praktisch, da sie verschleiert, dass die „Partner“ von ungleichen Positionen arbeiten, ungleiche Ausgangsbedingungen und Mittel haben, dass es bei Verhandlungen und Streiks um Tarife nicht um „Partnerschaft“ geht, sondern um fundamentale Interessengegegensätze und antagonistische Widersprüche. Praktisch gewährte die „Sozialpartnerschaft“  in Form von Klassenkompromiss und Produktivitätspakten während der Systemkonkurrenz relativen Wohlstand und Wachstum, Produktivitätssteigerungen und Exporterfolge der kapitalistischen Wirtschaft. Es wurde der Schein genährt, dass der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben sei, dass die Abschaffung der privaten Verfügung über Banken und Produktionsmitteln kein Ziel der Arbeiterbewegung und keine Notwendigkeit zur Überwindung von Krisen sei.

Voraussetzungen für diesen neoliberalen Etappensieg sind die fast totale Auflösung und die theoretische Entwaffnung der „Klasse an sich“ durch vielfache Differenzierungen[4], durch Bildungs- und Intellektuellenfeindlichkeit, durch tief implantierten pathologischen  Antikommunismus, durch Bürokratie, undemokratischen „Zentralismus“, Stellvertretergehabe der Funktionäre, Misswirtschaft in den gewerkschaftlichen Unternehmungen, die Kern einer alternativen solidarischen Ökonomie sein sollten. Alles begleitet durch Tabus in der Presse, in der die Arbeitswelt nicht vorkommt, in der die herrschende Ordnung als beste aller Zeiten und Ende der Geschichte verkündet wird.[5]

  1. Das Neue entsteht aus dem Alten!

Es ist ein Teil der System-Krise und ein Auslöser der aktuellen Wirtschaftskrise, dass die in vielen Ländern als Schlüsselbranche wirkende Auto- und Zulieferindustrie

anarchisch einzelbetrieblich an den ökonomischen Möglichkeiten, den ökologischen Grenzen und Kundenbedürfnissen eklatant vorbeigeplant hat. In dieser Industrie und ihren Produkten (PKW und LKW) bündeln sich seit vielen Jahrzehnten die Krisen: Verknappung fossiler Energieträger und Rohstoffe wie Stahl und Edelmetalle; die Nahrungsmittelkrise wegen des Umstieg auf „nachwachsende Rohstoffe“; die Klimakatastrophe wegen der Umweltbelastung im Lebenszyklus; die Zersiedlung und Betonierung großer Landesteile; der unerträgliche Lärm in Ballungsgebieten und entlang von Transitstrecken; die riesigen Kosten und das unendliche Leid durch Unfälle, die sinnlose Beschleunigung des Lebens und damit zusammenhängende psychische Störungen und nicht zuletzt die hochgradige Arbeitsteilung auf allen Ebenen – in den Fabriken, zwischen den Herstellern sowie zwischen den Ländern und damit einhergehende Entfremdung der Beschäftigten von ihrer Arbeit und von sich selbst. Die Verknappung von Ressourcen hat nicht nur Kostensteigerungen zur Folge – und um begrenzte Ressourcen werden schon Kriege geführt und bei dem Prozess der Gewinnung dieser Ressourcen entstehen irreparabeler Schäden an der natürlichen Umwelt, im Meer, im Boden, in der gesamten Biosphäre.

Weiter gibt es in dieser Schlüsselindustrie hausgemachte Krisen-Verstärker, die in der privaten Verfügung und der unstillbaren Profitsucht der Eigentümer bzw. der Anleger ihre Ursache haben. Vor der Finanzmarktkrise haben Aktionärsversammlungen und Aufsichtsräte angeordnet, Renditen von über 12% pro Jahr zu erwirtschaften – orientiert an den Spekulationsgewinnen im Finanzsektor, die bekanntlich der Auslöser für die Große Krise waren. Das Renditeziel wurde auf jede Fabrik, auf jede Abteilung und auf jeden Arbeitsplatz projiziert. Wer das nicht brachte, „rechnete sich nicht“ und war erst einem ungeheuren Leistungsdruck ausgesetzt und dann überflüssig. So wurden kleine bis mittelständige Betriebe kaputt gerechnet und zerstört, es wurde Outsourcing betrieben, bis die Manager verwundert feststellten, dass kaum noch eigene Produktion und damit keine Profitbasis mehr vorhanden ist. Chrysler und General Motors wurden auch durch solche genialen Strategien in die Insolvenz getrieben.

Weitere Krisenverstärker sind Entwicklungen, die ebenso der einzelbetrieblichen Planung und dem unstillbaren Profitstreben geschuldet sind:

  1. Den Kapazitäten von über 70 Millionen PKW stand bis zur Krise ein Absatz von „nur“ 60 Millionen PKW gegenüber; in der Krise sank der Absatz auf unter 50 Millionen Fahrzeuge. Auf diese Situation reagieren die Unternehmen reflexartig: „Die Anderen“ haben schuld, das eigene Unternehmen „musste im Interesse der Kunden und Beschäftigten expandieren“. Legendär ist der Ausspruch eines ehemaligen BMW-Chefs: „Es mag ja sein, dass es zu viele Autos gibt, ganz sicher aber zu wenige von BMW!“ Dem Bau neuer Fabriken in China, Indien, Russland, USA wird die Schließung von Fabriken in Belgien, Frankreich, Italien Deutschland und wiederum in den USA folgen. Selbst in China werden inzwischen mehr Autos produziert als verkauft. Das entstehende Neue ist hier, dass vor allem junge Menschen zunehmend wissen, dass das Mobilitätsmodell aus Europa, USA und Japan aus Gründen der Ressourcenverknappung und des Klimagleichgewichtes nicht auf China übertragbar ist. Mit der Produktion wird das Produktionsmodell sowie das Arbeitsmodell und das Lebensmodell in Frage gestellt.
  1. Das Auto als Transportmittel auf zu vielen oft verstopften Straßen ist ein Dinosaurier.

Die Unternehmen haben an den Bedürfnissen der Menschen vorbei produziert, indem immer größere, immer luxuriösere Fahrzeuge mit immer mehr Elektronik gebaut wurden. Diese Produktion war orientiert an kaufkräftigen Märkten und an der wachsenden Zahl reicher Menschen auch in ärmeren Ländern. Nun stoßen die profitträchtigen großen Autos auf geringere Einkommen, gestiegene Spritpreise und sinkende soziale Akzeptanz. Das menschliche Bedürfnis nach sinnvoller Mobilität wird damit zunehmend weniger erfüllt, zumal auf tatkräftigen Druck der Autoindustrie andere Möglichkeiten der Mobilität in ihrer Entwicklung gehemmt oder gar unterdrückt wurden. Die immer noch staatliche Bahn in Deutschland wird seit längerer Zeit von vormaligen Automanagern geleitet; das Ergebnis sind massenhafte Streckenstilllegungen, eine Ausdünnung des Angebotes in kleineren Räumen und eine völlig unsoziale Preisgestaltung. Das entstehende Neue ist hier, dass viele Menschen sich auf ursprüngliche Formen von Mobilität besinnen, auf das Fahrrad,  auf ihre Füße und Beine und auf ihren berechtigten Anspruch, auch ohne Auto am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu dürfen.

  1. Die Exportorientierung der Auto- und Zulieferindustrie erweist sich als Schwachpunkt, weil mit der Krise in vielen Ländern der Absatz gleichzeitig eingebrochen ist. Mit den Autos wurde Erwerbslosigkeit exportiert und aus der vormaligen „Stärke“ entsteht Schwindsucht, wenn der Export einbricht. Viele Länder lassen sich das zunehmend weniger gefallen – die Autokonzerne hoffen noch, den Aufbau nationaler und konkurrierender Industrien in Indien und China verhindern zu können und sich diese Märkte als neue Profitbasis sichern zu können.
  1. Mörderisch ist die Konkurrenz, die auf die Beschäftigten übertragen wird. Im Kampf um maximale Renditen der Kapitalbesitzer wurden die Unternehmen geschwächt. Der traditionsreiche Autohersteller Karmann aus Osnabrück in Norddeutschland hat Insolvenz angemeldet, u.a. aufgrund von Privatentnahmen der Eigentümer in den letzten drei Jahren von fast 100 Millionen €.

Leih- und Zeitarbeiter sind in der Branche zu tausenden entlassen worden[6], Zulieferfirmen um die Autofabriken gehen pleite, Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerungen, noch mehr Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen stehen auf den Kostensenkungsprogrammen. Mit den von den Arbeitgebern geforderten „substanziellen Beiträgen“ der Beschäftigten für den Krieg der Konzerne gegen die Beschäftigten werden in diesem gewerkschaftlich gut organisierten Bereich Tarifverträge ausgehebelt. Die mehrfache „Standort- und Beschäftigungssicherung“ z.B. bei Opel hat in den letzten 15 Jahren zu einer 40%igen Lohnsenkung sowie einer Halbierung der Belegschaft geführt. Mit der im Frühjahr 2010 vereinbarten Unterschreitung des Flächentarifvertrages sollen nicht nur Milliarden Subventionen vom Staat erpresst werden, gleichzeitig werden  weitere 10.000 Stellen abgebaut und Werke geschlossen. Partieller Lohnsenkung  folgt flächendeckende Lohnsenkung: Lohndeflation ist der Anfang einer deflationären Entwicklung insgesamt. Es wird immer wieder bestätigt: Auf Lohnsenkungen folgen einzeln oder nacheinander Kurzarbeit, Entlassungen und Betriebsschließungen wie so häufig in der Geschichte, jüngst bei BenQ, Otis, Nokia, Siemens, Conti, Opel, Daimler, Volkswagen, Karmann, Karstadt und vielen weiteren Unternehmen.

Der grundlegende Widerspruch zwischen einer bedürfnisorientierten Ökonomie und einer profitorientierten Produktion ist untrennbarer Teil des kapitalistischen Konkurrenzsystems. Dieser „Logik“ werden viele Erwerbstätige, einzelne Betriebe, ganze Unternehmen und Volkswirtschaften „geopfert“. Gewerkschaften könnten dieser „Logik“ etwas entgegensetzen, wenn sie weniger Teil des Systems und in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit eben auch Teil des Problems wären. Der Staat bindet Gewerkschaften in die Krisenlösungen ein und wird von diesen dann gedrängt, „alle Instrumente zur Sicherung der Arbeitsplätze einzusetzen“ (z.B. der der Automobilindustrie, bei Opel, respektive der Standorte). Mitten in der Krise, als alle vom Sparen sprachen im Frühjahr 2010, hat die IG Metall erfolgreich interveniert, um das Milliardenprojekt des Militärflugzeuges von Airbus zu forcieren – wegen der Arbeitsplätze und der „Standorte“. Auf Forderung an die Autoindustrie, integrierte Mobilitätskonzepte und Elektromobilität zu fördern, reagiert diese: das “grüne Auto“ als Ausweg aus der Krise. Spritsparmodelle mit effektiveren Motoren, besseren Reifen und weniger Gewicht sind in kürzester Zeit auf dem Markt – was beweist, dass diese Technologie bisher unter dem Deckel gehalten wurde. Statt von integrierter Mobilität reden sie von integrierten Konzernen. Aber sie müssen reagieren, weil die Krise sie zwingt, weil die ökologischen Forderungen unabweisbar sind; und sie versuchen gleichzeitig, diese unabweisbaren Veränderungen profitabel zu nutzen.

Gewerkschaftliche Vorschläge, Branchenräte zu installieren, mehr Demokratie und Mitbestimmung in die Wirtschaft zu bringen, die Idee von sektoralen und regionalen Wirtschafts- und Sozialräten kann Mächtigkeit erlangen, wenn die Beschäftigten und die Menschen in den Regionen selbst aktiv werden. Dazu gehören Ideen, wie gesellschaftliche Verkehrsverhältnisse anders organisiert werden sollen:

Einige Ideen, die vervollständigt und wissenschaftlich geprüft werden müssen, über die sich viele verständigen müssten. Dabei geht es nicht um Einschränkungen, sondern um eine andere Lebensweise, darum, dem Stress und den unübersehbaren Gefahren unserer gegenwärtigen Arbeits- und Lebensweise zu entgehen, eben auch ganz anders zu arbeiten – innerhalb wie außerhalb von Lohnerwerbsarbeit:

 Alle Menschen haben das Recht auf Mobilität, niemand wird zu schädlicher Mobilität gezwungen! Die Transporterfordernisse in größeren Räumen werden durch andere Siedlungs- und Produktionsstrukturen reduziert (Regionalökonomie). Transport von Material und Energie wird mit Pipelines, Schiffen und Güterzügen realisiert. Die Menschen fahren in bequemen Personenzügen oder mit dem Schiff, weil Zeit dafür ausreichend vorhanden ist und das Erleben verschiedener Landschaften, Klimazonen und Kulturen intensiv möglich macht. Die Zentren sind durch getaktete S-Bahnen mit kleineren Ortschaften verbunden, die innerörtliche Mobilität wird durch Straßenbahnen, Hybrid- und O-Busse realisiert, verschiedene zwei-, drei und vierrädrige Fahrzeuge werden für wechselnde Strecken geliehen und emissionsfrei durch Menschen, bei starkem Wind sowie bei schwächeren Personen durch kleine Elektromotoren angetrieben. Die Innenstädte sind autofrei, aus Gründen der Bequemlichkeit gibt es viele Straßenzüge mit elektromagnetisch angetriebenen Laufbändern. Notwendige Besorgungen können mit elektrisch betrieben größeren und kleineren Taxen durchgeführt werden, die flexibel zur Verfügung stehen. Zeitverschwendung in Staus gehören der Vergangenheit an.

 Noch stößt sich diese Vision an der Realität, die von der Auto- und Erdölindustrie gesetzt wird. Umso wichtiger ist es, unsere Bedürfnisse zu definieren und demokratische Strukturen zu schaffen, in denen diese Bedürfnisse sich gegen die Profit-Logik des Kapitals durchsetzen.

Es wächst also etwas Neues, was jedoch behindert wird durch die Spaltung der Belegschaften in Stamm- und Leiharbeiter, durch unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen, durch das Ausspielen von Jungen gegen Alte und von Belegschaften in der Standortkonkurrenz. Der ursprünglichen Konkurrenz in der Lohnerwerbsarbeit die Solidarität entgegenzusetzen und diese zum eigenen Prinzip der Beschäftigten zu machen, stand am Beginn der organisierten Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“ (Marx). Heute käme es mehr noch darauf an, in diese Solidarität Menschen außerhalb der Erwerbsarbeit einzubeziehen, z.B. Erwerbslose und Personen, die unbezahlte gesellschaftlich notwendige und nützliche Arbeit leisten. Es geht darum, durch bewusstes solidarisches Handeln alle Arbeit fair zu teilen. Eine radikale Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit wäre dafür Voraussetzung und ein erster Schritt!

  1. Kämpfe um disponible Zeit: Arbeitszeit wieder auf der Agenda

Die Arbeitszeit war und ist eine der wesentlichen Stellschrauben in der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit. Dabei geht es um den Grad der Ausbeutung bzw. um den der Freiheit und Autonomie. Die Verkürzung von Arbeitszeit ist eine Verkürzung der Zeit, in der der Unternehmer befehlen kann, in der die Arbeitenden Anweisungen folgen müssen, in der sie sich nicht selbst verwirklichen können.  Das behält auch seine Richtigkeit, wenn subjektiv der Eindruck bei vielen Beschäftigten entsteht, Arbeitszeitverkürzung sei ursächlich und Verantwortlich für Lohnkürzung und Leistungsverdichtung. In der Krise erleben wir, dass Löhne gekürzt und Leistung verdichtet werden auch unter den Bedingungen von Arbeitszeitverlängerung. Verkürzung von Arbeitszeit bedeutet Reduzierung von Ausbeutung und Vergrößerung von Autonomie.

Das findet seinen Ausdruck darin, dass es immer harte Kämpfe um die Arbeitszeit gab!

Ein kurzer Blick auf die Entwicklung lohnt, um die gegenwärtige Etappe zu verstehen:

Zu Beginn der Industrialisierung gab es ungeregelte Arbeitszeiten, die vom Tag- und Nachtrhythmus bestimmt waren. Oft wurde an 7 Tagen in der Woche gearbeitet, schwerste Kinderarbeit war gewöhnlich. In England wurde auf gesetzlicher Basis der 10-Stunden-Tag 1848 eingeführt, weil der Verschleiß an Arbeitskräften zu groß war und die Population der Arbeitenden gefährdete. Natürlich gab es auch den Schrei der Entrechteten nach Begrenzung des Arbeitstages und der Arbeitswoche.

Den ersten offiziellen 8-Stunden-Tag gab es ab 1856 in Australien im Ergebnis eines Streikes von Bauarbeitern. Von da an stand der 8-Stunde-Tag als Ziel und Symbol in der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung.

Im Jahr 1886 riefen die nordamerikanischen Gewerkschaften zum Generalstreik für den 8-Stunden-Tag am 1. Mai auf. In Chikago eskalierte der Streik, nachdem die Polizei zwei Demonstranten erschossen hatte. Über 30 Tote und 200 Verletzte forderte dieses Massaker. Einen ersten tarifpolitischen Durchbruch erzielten in Deutschland die Buchdrucker mit dem 10-Stunden-Tag im Jahr 1873.

Danach folgte der Kampf um den arbeitsfreien Sonntag, also eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung, durchgesetzt in Deutschland im Jahr 1900 mit zehn Stunden Arbeitszeit an sechs Tagen in der Woche. In Deutschland ist der 8-Stunden-Tag seit 1918 Gesetz –ein Resultat der Schwäche des Kapitals nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution: Um weitergehende Forderungen der Arbeiter- und Soldatenräte zu unterlaufen, wurde der „Burgfrieden“ institutionalisiert, wurden die Gewerkschaften als Verhandlungspartner anerkannt und eingesetzt: die Erfindung und Begründung der bis heute wirkender Sozialpartnerschaft, von Standortpolitik, Innovationsbündnissen und Produktivitätspakten. Im Ergebnis der Aktionen der Arbeiter- und Soldatenräte und der sozialen Zugeständnisse gelten seit 1919 die Tage von Montag bis Samstag als Werktage, Sonntag und Feiertage sind – von Ausnahmen abgesehen – gesetzlich arbeitsfrei. Die gesetzliche 48-Stunden-Woche an sechs Arbeitstagen wurde zum Standard in Deutschland und gilt weiterhin – abgesehen von tariflichen Verbesserungen, die errungen wurden.

Nach der Wiederaufbauphase und im Zeichen der Systemkonkurrenz begann 1955 eine neue Runde im Arbeitszeitkampf mit der Forderung nach der 5-Tage- und 40-Stunden-Woche, die etwa zehn Jahre später zum neuen tariflichen, allerdings nie zum gesetzlichen Standard wurde. Vor allem dieser Arbeitszeitverkürzung um acht Stunden bzw. 20 Prozent in zehn Jahren – nebst erklecklichen Lohnerhöhungen – war es zu verdanken, dass es trotz rasanter Produktivitätssteigerungen nahezu Vollbeschäftigung gab.

Wieder 20 Jahre später (1985) wurde die Forderung der 35-Stunden-Woche erhoben, die im Verlaufe von zehn Jahren und massiven Kämpfen in der Metall-, Elektro- und Druckindustrie durchgesetzt werden konnte, aber nicht zum allgemeinen und gesetzlichen Standard wurde. Der hierfür erforderliche Streik in der Metallindustrie dauerte sieben, in der Druckindustrie zwölf Wochen. In Etappen wurde bis 1995 die 35-Stunden-Woche durchgesetzt. Bis heute wurde von den Gewerkschaften keine weitere Arbeitszeitverkürzung gefordert, andere Industrie- und Dienstleistungsbereiche sind nur teilweise nachgezogen. Inzwischen gibt es einen Trend zur Arbeitszeitverlängerung, Vorreiter sind Bund, Länder und Gemeinden – also der Staat – mit den Beamten, denen der Verfassung und internationalen Konventionen zum Trotz das Streikrecht verwehrt ist.

Sinkendes Arbeitsvolumen, wachsende Anzahl Beschäftigter:

Ein Blick auf die Statistik zeigt, wie logisch zwingend weitere Arbeitszeitverkürzung ist – gerade unter Berücksichtigung von geringerem Wachstum und steigender Produktivität:

 

Erwerbstätige

1000

Jahresarbeitszeit

Stunden Ø

Arbeitsvolumen

Mio. Stunden

1960 26.063 2.163 56.382
1989 29.353 1.589 46.645
1991 38.621 1.555 59.666
2004 38.868 1.440 55.962

Daten: Statistisches Bundesamt

1960 und 1989: BRD und West-Berlin; 1991 und 2004: Deutschland

Ohne eine ständig sinkende durchschnittliche Arbeitszeit wäre das Problem der Erwerbslosigkeit viel größer! Was in der Statistik nicht zum Ausdruck kommt, als Problem jedoch benannt werden muss, ist die höchst ungleich verteilte Arbeitszeit auf verschiedene Beschäftigtengruppen: Während in Industrie und Handwerk zum Teil deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche und Beschäftigten gearbeitet werden, sind dies im Versorgungs- und Dienstleistungsbereich oft Arbeitszeiten von nur 15 – 20 Stunden, manchmal sogar nur 5 – 10 Stunden pro Woche mit entsprechend geringen Einkommen. Die tatsächliche durchschnittliche Arbeitszeit beträgt ziemlich genau 30 Stunden – und liegt damit genau dort, wo bei den meisten Menschen auch die Wunscharbeitszeit liegt. Wenn nun geringes Wachstum oder Stagnation sowie weitere Produktivitätssteigerungen vorausgesetzt werden, sind nicht mehr als 25 Stunden pro Woche mit sinkender Tendenz erforderlich, um das gegenwärtige Wohlstandniveau zu erhalten. Eine Voraussetzung besteht darin, die in den vergangenen Jahren entstandenen Disparitäten in der Verteilung der Vermögen rückgängig zu machen. Das Ergebnis wäre eine Umkehrung auch der Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit – womit wiederum klar ist, warum die Arbeitszeitverkürzung für die Unternehmer und die Regierenden ein Tabu war und ist.

Das es auch anders geht, wurde in einem besonderen Unternehmen klar, bei der Bewältigung einer ähnlich großen Krise. Ein besonderes Unternehmen ist Volkswagen wegen seiner Geschichte (gegründet von den Nazis mit geraubtem Gewerkschaftsvermögen, „herrenlos“ nach 1945 und bei der Privatisierung 1960 mit einem besonderen Gesetz versehen) und der darin begründeten ausgeprägten Mitbestimmung von Staat, Gewerkschaft und Betriebsrat.

Zum Beispiel: Die 4-Tage-Woche bei VW

In einer krisenhaften Situation im Jahre 1993 wurde für die Werke der VW AG ein Tarifvertrag über die 28,8-Stunden-Woche abgeschlossen, umgesetzt zur Vermeidung von Personalabbau in Größe von ca. 30.000 Beschäftigten durch den 6-Stunden-Tag bzw. die 4-Tage-Woche.

  • Einher ging mit dieser Arbeitszeitverkürzung eine Minderung des Einkommens auf Jahresbasis um 15% bis 20%.
  • Einher ging mit dieser Arbeitszeitverkürzung ein Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, der vorläufig bis 2014 verlängert wurde.
  • Im Gefolge dieser Arbeitszeitverkürzung wurde die Arbeitszeit vielfach flexibilisiert, so dass VW sich als das flexibelste Unternehmen der Welt bezeichnet.

Einige allgemeine Erfahrungen:

  • Die Arbeitszeitverkürzung stößt auf Akzeptanz bei den Beschäftigten, wenn sie möglichst zeitnah erlebt wird.  Bei Beschäftigten mit längeren Wegen zum Arbeitsort ist wöchentliche Arbeitszeitverkürzung (4-Tage-Woche) angenehmer. In anderen Lebensphasen (Kindererziehung, Pflege Angehöriger) oder anderen Arbeitssituationen (Projektarbeit) kann auch eine andere Verteilung von Arbeitszeit im Interesse der Beschäftigten liegen.
  • Die Arbeitszeitverkürzung stößt auf Akzeptanz bei den Beschäftigten, wenn der Beschäftigungseffekt deutlich und sichtbar ist. Dies kann die Einstellung von zusätzlichem Personal bedeuten oder die nachgewiesene und verbriefte Sicherung von Beschäftigung (Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen).
  • Dem Flexibilitätsfetischismus von Managern muss durch eigene kreative Flexibilitätsvorstellungen begegnet werden. Es sollte einen Ideen-Wettbewerb um gute Arbeitszeitmodelle unter Berücksichtigung der Interessen der Beschäftigten geben.
  • Ein häufiges Argument gegen Arbeitszeitverkürzung ist, dass Leistungsdruck erhöht und Produktivität gesteigert werden. Zu einem gewissen Teil kann dieses stimmen, Leistungsverdichtung und Produktivitätssteigerungen finden aber auch unabhängig davon statt.

In der aktuellen Krise hat Kurzarbeit – eine Form der Arbeitszeitverkürzung – zum millionenfachen Erhalt von Arbeitsplätzen beigetragen. Das Problem in der gegenwärtigen Debatte besteht darin, dass mit unterschiedlichen Formen von Arbeitszeitverkürzung meist drastischer Lohabbau verbunden ist. Beides zusammen stößt bei den beschäftigten auf Ablehnung, weil sich die meisten Menschen keine Lohnkürzungen leisten können, ohne von den erwarteten Konsummustern abzuweichen. Dennoch wird wieder verstärkt in den Gewerkschaften über die Arbeitszeit diskutiert: „Wir müssen die 35-Stunden-Woche als tatsächliche Arbeitszeit durchsetzen – sie muss der Maßstab bleiben. Wir müssen den Verfall von Arbeitszeiten und Zeitguthaben stoppen. Wenn Beschäftigte individuell kürzere Arbeitszeiten wünschen, muss auch das möglich sein. Wir müssen Arbeitszeiten so organisieren, dass sie zu den Bedürfnissen der Menschen passen. Die meisten wollen mehr Zeit für die Familie, Freizeit oder Weiterbildung haben. Voraussetzung ist natürlich, dass trotzdem das Einkommen stimmt. Außerdem müssen wir auch die Leistungsbedingungen thematisieren. Denn wenn die abgeforderte Leistung in der „normalen“ Arbeitszeit nicht zu schaffen ist, ufern die Arbeitszeiten aus.“ – so Helga Schwitzer vom Vorstand der IG Metall im Frühjahr 2010.

5. Anders arbeiten und planen

Neben radikaler Arbeitszeitverkürzung geht es um ein ökologisches Umbauprogramm, das – am Beispiel der Automobilindustrie  – den Personen- und Güterverkehr flächendeckend vom individuellen motorisierten Verkehr hin zum öffentlichen Verkehr bringt, durch andere Stadt- und Raumplanung die Mobilitätserfordernisse reduziert. Die Konkurrenz und die anarchische Produktion der Konzerne sind ursächlich für ökologische und wirtschaftliche Katastrophen. Gesellschaftliche Planung ist zwingend zum Abbau der Überkapazitäten, um neue sinnvolle Produktion auf den Weg zu bringen und – zum Beispiel durch Bildung und Qualifizierung – Übergänge zu schaffen. Einzelne Unternehmen sind tatsächlich überfordert bzw. wegen ihres nur betriebswirtschaftlichen Blickes nicht in der Lage, solche Veränderungen zu planen. Aber die Zeit ist nicht nur reif, sie ist auch gar nicht ungünstig. Zwar sind die Gefahren der Krise groß und unübersehbar, aber immerhin beinhaltet sie auch Chancen: Wer sich vor Jahresfrist für eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte und für staatliche Beteiligung an Banken oder gar für die Enteignung von Banken stark gemacht hat, wer dieses nur in die Debatte einbrachte, wurde als realitätsfremder Utopist beschimpft und war tatsächlich in der Minderheit. Wer die besondere Form der Mitbestimmung zum Beispiel bei Volkswagen oder gar die Beteiligung des Staates als erfolgreiches Beispiel für eine bessere Ökonomie ansprach, wurde als Dogmatiker und Ideologe diffamiert. Genau das hat sich geändert – die meisten Menschen wünschen eine Regulierung der Finanzmärkte und wollen den Mächtigen, den Regierenden, die in die Krise geführt haben, künftig nicht allein das Sagen überlassen. Die Krise hat die Diskussion über grundsätzliche Fragen des Systems und der demokratischen Beteiligung möglich gemacht. Ein zentraler Punkt muss die Beteiligung der Menschen an der Planung in Betrieben und Verfügung über Betriebe und Unternehmen sein. Dabei geht es auch, aber nicht nur, um die Eigentumsfrage; 25% Beteiligung an der Commerzbank oder 100% an der Hypo Real Estate nutzen nichts, wenn ein bürokratischer Staat diese Beteiligung im Interesse der Banken und der Reichen ausübt. Es geht also neben Eigentumsanteilen vor allem um die Verfügungsgewalt, also um den demokratischen Einfluss von Produzenten, Konsumenten und denjenigen, die in Städten oder Regionen von den jeweiligen Entscheidungen abhängig oder betroffen sind.

Der Markt führt wieder nur zu monopolistischen Strukturen, die nächste Krise würde noch schlimmer für die Zivilisation. Ohne Druck von unten wird dieser Weg nicht frei werden. Der Druck könnte in den Betrieben beginnen – mit gut besuchten Sprechstunden des Betriebsrates, gründlich langen Betriebsversammlungen, durch ordentliche Pflege und Reparatur der Anlagen, indem alle tun, was in den Arbeitsplänen steht … und was es sonst noch an kreativen Ideen gibt, um Geschäftsführungen Verzweifeln zu lassen. Eine Fortsetzung kann dieser Widerstand auf den Straßen finden, in der Zusammenführung mit den Aktionen der Studierenden, der Erwerbslosen, der sozialen Bewegungen, der Globalisierungskritikerinnen. Die Bürger können sich das Recht auf politischen Streik zurück erobern! Gelingt dies nicht, wird der Kapitalismus als Verursacher der Krise die Armen die Folgen zahlen lassen und zunächst wieder gestärkt aus ihr hervorgehen. Das aber führt – um es mit Rosa Luxemburg zu sagen – in die Barbarei!

Es gibt die Chance, demokratische Beteiligung der Beschäftigten und der Bevölkerung / Regionen durchzusetzen. Die Idee von Wirtschafts- und Sozialräten kann Bedeutung  erlangen, wenn die Beschäftigten und die Menschen in den Regionen aktiv  werden. Die Dimension dieser Auseinandersetzung besteht darin, gegen die größten und stärksten Monopolgruppen aktiv zu werden. Das kann nur gelingen, wenn breite Bündnisse von unterschiedlich betroffenen Menschen dran beteiligt werden. Aber da es diese Betroffenheit gibt, da es bei vielen Menschen mit oder ohne Erwerbsarbeit den dringenden Wunsch gibt, der Arbeit wieder ein gesundes, vernünftiges Maß zu geben, gibt auch die Möglichkeit, solche Bündnisse zu schaffen und solche Auseinandersetzungen erfolgreich zu führen. Mit den Parteien  und Gewerkschaften allein ist das nicht zu machen, da diese aus der antrainierten „Interessenvertretung“ schwer rauskommen. Deshalb erinnere ich mich gerne an eine Losung aus den aktuellen Auseinandersetzungen auf der Straße: „Kapitalismus abschaffen – Alles muss man selber machen!“

https://argument.de/produkt/arbeiten-wie-noch-nie-unterwegs-zur-kollektiven-handlungsfaehigkeit/

[1] „Arbeitspolitische Entwicklung“ beinhaltet die Bedingungen von Erwerbsarbeitsverhältnissen, wie den Lohn, die Arbeitszeit, die Qualität der Arbeit und den Grad an Autonomie / Subordination in der Arbeit sowie den Grad der Abhängigkeit von der (Lohn-) Arbeit

[2] Wahlslogans von SPD, FDP und CDU aus den 1990er Jahren: „Sozial ist, was Arbeit schafft!“

[3] Gespräche des Autoren aus dem Sommer 2009 und Frühjahr 2010

[4] Differenziert werden Beschäftigte in Statistiken u.a. nach Arbeitern und Angestellten, nach Inländern und Ausländern, nach Alter und Geschlecht, nach Qualifikation und Familienstand, nach „Arbeitsmarktnähe“ und „Lernfähigkeit“, schließlich wird jede Person einem „Profiling“ unterworfen.

[5] Spoo, E., (Hrsg): Tabus der bundesdeutschen Presse, München 1971

[6] Die Beschäftigung in der deutschen Autoindustrie sank im Jahr 2009 um 50.000 Personen

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