Der erste Schritt: Arbeitszeitverkürzung jetzt!

Ein Aufruf von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Unterstützung der IG Metall, der streikenden und kämpfenden Menschen in den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie – mit vielen weiteren Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern.

Wir unterstützen die IG Metall-Initiative für die 28-Stunden-Woche

Endlich macht die IG Metall nach über 30 Jahren auch die Arbeitszeitverkürzung zum Gegenstand von Tarifverhandlungen. Sie fordert neben 6% Lohnerhöhung auch die Regelung einer befristeten Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden pro Woche mit teilweisem Lohnausgleich für Kinderbetreuung, Pflege und durch Schichtarbeit besonders belastete Beschäftigte.

Die Forderung ist nach unserer Auffassung nicht nur aus Gründen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vernünftig. Sie kann auch zur Entlastung des Arbeitsmarktes beitragen.

Nach offiziellen Angaben sind über 2.5 Millionen Menschen in Deutschland immer noch arbeitslos. Bei einer seriösen Berechnung leiden jedoch mehr als doppelt so viele unter Arbeitslosigkeit. Hinzu kommt, dass 2017 kurioserweise ca. 1.9 Milliarden Überstunden geleistet wurden, davon 0.9 Milliarden ohne Bezahlung. Angesichts forcierter Digitalisierung und Produktivitätssteigerung droht eine neue Welle von Massenentlassungen. Insofern ist eine flächendeckende und dauerhafte Verkürzung der Regelarbeitszeit eine sozial- wie arbeitsmarktpolitische Maßnahme ersten Ranges.

Wir halten die IGM-Forderung daher für einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Diese Forderung muss allerdings um zwei wichtige Elemente ergänzt werden: Zum einen muss jede Arbeitszeitverkürzung an einen entsprechenden Personalausgleich gekoppelt werden. Sonst liefe man Gefahr, dass die Arbeitsintensität mit negativen Folgen für die Beschäftigten stiege. Dies zeigen die Erfahrungen bei der Einführung der 35-Stundenwoche im Metallbereich. Dadurch sind bei den Beschäftigten Kraft und Interesse verloren gegangen, sich für weitere Arbeitszeitverkürzungen einzusetzen.

Zum anderen muss jede Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich verbunden werden. Den Unternehmen mangelt es nicht an Geld, sie schwimmen sogar im Geld, das sie schon seit mehreren Dekaden in den Finanzsektor zu Spekulationszwecken investieren. Die sinkenden Investitionsraten von ca. 22% in 1980 auf 17% in 2016 sind der beste Beleg dafür.

Die Gegenargumente der Unternehmer halten einer Überprüfung nicht stand:

– Der Fachkräftemangel würde durch die Arbeitszeitverkürzung verschärft. Beinahe eine Million Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, auch in Branchen, die angeblich unter Fachkräftemangel leiden, widerlegen dieses Argument von Unternehmerseite. Bei einem wirklichen Fachkräftemangel müssten alle diese unter Diskriminierung, ungerechten Löhnen und Unsicherheit leidenden Menschen eigentlich sofort in Normalarbeitsverhältnisse übernommen werden.

– Die deutsche Wirtschaft verlöre an Wettbewerbsfähigkeit. Tatsächlich schwimmen aber deutsche Unternehmen im Geld. Durch massiven Druck auf die Löhne haben sie allein zwischen 1991 und 2012 schätzungsweise 15 Tausend Milliarden (!) überschüssigen Gewinn erwirtschaftet. Diese Überschüsse wurden nicht in Produktivkapital umgewandelt, sondern sie landen überwiegend zu Spekulationszwecken im Finanzsektor. Arbeitszeitverkürzung, Schaffung von zeitgemäßen Normalarbeitsverhältnissen mit deutlich höheren Löhnen ist insofern auch ein wirtschaftspolitisch dringend gebotener Schritt zur Begrenzung des Finanzsektors.

Wir fordern die Bundesregierung und die Parteien dazu auf, die IGM-Initiative uneingeschränkt zu unterstützen.

Wir fordern auch die Massenmedien auf, die Öffentlichkeit über die Hintergründe und Auswirkungen der IGM-Forderung umfassend und sachlich zu informieren. Ihr Schweigen zu diesem zentralen gesellschaftlichen Thema kommt einer einseitigen Zustimmung zu der Position der Unternehmerseite gleich.

Berlin, 01.02.2018

V.i.S.d.P.: Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Berlin (Tel. 0176/96746309)
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:

Prof. Dr. Peter Hennicke, Wuppertal
Konstantin Wecker, Musiker, Schriftsteller, Schauspieler
Prof. Dr. Ulrich Duchrow, Theologe, Heidelberg
Prof. Dr. Peter Grottian, Sozialpolitiker, Berlin
Prof. Dr. Michael Schneider, Schriftsteller, Berlin
Sahra Wagenknecht, Berlin/Saarbrücken
Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Armutsforscher, Köln
Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler,
Osnabrück/Berlin
Prof. Dr. Heinz J. Bontrup, Wirtschaftswissenschaftler, Gelsenkirchen
Prof. Dr. Claus Offe, Soziologe, Berlin
Prof. Dr. Oskar Negt, Soziologe, Hannover
Prof. Dr. Christiane Morgenroth, Sozialpsychologin, Hannover
Dr. Daniela Gottschlich, Politik- und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin, Lüneburg
Margareta Steinrücke, Soziologin, Bremen
Jens Wernicke, Journalist, Mainz
Prof. Dr. Beate Zimpelmann, Politikmanagement, Bremen
Prof. Dr. Rudolph Bauer, Politikwissenschaftler, Bremen
Prof. Dr. Armin Bernhard, Erziehungswissenschaftler, Duisburg-Essen
Dr. Lydia Krüger, Soziologin, Berlin
Prof. Dr. Franz Hamburger, Mainz
Prof. Dr. Ulrich Mückenberger, Arbeitsrechtler, Bremen
Prof. Dr. Holger Heide, Wirtschaftswissenschaftler, Munfors/Schweden
Inge Danielzick, Verein Arbeit und Zukunft, Bremen
Stephan Krull, ehem. Betriebsrat bei VW-Wolfsburg, Hannover
Dr. Thomas Gesterkamp, Journalist und Autor, Köln
Dr. Bahman Nirumand, Journalist und Autor, Berlin
Dr. Sonia Seddighi, Ärztin, Berlin
Prof. Dr. Werner Ruf, Politikwissenschaft und internationale Beziehung, Kassel
Laura Wimmersperg, Lehrerin i. R. und Friedensaktivistin, Berlin
Lothar Geisler, Redakteur, Essen
Ingeborg Mehser
Rainer Butenschön, Vorsitzender des Verdi-FB Medien, Kunst und Industrie im Bezirk Niedersachsen/Bremen und zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Verdi-Tagung am 27. Januar 2018 in Hannover, darunter:
Yrida Berger, Einzelhandelskauffrau, Garbsen; Björn Walter, Journalist, Braunschweig; Dirk Bauer, EDV-Administrator, Beven; Lutz Kokemüller, verdi-Gewerkschaftssekretär, Celle; Michaela Enderlein, Call Center Agent, Wilhelmshaven; Stephanie Enderlein, Call Center Agent, Wilhelmshaven; Ute Gottschaar, Gewerkschaftsekretärin, Braunschweig; Sabine Gaetz, Gewerkschaftssekretärin, Hannover; Angelika Schwarz, Erzieherin, Braunschweig, Ute Meyer, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Hannover; Olaf Uhde, Gesundheits- und Krankenpfleger, Göttingen; David Matrai, verdi-Gewekschaftssekretär, Hannover; Julia Sander, Schriftstellerin, Hannover; Ingolf Behrens, Verwaltungsfachangestellter, Hannover; Lisa Stolle, Sozialpädagogin, Hannover; Ernst Scheer, Rentner, Lehrte; Gabriele Stachura, Rentnerin, Lehrte; Martina Klehn, Lehrerin, Hannover; Monika Kludas, Journalistin, Jork; Annette Rose, Journalistin, Hannover; Bettina Hoffmann, Konrektorin, Cuxhaven; Marion Schmedes, Verlagskauffrau, Hagen im Bremischen; Steffen Kappelt, Journalist, Stade; Wolfgang Hühne, Musiklehrer, Goslar; Karl-Heinz Roeder, Rentner; Ernst-Günther Morsel, Arzt, Nienhagen; Frank Erfurt, Post-Vertrauensmann, Braunschweig; Hans-Werner, Friederiszik, Erzieher, Langenhagen; P. Schulz-Oberschelp, Stelbsständiger, Bad Bentheim; M. Putzker, Angestellte, Braunschweig. Detlef Dopp, Techniker, Hannover; Erika Kolde, Zustellerin, Wallenhorst; Gabriele Menge-Ullbrich, Kauffrau, Hannover; Manfred Hoffmannn, Pensionär, Lehrte; Liesel Dettmann, Rentnerin, Hannover; Tilo Thies, Angesellter, Braunschweig; Christof Kaspareit, Diplom-Ingenieur, Braunschweig; Hans-Hagen Voss, Angestellter, Wunstorf; Lisa-Marie Jäger, Angestellte, Frellstedt; Iris Appel, Angestellte, Hannover

https://www.zdf.de/nachrichten/heute/weniger-arbeiten-mehr-leben-100.html

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