Irr und wirr: Volkswagen-Retter Johann Jungwirth

Ein Dipl.Ing Elektrotechnik, 45 Jahre alt, soll Volkswagen retten: Johann Jungwirth. Wer ist dieser Typ, von dem das Handelsblatt berichtet, alle würden ihn „jj“,(sprich: jay jay) nennen und er versprühe den Geist des Silicon Valley. „Den Wolfsburgern soll er die Angst vor der Digitalisierung nehmen.“[1]

Von 1994 bis 2013 war er bei Daimler beschäftigt, 2014 /2015 bei Apple, seit November 2015 ist er bei VW beschäftigt und trägt den großspurigen Titel „Chief Digital Officer“ (CDO), eine neu geschaffene Managementposition. Es soll DIE zentrale Funktion in der Zukunftsstrategie des Konzerns zur Digitalisierung sein, direkt dem Vorstandsvorsitzendem Müller unterstellt. In Wikipedia können wir über ihn lesen: „Er bringt in den Konzern einen neuen Umgangston aus seiner alten Wirkungsstätte im Silicon Valley ein, meidet Anzüge und lässt sich mit seinem Spitznamen JJ und per Du anreden.“ [2]

Volkswagen demokratisiert seit 80 Jahren die Mobilität?

Jungwirth erklärte dem Magazin t3n seine Vision, die tatsächlich ein Frontalangriff auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist: „Carsharing wird von den Transport-as-a-Service-Fahrzeugen verdrängt, die einen an der Tür abholen und zur nächsten Tür fahren, und dann sich selbst ums Laden, Reinigen, Parken, Waschen kümmern.“[3] Zu dieser Strategie gehört die von VW gegründete Firma MOIA, die ihren Auftrag wie folgt beschreibt: „Im Fokus steht die Entwicklung eigener IT-basierter On-Demand-Angebote wie etwa Ride Hailing oder Pooling Services. Hierzu investiert MOIA auch gezielt in digitale Startups und arbeitet mit Städten und etablierten Verkehrsanbietern zusammen.“ Mit den Städten Hamburg, Dresden und Wolfsburg wurden dazu „strategische Partnerschaften“ vereinbart. Die „Neuerfindung der Mobilität“ passt zum maßlosen und geschichtsverfälschendem Anspruch, zum Gründungsmythos dieses Unternehmens: „Volkswagen demokratisiert seit 80 Jahren die Mobilität“[4], wo doch Raub, Mord, Rüstungsproduktion und Kriegsvorbereitung am Beginn dieses Unternehmens standen.

Ende September 2017 wurde eine Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung in Braunschweig abgesagt, auf der Jungwirth einen Vortrag halten sollte. Im Titel des geplanten Vortrages ist von „Neuerfindung der Mobilität“ die Rede. Großspuriger geht es kaum! Nun wäre dieser Vortrag in Braunschweig keine Premiere gewesen, beim Genfer Autosalon im März 2016[5] und  August 2017 im Wolfsburger Phaeno – und häufig noch zwischendurch mussten sich Menschen dessen wirre „Visionen“ anhören vom digitalen Land, der digitalen Stadt und dem digitalen Menschen, die radikale Losung „Alles für Alle“ missbrauchend: Internet, Smartphone, Meinungsfreiheit, Wissen, Bildung, Zeit und globale Vernetzung für alle als Geschenke von Volkswagen: Jungwirth erläutert die digitale Transformation, die die Lebensqualität verbessern soll. Nachhaltigkeit, Urbanismus und die Digitalisierung verlangen „visionäre Entscheidungen. Dieser ansteckende Optimismus infizierte alle Zuhörer. Die digitale Revolution hat die Mobilität erreicht“ – so berichtet das Wolfsburger Museum dazu auf seiner eigenen Seite.

Zynismus und Demagogie des Verführers

Schauen wir uns den abgesagten Vortrag von Jungwirth etwas genauer an. Paternalistisch erklärt er unter gleichem Titel beim Autosalon in Genf, „vielen von uns sei noch gar nicht bewusst, in welch historisch bedeutender Zeit wir leben“. Auto und Mobilität würden jetzt neu erfunden. Das sei natürlich ein gesellschaftlicher Fortschritt, geradezu eine Revolution und erhöhe unsere Lebensqualität. Solche gravierenden Probleme wie Parkplatznot, Staus und Stress würden bald der Vergangenheit angehören, weil autonome Fahrzeuge selbständig parken könnten und viel Fläche dadurch frei würde: Ein Segen für die Infrastruktur unserer Städte. Dann blitzt kurz die neue Renditeerwartung auf, die er impertinent mit einem Solidaritätsappell verbindet: „Oder schauen Sie sich an, wie wir heute mit den Schwächsten unter uns umgehen, den Alten, Kranken, Blinden, Kindern. Sie müssen weite Strecken mühsam zu Fuß, teilweise mit Rollator zu ÖPNV-Haltestellen gehen oder sich teure Taxis nehmen.“ Jungwirth droht mit Abhilfe: In die neuen Mobilitätswelt werden alle Menschen eingebunden: „Wir werden sie bequem und beschwerdefrei von Tür zu Tür transportieren – mit Mobilität auf Knopfdruck oder auf Sprachbefehl: mein Audi, bitte hole mich ab, mein Volkswagen, ich bin ready.“ Das ist Lebensqualität, wie Jungwirth und sein Unternehmen sich das vorstellen, so planen sie unsere Zukunft. „Können Sie sich vorstellen, wie dankbar uns diese Menschen sein werden?“ Dann kommt die Katze aus dem Sack, es geht um die Erschließung neuer Profitquellen und um nichts anderes: „Zudem öffnet sich hier ein riesiger Markt, der bisher brach liegt.“ Gut 12 Milliarden Euro nehmen die Nahverkehrsbetriebe in Deutschland pro Jahr an Fahrgeldern ein.

Weitere Vorteile, die Jungwirth demagogisch und ungeniert preist, bestehen darin, dass bis zu 1,25 Millionen Menschenleben gerettet werden können, die jedes Jahr im Straßenverkehr sterben; dass „jedem einzelnen hier im Raum“ 37.668 Stunden zurückgeschenkt werden – die Zeit, die „jeder Mensch im Schnitt in seinem Leben im Auto verbringt“. Es liegt ihm am Herzen, beteuert er, „dass unsere Kinder ein besseres, sichereres, entspannteres, stressfreieres und schöneres Leben haben als wir selbst.“ Angesichts der Kinderarmut in unserem Land und der verhungernden und vor Krieg fliehenden Millionen Kinder rund um den Erdball eine geradezu zynische Sichtweise. Aber er steigert sich: Volkswagen bietet sich die Chance, „das Leben auf unserem Planeten Erde deutlich zu verbessern, die Erde in einem besseren Zustand zu verlassen, als wir sie angetroffen haben.“ Gegen die Zweifler muss natürlich vorgegangen werden, mit „allen Mitteln“ seien „die Mutigen, die Kühnen, die Vordenker und Erfinder der aktuellen Zeit zu unterstützen.“ Er nennt und lobt die Heiligenbilder (Ikonen) der Neuzeit, den VW Golf, den Audi A5 oder „natürlich den Porsche 911. Da läuft uns allen das Wasser im Munde zusammen.“

Auto statt Liebe?

Ein letztes Beispiel für den Wahnsinn, der von solchen Leuten und solchen Unternehmen verbreitet wird  aus dem Vortrag von Jungwirth in Genf: „Selbstverständlich gehören perfekte Konnektivität der Fahrzeuge mit der Cloud, eine nahtlose Experience mit den Kunden-Smartphones sowie Smart Home zu den Best in Class digitalen User Experience dazu, und genauso Over-the-Air Software Updates und Upgrades, welche unsere Fahrzeuge immer auf dem neuesten Stand halten und den Kunden neue Services bieten. Das Fahrzeug wird zu unserem besten Freund oder Freundin, der wir einen Namen geben, die uns versteht, die mit uns spricht, unser Verhalten und unsere Vorlieben lernt und unsere Gedanken lesen kann um uns perfekt zu unterstützen.“ Hätte Jungwirth bei der Betriebsversammlung am 14.9. in Wolfsburg den Wortmeldungen der Kolleginnen und Kollegen zugehört, wüsste er, was diese umtreibt: Repressionen in Form von Abmahnungen durch die Personalabteilung, die Drohung mit Produktionsverlagerungen, ungenügende Informationen über die Verweigerung von Samstagarbeit bei VW in Portugal, von Streiks in Polen und der Slowakei, die Nicht-Aufklärung des millionenfachen Abgasbetruges und die daraus erwachsenden Risiken für die Arbeitsplätze.

In anderen Zusammenhängen habe ich die Perspektivlosigkeit der Elektro-Autos und „autonomer Fahrzeug“ beschrieben so wie sie bisher von den Autokonzernen geplant werden, nämlich als Ersatz und als neue Profitquelle für Millionen Autos mit Verbrennungsmotoren, die künftig nicht mehr tragbar sind. Eine dringend erforderliche Verkehrs- und Mobilitätswende muss den unterschiedlichen Transportbedürfnissen in den Megacities wie in den infrastrukturarmen Regionen dieser Welt entsprechen, es muss sozial- und umweltverträglich sein und es muss demokratisch geplant und umgesetzt werden. Das ist mit solch wirren Typen wie Jungwirth und seinen Managementkollegen sicher nicht möglich. Eine Verkehrswende setzt deshalb auch eine Wende in der Unternehmenspolitik und in der Unternehmensstrategie voraus – raus aus der mörderischen Konkurrenz um Märkte, Marktanteile, Umsatz und Profite – eine große Aufgabe für soziale und ökologische Bewegungen, für die Linke, für Gewerkschaften, Betriebsräte und die Landesregierung in Niedersachsen mit ihrem großen Anteil am VW-Konzern. Aber nicht nur eine große Aufgabe, sondern auch eine große Chance!

[1] http://www.handelsblatt.com/my/unternehmen/industrie/digitalchef-johann-jungwirth-volkswagens-neuer-popstar-/13039692.html

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jungwirth_(Ingenieur)

[3] http://t3n.de/news/volkswagen-digitalchef-johann-jungwirth-852373/

[4] https://www.volkswagenag.com/de/news/2017/05/VWGroup_history.html

[5] https://www.volkswagenag.com/de/news/2016/3/t_Digitalisierung.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert