Arbeitszeitkonferenz. Das Thema zog. Und so folgten viele dem Ruf von DGB und Friedrich-Ebert-Stiftung Mitte Januar nach Berlin: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politiker aller Couleur, darunter Carola Reimann (SPD), Uwe Lagosky (CDU), Brigitte Potmer (Bündnis 90/Die Grünen) und Klaus Ernst (Die Linke). Für ver.di sprach Andrea Kocsis. Andere Gewerkschaften tauchten im Programm nicht auf.
Reiner Hoffmann begann seinen Beitrag mit der überraschenden Feststellung, das Gewinnerthema für die Bundestagswahl sei Arbeitszeitverkürzung, wenn sie glaubwürdig versprochen werden könnte. Doch es folgte sogleich der Kniefall des Gewerkschafters vor Nahles: Das „Weißbuch Arbeit 4.0“ aus dem Hause der Ministerin sei schon eine gute Vorlage mit einer Vision von „Guter Arbeit“. Die Möglichkeit von „Experimentierräumen“ für die Auflösung des 8-Stunden-Tages, das Einfallstor für Arbeitszeitverlängerungen, wurde von Hoffman aus-drücklich begrüßt. Er sprang über Nahles‘ Stöckchen, dass dafür ja die Tarifver-tragsparteien zuständig seien – Verschlechterung des Arbeitsschutzes also nur mit Zustimmung der Gewerkschaften. Neusprech Hoffmann: „Flexibilität neu denken!“ Nahles war es zufrieden und entdeckte das Fließband und getaktete Arbeitszeiten als „absolute Unfreiheit“: „Rhythmus statt Takt“ war dann ihr or-wellsches Gedankenloch, in das sie die Schutzfunktion des Paragrafen 1 des Ar-beitszeitgesetzes versinken ließ: „Zweck des Gesetzes ist es, … den Gesundheits-schutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten.“ Der menschliche Rhythmus soll wie zu Zeiten ihres seligen Urgroßvaters wieder der Rhythmus der Arbeit werden. Und weder sie noch ihre Sekretärin noch ihr Fahrer wären immer nach acht Stunden mit der Arbeit fertig – ihr Rhythmus sein einfach ein anderer. Von einigen Rednern wurde dann noch die imaginäre „al-leinerziehende Berufstätige“ bemüht, die erst mal das Kind zum Kindergarten bringt, ein paar Stunden arbeitet, dann wieder das Kind versorgt und, wenn das Kind im Bette liegt, die restlichen Stunden Arbeit ableistet – zur Not auch mobil in der S-Bahn. So sei die Praxis, „die Leute wollten das so“ – deshalb dürfe man das Gesetz „nicht so eng“ auslegen.
Zwar liegen viele Befunde vor, dass die Menschen lieber kürzer arbeiten wol-len, doch zu einer mobilisierungsfähigen Forderung mochten sich die Gewerk-schafterinnen dann doch nicht durchringen. Es blieb Andreas Boes vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München vorbehalten, die gerechte Ver-teilung des Produktivitätsfortschrittes in Form einer allgemeinen Arbeitszeitver-kürzung zu fordern: die kurze Vollzeit für alle, wie sie unter anderem von Jutta Allmendinger (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) und der Attac AG ArbeitFairTeilen gefordert wird.
Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) traf mit seiner Forderung nach Ausweitung des 8-Stunden-Tages und Verkürzung der Ruhezeiten zwischen den Schichten als neue Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit der „deutschen Wirtschaft“ auf defensive und bescheide-ne, ja handzahme gewerkschaftliche Positionen: Das Arbeitszeitgesetz biete doch schon Flexibilität, und mit den verabredeten „Experimentierräumen“ zur Ausweitung der Arbeitszeit solle man doch erst mal sehen, wie das so laufe, sag-te die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Kocsis. Der BDA-Mann hatte leichtes Spiel: Das Arbeitsrecht 2.0 passe nicht zur Arbeit 4.0. Dass die Arbeitgeber strikt gegen das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit sind, verwundert da selbstverständlich nicht, geht es doch um die „unternehmerische Freiheit“, die Menge von Arbeit allein zu bestimmen.
Was fordert die Gewerkschaft, wurde die ver.di-Vertreterin gefragt. Mehr als der Abbau von Überstunden und die gesetzliche Regulierung von Home-office-Arbeit fiel ihr dazu nicht ein. Wenn die Gewerkschaften mit ihren derzeitigen Arbeitszeitkampagnen nicht bei der einseitig durch Unternehmen gesteuerten Flexibilität stehenbleiben wollen, müssen sie auf den groben Unternehmerklotz der Verlängerung der Arbeitszeit auch einen groben gewerkschaftlichen Keil der radikalen Verkürzung der Arbeitszeit setzen!
Mitten in der Krise, im Jahr 2009, schrieb Eckart Spoo hier im Ossietzky unter der Überschrift „Gewerkschafter, handelt“ den flammenden Appell: „Ge-werkschafter, wann besinnt Ihr Euch auf das Notwendige? Die Autorität des Ka-pitals ist geschwächt, zumal es, außer noch brutalerer Ausbeutung, kein Konzept hat. Verschlaft die Situation nicht. Sonst wird sich Euer Mitgliederschwund fort-setzen. Und der Eures Durchsetzungsvermögens. Analysiert die Krise der 1920er, 1930er Jahre. Und handelt.“ (Ossietzky, 5/2009)
Es steht zu befürchten, dass die gegenwärtige Generation von Gewerkschaf-tern mit dieser Aufgabe überfordert ist.
Literaturhinweis: Ossietzky-Sonderdruck: »Manifest zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit« mit Beiträgen von Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup und Prof. Dr. Mohssen Massarrat und einem Vorwort von Eckart Spoo, 2011, 20 Seiten, 2 €/ zzgl. 1,50 € Versandkosten, ossietzky@interdruck.net
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