Brüder im kapitalistischen Geiste: Tesla und Volkswagen, Elon Musk und Peter Hartz

Wegen des Irrweges „Elektro-Auto“, wegen seiner Prahlerei, wegen der Wasserentnahme in der wasserarmen Region für die „Gigy-Factory“ in Brandenburg stehen Tesla und der Milliardär Elon Musk in der Kritik, so auch im ZEIT-Artikel vom 27. September 2020: Tesla in Grünheide: Fans für harte Arbeit gesucht.

„Statt um Arbeitskräfte zu werben, stellt Tesla Anforderungen. Wer einen Job in der Gigafactory will, muss ein überzeugter Anhänger sein – und bereit, Druck auszuhalten.“

„Bitte arbeiten Sie bei Tesla Giga Berlin! Es wird super Spaß machen!“ – so die ersten Versuche von Musk, Leute für die Fabrik in Grünheide zu rekrutieren. Die meisten Ausschreibungen sind in englischer Sprache verfasst. Oft ist es ein Einstellungskriterium, sie zu beherrschen.

Gesucht wird aber unter anderem nach Mitarbeitern in der Fertigung. Gerade letztere seien schwer zu finden – denn sie müssen bereit sein, im Drei-Schichtbetrieb zu arbeiten und eine gute gesundheitliche Konstitution mitbringen. Man suche Mitarbeiter, die „unter Druck sehr gut arbeiten und in der Lage sind, enge Deadlines zu erfüllen“ heißt es da. Und solche, die Systeme erschaffen können, um Produktionsziele zu erreichen, „ganz egal, welche Hindernisse dabei auftauchen“. Immer wieder ist von „hohem Druck“, „extrem knappen Zeitfenstern“ und „aggressiven Zielen“ die Rede. Sie suchen jemanden, der sich „kontinuierlich optimieren“ will.

https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-09/tesla-gruenheide-gigafactory-jobs-stellenausschreibung/komplettansicht

Das alles kommt mir bekannt vor. Hat VW ähnlich gemacht mit dem Projekt Auto 5000 : absolute Selektion in einem sechsstufigen Verfahren: Online-Bewerbung, Online-Test, Assessmentcenter, Industrietauglichkeit, Automobiltauglichkeit, prozesshaftes lernen. Von 40.000 Bewerbungen bundesweit wurden weniger als 3.000 Leute eingestellt. Loyalität war die erste Bedingung. Alle Bewerberinnen und Bewerber wurden in eine extreme Konkurrenz zueinander gesetzt; sicher mit der Absicht, diese Konkurrenz während der zunächst befristeten Beschäftigung aufrecht zu erhalten. Das ist dann auch schon die hauptsächliche „Bruderschaft“ von Musk und Hartz, von Tesla und Volkswagen: Die Konkurrenz zwischen den Arbeiterinnen und Arbeitern soll geschürt und aufrecht erhalten bleiben, um Gemeinsamkeiten und Solidarität bestens zu liquidieren, mindestens zu minimieren.

Der Interessengegensatz konnte damit letztlich und selbstverständlich bei Volkswagen bzw. „Auto 5000“ nicht ausgeräumt werden und wird es auch bei Tesla nicht.

Ist es vertretbar, Tesla und Auto 5000 miteinander zu vergleichen? Von Tesla wissen wir bisher, dass er keinen Tarifvertrag und keinen Betriebsrat will.

Das war bei Auto 5000 in der Planung ebenso. Peter Hartz als zuständiger Personalvorstand von Volkswagen ließ 2001 unter seinem Namen ein Buch veröffentlichen mit dem Titel „Job-Revolution – Wie wir neue Arbeitsplätze gewinnen können“. Darin schreibt er – im Vorgriff auf die Agenda 2010: „The war of talents hat schon eingesetzt. Mehr als ein Jahrhundert lang stand die Frage, wie sich Arbeitnehmer vor sozialen Risiken schützen lassen, im Mittelpunkt der Gestaltung der Arbeit. Eine größere Chance haben die Länder und Unternehmen, die ‚loslassen‘ können. Die Zukunft gehört denjenigen, die auf die Mündigkeit der Arbeitnehmer, ihre Kompetenz, Beteiligung und Lernbereitschaft setzen. Denn nur aus dieser Tatkraft, die eigene Zukunft selbst in die Hand zu nehmen, erwächst der Wert persönlicher lebenslanger Beschäftigungsfähigkeit. … Wir werden verschiedene Einnahmequellen haben: Projekte, Programmentgelte, Zeitverträge, Gewinnbeteiligungen, Zeit-Wertpapiere, Aktienoptionen, Use-Sahring und mehr und mehr ROI‘s – Return of investments ins eigene Humankapital. Selbstständigkeit wird selbstverständlich, Entfernungen unerheblich. Die gegängelte Arbeitszeit verlangte den Motivator, den Vorgesetzten mit Unterhaltungswert. Die zukünftige Arbeit bekommt den Movator: Beweg etwas – Du kannst es! Der (Arbeitskraft-)Unternehmer vor Ort nimmt das Schicksal seiner Beschäftigung mit in die Hand. Ihr oder ihm sagt niemand mehr, wo sie oder er im Wettbewerb steht. Denkmäler sozialer Errungenschaften werden beiseite geräumt. Gestandene Betriebsräte äußern: Wer die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 BetrVG) beherzigt, benötigt die anderen Paragrafen der Betriebsverfassung kaum noch. … Das Gefühl der Sicherheit kennt nur noch derjenige, der schneller läuft als der Boden entgleitet.“ Genug zitiert aus dem Machwerk! Das Projekt, was Hartz beschrieb und betrieb, brauchte den Betriebsrat als Co-Manager, mit dem man schon mal eine Reise durch die Bordelle der Welt machen konnte. Das Projekt wurde vielfach wissenschaftlich untersucht – teils unabhängig, teils als Auftragsforschung.

Eine neue Betriebsgemeinschaftsideologie

Zunächst einige Passagen aus der euphemistischen SOFI-Untersuchung (Michael Schumann, Martin Kuhlmann, Frauke Sanders, Hans Joachim Sperling; http://www.sofi-goettingen.de/fileadmin/SOFI-Mitteilungen/Nr._32/auto-5000.pdf), die von Volkswagen und der IG Metall beauftragt und gut bezahlt wurde. Es war vor allem der Versuch, eine neue Betriebsgemeinschaftsideologie zu konstruieren:

Freilich bleibt das Urteil über die praktische Umsetzung dieses Innovationsanspruchs einer erweiterten Interessenkoalition zwischen Unternehmen und Belegschaft noch vorläufig.

Von Anbeginn an war deutlich: Bei der Belegschaft von AUTO 5000 handelt es sich um eine besondere Mannschaft. Der gemeinsame Erfahrungshintergrund von teilweise längerer Arbeitslosigkeit, der erfolgreich durchlaufene Bewerbungs- und Auswahlprozess und die breite Qualifizierung vor Arbeitsaufnahme hatten eine positive Grundhaltung gegenüber dem Projekt geschaffen. Die überwiegende Mehrheit war „stolz“ darauf, bei AUTO 5000 zu arbeiten; sie war zudem bereit, „sich besonders anzustrengen“, um zum Erfolg von AUTO 5000 beizutragen.

Parallel zu den Retaylorisierungstendenzen haben sich in den letzten Jahren aber auch die Versuche mit arbeitspolitisch innovativen Konzepten verbreitet. In ihnen geht es darum, Wettbewerbsvorteile durch Innovationen im Bereich der Arbeits- und Betriebsorganisation und durch eine bessere Nutzung der Potenziale der Beschäftigten zu erschließen. Das ist auch der ausdrückliche Anspruch von AUTO 5000. Angestrebt werden betriebliche Kostenverbesserungen durch die aktive, mitverantwortliche Einbeziehung der Beschäftigten in Prozessoptimierung und Rationalisierung.findet sich beiden eher repetitiven Tätigkeiten ein hohes Maß an Kritik bezogen auf die fachlichen Anforderungen und teilweise auch bei den Belastungen.Die Abkehr vom Tarifniveau des Haustarifvertrages von Volkswagen und die Orientierung am Niveau des niedersächsischen Flächentarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie lässt sich rechnerisch als Kostenentlastung von etwa 20 %beziffern. Es wird auch auf eine Entgeltdifferenzierung im Produktionsbereich verzichtet. Damit werden aber auch Tätigkeitsveränderungen oder Qualifikationszuwächse nicht mehr entgeltwirksam. Diese minimalistische Variante der Entgeltfestlegung wirkt in jedem Fall lohnkostenstabilisierend. Für die große Mehrheit ist die Verdiensthöhe bei AUTO 5000, nicht zuletzt vor dem Hintergrund früherer Verdienste und verglichen mit dem, was andernorts gezahlt wird, in Ordnung. Programmentgelt: Gemeint ist damit: eine stärkere Einbeziehung der Beschäftigten in die Produktionsverantwortung. „Die Teams sind dafür verantwortlich, dass während einer Schicht das Programm hinsichtlich Stückzahl und Qualität erfüllt wird. (…) Sollten Stückzahl und Qualität nicht erreicht worden sein, sind die Beschäftigten verpflichtet, auch über das festgesetzte Schichtende hinaus Nacharbeit zu leisten. Haben die Teams Leistungsmängel verursacht, ist die Nacharbeitszeit von ihnen selbst zu tragen, d.h. es entstehen dann für das Unternehmen keine Vergütungsverpflichtungen.“ Soweit Schumann und Genossen.

Datenbrillen, Sensoren für biometrische Daten in der Arbeitskleidung, Flexibilität, Essen ans Band geliefert, keine Vertrauensleute, einheitliche Bezahlung ohne Arbeitsplatzbewertung, Fluktuation, drei Monate „Qualifizierung“ durch die Arbeitsagentur bezahlt als Teil des Auswahlverfahrens: „Die Arbeitslosen wurden in einer Vor- und Grundlagenqualifizierung bei verschiedenen Bildungsträgern auf ihre neue Arbeit vorbereitet.“ Das Versprechen, einen IHK-Abschluss als „Automobilfacharbeiter“ zu bekommen uneingelöst: Nachdem die Beschäftigten drei Stufen der Qualifizierung – Industrietauglichkeit, Automobiltauglichkeit und prozesshaftes Lernen – absolviert haben, kann eine Zertifizierung des Lernerfolges als „Fachkraft für Automobilbau“ erfolgen. Diese Zertifizierung wird in enger Kooperation mit der IHK vorgenommen. Für das aus den Arbeits- und Qualifizierungsprozessen erworbene Wissen und die Lösung einer „betrieblichen Situationsaufgabe“, die als Verbesserungsprozess in die Fabrik eingebracht wird, gibt es das IHK-Zertifikat „Automobilbauer/Automobilbauerin“ – bei fachspezifischer Erstausbildung das IHK-Zertifikat „Prozessinstandhalter/Prozessinstandhalterin Automobilbau.“

Es gab ein erniedrigendes Auswahlverfahren, das nun wohl bei Tesla aktualisiert und verschärft angewandt werden wird, dem ein Assessment-Center, eine 360-Grad-Beurteilung zugrunde liegt. Dabei erstellt das Unternehmen ein gewünschtes Mitarbeiterprofil (Eigenschaften, Fähigkeiten des Mitarbeiters). Die jeweiligen Parameter (z.B. Durchsetzungsfähigkeit, etc.) werden in unterschiedlichen Übungen (Gruppenspielen, Diskussionen, Interviews, etc.) getestet und von Beobachtern beurteilt. Aus den beobachten Ergebnissen wird ein Profil erstellt, welches dann mit den gewünschten Profil abglichen wird. 1. Entscheidung: Mitarbeiter passt grundsätzlich (oder eben nicht) 2. Entscheidung: Alle passenden werden nach einer Rangliste sortiert. 3. Reicht die Anzahl der Plätze für deinen Platz auf der Rangliste.

Erfahrungsberichte:

„Jetzt schraubt er und montiert er in dem nackten Golf-Modell. „Eher unterdurchschnittlich“, befindet der Prüfer und macht ein Kreuzchen in seinen Bewertungsbogen. Mal schraubt Daniel B. das eine Teil von der falschen Seite an, mal verwechselt er links und rechts, wirklich flink ist er bei allen Übungen nicht. Nach den Vorstellungstests wird Daniel B. sagen, dass alles doch gut gelaufen sei. Besser als erwartet. Er wäre halt etwas nervös gewesen.“

„So einen Test habe ich noch nie gemacht“, sagt Mirko D. aus der Nachmittagsgruppe. 31 ist der gelernte Maurer und wohnt in einem Dorf bei Stendal. Gleich zu Beginn, am ersten Tag des 5000-x-5000-Projekts, hat er es mit einer Bewerbung im Internet versucht. Die Seite sei aber überlastet gewesen, nach einer Stunde warten gab er auf und versuchte es in der anschließenden Woche nochmal. Den Test hat er dann bestanden, genauso wie den anschließenden, der unter Beaufsichtigung im Arbeitsamt stattfand. „Da wird geschaut, wie gut du in 10 Minuten möglichst viele Autoteile anbauen kannst, wie Du die Frage löst, wer von den fünf Leuten im Team den Bonus (den es nur für einen gibt) am meisten verdient hat. Oder ob ihr ihn verlost.“

https://www.wallstreet-online.de/diskussion/500-beitraege/650461-1-500/projekt-auto5000-einladung-zur-2-stufe-des-personalauswahlverfahrens-der

Die IG Metall hat dem Projekt die schärfsten Zähne gezogen – letztlich aber zugestimmt, weil das Auto sonst an einem anderen Standort gebaut worden wäre. In jahrelangen Kämpfen ist es den Beschäftigten und der IG Metall gelungen, die Benachteiligung weitgehend zu überwinden bzw. die Arbeits- und Entgeltbedingungen in die Nähe des Tarifvertrages bei VW zu bringen.

Bei Tesla könnte das, falls überhaupt nennenswert Autos gebaut und Menschen beschäftigt werden, ungleich schwerer werden, weil die Flucht in die Europäische Aktiengesellschaft (SE) ohne jegliche Mitbestimmung denkbar ist und weil es keine gut organisierte Belegschaft gibt, die Solidarität üben und gemeinsam kämpfen kann. Ein Totalangriff auf die sozialen Rechte. Der Traum von peter Hartz soll erfüllt werden: Denkmäler sozialer Errungenschaften werden beiseite geräumt.

Passt dazu: Den BigBrotherAward 2020 in der Kategorie „Mobilität“ erhält dieses Jahr die Firma Tesla Inc., vertreten durch die Tesla Germany GmbH in München. https://bigbrotherawards.de/2020/mobilitaet-tesla

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