Im Archiv gekramt und etwas aktuelles gefunden: Vortrag bei der Jahrestagung der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft e.V., 19. September 2009
Lehrerfortbildungsstätte Reinhardswaldschule in Fuldatal bei Kassel
Herzlichen Dank für Einladung zu diesem Vortrag. Ich werde, wie Klaus Widerström angekündigt hat, etwas praktischer zum Thema der Tagung sprechen. Dieser Ansatz ist nicht gegen das Grundeinkommen gerichtet, ich verstehe das vielmehr als notwendige Schritte vor einem Grundeinkommen, vielleicht als Schritte zum Grundeinkommen.
Arbeit fair teilen – Voraussetzungen und Bedingungen mehrfacher Arbeitsteilung, so der Titel dieses Vortrages. Es gibt viele Zugänge zu diesem Thema, ich möchte mich auf einige soziale und ökonomische Aspekte beschränken.
Ich werde zunächst über Erwerbsarbeit sprechen, dann übe die Ideen zur fairen Teilung der Arbeit und abschließend einige Bemerkungen machen zur Perspektive in der und nach den Krisen.
Wenngleich ich kein Wissenschaftler bin, so passt das Thema doch gut in die sozialpsychologischen Forschungen von Erich Fromm und ich hoffe, in ihm und in Ihnen hier Verbündete zu finden im Bemühen, die Arbeit fair zu teilen. (Weil es natürlich nicht ums HABEN, ums materielle, sondern ums SEIN, ums Leben geht; darum, das Prinzip der Angst zu überwinden!) Dieses auch, um die Störungen (psychosozialen Störungen mit großen gesellschaftlichen Auswirkungen), die mit Industrialisierung, Technisierung, Beschleunigung, Verdichtung, Konformität und Konsumzwang zusammenhängen, menschlich bearbeiten zu können; ohne schon die Schranken (psychologische „Phasenverschiebung“ von Mangelgesellschaft zu Überflussgesellschaft) überwinden zu können.
Selbst wenn ich mich im Folgenden zentral mit „Erwerbsarbeit“ beschäftige, will ich klarstellen, dass Arbeit selbstverständlich auch Nichterwerbsarbeit ist: Reproduktionsarbeit in der Familie, Erziehungsarbeit, Hausarbeit, Pflegearbeit, ehrenamtliche Arbeit, bürgerschaftliche Arbeit und natürlich auch Eigenarbeit, Arbeit an sich selbst, die Aneignung von Kultur und Bildung. Seit ich das Büchlein „Die Kunst des Liebens“ gelesen habe (und inzwischen aus Erfahrung) weiß ich, dass selbst zu lieben Arbeit ist. Schon aus dieser kleinen Aufzählung ergibt sich, dass Arbeit ebenso Lust wie Last sein kann; existenziell für die Menschen und für die Menschheit ist sie auf jeden Fall.
Denn: Durch die unterschiedlichsten Formen der Arbeit ist der Mensch erst Mensch geworden (ohne jetzt eine Betrachtung vorzunehmen, wie „der (historische) Mensch“ von den Bäumen geklettert ist, wie er zu planen begann, Werkzeuge entwickelt, das Feuer gehütet und das Rad erfunden hat, um sich die Arbeit zu erleichtern und das Leben schön und bequemer zu machen). Die Tatsache, dass der Mensch sich selbst und seiner Mitmenschen bewusst ist, erlaubt und gebietet ihm die aktive Gestaltung des Lebens, der Natur, also die produktive Tätigkeit, das „Leben erzeugende Leben“ (Marx).
Durch Produktivitätssteigerungen, durch Rationalisierung, durch das einsparen von Arbeitszeit wiederum ist es vielen Menschen erst möglich geworden, ihre Individualität zu entwickeln, Bildung, Kunst und Kultur kennen zu lernen und zu genießen, sich in die Gesellschaft und in demokratische Prozesse einzubringen. Während die Arbeit selbst konstitutiv für die Menschheit ist, ist die partielle Befreiung von Arbeit, auf jeden Fall von Lohnerwerbsarbeit, auf der höheren Stufe der Menschheit Bedingung für ihre Fortentwicklung.
Die vielfältige und höchst ungerechte Arbeitsteilung verhindert für viele Menschen die wünschenswerte Partizipation und Emanzipation. Friedrich Schiller schreibt dazu in den „Ästhetischen Briefen“: „Die Überwindung der Arbeitsteilung ist die bloße Bedingung für alles weitere, vor allem für die Aneignung von Philosophie und Kunst.“ Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen kommen allerdings nicht dazu, Schiller zu lesen und zu verstehen – womit das Problem der Partizipation und der Emanzipation schon beschrieben und im waidmännischen Sinne erledigt ist.
- Wie steht es also um die Erwerbsarbeit in unserem Land?
(Ich beschränke mich aus Zeit-Gründen auf unser Land; möchte aber betonen, dass eine nur nationale Betrachtung von Erwerbsarbeit in der globalen Welt zu Verzerrungen führt. Als Beispiel sei nur die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft angeführt, die zu Arbeitsplätzen hierzulande führt, zu Arbeitslosigkeit jedoch in den Ländern mit negativer Außenhandelsbilanz; der Export industrieller Agrargüter führt zu massenhafter Arbeitslosigkeit z.B. in afrikanischen Ländern!)
Wie steht es, genauer gefragt, um die Verteilung der Erwerbsarbeit in unserem Land?
Arbeit und Einkommen sind höchst ungerecht verteilt zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen, zwischen Männern und Frauen, zwischen entlohnter Arbeit und unbezahlter Arbeit, zwischen denjenigen, die viel zuviel arbeiten (müssen), und denjenigen, die zu zuwenig (Erwerbs-)Arbeit verurteilt sind.
Die Agentur für Arbeit berichtet monatlich über die Situation auf dem Arbeitsmarkt, der Bericht für August umfasst 86 Seiten; davon sind fast 50 Seiten Statistiken und 40 Seiten Verständnis der Statistiken. Daraus ergibt sich, dass der Arbeitsmarkt (-bericht) höchst unübersichtlich und differenziert ist. Differenziert bedeutet, dass die große Gruppe der Erwerbslosen in viele kleine Gruppen aufgeteilt wird.
Differenziert wird nach Alter und Geschlecht, nach Ostdeutschland und nach Westdeutschland, nach SGB II und nach SGB III, nach Inländern und nach Ausländern, nach Vermittelbaren und nicht Vermittelbaren, nach Vollzeit- und Teilzeitarbeit, nach Stammbelegschaft und Leiharbeit, nach Angestellten und Arbeitern, nach legalen und Illegalen, nach Kurzzeitarbeitslosen und Langzeitarbeitslosen, in Leichtvermittelbare und Schwervermittelbare, in die mit Sperrzeiten und die ohne Sperrzeiten, nach abhängig Beschäftigten und Scheinselbständigen … usw. (Alle zusammen heißen bei der AA jetzt übrigens „Kunden“, was an dem Zustand und der Erniedrigung und Demütigung vieler Menschen überhaupt nichts ändert!)
Von Monat zu Monat geänderte Bezugsgrößen vervollständigen die Unübersichtlichkeit und erschweren die Vergleichbarkeit.
Es ist der „Arbeitsmarkt“, der gespalten ist, tatsächlich führt dieses auch zu einer vielfachen Differenzierung in der „Arbeiterklasse“, bei denjenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu gewährleisten, Anerkennung zu bekommen etc.pp.
Zunächst möchte ich auf folgende Erkenntnis hinweisen: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes liegt das Arbeitsvolumen in unserem Land ziemlich konstant bei 40 Mrd. Stunden bis 1990 und bei etwas weniger als 50 Mrd. Stunden seit 1991 – mit leichten Schwankungen und mit der Tendenz abzunehmen. Bei ständig steigendem Ausstoß der Industrie ist dieses nahezu konstante Arbeitsvolumen begründet in kontinuierlicher Produktivitätssteigerung. Die Anzahl der erwerbstätigen Personen ist gestiegen, vor allem durch den wachsenden Anteil von Frauen an der Erwerbstätigkeit. Und hier die erste, nicht wirklich überraschende Erkenntnis: Nur durch die kontinuierliche Reduzierung der Arbeitszeit von 48 Stunden an 6 Tagen in den 60er Jahren bis hin zu 35 Stunden an 5 Tagen in den 80er Jahren (oder von 2075 Jahresarbeitsstunden 1960 auf 1358 Jahresarbeitsstunden 2004) konnte unter diesen Bedingungen eine frühere Massenarbeitslosigkeit verhindert werden.
Arbeitsvolumen / Beschäftigte Arbeitnehmer:
Jahr | Personen
1000 |
Jahresarbeitszeit
Stunden |
Arbeitsvolumen
(Mio. Stunden) |
1960 | 20.073 | 2075,8 | 41.668 |
1970 | 22.193 | 1878,7 | 41.694 |
1980 | 24.164 | 1668,5 | 40.318 |
1990 | 27.116 | 1.489,2 | 40.381 |
1991 | 35.101 | 1.475,3 | 51.785 |
2000 | 35.229 | 1.381.4 | 48.665 |
2004 | 34.650 | 1.358,0 | 47.055 |
Bis 1990 Westdeutschland einschl. West-Berlin, ab 1991 Deutschland gesamt
Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen IAB (FB 4)
Erwerbspersonen / Erwerbspersonenpotenzial
1 | Bevölkerung | 82,0 | ||
2 | Altersgruppe 16 – 64 Jahre | 55,0 | ||
3 | Erwerbspersonenpotenzial | 44,4 | ||
4 | Erwerbspersonen | 38,8 | ||
5 | Diff. Spalten 3 & 4 | 5,6 | ||
6 | Beschäftigte Arbeitnehmer | 34,6 | ||
7 | Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte | 27,5 | ||
8 | Diff. Spalten 6 & 7 | 7,1 | ||
9 | Offiziell registrierte Arbeitslose | 3,5 | ||
10 | Summe Spalten 5 & 8 | 12,7 | ||
10 | ALG-I-Empfänger | 1,2 | ||
11 | ALG-II-Empfänger (inkl. Personen
in „Bedarfsgemeinschaften) |
4,9 |
gerundete Zahlen 2008 (in Millionen)
Aus den Durchschnittszahlen geht natürlich nicht hervor, dass viele Menschen an Überarbeitung leiden, ebenso wenig, dass andere Menschen zwangsweise an zu kurzer Arbeitszeit leiden, oft noch nicht mal entlohnt: „Generation Praktikum“ ist dafür ebenso ein Stichwort wie Leiharbeit, kurze Teilzeitjobs und Minijobs oder so schlecht entlohnte Vollzeitstellen, dass ergänzende Sozialhilfe gezahlt werden muss; überwiegend übrigens Frauen, die in solchen Arbeitsverhältnissen schuften. Das ist das, was prekäre Arbeit genannt wird: arbeiten, ohne davon angemessen leben zu können und ohne Aussicht darauf, aus dieser Situation zu entkommen. Es ist eine soziale Schande und entwürdigend für viele Menschen, für die Erwachsenen wie für die Kinder, trotz Arbeit nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Durch die Agenda 2010, die fortgesetzte Politik von SPD & Grünen durch CDU & SPD, durch die Hartz-Gesetze ist das Armut und Ausgrenzung per Gesetz – nicht Notwendiges, nicht Natürliches, nicht vom Himmelgefallenes – also von Menschen gemacht und von Menschen auch wieder zu verändern – wenn die denn wollen, die können!
Soweit also die Statistik, die „nackten“ Zahlen. Ich brauche Ihnen nicht zu erläutern, dass dahinter jeweils Menschen stehen, zerstörte Hoffnungen und Verzweiflung, Wut und Enttäuschung – und zunehmend oft eben eine Leben in Armut in einem der reichsten Länder der Welt!
Wenn ich nochmals den Arbeitsbegriff bemühe, den ich einleitend erläutert habe, also die Einbeziehung von Reproduktionsarbeit, Bürgerarbeit und Eigenarbeit, dann wird deutlich, welches Potential in einer fairen Teilung all dieser Arbeit steckt. Natürlich kann und muss in unserer reichen Gesellschaft auch aus ökologischen Gründen weniger von dem produziert werden, was wir – außer als Symbol für unseren Staus – gar nicht brauchen; es kann und muss weniger produziert werden von dem, was uns vom Leben abhält, was zur Zerstörung der Persönlichkeit durch die „Gesellschaft des Habens“ (Fromm) führt.
Weil ich viele Jahre als Betriebsrat in der Automobilindustrie gearbeitet habe, sage ich dies ganz bewusst: Für diese Industrie geht es um einen sozialökologischen Umbau, der auch mit einer Schrumpfung verbunden sein muss. Was wir seit vielen Jahren erleben und erleiden ist eine irre Produktion, irre Arbeit, der Aufbau irrer Infrastruktur – nun auch noch in Indien, in China und überall – und als Ergebnis davon ein irrer und bald gänzlich untragbarer Umweltverbrauch.
Gestern wurde in Frankfurt die diesjährige IAA eröffnet – eine angeblich „grüne“ Automobilausstellung. Alle reden vom downsizing, vom verkleinern der Motoren und der Fahrzeuge. Alle haben eine Ahnung davon, dass es so nicht weitergeht- nicht etwa wegen der Nachhaltigkeit, sondern „nur“ wegen der aktuellen Krise und absebaren Absatzentwicklung in den bisherigen Haiptabsatzmärkten. Die Beschäftigten, die bisher als Leiharbeiter in dieser Industrie gearbeitet haben, sitzen längst auf der Straße. Und nun trifft es Opel. Kapazitätsabbau nach den Regeln der freien Marktwirtschaft. Arbeitsplatzvernichtung mit staatlichen Subventionen von 4,5 Mrd. € und nochmals 1,2 Mrd. € Lohnverzicht und Abbau von Sozialleistungen bei den restlichen Beschäftigten.
5,7 Mrd. €, um allein in Deutschland 4.500 Arbeitsplätze plus viele Zulieferer zu vernichten – hinzu kommen die folgenden Kosten der Arbeitslosigkeit, die Steuerausfälle, die Ausfälle in Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung und natürlich die menschlichen Enttäuschungen, die gebrochenen Biografien, die Armut und das Elend der Entlassenen und ihrer Familien.
Warum kommt eigentlich kaum jemand auf die Idee, für alle, meinetwegen zunächst bei Opel, dann aber ganz schnell mindestens in der Branche, die Arbeitszeit radikal zu verkürzen. Das wäre nicht teurer, sondern billiger!
- Arbeit fair teilen – ein Lösungsansatz!
Ein probates Mittel zur Krisenbewältigung ist im Jahr 2009 die so genannte Kurzarbeit.
In 60.000 Betrieben arbeiten ca. 1,5 Millionen Menschen kurz – nicht ständig, aber zeitweilig, nicht immer die gleichen, sondern wechselnde Teile der Belegschaften. Kurzarbeit ist also ein probates Mittel zur Vermeidung von Entlassungen. Da es für die Arbeitslosenversicherung ein teures Mittel ist, geht das so nicht beliebig lange – wahrscheinlich ist bald nach der Bundestagswahl Schluss damit. Es wird die bittere Erfahrung bestätigt werden, dass nach Kurzarbeit Entlassungen kommen; so gesehen und so praktiziert ist Kurzarbeit nichts anderes als Arbeitslosigkeit auf Probe.
Es bleibt aber richtig:
Stunden zu streichen – und das möglichst dauerhaft in Form von Arbeitszeitverkürzung für alle – ist weit besser als Menschen zu entlassen!
Ich will Ihnen über meine Erfahrungen als Betriebsrat in diesem Zusammenhang berichten:
Bei der vorletzten Krise in der Automobilindustrie, Anfang der 90er Jahre, ist der Absatz drastisch eingebrochen; mit Vollgas war die gesamte Automobilindustrie in die Krise gerast. Die Absatzkrise machte das strukturelle Problem deutlich, nämlich riesige Überkapazitäten in der Branche (genau wie heute – nix gelernt). Für die Unternehmensleitung wie für Betriebsrat und Gewerkschaft ging es um die Frage, wie die Krise unbeschadet überstanden werden kann – ohne Entlassungen, ohne Werksschließungen, ohne den Abgang von Erfahrung und Qualifikation. Für das Untenehmen ging es primär darum, möglichst schnell möglichst viel Geld einzusparen. Um Entlassungen in erheblicher Größenordnung (20.000) zu vermeiden, blieb der Weg zu einer radikalen Arbeitszeitverkürzung – die Idee der 30-Stunde-Woche wurde verhandelt und schließlich durch eine 20%ige Arbeitszeitverkürzung von 36 Stunden auf 28,8 Stunden sogar übertroffen. Das Unternehmen sparte sofort und nachhaltig 2 Milliarden DM an Personalkosten ein. Mit dem Anziehen der Nachfrage nach neuen Autos setzte eine bis dahin unbekannte Geschwindigkeit von Produktivitätssteigerungen ein. Mit 20% weniger Arbeitszeit / Arbeitseinsatz wurden bald (1995) mehr Autos (4 Mio.) gebaut, als vor der Krise (3,5 Mio.).
Für die Beschäftigten gab es materielle Veränderungen, fast 20% weniger Einkommen auf Jahresbasis, kürzere wöchentliche oder täglich Arbeitszeit und zugleich eine Beschäftigungssicherung. In dieser Situation ist bei Volkswagen der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen durchgesetzt worden – aus Sicht der Beschäftigten ein unschätzbarer Erfolg, der übrigens bis heute anhält!
Niemand in diesem Unternehmen (außer, Dank Agenda 2010, die Leiharbeiter) muss Angst davor haben, seinen Arbeitsplatz zu verlieren! Das „Prinzip der Angst“ wurde zumindest teilweise überwunden! Und, ebenso wichtig, dem Unternehmen wurde erheblich in seine Verfügungsgewalt / in das Direktionsrecht eingegriffen. Der Unternehmer konnte nicht mehr über Beschäftigung oder Nichtbeschäftigung einzelner Personen entscheiden! Das führt zu einem völlig anderen Bewusstsein bei den Beschäftigten und ist – wegen der Abwesenheit der Angst – eine wesentliche Voraussetzung, um Solidarität zu entwickeln.
Dem Unternehmen werden ganz andere Ideen und Entwicklungsleistungen abverlangt, um mit Krisen fertig zu werden. Sie werden eventuell verfolgt haben, dass Volkswagen – ganz unabhängig von der IAA – mit dem Öko-Stromanbieter LichtBlick den Bau und Vertrieb von kleinen Bockheizkraftwerken für kleine Mehrfamilienhäuser vereinbart hat; eines von vielen Projekten, dass von Betriebsrat und Gewerkschaft seit Jahren verfolgt wird und nun in das Produktionsprogramm aufgenommen wurde. Damit werden nicht nur Arbeitsplätze im Motorenwerk in Salzgitter gesichert, sondern es ist Teil des notwendigen sozial-ökologischen Umbaues der Automobilindustrie; letztlich auch die Möglichkeit für ein solches Unternehmen, jenseits der Autoproduktion Profit realisieren zu können.
In dem „Großversuch“ mit mehr als 100.000 Beschäftigten in der VW AG zur Umsetzung der 30-Stunden-Woche wurden Erfahrungen gemacht, die Gegenstand einiger wissenschaftlicher Untersuchungen sind.
Vielleicht können Sie sich vorstellen, morgens um 5:30 Uhr zur Arbeit zu gehen? Dazu müssen Sie, wenn Sie etwas weiter weg wohnen, um 4 Uhr früh aufstehen – mitten in der Nacht, in der Tiefschlafphase; es ist stockfinster und oft eisekalt. Oder – in einer Spätschichtwoche – arbeiten Sie bis 22:30 Uhr; dann unter die Dusche, zum Parkplatz und die Fahrt nach Hause. Kurz vor Mitternacht schläft die Familie und mit Leben in der Stadt oder im Dorf ist nicht mehr viel.
Und nun, auf einmal, ändert sich alles:
Die Frühschicht beginnt um 7 Uhr und endet um 13 Uhr, die Spätschicht beginnt um 13 Uhr und endet um 19 Uhr. Man fährt ausgeschlafen und im hellen zur Frühschicht oder kommt mitten in’s Leben auch im hellen von der Spätschicht – immer noch Zeit für die Familie, für Freunde, für den Sportverein, den Kleingarten oder die Tagesschau!
Genau das haben 100.000 Beschäftigte bei VW erlebt, verbunden mit dem Wissen und guten Gefühl, einen ziemlich sicheren Arbeitsplatz zu haben. Der 6-Stunden-Tag war eine Kulturrevolution.
Arbeit fair teilen – Teilen in der Klasse?
Es gibt natürlich ernst zu nehmende Argumente gegen ArbeitFairTeilen (nicht ernst zu nehmen sind nationalistische Standortargumente, denn die Exportorientierung unserer Wirtschaft und die internationale Arbeitsteilung gehen eindeutig zu lasten anderer Volkswirtschaften.)
Einige Gewerkschaftsfunktionäre – und es gibt sehr strukturkonservative unter ihnen – äußern dazu auf Anfrage, das Anliegen, Arbeitszeit zu verkürzen, sei zwar höchst aktuell, der DGB habe sich dazu allerdings anders (als in dem hier dargelegten Kontext) positioniert. Sie[1] sprechen sich deutlich dagegen aus, dass Gelder der Arbeitslosenversicherung für Lohnausgleich genutzt werden, obwohl dies bei Altersteilzeit auch der Fall ist – und die Bezahlung von gesellschaftlich nützlicher Arbeit ist allemal besser als die Bezahlung für Nichtarbeit mit allen Repressionen, die da dran hängen.
Weiter werden solche Argumente gegen ArbeitFairTeilen angeführt, dass
- die „Klasse“ (Arbeiterklasse) müsste allein die Lasten tragen
- sie würde sie gespalten
- der Leistungsdruck würde verschärft,
- die Rationalisierung würde beschleunigt
- die Menschen würden das nicht mitmachen
Tatsächlich ist auch in der Vergangenheit Arbeitszeitverkürzung selten mit „vollem Lohnausgleich“ durchgesetzt worden; die Zeiten waren nur phasenweise besser, das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit war günstiger. Immer wurde die erkämpfte / zu verteilende Masse entweder in Lohn oder in Arbeitszeitverkürzung gesteckt, nie in beides gleichzeitig. (Das betrifft übrigens auch die jährliche Arbeitszeitverkürzung in Form von längerem Urlaub).
Die faire Teilung aller[2] Arbeit erfordert eine doppelte Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen.
Sie kann und muss verbunden werden mit einer radikalen Verkürzung der Zeit für Erwerbsarbeit, mit einem ausreichenden Mindestlohn (10 €) und einer armutsfesten und repressionsfreien Grundsicherung für diejenigen, die eine selbst gewählte, nützliche Tätigkeit nachweisen bzw. die aus dem Produktionssystem unverschuldet ausgeschieden wurden.
ArbeitFairTeilen ist so gesehen kein „Teilen in der Klasse“ und schon gar kein „Teilen der Klasse“, sondern das Gegenteil davon – es ist die reale Möglichkeit, die vielfache Teilung der Klasse (siehe oben) zumindest in ihrer ökonomischen Abhängigkeit aufzuheben und ihr (der Klasse) und den Gewerkschaften dadurch wieder mehr Gewicht zu verleihen.
Sinnvoll faulenzen zu können und keine Existenzängste zu haben, sind wesentliche Ergebnisse eines solch Konzeptes zur Überwindung der Arbeitslosigkeit.
Eine Bemerkung noch zu meiner Erfahrung als Betriebsrat bei Volkswagen: Das Projekt Arbeitszeitverkürzung wurde 2006 abgebrochen, die Arbeitszeit wurde nach 13 Jahren ohne Lohnausgleich wieder verlängert und die Konkurrenz zu den anderen großen in der Branche wurde so enorm verschärft. Ursächlich dafür ist u.a., dass das Projekt 30-Stunden-Woche nur zur Krisenbewältigung, nicht als emanzipatorisches Projekt gestartet wurde. Ursächlich ist weiter, dass diesem Schritt der Arbeitszeitverkürzung kaum gefolgt wurde – die Gewerkschaft ist bis heute gelähmt durch die historische Niederlage im Kampf um die Einführung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland.
- Perspektive in der Krise
Es geht nicht um Arbeit um jeden Preis; es geht nicht um „Hauptsache Arbeit“! Es geht immer und zunächst um gutes Leben und um die Qualität der Arbeit: Es geht um „gute Arbeit“ nicht nur im Sinne guter Arbeitsbedingungen, die nicht gesundheitsabträglich sind, die familienfreundlich sind, sondern auch einer Arbeit, die ein Mensch mit gutem Gewissen leisten kann: Von der Qualität der Nahrung über die Produktion von wünschenswerter Mobilität bis hin zu Arbeitsvermittlern, die genau das sind und tun und keine Büttel oder Sozialschnüffler.
In der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise halte ich es / halten wir es für erforderlich, einen „Schutzschirm“ für die Beschäftigten aufzuspannen.
Dazu könne / müssen die Forderungen, die zusammengehören, in einer Allianz für Gute Arbeit und ein Leben in Würde gebündelt werden, dann können sie eine politische Dynamik entfalten, die über den jeweils eigenen Horizont hinausreicht
Meine These und Position in diesem Zusammenhang lautet deshalb: Mindestlohn, Grundeinkommen und ArbeitFairTeilen gehören zusammen!
Die Forderung der Gewerkschaften für einen gesetzlichen Mindestlohn steht auf der Tagesordnung. Sie findet Unterstützung in der Gesellschaft. Es ist ein Gebot der Stunde, mit Gewerkschaften, Kirchen und sozialen Bewegungen dafür eine Kampagne zu organisieren.
Dieses erfordert, sich außer für Mindestlohn für weitere Ziele einzusetzen:
Abschaffung des Hartz IV-Systems, weil es die Menschen erniedrigt, ihrer Würde beraubt und grundlegende Menschenrechte verletzt. (Artikel 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“)
stattdessen: Einführung einer armutsfesten und repressionsfreien Grundsicherung.
Einrichtung eines Grundeinkommens für die Übernahme der von Insolvenz bedrohten Betriebe durch die Belegschaften als Alternative zu Konkurs und Massenentlassungen.
Schaffung rechtlicher Grundlagen für ein Grundeinkommen für selbst gewählte und gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten. Dadurch würde nicht nur der Arbeitsmarkt entlastet, sondern auch kreative Tätigkeiten, vor allem in kulturellen, künstlerischen und sozialen Bereichen, wirkungsvoll angestoßen.
Dringend ist eine Gleichstellung der Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen mit den Stammbelegschaften,
wichtig sind natürlich eine Abgabe auf große Vermögen; der Ausbau von Bildung und Gesundheit als öffentlichem Sektor; der Ausbau eines umweltfreundlichen öffentlichen Verkehrssektors, wodurch die Autoindustrie zu einer langfristig angelegten Konversions- und Mobilitätsstrategie angeregt wird und
der Abbau von Überkapazitäten in der Autoindustrie und anderen Branchen der Wirtschaft durch radikale Arbeitszeitverkürzung.
So würden alle gewinnen: Abbau von Überkapazitäten, Überwindung von Massenarbeitslosigkeit und mehr Freizeit für Familie und ehrenamtliche Arbeit.
Sinnvoll faulenzen zu können und keine Existenzängste zu haben, wären wesentliche Ergebnisse eines solchen Konzeptes zur Überwindung der Erwerbslosigkeit.
Zum Grundeinkommen will ich, weil es strittig ist, meine Meinung kurz darlegen, (wenngleich ich kein Spezialist für diese Frage bin).
Zitat (Aus dem Aufsatz „Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle“): „Eine weitere Auswirkung des garantierten Einkommens in Verbindung mit einer wesentlich verkürzten Arbeitszeit für alle wäre sicher, daß die geistigen und religiösen Probleme des menschlichen Daseins real und bestimmend würden. Bisher war der Mensch mit seiner Arbeit zu sehr beschäftigt (oder er war nach der Arbeit zu müde), um sich ernsthaft mit den Problemen abzugeben: …“
Eine andere Produktion / Produktionsweise ist (so verstehe ich den weiteren Text) Bedingung für ein „garantiertes Einkommen“ für alle; Erich Fromm formuliert gesellschaftliche und individuelle Bedingungen,: produktiv-tätiger Mensch, Demokratie! Schritte vorweg: kostenlose Grundnahrungsmittel, Kleidung, Wohnung etc.!
Es gibt zum Grundeinkommen sich ausschließende Positionen: einerseits ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle in Kombination mit Erwerbsarbeit, die zum Ausbau des Niedriglohnsektors führt.
Andererseits ein bedingungsloses Grundeinkommen, das mit einer Kritik der Erwerbsarbeit begründet wird. Diese antikapitalistische Variante wird bei Attac und in der Gesellschaft partiell vertreten. Sie ist als eine Möglichkeit jenseits des Kapitalismus (unter anderen Produktionsverhältnissen) denkbar und reizvoll. Als die Erwerbsarbeit verneinende Variante ist sie für eine Allianz z.B. mit Gewerkschaften, die sich als Organisation der von Erwerbsarbeit Abhängigen verstehen, nicht geeignet.
Voraussetzung für eine Allianz sind Vorschläge zum Grundeinkommen, die heute politisch und ökonomisch durchsetzbar sind. Sie dürfen zu den Interessen derjenigen, die weiterhin Erwerbsarbeit leisten, nicht im Widerspruch stehen. Gleichzeitig sollen sie eine gebotene Option für die Menschen sein, die selbstbestimmte Arbeit, nicht aber Lohnerwerbsarbeit, leisten können oder wollen. Deshalb plädiere ich für ein bedarfsabhängiges und armutsfestes Grundeinkommen ohne Schnüffelei und demütigendes Einmischen in das Privatleben der Menschen anstelle des HartzIV-Systems. Ich schließe mich weitgehend der Memorandum-Gruppe (Alternatives Wirtschaftsgutachten) an, die 2006 forderte:
: „…die Sicherungslücke muss durch eine bedarfsorientierte Grundsicherung geschlossen werden, die den Begünstigten – und das sind alle, die nicht oder in nicht ausreichendem Maße über sonstiges Einkommen verfügen – ein Leben frei von Armut und in Würde ermöglicht. … schlagen wir die Einführung einer bedarfsabhängigen Grundsicherung in Höhe von 940 Euro (pro Haushaltsvorstand) vor. … Die Dynamisierung erfolgt automatisch durch die Orientierung an dem 60-Prozent-Kriterium der EU und ist somit als gesetzlicher Anspruch unabhängig von finanzpolitischen Erwägungen und „Spar“runden. … Die Zumutbarkeitskriterien sollten gründlich revidiert werden und zur „Verhinderung unterwertiger Beschäftigung“ (Arbeitsförderungsgesetz von 1969) einen Einkommens-, Qualifikations- und regionalen Mobilitätsschutz umfassen. Mit einer solchen Regelung im Rahmen einer bedarfsabhängigen Grundsicherung ist der Zwang, jede Arbeit aufzunehmen, aufgehoben. (http://www.memo.uni-bremen.de/docs/memo06-kurz.pdf)
Wir wollen – weiter als die memo-Gruppe – ein Existenzsicherndes Grundeinkommen auch für Tätigkeiten eigener Wahl, die bei gemeinnützigen oder selbst verwalteten Einrichtungen geleistet werden. Mit dem Nachweis der gesellschaftlichen Nützlichkeit einer selbst bestimmten Tätigkeit würde der Grund für die Sorgen der gewerkschaftlichen Kritiker des Grundeinkommens entfallen. Dadurch entstünde ein Rechtsanspruch auf Tätigkeiten, die große Kreativitätspotentiale freisetzen und die gesellschaftliche Produktivität in geistigen, kulturellen und künstlerischen Bereichen erhöhen würden. Das käme der gesamten Gesellschaft zugute. Es würde ein neuer Sektor selbst verwalteter, selbst bestimmter Individuen bzw. freiwillig entstandener Gemeinschaftsbetriebe entstehen, die auf neue Weise nützliche materielle und immaterielle Güter hervorbringen. Schließlich wird diese Entwicklung zur Einengung des kapitalistischen Sektors führen und der Kommerzialisierung wichtiger Lebensbereiche entgegenwirken. Mit diesem bescheidenen Rechtsanspruch würde ein geschützter Raum für alternative Arbeits- und Lebensmodelle geschaffen, der dem Allmachtsanspruch des Neoliberalismus nicht nur symbolisch entgegensteht. Eine freie und auf Kooperation ihrer Mitglieder beruhende Gesellschaft kann sich nur durchsetzen und Bestand haben, wenn Menschen die Möglichkeit haben, zwischen Alternativen zu wählen und die Überlegenheit der Alternativen erleben zu können.
Zum Schluss:
Wir (attac, Gewerkschaften, Soziale Bewegungen) wollen dies so angehen.
Bleibt die Frage, was uns hindert – oder: warum die Regierenden, die Herrschenden, dieses nicht zulassen – genauer: warum sie es so organisieren, wie zum Beispiel die Anrechnung der Kindergelderhöhung auf Harz IV bzw. die Auszahlung von Schulbeihilfen nur bis zur 10. Klasse?
Eine Antwort darauf gibt Georg Kreisler in seinem sehr anschaulichen Stück „Adam Schaf hat Angst“[3]: „Sie sind so mies!“ Sie sind so mies und glauben, alle anderen sind es auch. Georg Kreisler beschreibt zunächst, dass große Leute mal kleine Leute waren, ihre Herkunft aber verleugnen. Nun sind sie groß (Kanzlerin, Aufsichtsrat oder Bankenchef,) und könnten Größe zeigen. Warum tun sie’s aber nicht? Wenn sie schon (fast) alles haben (Millionen / Milliarden, Villen, Autos, Flugzeuge, Unternehmen, Macht) wollen sie noch mehr. Aber: Mehr als Papst geht nicht! Georg Kreisler weiß nicht, wie sich das ändern soll, „weil wir ja nicht so mies wie die sind“.
Auch wenn Kreisler damit Recht hat, ist ein charakterliches Erklärungsmuster („sie sind so mies“) für das Verhalten der Herrschenden, für das „nicht-gönnen-können“, nicht ausreichend zur Beschreibung der Blockade. Es bedarf realer Kräfteverschiebungen. Ich hoffe dabei nicht auf die Bundestagswahl – mehr auf die Auseinandersetzungen, die danach anstehen.
Ganz knapp gesagt und zusammenfassend:
Ich bin für die 30-Stunden-Woche, weil Arbeitszeitverkürzung das Leben verlängert,
weil ich lieber 30 Stunden arbeite, als 40 Stunden arbeitslos zu sein,
weil ich wenig Arbeit für viele besser finde als Mehrarbeit für wenige,
weil in meinen Augen acht Stunden keine Tag sind und 25 Stunden keine Utopie!
Danke für die Aufmerksamkeit.
http://www.fromm-gesellschaft.eu/images/pdf-Dateien/Krull_S_2010.pdf
[1] Annelie Buntenbach und Hartmut Tölle haben begründet, warum sie eine Initiative von attac für eine gesetzliche Regelung zur fairen Teilung von Arbeit nicht unterstützen können.
[2] Erwerbsarbeit, Versorgungsarbeit (Hausarbeit, Erziehungs- und Beziehungsarbeitarbeit, Pflegearbeit) bürgerschaftliche Arbeit und Eigenarbeit.
[3] Zitiert nach der CD mit Tim Fischer, „Adam Schaf hat Angst“