Generalangriff auf Tarifbindung und Gewerkschaften

Anmerkungen zum Streikabbruch bei SRW und Zuständen bei Tesla, Amazon, MOIA & Co.

Es war der längste Streik in der Geschichte der IG Metall. Sechs Monate haben Beschäftigte des Schrott-Recyclers SRW Metalfloat im sächsischen Espenhain für einen Tarifvertrag gekämpft. Ohne zunächst das Ziel erreicht zu haben, haben die Streikenden die Arbeit wieder aufgenommen. „Die Kolleginnen und Kollegen sind sehr gefasst und können auch selbstbewusst wieder zurück an die Arbeit gehen. Sie sind aufgestanden, haben sich eingesetzt, haben für ihre Rechte gekämpft, für ihren Tarifvertrag. Auch wenn das Ergebnis ein anderes ist als das, was wir uns gewünscht hätten“ sagt Michael Hecker, Gewerkschaftssekretär der IG Metall.

„Aus einer alltäglichen Tarifverhandlung mit einer recht bescheidenen Forderung hat der chinesische Gesellschafter einen Kulturkampf gemacht“, kritisiert Steffen Reißig, Chef der IG Metall in Leipzig. Der Betriebsrat des Mutterunternehmen Scholz Recycling im baden-württembergischen Essingen fällt den Streikenden in den Rücken (MDR, 18.4.2024): In einem Offenen Brief hat der Betriebsrat vom Mutterunternehmen sich an die IG Metall in Leipzig gewandt und zur Beendigung des Streiks aufgerufen. Gleichzeitig fordert der Betriebsrat dazu auf, eine im Betrieb getroffene Vereinbarung zum Entgelt zu akzeptieren und diffamiert dann: Durch den Streik wird dieses den Arbeiterinnen und Arbeitern vorenthalten, „und das nur, weil die IG Metall unbedingt einen Tarifvertrag abschließen möchte, um ihren Einflussbereich auszudehnen“, so der unternehmerfreundliche Betriebsrat in schlechter Tradition des Union-Busting. Ebenso verhält sich die Mehrheit des Betriebsrates bei Tesla in Grünheide – gesponsert durch das Unternehmen und alle gemeinsam gegen die IG Metall.

Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, hat die Entgelte der Beschäftigten bei SRW beurteilt: „Der Schrott- und Recyclingsektor ist für eine ökologisch-nachhaltige Kreislaufwirtschaft von elementarer Bedeutung. Die Beschäftigten in diesem Bereich erledigen eine anspruchsvolle Arbeit und müssen teilweise mit äußerst gefährlichen Stoffen und Substanzen hantieren. Vor diesem Hintergrund ist es ein Skandal, dass viele Beschäftigte bei SRW metalfloat mit Stundenlöhnen zwischen 13,50 und 14,00 Euro nur wenig mehr als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen und damit kaum über die Runden kommen, geschweige denn eine Familie ernähren können. Nach dem bundesweit geltenden Tarifvertrag für die Schrott- und Recyclingwirtschaft liegt der Einstiegslohn für gewerbliche Arbeitnehmer*innen bei knapp 18 Euro. Außerdem gilt nach dem Tarifvertrag eine 37-Stunden-Woche, während bei SRW metalfloat nach wie vor 40 Stunden gearbeitete werden muss.“

Bereits am 6. Mai hatte die IG Metall den Streik unterbrochen, um den Weg für eine gemeinsame Lösung des Tarifkonflikts zu ebnen. Die Antwort darauf war die Aussperrung der Beschäftigten. Per Pressemitteilung ließ der Arbeitgeber wissen, dass er nur mit dem Betriebsrat verhandeln wolle, nicht mit der IG Metall. Interessant zu wissen in diesem Zusammenhang: SRW Metalfloat macht den größten Umsatz und Gewinn (120 Millionen Euro in 2023) in Europa, missachtet das deutsche Arbeitsrecht.

Wäre es nur dieser eine relativ kleine Recyclingbetrieb, wäre das für das Sozialgefüge in unserem Land kein Problem. Aber es sind neben internationalen Konzernen wie Amazon und Tesla auch große deutsche Konzerne, die aus der Tarifbindung flüchten durch die Gründung tarifloser Tochterunternehmen1 oder die Gründung europäischer Aktiengesellschaften (Societas Europaea, SE), für die das deutsche Mitbestimmungsgesetz nicht zwingend angewandt wird. Ganz ohne Mitbestimmung im Aufsichtsrat sind die Gesellschaften von Vonovia, Deutsche Wohnen und die Porsche SE2. Kein Tarifvertrag bei den VW-Töchtern MOIA und VW Zubehör GmbH bedeutet, dass der Lohn einseitig und intransparent vom Arbeitgeber festgelegt wird ebenso wie die (individuelle) Arbeitszeit3. Entsprechend hoch, um die 20 Prozent, ist bei MOIA die Fluktuation: Wer kann, geht dann doch lieber zu den ÖPNV-Betrieben und fährt dort Bus oder Bahn. Ähnlich bei SRW Metalfloat: Bessere Arbeit als dort, oft unter 2000 Euro, gibt es im Raum Leipzig genug. Die IG Metall hilft beim Wechsel. Legendär sind die Kämpfe beim Hamburger Tierpark Hagenbeck sowie der US-amerikanischen UAW um Anerkennung und Tarifverträge in den dortigen Standorten der deutschen Autokonzerne – bei VW gerade im dritten Anlauf gelungen, bei Mercedes durch den Widerstand des republikanischen Gouverneurs und des Managements bisher noch nicht gelungen. Bei Tesla in Grünheide erzählen Arbeiter, weil das Unternehmen sich strikt weigert, mit der Gewerkschaft überhaupt zu reden, von der „Produktionshölle“, von mangelnder Arbeitssicherheit, von hohem Arbeitsdruck und ebensolchem Krankenstand, von willkürlichen Entscheidungen betrieblicher Vorgesetzter und kaum Möglichkeiten zusammenhängender Urlaubsentnahme. Der Widerstand gegen Tesla im Klimacamp oder in der Waldbesetzung in Grünheide ist deshalb kein Kampf gegen das Elektroauto an sich, kein Blitzableiter, schon gar keine „Querfront“ mit den Apologeten des Verbrennermotors, wie Timo Daum und Andreas Knie befürchten und argumentieren4. Es geht dabei um die Mobilitätswende insgesamt, um die geschaffenen Überkapazitäten, die angeheizte Konkurrenz zwischen den Arbeiter*innen der verschiedenen Standorte, für Umwelt- und Ressourcenschutz, Gewerkschaftsrechte und die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter. Und es geht um Demokratie: Wenn der Gemeinderat von Grünheide sich über den Bürgerentscheid gegen die Erweiterung von Tesla hinwegsetzt, so ist das in höchstem Maße undemokratisch und führt zu weiterer Politikverdrossenheit.

Moderne Technik – mittelalterliche Arbeitsbeziehungen

Für die Unternehmen geht es darum, allein im Betrieb die Regeln für die Akkumulation von Kapital, für die Ausbeutung aller Ressourcen, auch der Arbeiterinnen und Arbeiter, bestimmen zu können. Für die Unternehmen und ihre Manager*innen wie für willfährige Betriebsräte bei SRW oder Tesla geht es darum, die Profite und die Profitrate so hoch wie möglich zu treiben – koste es was es wolle. Für die Unternehmen und für die neoliberalen Politiker*innen geht es darum, den Einfluss von Gewerkschaften möglichst dauerhaft zu begrenzen und zurückzudrängen, um die Aufkündigung der lästigen „Sozialpartnerschaft“, die im Nachkriegsdeutschland und unter den Bedingungen der Systemkonkurrenz eingegangen werden musste. Weniger Steuereinnahmen, weniger Zahlungen in die Sozialversicherung, weniger Kaufkraft: Durch Tarifflucht und Lohndumping entgehen den Sozialversicherungen in Deutschland jährlich rund 43 Milliarden Euro an Beiträgen. Bund, Länder und Kommunen nehmen aus demselben Grund circa 27 Milliarden Euro weniger Einkommensteuer ein. Die Tarifflucht der Unternehmer, die mangelnde Tarifbindung wirkt sich darüber hinaus auf die Kaufkraft der lohnarbeitenden Menschen aus: Mit einer flächendeckenden Tarifbindung hätten die Arbeiterinnen und Arbeiter insgesamt rund 60 Milliarden Euro mehr pro Jahr im Portemonnaie, 844 Euro brutto mehr, jeden Monat im Schnitt in Betrieben mit Tarifvertrag. Doch davon gibt es immer weniger und so verbleibt das Geld bei den ohnehin vermögenden Unternehmer*innen5. Mit dieser geringen und schwindenden Tarifbindung bleibt Deutschland weit hinter dem Ziel des EU-Parlamentes von 80 Prozent Tarifbindung zurück. Die Tarifflucht der Arbeitgeber ist ein Ergebnis der Deregulierung des Arbeitsmarktes, der Schröderschen sozialdemokratisch-neoliberalen Agenda 2010 und zielte auf die Schwächung der Gewerkschaften.

https://www.wsi.de/fpdf/HBS-008844/p_wsi_studies_38_2024.pdf

Sozialpartnerschaft aufgekündigt

Die Aufgabe und Verantwortung für Lohnkämpfe den Betriebsräten zuzuschieben, ist keine Alternative. Betriebsräte dürfen nach Betriebsverfassungsgesetz keinen Lohn aushandeln – und sie haben auch wegen des Gebotes der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ mit dem Arbeitgeber kein Druckmittel, um Lohntarife im Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter zu erkämpfen: „Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig“ (§74.2 BetrVG).

Es liegt auf der Hand, dass die Tarifbindung gestärkt werden muss, um Ungleichheit zwischen Ost und West zu überwinden, um gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu erreichen, auch um die Anforderungen der EU-Richtlinie zu erfüllen. „Wenn sich Arbeitgeber so unnachgiebig gegen Gewerkschaften, Mitbestimmung und Rechtssicherheit stellen, ist kein Weg für eine verantwortungsvolle, sozialpartnerschaftliche Lösung offen,“ sagt der Chef der IG Metall in Leipzig zur offensichtlichen Aufkündigung der Sozialpartnerschaft. Die staatlichen Instrumente von Allgemeinverbindlichkeit und Tariftreue öffentlicher Aufträge sind einzufordern, wie Die LINKE das tut6. Von dieser Regierung ist das jedoch, trotz Ankündigungen von Hubertus Heil, nicht zu erwarten. Gewerkschaften und Sozialverbände müssen Erwerbslosigkeit, Niedriglöhne, Minijobs und andere Formen prekärer Lohnarbeit sowie Überstunden bekämpfen, um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung, um die 4-Tage-Woche, ist dabei eine zentrale Stellschraube.

Veröffentlicht in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5-6/2024; https://express-afp.info/

1Mercedes gliedert gerade seine Autohäuser mit 8.000 Arbeiterinnen und Arbeitern aus.

2https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008761

3https://www.igmetall-nieder-sachsen-anhalt.de/tarif/volkswagen/news-details/volkswagen-schliesst-weiterhin-die-augen-vor-tariflosen-zustaenden-einiger-tochterunternehmen Mit Datum vom 25.6.2024, nach Redaktionsschluss diesen Textes, wurde bei MOIA ein Tarifvertrag vereinbart.

4https://www.ipg-journal.de/rubriken/wirtschaft-und-oekologie/artikel/blitzableiter-7496/

5https://www.dgb.de/politik/wirtschaft-und-transformation/mindestlohn-und-tarifpolitik/tariffluchtbilanz/ https://www.dgb.de/fileadmin/import/Aktuelles/Pressemitteilungen/dgb-tariffluchtbilanz.pdf https://www.wsi.de/de/analysen-zur-tarifbindung-34899.htm

6https://www.die-linke.de/start/presse/detail/zum-tag-der-arbeit-mindestlohn-hoch-ueberstunden-bezahlen-tariftreue-staerken/

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