Kahlschlag auch im Schienenfahrzeugbau – Waggonbau Dessau insolvent, Alstom will Arbeitsplätze abbauen. Die Bundesregierung setzt in ihrer Industriepolitik einseitig auf milliardenschwere Förderung der Autoindustrie. Währenddessen frisst sich die Klimakatastrophe in den Alltag von Millionen Menschen ein.
Die Klimakatastrophe droht nicht, sie hat längst begonnen. Viele Gewässer in Frankreich und Italien sind, nach dem wieder zu trockenen Winter, auf einem Tiefstand, das Waldsterben in Deutschland geht ungebrochen weiter, das Artensterben scheint unaufhaltsam mit dramatischen Konsequenzen für die Lebensmittelproduktion. Die Ampel in Sachen Klimaschutz steht längst auf rot und es werden immer drastischere Maßnahmen erforderlich, um die schlimmsten Auswüchse der Katastrophe zu mildern. Das Wichtigste wäre es, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Dabei kommt dem Verkehrssektor eine besondere Verantwortung zu und von der Regierung wären industriepolitisch zweckmäßige Maßnahmen zu erwarten. Aber weit gefehlt. Weiter wird einseitig auf die milliardenschwere Förderung von Autoindustrie und Straßenbau gesetzt. Die Regierung schaut zu, wie jetzt die für eine Verkehrswende unverzichtbare Bahnindustrie aus unserem Land verschwindet.
Nehmen wir die stolze Tradition des Schienenfahrzeugbaues in Dessau als Beispiel: Vom VEB Waggonbau geht es über etliche Verkäufe in die vierte Insolvenz nach der Privatisierung. Neben Waggons wurden in Dessau auch Busse, Straßenbahnen und Lieferwagen gefertigt. So waren im Werk unter anderem U-Bahn-Wagen aus Berlin gewartet worden. Der Waggonbau in Dessau hatte wohl einen russischen Großauftrag, der wegen des Krieges gegen die Ukraine und wegen der Sanktionen auf Eis liegt. So weit nachvollziehbar, wenngleich die Sanktionen scheinbar die Beschäftigen der Bahnindustrie in Dessau mehr treffen als die aggressive Fähigkeit der russischen Elite um Putin zur verbrecherischen Kriegsführung in der Ukraine.
Aber Schienenfahrzeuge werden auch im Inland dringend benötigt, Kapazitäten für Reparatur an Schienenfahrzeugen fehlen allenthalben. Es gibt zu wenige Betriebe davon – nicht zu viele! Die Bundesregierung pumpt Milliarden in völlig kontraproduktiven Fernstraßenbau, in die Autoindustrie, in die Entwicklung von Elektro-Autos, in den Aufbau von Infrastruktur für E-Autos. Aber eine Antriebswende ist keine Verkehrswende!
Das Geld muss auch für den Weiterbetrieb des Waggonbau in Dessau zur Verfügung stehen. Wenn die Autoindustrie den Bach runtergeht, brauchen wir Alternativen für Mobilität und Beschäftigung, eine soziale und ökologische Transformation, eine gemeinwohlorientierte Industriepolitik!
Diese Seite der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und der Verkehrswende betrifft die Beschäftigung in der Mobilitätsindustrie. Ökologisch und sozial geht nur zusammen, eine innovative Bahnindustrie ist Voraussetzung der Mobilitätswende. Mehr als 50.000 Arbeitsplätze der Autozulieferer wurden bereits in den letzten drei Jahren vernichtet oder verlagert. Spektakulär ist die vom GKN-Aufsichtsrat beschlossene Verlagerung und der erstreikte Sozialtarifvertrag für die mehr als 800 Beschäftigten der Gelenkwellenfertigung in Zwickau. Laut wird kritisiert, dass das Management die Transformation verbummelt hat und jetzt billig verlagern will. Das ist perspektivlos. Nun geht es auch in der Bahnindustrie los, die Fusion von Alstom und Bombardier wird scheinbar genutzt, um Arbeitsplätze zu vernichten und Profite zu erhöhen. Bevor der Waggonbau in Dessau geschlossen wird, verloren schon 200 Beschäftigte von Wabtec in Bochum ihren Job, die Signaltechnik von Thales wurde an Hitachi verkauft. Die IG Metall sagt seit langem und zurecht, dass das System Schiene gestärkt und die Zukunftsfähigkeit der Bahnindustrie gesichert werden muss. Sie sieht ebenfalls zurecht die Regierung und die EU-Kommission in der Verantwortung. Im Februar diesen Jahres protestiert die IG Metall mit einem bundesweiten Alstom-Aktionstag mit Betriebsräten und den Belegschaften gegen Stellenabbau und Lohnkürzungen in der deutschen Bahnindustrie. Mario Orlando Campo, Betriebsratsvorsitzender Alstom Bautzen, betonte auf einer Betriebsversammlung: „Wir sind bereit, für unsere Zukunft und für die Zukunft der Bahnindustrie in Deutschland zu kämpfen“ (Pressemitteilung IGM Berlin-Brandenburg, 16.02.2023). Mit dem Aktionstag im Februar an den ostdeutschen Standorten Bautzen, Görlitz, Hennigsdorf und Salzgitter machen sich die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft erneut für den Erhalt aller Arbeitsplätze in der deutschen Bahnproduktion stark.
Irene Schulz, IG Metall Bezirksleiterin IG Metall Berlin-Brandenburg und geschäftsführendes Vorstandsmitglied: „Wir brauchen mehr und nicht weniger Bahnindustrie in Deutschland. Wir fordern Alstom auf, die Beschäftigung zu sichern und in die Zukunft zu investieren. Ein Stellenabbau in der Bahnindustrie ist unsozial und rückwärtsgewandt. Und er schadet dem Klimaschutz im Verkehr. Ohne leistungsfähige Industrie kommen wir beim Ausbau des Bahnverkehrs nicht voran. Probleme werden nicht durch Entlassungen und Gehaltskürzungen gelöst. Probleme werden durch eine Zukunftsstrategie gelöst, mit der Alstom die Chancen in einem stark wachsenden Schienenmarkt nutzt.“
Mario Orlando Campo, Betriebsratsvorsitzender Alstom Bautzen: „Wir lehnen die Pläne des Unternehmens ab, dass wir als Beschäftigte die Kosten für Missmanagement tragen sollen. Wir Betriebsräte haben ein betriebswirtschaftlich durchgerechnetes Zukunftskonzept vorgelegt, mit dem sich alle Arbeitsplätze erhalten und Lohnkürzungen vermeiden lassen. Wir fordern das Management auf, endlich ernsthaft über Alternativen zu den kurzsichtigen Abbauplänen zu verhandeln. Alle reden vom Fachkräftemangel. Alstom aber vertreibt die Spezialisten, die wir dringend brauchen. So fallen die Standorte im Wettbewerb zurück. Das machen die Kolleg*innen nicht mit. Wir wollen die Werke voranbringen und durch mehr Innovationen stärken, um der Belegschaft eine langfristige Perspektive zu bieten.“ Das Unternehmen will in Deutschland 1300 der rund 9400 Stellen streichen. Die ostdeutschen Werke sind am stärksten betroffen. In Hennigsdorf und Görlitz will Alstom jeweils 400 Arbeitsplätze abbauen, in Bautzen bis 150 und in Berlin ca.100. Zudem verlangt das Management von den Beschäftigten einen Lohnverzicht.
Für den 3. März ruft Fridays for Futue zum „Global Strike“ auf. Die Forderungen für einen radikalen Kurswechsel, besonders in der Energie- und in der Verkehrspolitik, sind notwendig und berechtigt: Tempolimit und 9-Euro-Ticket! Die Verkehrs- und Industriepolitik der Bundesregierung ist katastrophal: Nicht nur, dass die klimaschädlichen Emissionen im Autoverkehr als einzigem Bereich in den letzten Jahrzehnten nicht gesunken sind und die Bundesregierung ein Tempolimit blockiert. FDP-Verkehrsminister Wissing will den Ausbau von Autobahnen und Fernstraßen vorantreiben und der Rest der Regierung stoppt ihn nicht..
Es ist gut, dass ver.di und Fridays for Future den 3. März gemeinsam zum Aktionstag ausgerufen haben, um die Bedeutung des öffentlichen Verkehrs im Kampf gegen den Klimawandel sichtbar zu machen. Nötig ist eine Halbierung des Autoverkehrs und eine Verdopplung des öffentlichen Nahverkehrs bis 2030. Die dafür notwendigen Milliarden stehen locker zur Verfügung, wenn die Subventionen für klimaschädlichen Autoverkehr und den Straßenbau dorthin umgeleitet werden.
Wir brauchen, wie auch die Gewerkschafterin sagt, für die Einhaltung der Klimaziele und für die Verkehrswende Busse und Bahnen – deshalb hat die Regierung Verantwortung für neue Aufträge und zum weiteren Betrieb des Dessauer Waggonbau als gemeinwohlorientiertes Unternehmen, zum Beispiel als Genossenschaft der Beschäftigten und der Umwelt- und Klimabewegung. Nur, wenn die Profitlogik durchbrochen wird, wenn der gesellschaftliche Nutzen in den Mittelpunkt gestellt wird, kann die sozial-ökologische Transformation gelingen. Wir brauchen also Vergesellschaftung, neue Unternehmen, öffentlich finanziert und an das Gemeinwohl gebunden. Nur so können soziale Rechte gesichert und die Verkehrswende vorangebracht werden. Nicht die Umweltaktivistinnen, sondern das Kapital ist Schuld an den Entlassungen in der Automobil- und Schienenfahrzeugindustrie.
Dornier in Pfronten hatte der Belegschaft auch vieles abverlangt u.a. Lohnverzicht. Nichts ist dabei herausgekommen. Das Werk wurde 2009 trotzdem geschlossen.