Freiheit in der Wahl des Verkehrsmittels – in ländlichen Regionen oft unmöglich. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land sind aber möglich und nötig!
Die Gegensätze zwischen ländlichen und städtischen Regionen werden immer größer, nicht nur bezogen auf die Angebote für Bildung, ärztliche Versorgung und gute Einkaufsmöglichkeiten, sondern auch hinsichtlich der Freiheit der Wahl der Verkehrsmittel. Wenn wir Fuß- und Radverkehr unberücksichtigt lassen, bleibt es für Menschen in ländlichen Regionen, dass ihnen weitgehend die Freiheit der Wahl des Verkehrsmittel genommen wurde. Die Anbindung an den öffentlichen Personenverkehr ist in den meisten ländlichen Regionen völlig ungenügend. Menschen, die nicht mit dem Auto fahren können oder wollen, Kindern und Jugendlichen, Älteren und Ärmeren ist die Bewegungsfreiheit heftig beschnitten. Der ländliche Raum wird so noch unattraktiver, noch mehr ausgedünnt, noch infrastrukturärmer. Die Schönheit und die natürlichen Vorteile ländlicher Räume verschwinden, der Lebensraum von Menschen wird kleiner. Und alle, die nicht wegziehen können, sind in vielen Belangen unterversorgt – im Widerspruch zum Grundgesetz (Art. 72), nachdem alle Menschen in Deutschland Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse haben.
Auf dem Weg zu einem guten Leben in ländlichen Regionen spielt die bedarfsgerechte Anbindung an urbane Zentren, an Schulen, Universitäten, Kino, Theater und vieles mehr, was Städte zu bieten haben, eine entscheidende Rolle. Aber wie kann diese Anbindung erfolgen, wenn dort immer weniger Menschen leben? Wie kann der öffentliche Verkehr effektiv so organisiert werden, dass die Menschen nicht mehr gezwungen sind, sich zwei bis drei Autos pro Haushalt zu leisten? Das untersuchen diverse Initiativen, Einrichtungen, Universitäten, Institute, Regierungsstellen, Landräte.
Ein Projekt in diesem Zusammenhang: Kombinom – die Nutzung (autonomer, selbstfahrender) Kleinbusse im ländlichen Raum zum kombinierten Transport von Personen und Gütern. Elektrisch betriebene Shuttles bieten Chancen, den ländlichen Raum für mehr Menschen als Lebensraum attraktiver zu gestalten und Beiträge zur CO2-Reduktion zu leisten. Wie dies beispielsweise durch den kombinierten Transport von Personen und Gütern gelingen kann, analysieren die Hochschule Hannover, die Uni Frankfurt, einige Beratungsunternehmen und das Bundesverkehrsministerium gibt das Geld.1
Es ist gut und wichtig, dass die Wissenschaft solche Möglichkeiten erforscht und wie immer ist eine kritische Begleitung erforderlich. Bei einer Veranstaltung, in der das Projekt vorgestellt wurde, habe ich eine Menge gelernt, zum Beispiel:
– 70 Prozent der Wege in ländlichen Regionen mit dem KFZ zurückgelegt werden, lediglich 15 Prozent mit dem ÖPNV.
– Es gibt einen rechnerischen „Nachfragemangel“. Wegen des ohnehin ausgedünnten ÖPNV, mussten viele Menschen auf den privaten PKW umsteigen. Unter diesen Bedingungen können solche Shuttle nicht wirtschaftlich betrieben werden – was ohnehin eine falsche Prämisse ist.
– die Wissenschaftler:innen betrachten und bewerten soziale, räumliche und ökonomische Einflüsse. Das, was sozial positiv ist, zum Beispiel nachfragebasierte Haltepunkte, wird ökonomisch jedoch negativ bewertet wird. Und umgekehrt, was ökonomisch einträglich wäre, zum Beispiel ein langer Vorlauf, ist sozial unvertretbar.
Die Etablierung flexibler nachfrageorientierter Mobilitätsangebote im ländlichen Raum hat, wie beschrieben, großes Potenzial. Die Zusammenstellung der Personenmobilitäts- und Logistikdaten im Projekt „Kombinom“ diente der Identifikation von räumlichen, zeitlichen und wirtschaftlichen Potenzialen autonomer Kleinbusse im ländlichen Raum.
Die Forschenden nutzen bestehende Datenquellen und erzeugen eine neue, räumlich übertragbare Daten- und Entscheidungsbasis. In diversen Szenarien wird die Konvergenz von Logistik und Mobilität analysiert und weiterentwickelt, um ökonomische, ökologische und soziale Vorteile gegenüber den hergebrachten Formen der Mobilität zu schaffen und die Lebensqualität auf dem Land zu erhöhen. Das Verkehrsministerium beschreibt das Dilemma so: „Besonders bei Daten zum öffentlichen Personenverkehr besteht akutes Verbesserungspotential, währenddessen auf Logistikseite umfassende Daten bereitstehen, die im Rahmen des Projektes bezogen und für die Potentialanalyse aufbereitet werden konnten.“
Ziel der Arbeiten ist die Entwicklung einer Simulationsanwendung zur Einführung von autonomen, kombinierten Shuttles. Projektpartner im FuE-Vorhaben sind das Research Lab for Urban Transport (ReLUT) der Frankfurt UAS und DAS HUB der Hochschule Hannover in Kooperation mit der SimPlan AG, der Senozon Deutschland GmbH sowie der tbw research GesmbH. Das Projekt wird im Rahmen der Innovationsinitiative mFUND2 mit insgesamt rund 1,6 Mio. Euro durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert.
Ein Entscheidungsunterstützungsmodell dient als Grundlage für mögliche Umsetzungsvorhaben, mit dem neue Angebote von Kommunen, Landkreis und privaten Anbietern konzipiert und anhand nachhaltigkeitsrelevanter Zielgrößen quantifiziert werden. Dabei werden Synergien „gehoben“ wie öffentlich nutzbare dezentrale Ladeinfrastruktur, es gibt einen Reservierungsvorlauf von nur 15 Minuten, es werden strategische Haltepunkte mit maximal 150 Metern Fußweg festgelegt, für eingeschränkte Personen wird eine Tür-zu-Tür Service angeboten, bestehende Logistikzentren bzw. Verteilstützpunkte werden in die Umsetzung integriert. Entsprechend der Größe der Fahrzeuge (siehe Beispielfoto aus Magdeburg; eigenes Foto S.K.) können mehrere Personen mitfahren, über App oder Telefon können die Fahrzeuge bestellt werden, Algorithmen errechnen die jeweils günstigsten Routen. Durch den parallelen Transport von personen und Gütern wird einerseits Verkehr vermieden, andererseits wird der Personentransport dadurch günstiger. Als Teil des ÖPNV kann und muss dieses Angebot nicht kostendeckend, sondern für die Nutzer:innen sehr preiswert bis gratis sein. Der Verband der Verkehrsunternehmen VDV listet rund 30 Regionen auf, in denen solche Projekte laufen und wissenschaftlich begleitet werden.3
Im Zwischenbericht wurde vorgetragen, dass „mit den Daten der Erhebung (…) repräsentative Ergebnisse für siedlungsstrukturelle Raumtypen erzeugt werden können, also für Gruppen von Städten und Gemeinden, die ähnliche Raum- und Strukturdaten aufweisen – z.B. ländliche Gemeinden oder größere Städte. Diese Mobilitätswerte können für die Verkehrsplanung dann auf Orte mit vergleichbaren siedlungsstrukturellen Merkmalen übertragen werden.“
Das Projekt läuft bis Oktober 2024 mit dem Ziel der Anwendung aller gewonnen Erkenntnisse.
Ein guter Ansatz, wenngleich das „autonome Fahren“ ohne Fahrer:in technisch und infrastrukturell sehr aufwändig, teuer und zeitraubend ist. Erfahrungsgemäß kann gesagt werden, dass sich dieses kaum wirtschaftlich darstellen lässt, wenn es sozial vertretbar und kein Privileg für Reiche sein soll. Also wäre die Auseinandersetzung darum zu führen, dass solche Projekte auch wegen der Ansammlung von persönlichen Daten der Nutzer:innen als Teil der Daseinsvorsorge öffentlich-rechtlich organisiert werden müssen, um von Restriktionen der Profitorientierung befreit zu sein. Insbesondere Kommunen und Landkreise sollten sich mit diesem Projekt näher beschäftigen, wenn sie für viele Menschen als guter Lebensraum bestehen wollen. Die „Gefangenschaft“ vieler auf öffentlichen Verkehr angewiesener Menschen im ländlichen Raum könnte so überwunden werden und kleine Dörfer und Gemeinden würden lebendige, lebenswerte Mittelpunkte sozialer Gemeinschaften. Wichtig ist, dass diese Projekte möglichst bald verallgemeinert und in den Regelbetrieb überführt werden.
Für die Automobilindustrie und für die Beschäftigten in dieser Branche erschließen sich neue Produktionsmöglichkeiten, denn bei einer intensiven Nutzung tausender solcher Fahrzeuge erfordern Verschleiß, Wartung und Neubeschaffung ein großes Volumen an Arbeit.
1https://www.internationales-verkehrswesen.de/kombinom-2-kombi-shuttles-zum-transport-von-personen-und-guetern/, https://www.internationales-verkehrswesen.de/kombinom-mit-dem-autonomen-kleinbus-von-dorf-zu-dorf/
2http://bmdv.bund.de/DE/Themen/Digitales/mFund/Ueberblick/ueberblick.html
3https://www.vdv.de/liste-autonome-shuttle-bus-projekte.aspx#