Ausbeutung, Landnahme und Vernichtung des Mittelstandes in der Krise
Die primäre Ausbeutung findet durch Aneignung des produzierten Mehrwertes durch den Unternehmer innerhalb des Produktionsprozesses statt. Durch kollektive (gesellschaftliche) menschliche Arbeit wird dem Wert von Materialien und Vorprodukten ein Mehrwert hinzugefügt. Dieser Mehrwert ist größer, als der / die Arbeiter*in an Lohn bekommen und sonstige Kosten betragen; eben diesen Mehrwert menschlicher-gesellschaftlicher Arbeit eignet sich der Unternehmer privat an.
Sekundäre Ausbeutung
Daneben und darüber hinaus gibt es eine von Marx beschriebene sekundäre Ausbeutung durch Raub des Lohns beim Tausch des Lohns gegen zum Beispiel Lebensmittel, wenn diese über ihrem Wert verkauft werden, durch Mietwucher oder Verschlechterung der Lebensmittel. „Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt, dass er seinen Arbeitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die anderen Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher usw.“ (Manifest).
Dieser Vorgang hat in den letzten Jahren einen besonderen drive bekommen – ablesbar unter anderem daran, dass weltweit viele Menschen sich ein Auto kaufen müssen, um damit zur Arbeit zu fahren, um sich ein Auto leisten zu können. Gelegentlich findet dieser Anachronismus sogar in einer Autofabrik statt.
Das statistische Landesamt in Sachsen-Anhalt hat zur Aufteilung der Ausgaben und zur Anzahl der Autos in privaten Haushalten (Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2018) ein paar Daten veröffentlicht.
Ein Auto kaufen, damit zur Arbeit fahren, um sich ein Auto kaufen zu können.
1/3 der Konsumausgaben privater Haushalte wird für Wohnen ausgegeben – auf Basis eines Haushaltseinkommens von 2.300 Euro macht das 750 Euro pro Monat. Bei geringerem Haushaltseinkommen und höheren Durchschnittsmieten als in dem armen Bundesland Sachsen-Anhalt erhöht sich dieser Posten schnell auf 50 Prozent. Der zweitgrößte Posten von 15 Prozent wird für Mobilität und Verkehr ausgegeben (330 Euro), überwiegend für Auto, Kraftstoffe und Wartung. Erst der dritte Posten mit 14 Prozent sind Nahrungsmittel (rund 300 Euro). Addiert man nur diese drei Posten, sind wir bereits bei 1380 Euro – immer auf Basis eines Haushaltseinkommens von 2.300 Euro.
Wenn nun die 43.000 Menschen im Land, die für den Mindestlohn arbeiten (5 Prozent der 870.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten) und damit bei Vollzeitbeschäftigung auf ein Nettoeinkommen von knapp über 1.000 Euro kommen – dann reicht es schon lange nicht mehr. Oder die Rechnung wird dann so aufgemacht:
1.000 Euro monatliches Einkommen (netto) minus 500 Euro Miete inklusive Nebenkosten und Heizung minus 150 Euro für Mobilität minus 300 Euro für Nahrungsmittel – dann besteht schon der Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe (Alg 2). Und zwischen 1.000 Euro Niedriglohn und 2.300 Euro Netto-Haushaltseinkommen gibt es rechnerisch eine breite Spanne, je nach Haushaltsgröße aber keinerlei Möglichkeit, sich etwas mehr als das Nötigste zu leisten – und oft eben nicht einmal das.
Sekundäre Ausbeutung konkret
Wer verdient daran? Wohnungskonzernen wie Venovia und „Deutsche Wohnen“ gehören mit ca. 4 Millionen Wohnungen inzwischen rund 20 Prozent des Wohnungsbestandes. Und solche Fonds wie Blackrock sind ganz vorne mit dabei, zahlen gigantische Gehälter an ihre Manager und schütten noch mehr Dividenden an die Aktionäre aus: Allein Deutsche Wohnen zahlt für 2019 Dividenden von 324 Millionen Euro – das macht ca. 2.000 Euro pro Jahr und Mietpartei aus. Blackrock ist mit 10 Prozent daran beteiligt, kassiert also, ohne einen Finger gerührt zu haben, mehr als 30 Millionen Euro von den Menschen, deren Wohnung von Spekulanten gekauft wurden.
So funktioniert sekundäre Ausbeutung heute.
Um am Beispiel mit dem Auto zu bleiben (ich brauche ein Auto, um zur Arbeit in die Autofabrik zu fahren, um mir ein Auto kaufen zu können): Fast jeder Haushalt mit zwei oder mehr Personen verfügt über mindestens ein Auto. Zwei-Personen-Haushalte mit einem Versorgungsgrad von 1,2 Autos, größere Haushalte mit einem Versorgungsgrad von 1,6 Autos – weil es wohl auch mehrere berufstätige Personen in diesen Haushalten gibt. Von den Ein-Personen-Haushalten haben lediglich 60 Prozent ein Auto – über wiegend Geringverdiener oder Nichterwwerbstätige haben eben gar kein Auto. Bei den Einkommensklassen ab 3.600 Euro sind zwei Autos pro Haushalt schon die Regel. Haushalte von Geringverdienern verfügen eher über eine Fahrrad.
Im Schnitt bekommen die Großaktionäre von Volkswagen, von BMW und von Daimler, allen voran der Porsche–Piëch-Clan, die Quandt-Erben, die Scheichs von Katar und Kuweit etwa 300 Euro pro verkauftem Auto an Dividende überwiesen – ohne auch nur einen einzigen Finger dafür krumm gemacht zu haben.
Weiter schreiben Marx und Engels im Manifest: „Die bisherigen kleinen Mittelstände, die kleinen Industriellen, Kaufleute und Rentiers, die Handwerker und Bauern, alle diese Klassen fallen ins Proletariat hinab, teils dadurch, dass ihr kleines Kapital für den Betrieb der großen Industrie nicht ausreicht und der Konkurrenz mit den größeren Kapitalisten erliegt, teils dadurch, dass ihre Geschicklichkeit von neuen Produktionsweisen entwertet wird.“
Präzise dass sind die Prozesse, die in unserer neoliberal und global arbeitsteilig durchorganisierten Welt die Reichen reicher und die Armen mehr und ärmer werden lässt – in der gegenwärtig zugespitzten Krise noch schneller als sonst.
Durch Enteignung der Wohnungskonzerne, durch Vergesellschaftung und Umbau der Autoindustrie hin zu einer nützlichen Produktion, durch Liquidierung der Rüstungs- und Werbeindustrie können primäre und sekundäre Ausbeutung überwunden werden. Durch Umverteilung des obszönen Reichtums können die kreativen, produktiven und sozialen gesellschaftlichen Potenziale und Chancen der Menschheit entwickelt werden.