alle müssen zahlen, alle dürfen fahren – ist das gerecht?
In Berlin diskutieren die Regierungsparteien die «Öffi-Flatrate»: Für 30 Euro könnten Fahrgäste den öffentlichen Nahverkehr einen Monat lang nutzen. Gut so! Denn die Idee ist sozial gerecht und umweltfreundlich.
«Üstra Üstra Ungeheuer, erstens scheiße, zweitens teuer» – so dröhnte es im Juni 1969 durch die Straßen von Hannover. Zum Ende des Kampfes gegen geplante Preiserhöhungen bei den «Überlandwerken und Straßen-bahn Hannover AG» (Üstra) kamen die ArbeiterInnen aus den Betrieben und blieb die Polizei in den Kasernen. Die bis dahin privaten Verkehrsbetriebe wurden kommunalisiert, ein «Einheitstarif»von 50 Pfennig eingeführt. Die Durchsetzung des Nulltarif und einer Nahverkehrsabgabe für Unternehmen gelangen indes nicht. Nach einigen Jahren war es wieder vorbei mit den 50 Pfennig. Preiserhöhungen wurden nun stets im Dezember verkündet, nie mehr im Sommer – wohl ein Grund dafür, dass die erkämpften Erfolge nicht auf Dauer zu verteidigen waren. Dennoch ist der «Rote Punkt» mehr als eine Legende. Es ist ein Lehrstück für die Durchsetzung eines fahrscheinlosen Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)! Was für Studierende und viele SchülerInnen selbstverständlich ist, soll für alle BürgerInnen möglich werden: ein fahrscheinloser ÖPNV für 20 bis 30 Euro pro Monat in unseren Städten. Das Prinzip der Flatrate, der solidarischen Finanzierung, ermöglicht ärmeren Menschen gesellschaftliche Teilhabe. Neben dem Grundrecht auf Mobilität geht es um Umweltschutz, CO2-Reduzierung, eine menschen- und kinderfreundliche Stadt- und Verkehrsplanung. Es geht um gleichen Zugang zum öffentlichen Raum für alle BewohnerInnen, um die Verbesserung der Lebens-qualität. Das funktioniert dort, wo der ÖPNV eine attraktive, jederzeit nutzbare Alternative ist. Bleibt das Problem der Finanzierung: Infrastruktur, Fuhrpark und Personal kosten viel Geld. Wenn 75 Prozent der BewohnerInnen einer Stadt beteiligt sind (Kleinkinder und ärmere Personen ausgenommen), erzielt die Flatrate höhere Einnahmen. Investitionen in Streckenausbau und Taktverkürzungen können dann gut finanziert werden. Größere Betriebe, Banken, Versicherungen und vor allem Kaufhäuser sollten zu einer Nahverkehrsabgabe (Transportsteuer) herangezogen werden, denn sie alle profitieren vom ÖPNV. Schließlich werden ihnen die KundInnen oft direkt vor die Ladentür gefahren.
aus: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/RosaLux/RosaLux_2-2015.pdf
Stephan Krull ist Publizist, er war Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen und Mitinitiator der Rote-Punkt-Bewegung in Hannover.