Merkels „marktkonforme Demokratie“ und die Autoindustrie – ein Lehrstück

Die Autoindustrie außerhalb des Gesetzes? Autoindustrie wird schlecht geredet? Gesetze werden von CDU/CSU und SPD marktkonform und „autogerecht“ umgeschrieben.  

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat mit dem am 15.11.2018 verkündeten Urteil entschieden, dass zum 1. Juli 2019 für das Stadtgebiet Essen innerhalb der grünen Umweltzone eine blaue Umweltzone errichtet werden muss, die auch die Teilstrecke der Bundesautobahn A 40 durch Essener Stadtgebiet einschließt. In dieser Zone muss ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit Ottomotoren der Klassen Euro 2/II und älter sowie für Dieselkraftfahrzeuge mit Euro 4/IV-Motoren und älter eingeführt werden, das beginnend mit dem 1. September 2019 auch Dieselkraftfahrzeuge der Klasse Euro 5/V erfasst. Es geht um die Einhaltung des Grenzwerts von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2), um die bestehende Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung als Folge der NO2-Belastung zu reduzieren.

Gleichzeitig setzt die Bundesregierung bei ihrer Klausur in Potsdam am 14. November die europäischen Regeln für Feinstaub und andere giftige Stoffe außer Kraft, um Fahrverbote zu umgehen: 25 Prozent höhere Schadstoffaustritte seien geringfügig und Fahrverbote deshalb „unverhältnismäßig“ – so Kanzlerin Merkel und ihr Kabinett. Merkel sieht bei den Neuregelungen zu Diesel-Fahrverboten keinen Bruch mit europäischem Recht. „Wir haben, das ist ganz wichtig, keinerlei europäische Grenzwerte etwa verändert, sondern die gelten“, sagte sie am Donnerstag nach der Klausur in Potsdam. Die Regierung hat das Emissionsschutzgesetz so geändert, dass die Überschreitungen der EU-Grenzwerte geringfügig und nicht dauerhaft seien und deshalb die „fehlende Verhältnismäßigkeit“ von Fahrverboten gesetzlich festgeschrieben wurde. Olaf Scholz (SPD) ergänzte, die Koalition schaffe mit den Änderungen Anreize für Dieselbesitzer: „Mit der Neuregelung wird es interessant, sein Fahrzeug nachrüsten zu lassen“ – wenngleich es für etliche betroffenen Fahrzeuge gar keine Möglichkeit der Nachrüstung mit Hardware gibt.

Währenddessen hat Andrea Nahles Zeit für einen Auftritt beim Betriebsrat von Volkswagen in Wolfsburg.  Der Betriebsrat gab ihr mit auf den Weg: „Wir erwarten, dass sich führende Vertreterinnen und Vertreter der SPD für die Interessen von 820.000 Kolleginnen und Kollegen in der Kernbranche der deutschen Industrie einsetzen.“ Gesagt, getan; der örtliche Bundestagsabgeordnete der SPD, Falko Mohrs zitiert Nahles anschließend und schreibt dazu: „Wir stehen fest an der Seite der Beschäftigten der Automobilindustrie! Ich will, dass die Autos der Zukunft in Deutschland gebaut werden. Wir dürfen den Bogen deswegen nicht überspannen! Konkret heißt das: Die Deutsche Autoindustrie nicht schlecht reden und ein Recht auf Qualifizierung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um Jobs in der Veränderung zu sichern!“

„Die deutsche Autoindustrie“ gibt es gar nicht.

 Die deutsche Autoindustrie nicht schlecht reden? „Die deutsche Autoindustrie“ gibt es gar nicht. Es gibt tausende Beschäftigte, die dort ihre Brötchen verdienen müssen und es gibt verlogene und betrügerische Manager, denen es nur um Maximalprofite geht. Soviel Differenzierung muss sein – und dann erst kann die Debatte beginnen. Mobilitätsfragen sind auch Klassenfragen – in der Produktion wie in der Nutzungsphase.

Wovon alle wissen, dass es passieren muss – genau das passiert nicht. Dringend erforderlich ist eine Mobilitätswende, einhergehend mit einer sozial-ökologischen Transformation von Produkten und Produktion. Ohne eine solche Mobilitätswende können weder Arbeitsplätze und Standorte gesichert werden, noch können die aktuellen und kommenden Mobilitätsbedürfnisse erfüllt werden. Menschen auf dem Land, Ältere und Kinder, ärmere Menschen und in Schicht arbeitende haben oft keinen bzw. keinen bedarfsgerechten Zugang  zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Gleichzeitig sprudeln die Gewinne der Autokonzerne, stecken sich die Großaktionäre von Volkswagen, BMW und Daimler die Taschen voll mit Milliarden: Die Porsches und Piëchs, die Quandts und Klatten, die Scheichs von Katar und Kuweit.

Bezüglich der „externen“ Effekte von Verkehrsbelastungen wie Luftschadstoffe, Verkehrssicherheit,  Raumnutzung, Rohstoffgewinnung und -verteilung gib es ebenfalls eine sozial höchst ungleiche Betroffenheit, wie jüngst in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nachgewiesen wurde.

Unterm Strich: Die Bundesregierung betreibt eine Politik ausschließlich im Interesse der Autoindustrie – ohne Rücksicht auf europäische Normen und gegen die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land! Wie blind sind die Regierung und die Autokonzerne, aus der jüngsten Entwicklung  nicht die Notwendigkeit und die Chancen einer wirklichen Mobilitätswende abzuleiten? Bis zum bitteren Ende für Umwelt, Beschäftigte und Kommunen?

https://www.fes.de/forum-berlin/artikel-in-gute-gesellschaft-170/mobilitaet-fuer-alle-gedanken-zur-gerechtigkeitsluecke-in-der-mobilitaetspolitik/

Ein Gedanke zu „Merkels „marktkonforme Demokratie“ und die Autoindustrie – ein Lehrstück“

  1. Nachdem ich Ihren Artikel in der jW vom 4.12.18 „Am Pranger – Die Deutsche Umwelthilfe“ gelesen habe, habe ich jetzt diesen „entdeckt“.
    Beide Artikel finde ich informativ und lesenswert.
    Mir ist ein kleiner, aber gravierender Fehler aufgefallen: es geht nicht um 40 Milligramm NO2, sondern Mikrogramm!

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