Vor 80 Jahren legte Hitler den Grundstein für das »Volkswagen«-Werk im heutigen Wolfsburg – es ging von Anfang an um Kriegsproduktion
Im Mai 1938 hieß es in der »Wochenschau«: »Heute am 26. Mai 1938 steht ein kleiner Ort im Süden des Gaues Ost-Hannover im Blickpunkt ganz Deutschlands. Hier soll nach dem Willen des Führers ein gigantisches Werk entstehen, von dem man noch einmal in der Welt reden wird. (…) Den Arbeitern des Volkswagenwerkes werden die schönsten Pausenräume, Duschanlagen und Sportplätze zur Verfügung stehen, so dass hier nicht nur die technischen Anlagen, sondern auch die soziale Betreuung der Belegschaft einzigartig in der Welt sein werden.«
Die Grundsteinlegung für das nach der gleichnamigen Naziorganisation benannten Kraft-durch-Freude-Werks, vorgenommen durch Adolf Hitler persönlich, entsprach vielen Bedürfnissen der Nazi-Führung. Ideologisch ging es um die Verankerung der Volksgemeinschaftsideologie, um Propaganda für das Wohlstandsversprechen der Nazis – deshalb wurden 70.000 »Volksgenossen« nach Fallerleben gekarrt, deshalb war die Veranstaltung an jedem »Volksempfänger« zu hören, deshalb wurde der christliche »Himmelfahrtstag« für diese monströse Veranstaltung benutzt. Es sollte die Größe und die Modernität des Naziregimes demonstriert werden. Die Fabrik sollte die größte und produktivste Autofabrik der Welt werden. In dem in seiner Architektur und Technologie den amerikanischen Ford-Fabriken nachgebauten Werk sollten zwecks Volksmotorisierung und Autogesellschaft jährlich 900.000 Autos gebaut werden.
Industriepolitisch ging es darum, den Rückstand zu den USA aufzuholen und in einer industriearmen Region zwischen Harz und Heide Arbeitsplätze zu schaffen. Der Standort wurde gewählt wegen der Bahnlinie zwischen Rhein und Oder, wegen des Mittellandkanals und wegen der großen Entfernung zu den Außengrenzen. Mit der Autofabrik waren weitere Arbeitsplätze verbunden: in der Stahlindustrie (Salzgitter), im Anlagen- und Maschinenbau, in der Reifen- und in der chemischen Industrie.
Vielseitig einsetzbar
Militärisch und strategisch ging es um Kriegsvorbereitung. Im Exposé, das Ferdinand Porsche am 17. Januar 1934 Hitler übergab, hieß es: »Ein Volkswagen darf kein Fahrzeug für einen begrenzten Verwendungszweck sein, er muss vielmehr durch einfache Wechsel der Karosserie allen praktisch vorkommenden Zwecken genügen, also nicht nur als Personenwagen, sondern auch als Lieferwagen und für bestimmte militärische Zwecke geeignet sein.« Das Reichsverkehrsministerium hielt in einem Aktenvermerk fest: »Sitzplätze für 3 Erwachsene, 1 Kind. Diese Bedingung entspricht auch den militärischen Erfordernissen, da sich nach Entfernung des Aufbaues 3 Mann, 1 Maschinengewehr und Munition unterbringen lassen.«
Das Werk wurde auf mehrfachen Betrug begründet: Mit gestohlenem Gewerkschaftsvermögen, mit Rüstungsproduktion statt zivilem Fahrzeugbau, mit Sklavenarbeit statt mit der »Schönheit der Arbeit«, wie es in der Propaganda hieß. Gekrönt wurde der betrügerische Beginn mit der Flucht von Ferdinand Porsche und Anton Piëch, beide Mitglieder der NSDAP und der SS, im Frühjahr 1945 nach Österreich unter Mitnahme der Geschäftsbücher sowie über zehn Millionen Reichsmark, die später in die Gründung der Porsche-Autoproduktion gesteckt wurden.
In einem 1951 erschienenen apologetischem Roman von Horst Mönnich mit dem Titel »Die Autostadt« wenige Jahre nach 1945, für das der ab 1948 amtierende VW-Geschäftsführer Heinrich Nordhoff das Vorwort schrieb, hieß es: »Immer kamen die rechten Männer zur rechten Stunde. Das ist vielleicht die Quintessenz, der Schlüssel zu dem Wunder, das der Gefangene von Dijon (Ferdinand Porsche, S. K.) wahrnimmt. Aber wie erscheinen die rechten Männer zur rechten Stunde? Es sind Fanatisierte, der Sache auf Gedeih und Verderb Ergebene, und es sind leidenschaftliche Naturen.«1
Die während der NS-Zeit geprägte Betriebsgemeinschaftsideologie bedeutet vor allem die Leugnung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Beschäftigten und Eigentümern. Diese Ideologie fand ihre Fortsetzung durch den Ex-Wehrwirtschaftsführer und nunmehrigen »Generaldirektor« Heinrich Nordhoff ebenso wie den Betriebsrat Hugo Bork, der seine NSDAP-Mitgliedschaft verleugnete, sich aber in Wolfsburg gerne »Papa Bork« nennen und Anfang der 1960er Jahre als SPD-Mitglied zum Oberbürgermeister wählen ließ.
Skandalgeschichte
Verfolgt man die Geschichte des Volkswagen-Konzerns weiter, stößt man auf die Kollaboration mit dem Apartheidsystem in Südafrika, auf die Zusammenarbeit mit den Militärdiktaturen in Brasilien und in Argentinien, stößt man auf viele kleine Krisen, etwa alle 10 Jahre auch auf große Skandale: So überlebte VW eine schwere Krise, als es für den erfolgreichen Käfer in den 1970er Jahren zunächst kein Nachfolgeprodukt gab, nur durch einen von der Gewerkschaft verbürgten Kredit der »Bank für Gemeinwirtschaft«. In den 1980er Jahren flog ein Devisenbetrug mit einem Schaden von umgerechnet mehr als 170 Millionen Euro auf. In den 1990er Jahren machte VW mit Industriespionage und unlauteren Wettbewerbsmaßnahmen Schlagzeilen. Dann folgten die sogenannten Lustreisen des Personalvorstandes Peter Hartz zwecks Bestechung des damaligen Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert, jenes Peter Hartz, der im Auftrag der rot-grünen Bundesregierung – technokratisches Schlagwort: Hartz IV – die Grundlagen für den heute kräftig wachsenden Niedriglohnsektor legte. Und schließlich der 2015 zugegebene millionenfache Abgasbetrug, der das Unternehmen an den Rand des Abgrundes gebracht und inzwischen Kosten von über 25 Milliarden Euro verursacht hat.
Die Nazis planten das VW-Werk als einen Musterbetrieb der deutschen Volksgemeinschaft. Als sozialpartnerschaftlicher Musterbetrieb gilt die Volkswagen AG bis heute – allerdings nur für die immer kleiner werdende deutsche Stammbelegschaft. Deren Angehörige werden vergleichsweise gut bezahlt – auch, weil die Fluktuation ansonsten sehr hoch wäre. Die außerordentlich hohen Gewinne des Unternehmens, 13 Milliarden Euro im Jahr 2017, stammen allerdings aus der intensiveren Ausbeutung von hunderttausenden Beschäftigten, die außerhalb der Stammbelegschaft und außerhalb Deutschlands in Tschechien, Polen, der Slowakei, Russland, China, Südafrika, Brasilien und Mexiko für wesentlich weniger Lohn arbeiten.
Die »guten Seiten« der Nazis
Bis heute wird Ferdinand Porsche in Wolfsburg und anderen Städten der Bundesrepublik durch die Benennung von Straßen oder Schulen mit seinem Namen geehrt. Die Erinnerung an den Automobilkonstrukteur und späteren Porsche-Gründer ist Teil der Verdrängung der Verbrechen der Nazizeit. Statt dessen werden die »guter Seiten« der Naziherrschaft hervorgehoben: »die Überwindung der Arbeitslosigkeit«, der »Bau der Autobahnen« oder eben »der Volkswagen«:
»Porsche und Volkswagen stehen quasi synonym für die ›guten‹ Seiten. Denn sie lösten nach dem Krieg Versprechen der Nazi-Propaganda ein: Der VW-Käfer hat ab den 1950er Jahren massiv dazu beigetragen, die Massen zu motorisieren, und Volkswagen war für lange Zeit ein Arbeitgeber mit hohen sozialen Standards. Schwamm drüber, dass Kriegsgefangene, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge hier zur Arbeit versklavt und bestialisch behandelt wurden. Diese ›Dinge‹ kann man dem ›bösen‹ Teil des Nazi-Regimes zuschreiben und in dem Glauben bleiben: Porsche hat immer nur den Käfer für den kleinen Mann gewollt. Selbst der ›böse‹ Teil des Nazi-Regimes lässt sich noch unter Halbsätzen wie ›Es war eben Krieg‹ zu einem leicht verdaulichen Happen kleinreden.«
Christiane Berger: Die nationalsozialistische »Volks«-Propaganda und das Tabu um die Verantwortung Ferdinand Porsches. In: Stephan Krull (Hg.): 75 Jahre Stadt-des-KdF-Wagen/Wolfsburg, Hannover. Ossietzky-Verlag 2013
1Mönnich, Horst; »Die Autostadt«, Andermannverlag München 1951
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H06734/creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/
https://www.jungewelt.de/artikel/333121.drei-mann-ein-mg.html