Marxistische Interventionen in die Autoindustrie

Das Geschäftsmodell der Autoindustrie ist erschöpft – wie es weitergeht, ist noch offen. Da lohnt es, über Interventionen in den Suchprozess nachzudenken, über gesellschaftliche Verantwortung und soziale Gerechtigkeit, über eine radikale Arbeitszeitverkürzung und über die Stadt der kurzen Wege, über Klimaveränderungen, Vergesellschaftung zwecks sozial-ökologischer Transformation!

I.

Das Geschäftsmodell der alten Automobilindustrie ist erschöpft wegen der versiegenden Ressourcen, der untragbaren Umweltbelastungen, der Marktbegrenzung, wegen der Begrenzung der kaufkräftigen Nachfrage und weil das Mobilitätsversprechen weder in den urbanen Zentren noch in infrastrukturarmen Regionen eingehalten werden kann. Was aus diesem erschöpften Geschäftsmodell jetzt neu entsteht, ist umkämpft (Klassenkampf): Geht es künftig weiterhin nur um Profitmaximierung oder kann nachhaltige Mobilität entsprechend den tatsächlichen Mobilitätsbedürfnissen angeboten werden, können die Mobilitätszwänge reduziert werden?

Die Beschäftigten der Automobil- und Zulieferindustrie befinden sich seit vielen Jahren in einer permanenten Krise – für die Eigentümer  (Großaktionäre) laufen die Geschäfte prima. Einerseits verschärfte Ausbeutung durch ständig steigende Produktivität oder Produktionsverlagerungen, andererseits außerordentliche Profite durch verschärfte Konkurrenz, rigorose Sparmaßnahmen und die Spaltung der Belegschaften. Zur Strategie der Manager des Kapitals gehört die „Eroberung“ neuer Märkte in Asien und Afrika ebenso wie die Entwicklung „neuer Geschäftsmodelle“.

Der Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Zukunft Auto, Umwelt und Verkehr“ bearbeitet dieses Thema; beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Soziologie, der Ökonomie, der Technik und der Politikforschung, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Aktive aus Umwelt- und Verkehrsverbände sowie Politikerinnen und Politiker.

II.

Es geht um die Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen und um die Überwindung von Mobilitätszwängen. Mobilitätsbedürfnisse sind z.B. Wege zur Arbeit und zum Einkaufen, Freizeitaktivitäten, Treffen mit Familie und Freunden, Sport und Kultur. Mobilitätszwänge entstehen durch die oft große räumliche Trennung von Leben und Arbeiten, von Einkaufszentren auf der grünen Wiese, von der Zergliederung von Städten und Dörfern, von der globalen Arbeitsteilung. Die Anzahl der täglichen Wege sind in Jahrhunderten gleich geblieben, lediglich die Entfernungen haben sich drastisch verlängert.[1] Die ideologische Seite dieser Medaille ist das „Freiheitsversprechen“, das mit dem Auto verbunden ist, aber als solches natürlich nicht erfüllbar ist. Erschwerend zur Durchsetzung der Mobilitätsbedürfnisse kommt die geradezu mafiöse Verbindung zwischen Staat und Autoindustrie, sichtbar an Milliarden-Subventionen, am Nichteingreifen in den Abgasbetrug oder gigantische Straßenbauprojekte. Beispielhaft sei der Bau der Autobahn 39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg genannt, der 1 Milliarde Euro kosten soll. Eine ordentliche Bahnverbindung zwischen Braunschweig und Wolfsburg oder gar zwischen Braunschweig und Hamburg gibt es dagegen nicht – weder für den personen- noch für den Güterverkehr.

Hoffnung macht, dass das Mobilitäts- und Freiheitsversprechen der Autoindustrie von immer weniger jungen Menschen geglaubt wird und diese also auf das Auto verzichten und den Markt so verkleinern und praktisch demonstrieren: Ohne Auto leben ist möglich und keineswegs unerträglich. Unerträglich ist es, jeden Tag stundenlang im Auto fahren zu müssen oder im Stau stecken zu bleiben.

III.

Die Frage nach Eigentum und Verfügungsgewalt kann und muss (wieder) gestellt werden – ähnlich den Debatten und Auseinandersetzungen, die um das Eigentum an Wohnraum durch solche Konzerne wie „Deutsche Wohnen“ oder Vonovia geführt werden. Was haben die Beschäftigten z.B. bei Opel zu verlieren, wenn sie für das Gemeinwohl am Eigentum ihrer Fabrik und damit für die Enteignung derjenigen eintreten, die ausschließlich am Profit orientiert sind? Das Grundgesetz, die Artikeln 14 und 15 namentlich, bindet das Eigentum an das Gemeinwohl und ermöglicht ansonsten die Enteignung zum Zwecke der Vergesellschaftung. Gewerkschaften fordern in ihren Grundsatzdokumenten die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien. Sehr wohl stammen diese Ansprüche aus den Gründerjahren der BRD, sehr wohl sind sie dem antifaschistischem und dem antikapitalistischem Konsens der ersten Nachkriegsjahre geschuldet – sehr wohl sind sie aber rechtlich und politisch legitime und notwendige Ansprüche, wenn die Orientierung auf den Maximalprofit nicht viele Menschen arbeits- und wohnungslos machen soll.

Berechtigt sind diese Ansprüche auch deshalb, weil die Konzerne inzwischen Vermögen angehäuft haben, die in diesem Umfang keinerlei Legitimität haben: Der VW-Konzern hat Gewinnrücklagen von über 80 Milliarden Euro gehortet, mit VW haben BMW und Daimler Gewinne von vielen Milliarden Euro an die Großaktionäre ausgeschüttet. Notwendig ist die Durchsetzung des Anspruches auf Vergesellschaftung der Autoindustrie, weil allein so einer bedarfsgerechten Mobilität zum Durchbruch verholfen werden kann.

Die Unternehmen setzen Milliarden dafür ein, die Produktivität zu erhöhen um die Profite weiter zu steigern. Das geht zu Lasten der Beschäftigten wie der Umwelt. Das Geld muss dafür verwandt werden, die aus dem Abgasbetrug entstandenen Schäden zu bezahlen. Fahrverbote in der Stadt wären dann keine Notlösungen, die „auf jeden Fall“ (Merkel u.a.) zu vermeiden wären, sondern ein sinnvoller Einstieg in die Konversion einer überlebten Industrie. Fahrscheinloser Öffentlicher Personennahverkehr und autofreie Innenstädte sowie eine gute Anbindung des ländlichen Raumes an den öffentlichen Verkehr mit den dazugehörigen Produktionen und Dienstleistungen wären dann Bestandteil der „ökologischen Klassenpolitik“ (Markus Wissen/Bernd Röttger).

IV.

Die Autoindustrie kassiert direkte Subventionen von hunderten Millionen Euro verschiedener Bundesministerien, Länder und Kommunen sowie indirekte Subventionen mit der reduzierten Dieselbesteuerung, der Dienstwagenbesteuerung (60 Prozent aller neu verkauften Fahrzeuge sind Geschäftswagen und werden steuermindernd von den Unternehmen als Betriebsausgaben abgesetzt).[2] Zu den Subventionen kommt eine Stadt- und Raumplanung hinzu, die den Autoverkehr zu Lasten von Fuß- und Radwegen sowie der Schiene bevorzugt. Diese Subventionspolitik für eine hoch profitable Industrie ist ein Skandal und muss beendet werden. Solche Subventionspolitik ist, da sie natürlich aus Steuergeldern finanziert wird, eine Form der Umverteilung von unten nach oben, eine Form der Enteignung der Bürgerinnen und Bürger, die wir uns nicht länger gefallen lassen sollten. Wir müssen unser Geld von den Konzernen zurück fordern. Viel ist bei VW und anderen Unternehmen nach dem Abgasbetrug von Transparenz die Rede: Dann legt mal die Karten auf den Tisch! Diese Subventionspolitik zu beenden, bietet viel Spielraum für notwendige Finanzierung von Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, sie ist deshalb mehrheitsfähig und politisch zu erkämpfen.

V.

Zur Arbeitswelt ohne dominante Autoindustrie gehört eine radikale Arbeitszeitverkürzung und eine gerechte Arbeitsumfairteilung. Für die Arbeitszeitverkürzung ist voller Lohnausgleich für die unteren mittleren Einkommen nötig und möglich. Ein Personalausgleich kann und soll auch mit bisher vernachlässigten volkswirtschaftlichen Bereichen (Bildung, Pflege, Gesundheit, Umweltschutz und nachhaltige Mobilität) stattfinden. In der Stadt Salzgitter, um ein konkretes Beispiel zu nennen, sind alle Kapazitäten vorhanden, um die sozial-ökologische Transformation auf den Weg zu bringen: Ein Stahlwerk, eine Autofabrik mit Motorenfertigung, eine Waggonfabrik, eine Bus- bzw. LKW-Fabrik und ein Zulieferer für Software und elektrische Teile. Allen Beschäftigten könnte es gleich sein, ob private Autos damit produziert werden oder Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr. Schließlich geht es in diesem Zusammenhang auch um faire Handelsbeziehungen gegenüber anderen Ländern, um die Beendigung des Lohndumpings und eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz.

VI.

Die Automobilkonzerne sind dabei, sogenannte „neue Geschäftsmodelle“ zu entwickeln und behaupten, „die Mobilität neu zu erfinden“. Das alte falsche Freiheitsversprechen wird neu aufgewärmt. Das Hauptinteresse beim Einstieg in CarSharing oder Ridepooling besteht darin, dem öffentlichen Personenverkehr die Umsätze abzunehmen, ihn letztlich zu kapern, Gewinne zu erzielen und diese zu privatisieren.[3] Der Staat und einige Kommunen sind an diesen Projekten beteiligt bis hin zum Ausbau von SmartCity – fast immer, wie in Hamburg, an den demokratischen Institutionen vorbei[4]. Zu einem weiteren guten Teil geht es bei diesen Projekten primär um den Zugriff auf die Daten der Nutzerinnen und Nutzer – die Mobilität ist dabei nur ein „Kollateralnutzen“ für die Autokonzerne.

VII.

Marxistische Intervention in die Autoindustrie bleibt als Ergebnis eine doppelte Transformation (Antje Blöcker), um eine Wiederaneignung der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse (Karl Marx), um das hinterfragen der imperialen Lebensweise(Ulrich Brand/Markus Wissen), um eine ökologische Klassenpolitik (Markus Wissen/Bernd Röttger), um revolutionäre Realpolitik (Rosa Luxemburg/Frigga Haug):  Die Produktion und die Produkte sind auf demokratische Weise zu verändern, damit aber auch die Herrschaftsverhältnisse in dieser Produktion[5].

Die Bedingungen für eine solche doppelte Transformation sind bei Volkswagen günstiger als in anderen Unternehmen wegen der Geschichte des Unternehmens, wegen der besonderen Mitbestimmung von IG Metall und Betriebsrat, wegen des VW-Gesetzes, wegen des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades. Zweifellos braucht eine solche Transformation Zeit – vielleicht einen Zeitraum von 10 Jahren. Damit jetzt nicht zu beginnen, bedeutet aber für die Beschäftigten, letztlich auch für die IG Metall, sich auf die Verliererstraße zu begeben. Die Autoindustrie, wie wir sie kennen, hat keine große Zukunft mehr. In diesem Sinne haben die Beschäftigten viel zu verlieren, wenn es nicht gelingt, umzusteuern in Richtung Mobilitäts- und Verkehrswende.

Veröffentlicht in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 6/2018.

 

 

[1] Bernhard Knierim, Ohne Auto leben, ProMedia-Verlag Wien, 2016

[2] http://stephankrull.info/2017/09/21/bundesregierung-pampert-autoindustrie-mit-milliarden/

[3] Siehe Projekte wie MOIA von VW oder Moovel von Daimler

[4] http://www.hamburg.de/contentblob/6770750/79dfb53810fce0a30027b01de5160168/data/2016-08-29-pr-mobilitaetspartnerschaft.pdf

[5] http://nds.rosalux.de/dokumentation/id/38234/initiativkreis-zukunft-auto/

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