Die Monstermesse in München: Der Sozialstaat wird geschliffen und die Klimakatastrophe wird befeuert.
„Die Politiker verkaufen uns für dumm. Dann kommen die Aktionäre. Da geht das ganze Geld hin. Jetzt gibt so eine Scheißegal-Haltung. Dabei müsste man sich aufbäumen. Es fehlen Leute mit Courage“, sagt der Wirt der Tunneschänke in Wolfsburg.
Atom und Kohle – eine Blaupause für die Autoindustrie? Rüstungsproduktion ist keine Option und schafft keine Arbeitsplätze. Die IG Metall sucht ihre Position.
Auf den drei wichtigsten Automärkten – Europa, USA und China – ist der Marktanteil der deutschen Hersteller unter die Marke von 20 Prozent gefallen. „Ja zum Auto, Ja zum Autoland Deutschland“ tönt Söder aus Bayern und fordert „das Verbot von Pkw mit Verbrennungsmotoren“ ab 2035 zu kippen – obwohl es dieses Verbot überhaupt nicht gibt. Ebenso fordert Söder, „Fahrverbote“ zu verhindern wenngleich es überhaupt keine Fahrverbote gibt. Außerdem: CO2-Flottenwerte aufheben, keine Bußgelder bei Überschreitung und mehr Hoffnung auf künftige Erfindungen, umgangssprachlich „Technologieoffenheit“ – aber „autonomes Auto“ schnell auf die Straße bringen. Weiter: Subventionen für Autohersteller, billige Rohstoffe sichern und den Kids das Autofahren billig und schmackhaft machen. Bundeskanzler Merz wird, bevor er die IAA am 9.10. eröffnet, im Gespräch mit dem Vorstand des Verbandes der Autoindustrie (VDA) einen „kleinen Autogipfel“ abhalten und wohl ähnliches plus „Bürokratieabbau“ und Deregulierung verkünden. Den Arbeiterinnen und Arbeitern in der Autoindustrie hilft das nicht, es beschleunigt nur die Kimakatastrophe: Rückwärts mit Vollgas.
Die Monstermesse
Vom 9.-14. September blockiert die IAA große Teile von München und sorgt für enorme Licht- und Luftverschmutzung. Seit mehr als 100 Jahren wird die Messe vom jeweiligen Kanzler eröffnet. Viele Hersteller meiden inzwischen die Ausstellung, Citrëon, Fiat, GM, Peugeot, Tesla und Toyota verzichten auf einen Auftritt, der Glanz und der Hype sind vorbei, die Absätze sind rückläufig, die Partie isch over. Dafür reisen mehr als 100 Aussteller aus China an. Was als „Schaufenster für die Zukunft von Verkehr, Technik und urbanem Leben“ gepriesen wird, ist tatsächlich nur die Verkaufsausstellung der Autohersteller, ein verzweifelter Versuch, das verschwundene Interesse der Menschen an dieser ungesunden Art der Fortbewegung wiederzuerwecken. In der City, im open space ohne Eintrittsgeld geht es um die große Show, in der vor allem Kinder mit dem Autovirus infiziert werden sollen. Dieser open space aber auch, „um Proteste von Autoskeptikern schon im Ansatz einzudämmen.“1 Auch Rheinmetall ist nicht auf der Messe, weil die ihren Automotive-Sparte zu Rüstungszwecken umbauen“, wie ein Branchendienst berichtet2. Die anderen Projekte, in denen Betriebe der Mobilitätsindustrie zu Rüstungsbetriebe werden sollen, wie das Alstom-Werk in Görlitz oder das VW-Werk in Osnabrück, gehören nicht zum PKW-Bereich oder sind noch in der Entwicklung und deshalb nicht bei der IAA vertreten.
Die Krise der europäischen Autoindustrie ist vielfach beschrieben: Technologisch weit zurück hinter China, falsche Modellpolitik, selbst geschaffene Überkapazitäten und keine strategische Industriepolitik seit vielen Jahren. Selbst in den USA ist der Absatz eingebrochen, Volkswagen hat die Produktion des ID 4 in Chattanooga gestoppt. Das Ansehen des Konzerns ist auch wegen seiner gewerkschaftsfeindlichen Haltung auf dem Nullpunkt. Die Unternehmen haben Milliarden in unsinnigen Projekten versenkt. Mercedes-Chef Ola Källenius warnte jüngst vor einem Kollaps des europäischen Automarkts, sollte das Verbot von Neuwagen mit Diesel- und Ottomotoren ab 2035 bestehen bleiben. Die Regierungen hatten mehrere hochkarätige Kommissionen eingesetzt, die allesamt an der Konkurrenz und den Egoismen der großen Konzerne gescheitert sind. Der Niedergang der Autoindustrie kommt einer Deindustrialisierung nahe, wenn mittelgroße Zulieferbetriebe in kleineren Städten die Produktion verlagern oder beenden3. „Jetzt werden die Weichen für das gestellt, was in fünf bis sieben Jahren passiert“, warnt der bayerische IG Metall-Bezirksleiter Horst Ott. „Große Zulieferer verlagern Produktion ins Ausland und hier laufen in absehbarer Zeit die Produktlinien der Werke leer.“4 Anders als früher wird auch die Forschung und Entwicklung verlagert. Wenn immer mehr verlagert wird, droht ein Dominoeffekt: Je weniger Industrie, desto unattraktiver wird das Land für die Menschen und desto mehr Verlagerung in andere Regionen. Dann wird ein Dilemma entstehen, das betriebsbedingte Kündigungen zur Folge haben wird, aber dadurch wiederum noch schlimmer wird.
Die Begründungen für die Verlagerungen ist immer die gleiche: Bürokratie, Energiepreise, Lohnkosten und so weiter. Aber wenn man es sich genau anschaut, stimmt es bei keinem einzigen Punkt. In den Autofabriken machen die Lohnkosten weniger als 10 Prozent aus – da sind die Löhne nicht das entscheidende Thema. Stattdessen sind es strategische Entscheidungen der Unternehmen zur Steigerung von Gewinnen, ist es das Streben nach maximalen Profiten – nur darum geht es. Wenn mit der Herstellung und dem Vertrieb von Elektronikteilen oder Autos in der Konkurrenz nur sechs Prozent Rendite erzielt werden, könnten auf den gleichen Anlagen vielleicht auch Granaten oder Panzerwagen ohne Konkurrenz gebaut werden mit einer Rendite von 50 Prozent oder mehr. Auch darüber muss im Zusammenhang mit dem Grundgesetz die Debatte geführt werden: Was bedeuten die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes, was bedeuten das Allgemeinwohl und die Möglichkeit der Vergesellschaftung gegenüber der Gier nach maximalen Profiten.
„Es fehlen Leute mit Courage!“
Was selbsternannte Autoexperten langatmig kompliziert erklären, klingt aus dem Mund des Kneipenwirtes, der selbst bei VW am Band gearbeitet hat, leicht nachvollziehbar: „Wenn es Volkswagen schlecht geht, geht es der Tunnelschänke auch schlecht. Es gibt immer weniger Schichten bei Volkswagen. Nachtschichten fast gar nicht mehr. Und jetzt sollen viele Arbeitsplätze wegfallen. Ich weiß nicht, wie es hier weitergehen soll. Die Politiker verkaufen uns für dumm. Dann kommen die Aktionäre. Da geht das ganze Geld hin. Die Volkswagen-Vorstände sind natürlich auch verantwortlich – aber die kommen und gehen. Jetzt gibt so eine Scheißegal-Haltung. Dabei müsste man sich aufbäumen. Aber es fehlen Leute mit Courage.5“ Die Profite sind im leichten Rückwärtsgang, was für die Börse und für die Aktionäre natürlich eine Katastrophe ist. Die Umsätze sinken und die Gewinne der deutschen Autoindustrie sind im ersten Halbjahr 2025 schmaler geworden. Die Großaktionäre, die eigentlichen Bestimmer in den Konzernen, zweifeln am Geschäftsmodell. Andererseits gibt‘s Gewinnrücklagen von über 300 Milliarden Euro bei Volkswagen (147 Mrd.), BMW (92 Mrd.) und Daimler (75 Mrd.), die wiederum gewinnbringend angelegt sein wollen. „Von einer echten Krise sind die deutschen Automobilhersteller noch weit entfernt“, sagt Frank Schwope, Lehrbeauftragter an der Fachhochschule des Mittelstands in Berlin6. Aber die Großaktionäre von VW und Mercedes haben entschieden und wollen ihr Kapital gewinnbringend in der Rüstungsindustrie anlegen.
Bei der Autoindustrie mit 750.000 Arbeiterinnen und Arbeitern in sogenannten Autoclustern (Stuttgart, Süd-Ost-Niedersachsen, Sachsen, München, Köln), geht es um einen Umbau und einen partiellen Ausstieg – weniger Autos, keine Verbrenner mehr, stattdessen Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr und andere, nützliche Produkte. Summarisch um eine Reduzierung von zunächst um die 50 Prozent an Produktion und Arbeit.
Solch eine industrielle Konversion ist nicht einzigartig, sondern hat in verschiedenen gesellschaftlichen Situationen in vielen Ländern stattgefunden: Vor Kriegen hin zur Rüstung, nach Kriegen wieder weg von der Rüstung. Ganze Industriezweige wie Textil, Uhren und Unterhaltungselektronik sind aus unserem Land verlagert worden. In schwach entwickelten Regionen wurde, staatlich gelenkt, eine neue industrielle Struktur geschaffen wie zum Beispiel in der Oberpfalz, im Bayerischen Wald, in Ostfriesland und Nordhessen. Das Opel-Werk in Bochum wurde als Kompensation für den Wegfall des Bergbaues im Ruhrgebiet errichtet.
Atom und Kohle – Blaupause für die Autoindustrie?
Atomstrom wurde inklusive der Uranbeschaffung von 1970 bis 2023 mit 190 Milliarden Euro subventioniert, 17 AKW gebaut. Die Endlagerfrage ist weltweit ungeklärt. Es kamen der Fukushima-Schock 2011, der Atomausstieg und der Ausstieg aus dem Ausstieg. Der Rückbau kostet ca. 100 Mrd. Euro, ohne die Rückholung des Mülls aus dem maroden Bergwerk Asse. Die AKW-Betreiber, die Energieversorgungsunternehmen, zahlen 45 Mrd. Euro, die Restverantwortung liegt beim Staat, also bei den Steuerzahlern. Die Konzerne sind so frech und klagen wegen „entgangener Gewinne“: Die Bundesrepublik Deutschland zahlt 1,425 Mrd. Euro an Vattenfall, 880 Mio. Euro an RWE, 80 Mio. Euro an EnBW und 42,5 Mio. Euro an E.ON/PreussenElektra. „Diese Zahlungen dienen einerseits einem Ausgleich für Reststrommengen, welche die Unternehmen nicht mehr in konzerneigenen Anlagen erzeugen können (RWE und Vattenfall), andererseits dem Ausgleich für Investitionen, welche die Unternehmen im Vertrauen auf die 2010 in Kraft getretene Laufzeitverlängerung getätigt hatten, die dann aufgrund der Rücknahme der Laufzeitverlängerung nach den Ereignissen von Fukushima entwertet wurden.“
Kohleausstieg
Steinkohle ist 300 Millionen Jahre bzw. Braunkohle ist 50 Millionen Jahre alte Biomasse, die seit 200 Jahren, seit der Industrialisierung, in immer größerer Menge für Energiegewinnung verbrannt wird. Steinkohle wird in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen schon länger nicht mehr gefördert, sondern aus Polen, Südafrika und Australien importiert. Nach großen Protesten der Klimabewegung und aus Gründen von Umwelt-, Klima und Gesundheitsschutz wurde der Ausstieg aus der (Braun-)Kohlegewinnung und -verstromung politisch entschieden – in einer breit zusammengesetzten Kohlekommission. Es wurde der sogenannte Kohlekompromiss vereinbart: Ausstieg innerhalb von 20 Jahren bis 2038. Gleichzeitig wurden für die 20.000 Arbeiterinnen und Arbeiter, für die Regionen und Kommunen der drei Kohlereviere (Lausitz, Mitteldeutschland, Rheinland) 40 Milliarden Euro zur wirtschaftlichen Entwicklung, zur Renaturierung sowie mehr als vier Milliarden Euro zur „Entschädigung“ der Kraftwerksbetreiber eingeplant. Die Mittelverwendung ist undemokratisch, bürokratisch, spärlich und oft nicht zielgerichtet.
Umbau der Autoindustrie – Rüstungsproduktion ist keine Option
Es gibt Beispiele für erfolgreiche betrieblich-gewerkschaftliche Aktionen in der Transformation, denen die frühe Einbeziehung der Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam ist. In den beiden Autozulieferbetrieben Boge in Simmern und Kessler in Aalen wurde die Produktion umgestellt von Autoteilen auf Teile der Bahn oder der Bahninfrastruktur7. Der zuständige Gewerkschaftssekretär im IG Metall-Bezirk Mitte spricht von einem „Friedensvertrag“ und ist zuversichtlich, dass die vereinbarten Punkte eingehalten werden. Damit ist auch ein Arbeitskampf vom Tisch, für den sich die IG Metall gerüstet hatte. Dieser hätte Produktionsunterbrechungen in anderen Automobilfirmen zur Folge gehabt. Das hätte zu einen Schaden mit bis 30 Millionen Euro pro Produktionstag bei Kunden wie VW oder Audi geführt8. Solche Konversion ist unter spezifischen Bedingungen auch möglich in der von VW verstoßenen Tochter in Osnabrück, wenn die Gewerkschaft und der Betriebsrat das in betrieblichen Zukunftswerkstätten beziehungsweise Transformationsräten unter Einbeziehung aller guten Ideen der Arbeiterinnen und Arbeiter einschließlich der Ingenieure und des Standortmanagements vorantreiben.
Die Debatte um Rüstungsproduktion ist voll entbrannt. Milliarden – whatever it takes – sollen für Kriegsproduktion zur Verfügung stehen. Die politische Lösung von Konflikten und Diplomatie sind überhaupt kein Thema mehr. Die Lehren des zerstörten Europas, der bedingungslosen Kapitulation der faschistischen deutschen Wehrmacht und die Erfahrungen der Entspannungspolitik im kalten Krieg scheinen vergessen. Egon Bahr sagte: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
Die Aktionäre von Rheinmetall, Thyssen-Krupp, Henslod, Diehl, Krauss-Maffei, Heckler & Koch sowie Airbus, aber auch die von VW, Mercedes, Conti und Bosch haben ein Interesse daran, die unbegrenzt frei verfügbaren Rüstungsmilliarden einzusacken. Der Porsche-Piëch-Clan kündigt Investitionen in die Rüstung an, interne Richtlinien bei Bosch wurden so angepasst, dass die Produkte auch für militärische Zwecke verkauft werden können. Das ist aus Sicht vieler Arbeiterinnen und Arbeiter eine Abkehr von den bisherigen Werten der Bosch-Stiftung. Dazu Kriegspropaganda an allen Ecken, im Fernsehen, an der Straßenbahn, vor den Werken der Autoindustrie: „Mach, was wirklich zählt – Jetzt Job fürs Volk wagen.“ Das undenkbare soll denkbar, der Krieg soll vorstellbar und führbar gemacht werden. Der Kontext, der bei einer vernünftigen Entscheidung nicht außer acht gelassen werden kann: Die Rüstungsmilliarden sorgen für ein paar neue Jobs bzw. als magerer Ersatz für in der zivilen Produktion gestrichene oder verlagerte Jobs. Gleichzeitig fehlen diese Milliarden schon morgen in den nächsten Haushalten von Bund, Ländern und vor allem Kommunen, um die einfachsten sozialen Fragen zu lösen. Aller Erfahrung und Prognosen nach können die verlorenen Jobs in der Autoindustrie nicht annähernd durch Jobs in der Rüstungsindustrie kompensiert werden. Das trifft für das Alstom-Werk in Görlitz, das Conti-Werk in Gifhorn und für das VW-Werk in Osnabrück zu – mehr noch, wenn es um die Werke von VW in Zwickau und Emden, von Ford in Saarlouis und Köln gehen wird.
IG Metall sucht ihre Position
Jürgen Kerner, der 2. Vorsitzende der IG Metall, nimmt am 1. September, am Antikriegstag, an einer hochkarätigen Rüstungskonferenz teil – zusammen mit Chefs von Rüstungsbetrieben, Rüstungsberatern, Rüstungsforschern und unter anderem Annette Lehnigk-Emden, der Chefin des Beschaffungsamtes der Bundeswehr. Frau Lehnigk-Emden ist die, die von den Kommunen mehr Unterstützung für die Rüstungsindustrie fordert: „Kommunen sind in der Pflicht, die bürokratischen Hindernisse für die Zeitenwende möglichst gering zu halten“, sagte sie ausgerechnet in Osnabrück (NOZ, 16.8.2025). Kerner selbst äußerte sich auf dem letzten Gewerksachaftstag der IG Metall und wies nicht nur auf die Vertretung der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie hin, sondern ging weit darüber hinaus: „Ich bin der festen Ansicht, dass wir diese Branche in Deutschland und Europa halten müssen.“ Später sagt er in einer gemeinsamen Erklärung mit dem SPD-Wirtschaftsforum und dem Verband der Rüstungsunternehmen: „2024 ist das Jahr der Entscheidung für die wehrtechnische Industrie in Deutschland. Zwar hebt die Politik ihre Bedeutung für die Sicherheit unseres Landes und Europas hervor. Aber anders als man denken könnte, führt das Sondervermögen Bundeswehr nicht automatisch zur Stärkung der heimischen Industrie.“9 Andere Akzente setzen Christiane Benner als Vorsitzende und Hans-Jürgen Urban als Vorstandsmitglieder der IG Metall: Christiane Benner schlägt vor, ein Sondervermögen in dreistelliger Milliardenhöhe aufzumachen für den ökologischen Umbau der Industrie und Urban sagt beim Aktionstag der IG Metall im März 2025: „Unsere Industrie der Zukunft muss ökologisch, sozial und demokratisch sein. … Die Transformation, die wir unterstützen, muss fair und solidarisch sein. Und schließlich: Was soll dieser Überbietungswettlauf bei den Rüstungsausgaben? Wer nur auf Waffen setzt, landet in der Sackgasse eines neuen Rüstungswettlaufs.“10
Die deutschen Autobauer Volkswagen, Mercedes und BMW mit ihren Töchtern hatten zuletzt Gewinneinbrüche verkündet. Dennoch wurden Milliarden an die Aktionäre ausgeschüttet. Bei Volkswagen profitiert hauptsächlich der Porsche-Piëch-Clan, der knapp ein Drittel der Aktien hält, bei BMW fließt die Hälfte der ausgeschütteten 2,7 Milliarden Euro an Stefan Quandt und Susanne Klatten. Das Manager Magazin zitiert Christiane Benner: „Die Probleme einzelner Unternehmen sind unterschiedlich gelagert, aber die Situation für die Industrie und die Beschäftigten ist insgesamt schon prekär.“ Die Absatzzahlen von vor der Corona-Pandemie würden in der EU nicht erreicht. „In der Folge sind Werke nicht ausgelastet, und wir führen harte Auseinandersetzungen darüber, dass Beschäftigte nicht einseitig die Lasten tragen“, so Benner. Es brauche Innovationen, aber auch industriepolitische Unterstützung aus Berlin und Brüssel. Zudem seien die Rahmenbedingungen für den elektrifizierten Autoverkehr noch nicht ausreichend. „Kaufanreize, Ladeinfrastruktur, Rohstoffversorgung, Recycling: Das sind die Themen für eine europäische automobile Industriepolitik.“ Die Gewerkschaftsvorsitzende sieht auch hausgemachte Probleme, für die „das Management die Verantwortung übernehmen sollte“. Aktionärinnen und Aktionäre sollten bei der Höhe der Dividenden Abstriche machen, da sie trotz geringeren Gewinnen hohe Dividenden erhalten. „Wir müssen da zusammen durch“, sagt Benner.11 Diese Position, die Aktionäre sollten sich an der „Sanierung“ beteiligen, wurde schon bei der Auseinandersetzung bei VW Ende 2024 erhoben. Der VW-Chef Blume antwortet belehrend: „Als Investor überlege ich mir, wo mein Geld am besten angelegt ist. Wenn ich den Investoren jetzt erzähle, dass wir ihnen die Renditen kürzen, dann droht ein Vertrauensverlust, Investoren könnten sich zurückziehen. Das muss jeder wissen, der scharfe Einschnitte bei den Dividenden fordert. Wir brauchen gerade jetzt in dieser Phase eine Verbindlichkeit für Investoren, damit sie weiterhin zu uns stehen.12“ Zehn Prozent Umsatzrendite sollen es in den nächsten Jahren werden – so haben es die Großaktionäre und das Management entschieden.
Rüstung schafft keine Jobs!
Rüstungsproduktion kann für Volkswagen bei seiner eigenen grausamen Entstehungsgeschichte niemals eine Option sein. Das sieht auch der Betriebsrat so: Ein Sprecher des Konzernbetriebsrats erklärt, dass ein Einstieg in die Produktion von Kriegswaffen oder Kampfmitteln aus Sicht der Arbeitnehmervertretung keine Option sei. … „Das hat nicht nur unternehmensstrategische und technologische Gründe, sondern nicht zuletzt auch ethische vor dem Hintergrund der Volkswagen-Unternehmensgeschichte.“ (WAZ, 19.8.2025)
Die Propagandaabteilung des Porsche-Piëch-Clans sieht das ganz anders: Der Kriegsverbrecher Ferdinand Porsche (SS-Oberführer, Vorsitzender der Panzerkommission) sei ein genialer Konstrukteur gewesen und der Reichtum des Clans hierin begründet. Tatsächlich wurde das Unternehmen von den Nazis mit gestohlenem Geld der Gewerkschaften, mit Produktion für die faschistische Wehrmacht und mit brutaler Zwangsarbeit aufgebaut. Treiber dabei neben Ferdinand Porsche sein Schwiegersohn und NSDAP-Mitglied Anton Piëch. Jetzt werden durch den Porsche-Piëch-Clan Autofabriken geschlossen und neue Geldanlagen in der Rüstungsindustrie gesucht: „Die Porsche SE investiert gezielt in Fernbusunternehmen, Drohnentechnik und Software für autonome Lkw …“13 Zurück zu den grausamen Wurzeln und wieder Geld machen mit dem Krieg? Der Porsche-Piëch-Clan und die Kopf-ab-Diktatur in Katar, die großen Aktionäre von Volkswagen – vom Land Niedersachsen abgesehen – haben ein Interesse daran, die Profite maximal zu steigern und die frei verfügbaren Rüstungsmilliarden einzusacken. Ihnen geht es weder um Demokratie noch um Menschenrechte.
Wie eine Vielzahl Studien zeigt, führen Investitionen in die Rüstung nicht zum Wirtschaftsaufschwung. Militärausgaben sind aus ökonomischer Sicht keine Investitionen zur Entwicklung der Wirtschaft, sondern „totes Kapital“. Der Multiplikator bei Rüstungsausgaben liegt bei rund 0,5 Prozent. Also ein Euro in Rüstung bedeutet 50 Cent Wachstum. Bei Infrastrukturinvestitionen beträgt der Multiplikator 1,5 und bei Bildung liegt er bei drei. Rüstung zieht Ressourcen aus produktiven Bereiche ab. Wir begeben uns so auf eine ganz schiefe Ebene, auf der es bald kein Halten mehr gibt. Aller Erfahrung und Prognosen nach können die verlorenen Jobs in der Autoindustrie nicht annähernd durch Jobs in der Rüstungsindustrie kompensiert werden. Das trifft auch für das Werk in Osnabrück zu. Vielleicht bleiben ein paar hundert Arbeitsplätze, wenn Rheinmetall einsteigt – aber sich nicht die 2.300 plus Zulieferer, die es heute sind. Andererseits: Der Markt für passende Fahrzeuge für Ridepooling wächst und der Bedarf ist riesig – aber das Geschäft machen dann Holon oder Baidu.
Die Ouvertüre zur Monstermesse in München: Der Sozialstaat ist schuld
Kurz vor Beginn der IAA drängt die Autoindustrie trotz aller Klimakatastrophen auf eine Abkehr vom sogenannten Verbrennerverbot und eine Abkehr von den CO2-Zielen. Für die Umstellung auf Elektromobilität fordern die Autokonzerne mehr Unterstützung von der Politik. „Wir brauchen ein klares Signal und gezielte staatliche Fördermaßnahmen, um die Skepsis privater Käuferinnen und Käufer abzubauen und die Nachfrage in dieser Gruppe anzukurbeln“, sagt ein VW-Vorstand. Derzeit sind es vor allem gewerbliche Kunden, die E-Autos kaufen oder leasen. Vergleichbare Steuervergünstigungen sollen zu lasten der Steuereinnahmen auch private Autokäufer erhalten.
Darüber hinaus will die Industrie Reformen „für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes“ – genau das, was Merz und Klingbeil mit dem „Herbst der Reformen“ jetzt umsetzen wollen: Sozialabbau und Arbeitszeitverlängerung. „Die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie sind mit ihren Produkten international wettbewerbsfähig, der Wirtschaftsstandort Deutschland ist es aktuell nicht. Entscheidend ist deshalb, dass Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität zur politischen Top-Priorität in Berlin und Brüssel werden. Dabei muss klar sein: Die Industrie braucht mehr als nur Symptombekämpfung, sie braucht zielgenaue Maßnahmen für die Behebung der Ursachen der mangelnden internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Berlin und Brüssel müssen die unterschiedlichen Standortfaktoren — u.a. von Energiepreisen, Bürokratiebelastung, Regulierungsausmaß und Rohstoffversorgung — konkret in Angriff nehmen und so die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Gerade mit Blick auf die geopolitischen Entwicklungen ist ein wirtschaftlich starkes Europa von zentraler Bedeutung: Nur ein wirtschaftlich starkes Europa hat auf der politischen Weltbühne eine gewichtige Stimme, nur ein wirtschaftlich starkes Europa hat Einfluss auch auf die Gestaltung der Klimaziele und andere wichtige geopolitische Fragen14.“
Zuerst veröffentlicht beim ISW: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5376-iaa-mobility-2025-autoindustrie-zwischen-niedergang-und-konversion
1https://www.firmenauto.de/branche/iaa-mobility-2025-vorschau-muenchen-highlights-open-space-autonom-testfahrten/
2https://www.automobil-industrie.vogel.de/iaa-mobility-2025-messe-muenchen
3Beispielhaft Bosch in Sebnitz: Im kleinen Städtchen Sebnitz in der Sächsischen Schweiz an der Grenze zu Tschechien lässt Bosch Werkzeuge (Power Tools) produzieren und ist der größte Arbeitgeber, allerdings seit Jahren schrumpfend. Die verbliebenen 280 Arbeitsplätze will der Konzern jetzt kündigen und den Betrieb nach Osteuropa verlagern. Die Folgen eines Rückzugs von Bosch aus der Region Ostsachsen sind fatal. Die AfD erhielt in Sebnitz bei der Bundestagswahl 54 Prozent der Zweitstimmen. Die Menschen sind nicht nur von der Arbeit erschöpft und von Angst geplagt, sondern verzweifeln an der Unerbittlichkeit der Konzerne und an der teilnahmslosen Zuschauerrolle, die die Regierungen auf Landes- und Bundesebene einnehmen. https://stephankrull.info/2025/08/19/die-organisierende-klassenpartei-und-die-sozial-oekologische-transformation/
4https://www.zeit.de/news/2025-08/15/ig-metall-in-zweiter-welle-droht-verlust-zehntausender-jobs
5Wolfsburger Allgemeine, 30./31.8.2025
6https://www.t-online.de/mobilitaet/aktuelles/id_100868022/gewinneinbrueche-in-der-industrie-ist-das-autoland-deutschland-am-ende-.html
7https://www.sozialismus.de/detail/artikel/panzer-statt-porsche-nein-sagen-genuegt-nicht/
8https://www.wochenspiegellive.de/rhein-hunsrueck-kreis/artikel/zukunft-boge-werk-simmern-investition-in-diversifikation
9https://www.igmetall.de/presse/pressemitteilungen/verteidigungsindustrie-zukunftsfaehig-machen
10https://hans-juergen-urban.de/wp-content/uploads/2025/03/2025_03_15_Aktionstag_Rede_Urban_final.pdf
11https://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/bmw-vw-mercedes-benz-ig-metall-fordert-dividenden-verzicht-von-autoaktionaeren-a-855d04f7-a830-45ee-9dfd-7194deedc330
12Braunschweiger Zeitung, 22.1.2025
13Berliner Zeitung, 14.8.2025
14https://www.vda.de/de/presse/Pressemeldungen/2024/241126_kommentierung_vda-praesidentin_hildegard_mueller_zur_industriekonferenz_2024
Frontfoto: Ausschnitt des Titelbildes von Focus 5.9.2025