Ein Gebot der Vernunft: Industriepolitik in der Transformation!

Das Vermögen der fünf reichsten Personen in Deutschland ist in den letzten vier Jahren von 85 Milliarden Euro auf 150 Milliarden Euro gestiegen. Unter den 100 reichsten Personen auch aus der Auto- und Zulieferindustrie solche Namen wir Quandt, Klatten, Porsche, Piëch, Schaeffler, Bosch, Hueck, Flick, Voith, Stoschek und Benteler. Die Gewinnrücklagen der drei großen Automobilkonzerne Volkswagen, Mercedes und BMW betragen 250 Milliarden Euro. In der gleichen Zeit, in den zurückliegenden fünf Jahren, sind alle Renten und Löhne real gesunken, weil die Preissteigerungen höher waren als die Lohn- und Rentenerhöhungen.

Der Zusammenhang liegt auf der Hand, ist offensichtlich.

Die Autoindustrie zu schrumpfen und zu verlagern, wie die Eigentümer und Manager das jetzt planen und teilweise schon umsetzen, ist gesellschaftlich, politisch und volkswirtschaftlich schädlich und höchst unvernünftig. Deshalb muss die Gesellschaft handeln und selbstverständlich die Politik, die Parteien, die Regierung, der Staat. Dabei geht es nicht um ein „Weiter so“, womit die Herren ja schon gescheitert sind, sondern um strategische Industriepolitik, um den Umbau hin zu einer modernen, umwelt- und bedarfsgerechten Mobilitätsindustrie. Aber die Autoindustrie und die Regierungen blockieren mit den hohen Subventionen in Größenordnung mehrerer Milliarden Euro pro Jahr die Verkehrswende. Es ist ein Gebot der Vernunft, nicht so weiterzumachen wie bisher, denn das endet in einer Katastrophe – sozial, ökologisch, wirtschaftlich und politisch.


Autoindustrie erpresst Belegschaften und den Staat

Der über vier Jahrzehnte andauernde Boom für deutsche Hersteller in China ist (abrupt) beendet. Die Welt der Autohersteller in Deutschland hat sich erwartbar drastisch geändert, die Manager wollten es in ihrer Überheblichkeit nur nicht wahrhaben. Nun suchen ihr Heil in Verlagerungen vor allem in osteuropäische Länder (Polen, Rumänien, Bulgarien) sowie nach Indien. Es handelt sich primär um eine Krise der Kapitalverwertung – die Profitrate sinkt. Daraus folgend ist es eine Krise der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Autoindustrie. Es ist eine Krise der Überakkumulation, der sinkenden Arbeitsproduktivität, der zunehmenden Bindung von konstantem Kapital, der sinkenden Profitrate, der sinkenden Massenkaufkraft. Ursächlich ist der Wachstumszwang für renditeorientierte Unternehmen und die technologisch uneinholbar vorauseilende Konkurrenz aus China. Der aufkommende Protektionismus trägt seinen Teil zur Krise bei. Bis 2023 sind die Profite noch gestiegen, trotz geringerer Anzahl verkaufter Autos. Das hing mit der Modellpolitik zusammen: große, luxuriöse Autos mit größerer Gewinnspanne. Dabei kamen aber kleinere, preiswertere Fahrzeuge aus dem Produktionsprogramm, die Scaleneffekte haben sich nicht mehr eingestellt. Die Umstellung auf E-Autos erfordert signifikant weniger Arbeit am Produkt in der gesamten Lieferkette (Maschienenbau, mechanische Bearbeitung, Montage und Logistik). Aus dieser Gemengelage entsteht eine schwere Krise der Beschäftigung in der Auto- und Zulieferindustrie. In den zurückliegenden fünf Jahren wurden ca. 75.000 Arbeitsplätze gestrichen oder verlagert. Der Aufbau von Tesla in Brandenburg hat das nicht annähernd kompensiert, daselbst werden inzwischen auch schon wieder Arbeitsplätze abgebaut.


Volkswagen oder Stellantis? Emden oder Zwickau? Dresden oder Osnabrück? Wolfsburg oder Puebla? Die Herren der Autoindustrie hetzen die Arbeiterinnen und Arbeiter verschiedener Länder und betrieblicher Standorte gegeneinander auf. Die von ihnen geschaffenen Überkapazitäten sollen vernichtet werden – statt sie umzubauen für gesellschaftlich nützliche Produkte für den öffentlichen Verkehr. In ihrer Unvernunft und argumentativen Not greifen die Eigentümer und Manager zu Hass und Hetze gegen Gewerkschaften und Betriebsräte, gegen die Belegschaften und gegen das, was vom Sozialstaat übrig geblieben ist. Es war zu erwarten, dass nach Volkswagen auch andere Unternehmen die sozialen Rechte der Arbeiter*innen angreifen. Der Mercedes-Boss Källenius macht den Sozialstaat für die Krise in der Autoindustrie verantwortlich, beschimpft die Arbeiterinnen und Arbeiter als Drückeberger und Faulenzer und fordert: „Es darf nicht so einfach sein, sich krank zu melden.“ Als Sprecher des Familienclans hatte Wolfgang Porsche schon vor fünf Jahren der IG Metall und dem Betriebsrat vorgeworfen, für „Verkrustungen“ bei Volkswagen verantwortlich zu sein. Auch bei der Tochter Audi seien solche Strukturen entstanden. „Das sind erste Verkrustungen in Ingolstadt. In Wolfsburg gibt es das schon lange“, sagte der 75-Jährige vor Journalisten in Genf. Porsche betonte, er habe nichts gegen die Mitbestimmung, „aber auch die Betriebsräte müssen sich bewegen.“ Nun sind sie zum Stadium der Erpressung sowohl der Belegschaften als auch der Regierung übergegangen: Wenn ihr nicht wollt wie wir, dann stellen wir die Produktion in diesem Land ein.

§ 253 des Strafgesetzbuches: (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Erpressung verbunden hat.

Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze!

In den sechs Werken der VW AG, für die jetzt der Tarifvertrag gekündigt und neu verhandelt wird, sind Ende des Jahres 2024 bereits tausende Leiharbeiter*innen und mehr als 3.000 Stammarbeiter*innen weniger in Lohn und Brot als am Jahresbeginn – davon allein 1.600 in Wolfsburg. Dort sank die Belegschaft von 56.600 auf 55.000. Immer wieder behaupten „Wirtschaftsweise“ und Manager, dass Lohnverzicht Arbeitsplätze sichern würde. Aber dafür gibt es keine Belege – im Gegenteil! Erst kommt Lohnverzicht, dann wird der Arbeitsplatz verlagert oder gestrichen. Wer seine Produkte im Inland verkaufen will, leidet unter der rückläufigen Kaufkraft. Das wiederum kostet Arbeitsplätze. Während ein immer größerer Teil des Erwirtschafteten an die Kapitalseite geht, sinken die Lohneinkommen – bei Volkswagen in den zurückliegenden 30 Jahren von 26 Prozent auf 16 Prozent der gesamten Kosten. Für die Unternehmen ist eben nie Zeit für ordentliche Lohnerhöhungen. In Boomzeiten nicht, im beginnenden Aufschwung nicht und im wirtschaftlichen Abschwung sowieso nicht.

Ist Beschäftigungssicherung wichtiger als Lohnerhöhung? Lohnverzicht wird die Beschäftigung nicht einmal in einem einzelnen Betrieb sichern – geht es den Unternehmen doch gerade darum, die Kapazitäten abzubauen. Gesamtwirtschaftlich führt Lohnverzicht tiefer in die Rezession. Nehmen wir das nur mal als Gedankenspiel: Volkswagen will die Gewinne erhöhen. Per Tarifvertrag werden die Löhne dafür um zehn Prozent gekürzt. Folglich sinkt die Lohnsumme der betroffenen 120.000 Arbeiter*innen um zehn Prozent. Dies ergibt bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 4000 Euro eine Kostensenkung für das Unternehmen von etwa 576 Millionen Euro pro Jahr.

Die gesamtwirtschaftliche Rechnung sieht anders aus: Die 576 Millionen Euro verringern die Kaufkraft der VW-Arbeiter*innen. Wenn die Beschäftigten den Gürtel enger schnallen, wirkt sich das auf die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen anderer Unternehmen aus. Die Verluste dieser Firmen steigen also in dem Maß, wie sich die Gewinne von Volkswagen erhöhen.

Strategische Industriepolitik, Arbeitszeitverkürzung, Vergesellschaftung

VW und die gesamte Auto- und Zulieferindustrie könnte besser dastehen, wenn man auf die Linke und Gewerkschaften gehört hätte. Dabei geht es um Mitbestimmung, Wirtschaftsdemokratie und strategische Industriepolitik: Ein sozial-ökologisches Investitionsprogramm auf Basis einer bedarfsorientierten Investitionsplanung, kräftige Investitionen in die Infrastruktur, den smarten Fahrzeugpark und das Personal des öffentlichen Personenverkehr.

Weil die profitorientierten privaten Unternehmen das wegen zu geringer Gewinne nicht machen, müssen gemeinwirtschaftlich orientierte Unternehmen aufgebaut werden: gGmbH`s, Genossenschaften oder Stiftungen. Zunächst mit Anschubfinanzierung des Bundes, der Länder oder der Kommunen, gespeist aus der Abschöpfung der Übergewinne der Autokonzerne, bald sich selbst tragend. Vor Verlagerung der Industrie Billig-Lohn-Länder ist sie entsprechend der Artikel 14/15 des Grundgesetzes zu enteignen und zu vergesellschaften. Ein weiteres Instrument ist eine kollektive Arbeitszeitverkürzung in Richtung der Drei-Tage-Woche mit Zeitwohlstand für alle, die in diesen Betrieben arbeiten. Das bedeutet eine Abkopplung vom Wachstumszwang, einen Ausstieg aus der globalen Konkurrenz, die die globalen Krisen verursacht hat und kein Teil der Lösung sein kann. Ein ganz praktischer Grund besteht darin, dass die Konkurrenz zu China auf diesem Sektor nicht mehr zu gewinnen ist.

Erforderlich ist klare politisch-ökonomische Analyse entsprechend der aktuellen wirtschaftlichen Lage, der realen Entwicklung, den Kräfteverhältnissen und der Klassenauseinandersetzungen. Es geht nicht um die radikalste Forderung – aber mit „Sozialpartnerschaft“ und auf Basis der Konkurrenz und Profitwirtschaft sind die Probleme nicht mehr zu lösen. Forderungen nach „Unterstützung der Industrie“ sind bei den gehorteten Gewinnen fehl am Platz. Vermögensabgaben, Dividendenbegrenzung, Arbeitszeitverkürzung und das Verbot von Entlassungen sind richtige Forderungen, die in gemeinsamen Aktionen von Gewerkschaften, Sozial-, Umwelt-, Klima- und Verkehrswendebewegung erkämpft werden müssen. Erforderlich und möglich sind gemeinsame Kämpfe im Konzern, in der Branche und international! Weiter sind konkrete in Solidaritätskomitees der betroffenen Städte und Regionen Projekte der Vergesellschaftung und alternativer Produktion zu beraten und zu entwickeln, anknüpfend an das Transparent von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten bei den Warnstreikdemos bei Volkswagen: „Statt Krise und mit Gier – wenn ihr nicht könnt übernehmen wir!“ Die sozial-ökologische Transformation bleibt auf der Tagesordnung, um die sozialen Rechte der Arbeiter_innen zu gewährleisten, die Klimakatastrophe zu begrenzen und die Resilienz zu stärken.

Am Ende der Geduld!

Wolfgang Porsche, liest man, verliert die Geduld mit Volkswagen. Im Arbeitskampf bei Volkswagen verliert die Familie Porsche die Geduld. Sie sieht die Aussicht auf Werksschließungen schwinden – und Wolfgang Porsche poltert im Aufsichtsrat, so das Manager-Magazin am 12.12.2024. Wie geduldig dagegen sind wir, ist die IG Metall, ist der Betriebsrat, ist die gesamte Belegschaft mit dem gierigen milliardenschweren PorschePiëch-Clan! Vielleicht sollte mit dieser Geduld mal Schluss sein, so wie gewerkschaftliche Vertrauensleute es beim Warnstreik auf ihr Transparent geschrieben haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert