Kapitalistische Landnahme, soziale Marktwirtschaft und die Sicherheitsstrategie.

Autokonzerne sichern sich Zugriffe auf Rohstoffe, verbünden sich mit Bergbaugigant Glencore und scheitern an falscher Strategie: Flaute bei E-Autos, Schluss mit Ford in Saarlouis, Arbeitsplatzabbau, Produktionseinschränkungen und gestrichene Schichten bei VW in Emden. Topmanager fliegen auf die Bahamas – Leiharbeiter und Werkvertragsbeschäftigte fliegen auf die Straße. Welche Rolle spielen dabei ein russischer Oligarch und die IG Metall?

Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland“ – unter diesem Titel steht die von der Bundesregierung beschlossene Nationale Sicherheitsstrategie: „Es geht um die ganze Palette unserer Sicherheit“1 – außer um die soziale Sicherheit, die nur – vermittelt über sichere Profite der Unternehmen – ganz am Rande eine klitzekleine Rolle spielt. Jedenfalls gibt es kein vergleichbares Programm für soziale Sicherheit in unserem Land; etwas, was man von einer SPD-geführten Regierung eigentlich erwarten könnte.

Der Auftrag zur Erarbeitung der Kabinettsvorlage zur Sicherheitsstrategie ging an das Außenministerium – vor der „Zeitenwende“, bevor die Nordstream Pipelines in die Luft gesprengt wurden. Die zuständige Ministerin Baerbock sagt zur Begründung dieser Strategie u.a.: „Zu lange haben wir in Deutschland geglaubt, unsere Sicherheit in Europa sei selbstverständlich. Sicherheit bedeutet auch, so frei zu sein, dass wir unsere Wirtschaft so gestalten können, wie wir es möchten. Ohne politischen Zwang, ohne wirtschaftliche Abhängigkeiten.“ Nur der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff mosert: „Deutschland braucht einen nationalen Sicherheitsrat, der die Abläufe strafft, den Austausch verbessert und die Kohärenz der deutschen Außenpolitik stärkt.“ Die Bundesregierung wird ganz in diesem Sinne Rohstoffprojekte gemeinsam mit der Wirtschaft fördern. Im Text heißt es: Die soziale Marktwirtschaft ist Basis unseres Wohlstands und unseres Gesellschaftsmodells. Insofern hat sie auch eine besondere sicherheitspolitische Bedeutung. Tatsächlich steht im Grundgesetz nichts von Marktwirtschaft und das soziale aus diesem Konstrukt ist inzwischen dem Klassenkampf von oben gewichen.

Solch eine Strategie hat praktische Konsequenzen: Hochrüstung, Zugriff auf Rohstoffe und Sicherung der Transportwege. Der Zugriff auf Rohstoffe ist den privatkapitalistischen Unternehmen vorbehalten, schließlich ist das eine Voraussetzung für die Profitmacherei. Auch das hat praktische Konsequenzen:

Unsere Rohstoffe“ in Brasilien, Kongo und Kasachstan

Volkswagen sichert sich Rohstoffe aus brasilianischen Minen und paktiert dazu mit einem der größtem Bergbauunternehmen. Es geht um Rohstoffe für E-Autos. VW bildet mit einem Beitrag von 100 Mio. Dollart zusammen mit Glencore (Global Energy Commodity and Resources) und Stellantis, ebenfalls jeweils hundert Millionen Dollar, ein Konsortium zum Kauf von Minen. Glencore ist mit Sitz in der Schweiz das weltweit größte Rohstoff- und Bergbauunternehmen und steht für Menschenrechtsverletzungen, Verletzung von Gewerkschaftsrechten, Umweltvergiftung, Steuermanipulation und Korruption massiv in der Kritik. Mit von Glencore verursachten Treibhausgasemissionen ist der Konzern einer der größten Verursacher der Erderwärmung. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, in kolumbianischen Kohlebergwerken skrupellos gegen Gewerkschaftsmitglieder vorzugehen. Durch die Bergwerke würden Bevölkerung und Umwelt der Region massiv geschädigt, Zahlen und Geschäftspraxis blieben völlig im Dunkeln. Der Entwicklungsdienst Brot für die Welt kritisierte die Unternehmensmethoden im Kongo als Raubbau und Ausbeutung der Bergarbeiter. Die schweizerische Nichtregierungsorganisation Public Eye wirft dem Konzern vor, seine Geschäftsbücher durch erhöht ausgewiesene Betriebskosten und unrealistisch tiefe Rohstoffpreise zu manipulieren, um dadurch in den Entwicklungsländern keine Abgaben oder Steuern zahlen zu müssen. An die Republik Kongo musste Glancore 180 Mio. Dollar wegen Korruptionsvorwürfen zahlen. Ende Mai 2022 bekannte sich der Konzern gegenüber amerikanischen, brasilianischen und britischen Strafermittlungsbehörden der Korruption schuldig in mehreren lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern. Das Unternehmen habe zwischen 2007 und 2018 Bestechungsgelder gezahlt, um sich Vorteile bei Einkauf von Rohöl zu verschaffen2.

So wird durch den Pakt von VW mit Glencore nicht nur das Pariser Klimaabkommen weiter sabotiert, sondern Korruption und Verstößen gegen Menschenrechte Vorschub geleistet. Wahrscheinlich bahnt sich in schlechter Tradition nach der Wirtschaftsspionage gegen GM Mitte der 1990er Jahren (López-Affäre), nach der Bestechung der Betriebsratsspitze durch den Personalvorstand Peter Hartz (Volkert-Affäre) Mitte der 2000er Jahre und nach Dieselgate Mitte der 2010er Jahre (Abgasbetrug) der nächste große Skandal bei VW an. Böse in Erinnerung ist die „Kriegserklärung“ von Ferdinand Piëch an die Konkurrenz und im Zusammenhang mit der Nicht-Entschädigung bzw. der viel zu späten und zögerlich-knausrigen Entschädigung von Zwangsarbeiter*innen seine zynische Erklärung, Volkswagen hätte „als eine der ersten Firmen historische Forschung veranlasst, selbstständig und freiwillig Initiativen ergriffen, haben humanitäre Projekte in den Heimatländern der ehemaligen Zwangsarbeiter gestartet, unterhalten die größte Gemeinschaftsunternehmung mit Israel und haben – lange vor der Effektivität einer Gemeinschaftsverpflichtung der deutschen Wirtschaft – direkte Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter geleistet.“3

und im Hintergrund ein russischer Oligarch

Den Kauf von zwei Minen für Batterierohstoffe in Brasilien durch das Finanzunternehmen ACG (eine in London gelistete Börsenhülle (Spac4) unterstützt im Hintergrund ein russischer Oligarch.

ACG will dem Finanzinvestor Appian für eine Milliarde Dollar eine Nickelsulfid- und eine Kupfermine abkaufen. Die VW-Tochter Powerco werde eine Vorauszahlung von 100 Millionen Dollar für Nickelsulfid leisten. Ebenso hohe Summen steuern jeweils Stellantis und Glencore sowie ein Bergbau-Investmentfonds bei. Die übrigen Mittel sollen am Kapitalmarkt beschafft werden.

Nickel ist ein zentraler Bestandteil der am Markt am weitesten verbreiteten Batteriezellen für Elektroautos. Kupfer wird ebenfalls in großem Umfang benötigt, einerseits für Stromkabel im Auto, andererseits für die Ladeinfrastruktur. Der Deal unterstreicht den Strategiewechsel der großen Autobauer bei der Rohstoffbeschaffung, die teilweise Anpassung an die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung: Statt sich auf Zulieferer sowie die Absicherung von Preisrisiken an den Finanzmärkten zu verlassen, sichern sich die Konzerne verstärkt mit Direktbeteiligungen an Minenunternehmen den Zugriff auf wichtige Rohstoffe.

Ein VW-Sprecher bestätigte, dass die VW-Tochter Powerco neben der Beteiligung an ACG auch einen langfristigen Abnahmevertrag für Nickelmetall unterzeichnet hat. Es soll von Glencore in Kanada und Norwegen zu hochreinem Nickelkonzentrat weiterverarbeitet werden. „Powerco sichert damit den Hochlauf der Zellproduktion zu wettbewerbsfähigen Preisen ab“, hieß es dazu.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine löste im März 2022 einen Run auf Nickel an der Londoner Rohstoffbörse aus und katapultierte den Preis innerhalb weniger Tage von weniger als 20.000 Dollar pro Tonne auf über 100.000 Dollar – so viel wie noch nie.

Die Rohstoffkosten machen bis zu 80 Prozent der Kosten für die Batterie eines Elektroautos aus. Mit Direktbeteiligungen wie bei ACG wollen VW, Stellantis und andere von solchen Marktverwerfungen unabhängiger werden. Hinter den Kulissen zieht mit ACG-Chef Artem Volynets ein bestens vernetzter russisch-britischer Rohstoffmanager die Strippen5. Volynets fädelte 2007 die Fusion der Aluminiumgeschäfte von Glencore und den beiden russischen Aluminiumkonzernen Rusal und Sual ein. An dem Deal waren die heute sanktionierten russischen Oligarchen Oleg Deripaska und Wiktor Wekselberg beteiligt. Von 2010 bis 2013 führte Volynets die Holding En+, dem weltweit größtem, russischen Aluminiumhersteller. 2014 machte er sich selbstständig und gründete ACG als Beratungs- und Investmentunternehmen.

Die nun geschlossene Vereinbarung zur Aufbereitung von Nickel in den Werken von Glencore ist der erste öffentlich bekannte Deal mit VW. Dabei ist das Geschäft nicht ohne Risiko: Zuvor war der Verkauf der beiden brasilianischen Minen an ein südafrikanisches Unternehmen gescheitert. Dieses war im Januar von dem Vertrag mit Verweis auf geotechnische Instabilität der Nickelmine zurückgetreten. ACG erklärte, volles Vertrauen in die ausbaufähigen Minen zu haben (Handelsblatt, 12.6.2023).

Derweil schließt Ford den Produktionsstandort in Saarlouis und Volkswagen schränkt die Produktion ein, lässt Schichten ausfallen und verlängert den Werksurlaub, wo eigentlich E-Autos produziert werden sollten: es handelt sich um eine veritable Absatzkrise. Die IG Metall schreibt dazu euphemistisch in der Ausgabe 7/8 2023 ihrer Mitgliederzeitschrift: „Es werden wohl nicht alle 800.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie zu halten sein.6“ Tatsächlich wurden in den zurückliegenden vier Jahren bereits über 50.000 von vormals 820.000 Arbeitsplätzen in der Auto- und Zulieferindustrie vernichtet oder verlagert7. Wie bei Ford in Saarlouis geht es um zwei unternehmerische Ziele: Erstens wird dort produziert, wo die Kosten gering und die Subventionen hoch sind, zweitens werden Überkapazitäten stillgelegt bzw. vernichtet unbeschadet dessen, das andernorts neue Kapazitäten aufgebaut werden, z.B. Tesla in Grünheide. Das Ziel dieser Unternehmensentscheidungen sind einfach nur höhere Profite, mindestens 10 Prozent Umsatzrendite.

Topmanager fliegen mit VW-Jet auf die Bahamas – Leiharbeiter fliegen auf die Straße

Der Grund für die erneute Produktionseinschränkungen im VW-Werk Emden ist die verweigerte Verkehrswende, ein absehbar schwacher Absatz von E-Autos bzw. eine völlig unrealistische Absatzplanung seitens des Managements. Die Nachfrage liegt ein Drittel unter den von VW geplanten Zahlen. Da für die unrealistische Planung die Kapazitäten aufgebaut wurden, müssen die nun wieder zunächst zeitweise wieder stillgelegt werden. Bei der Belegschaft herrschen angesichts der erneuten Kurzarbeit Angst und Besorgnis. Zur Kurzarbeit für die Stammbelegschaft kommt hinzu, dass 600 Leiharbeiter und Werkvertragsbeschäftigte ab der zweiten Jahreshälfte nicht weiterbeschäftigt werden sollen. Pikant auch in diesem Zusammenhang, dass bei 2.800 Flügen der konzerneigenen Flotte von Kurz- und Langstreckenjets die Top-Manager mehr Geld verballerten, als die Leiharbeiter kosten: Sie flogen im Jahr 2022 in den Jets nach Sylt oder auf die Bahamas – die Leiharbeiter von VW fliegen auf die Straße und werden per Post über das Ende ihrer Beschäftigung informiert: Wer zuletzt gekommen ist, fliegt als erster aus dem Werk. (Emder Zeitung, 28.6.2023). Die Beschäftigten zahlen, zeitweilig durch Schichtausfälle oder dauerhaft durch Nichtweiterbeschäftigung, die Zeche für die falsche Strategie und das obszöne Leben des Jet-Sets von Volkswagen. 100 Millionen für die Zusammenarbeit mit einem anrüchigen Bergbaukonzern, aber kein Cent für die wirklich notwendige Transformation, für alternative Produkte und die so notwendige Verkehrswende. Weil „der Markt“ mal wieder nicht nach dem Lehrbuch funktioniert, fällt dem niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies dazu nicht mehr ein, als die Produktion und den Verkauf von E-Autos noch stärker und länger zu subventionieren bzw. die Mehrwertsteuer dafür zu reduzieren. Aber mehr Subventionen lösen das Problem nicht. Mehr Mitbestimmung und mehr Einflussnahme durch das Land als großer Aktionär wären angesagt, die Landesregierung könnte gemeinsam Handeln mit Vertretern der Belegschaft im Aufsichtsrat und so Veränderungen erzwingen. Ministerpräsident Weil und die grüne Kultusministerin Julia Willie Hamburg als Aufsichtsratsmitglieder müssen dem unökologischem und unsozialem Treiben, dem imperialen Großmachtgehabe und dem Geschwindigkeitsrausch des Managements eine Ende setzten. Die Beschäftigungssicherung bei Volkswagen muss auch für die Beschäftigten in Leiharbeit gelten!

In der oben zitierten Zeitung der IG Metall heißt es lakonisch: „Die Erweiterung der Mitbestimmung auf Wirtschaftsthemen allein ist keine streikfähige Forderung. Laut Grundgesetz herrscht unternehmerische Freiheit.“ Ob es sich dabei um eine bewusste Auslassung aus dem Grundgesetzes handelt, lasse ich dahingestellt. Korrekt heißt es im Artikel 14/2 bezogen auf das Eigentum an Produktionsmitteln: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Widrigenfalls ist nach Art. 14/3 und 15 GG eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit und zum Zwecke der Vergesellschaftung zulässig. Wenn nicht mit mehr Energie von Gewerkschaften und Sozialverbänden, von Kirchen und Klimabewegung für eine andere Produktion, für den öffentlichen Verkehr, für die sozial-ökologische Transformation gekämpft wird, kommt es zur Katastrophe, zu sozialen Verwerfungen mit allen politischen Konsequenzen. Wir sollten mehr Demokratie wagen, runde Tische und regionale Transformationsräte sollten die Initiative für die Verkehrswende und die sozial-ökologische Transformation der Industrie übernehmen!

1https://www.nationalesicherheitsstrategie.de/Sicherheitsstrategie-DE.pdf

2Informationen zu Glencore aus Wikipedia und eigene Erfahrungen aus dem Magdeburger Glencore-Betrieb.

3F. Piëch; Auto.Biographie; Pieper 2004, Seite 25

4Unter einem SPAC, ausgeschrieben Special Purpose Acquisition Company, versteht man einen sogenannten Börsenmantel. Ein SPAC stellt eine leere Börsenhülle dar, die einzig mit dem Ziel gegründet wurde, andere (nicht börsennotierte) Unternehmen zu übernehmen und deren Anteile an der Börse handelbar zu machen. Diese Form des Börsengangs unterscheidet sich vom klassischen Börsengang (IPO) vor allem darin, dass die Abwicklung weitaus schneller und günstiger vonstatten geht. Zudem bieten SPACs die Möglichkeit private Unternehmen, die finanziell möglicherweise noch nicht in der Lage sind ein klassisches IPO zu vollziehen, schnell und einfach an der Börse handelbar zu machen. Basierend auf diesen Vorteilen haben Börsengänge mittels SPACs in den letzten Jahren zunehmend an Beliebtheit gewonnen. So gab es im Jahr 2009 nur einen Börsengang mittels SPAC, 2020 waren es bereits 248 und im ersten Quartal des Jahres 2021 sogar 298. https://www.startbase.de/lexikon/spacs/

5https://www.bloomberg.com/news/articles/2023-06-12/russia-metal-boss-taps-vw-glencore-on-1-billion-mine-spac-deal

6https://www.igmetall.de/metallzeitung-epaper/juli-august-2023/#10

7https://www.vda.de/de/aktuelles/zahlen-und-daten/jahreszahlen/allgemeines

Ein Gedanke zu „Kapitalistische Landnahme, soziale Marktwirtschaft und die Sicherheitsstrategie.“

  1. Guter Artikel mit vielen wertvollen Informationen. Kleine Ergänzung: VW arbeitet im Kongo nicht nur mit dem korrupten Konzern Glencore zusammen, sondern auch mit dem belgischen Umicore (dazu WN vom 27.9.22, „VW sichert sich Zugriff auf Batteriematerial “).
    Der Konzern Umicore ist die Nachfolgefirma des belgischen Kolonialkonzerns Union Minière du Haut Katanga (UMHK), der über Jahrzehnte in der belgischen Kolonie Kongo die Bodenschätze ausbeutete und die Bevölkerung unterdrückte. Als nach der Entkolonisierung 1960 der neu gewählte Präsident Patrice Lumumba das nicht mehr zulassen wollte, wurde er ermordet. Mit Mobutu wurde anschließend ein Diktator installiert, der für weitere Jahrzehnte die Ausbeutung sicherte.
    Eine Entschuldigung und Entschädigung für die Verbrechen des Kolonialkonzerns? Fehlanzeige!
    Da haben sich zwei Partner mit viel historischer Erfahrung beim „Zugriff“ auf Bodenschätze und Arbeitskräfte fremder Länder zusammengetan.

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